BAG Beschluss v. - 4 ABR 5/23

Unterbrechung durch Insolvenz - Eingruppierung - Zustimmungsersetzung

Instanzenzug: ArbG Würzburg Az: 12 BV 12/19 Beschlussvorgehend Landesarbeitsgericht Nürnberg Az: 1 TaBV 12/21 Beschluss

Gründe

1A. Die Beteiligten streiten über die Ersetzung der Zustimmung des bei der Arbeitgeberin gebildeten Betriebsrats zur beabsichtigten Umgruppierung von zuletzt noch sieben Arbeitnehmerinnen.

2Die Arbeitgeberin betreibt als Unternehmen des Einzelhandels bundesweit Warenhäuser, unter anderem in W. Sie war nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts bis zum Jahr 2019 kraft Mitgliedschaft an die Tarifverträge des Einzelhandels Bayern gebunden und ist derzeit Mitglied ohne Tarifbindung im Handelsverband Bayern e.V.

3Im Zuge einer Neustrukturierung schloss die Rechtsvorgängerin der Arbeitgeberin mit dem Betriebsrat am einen „Interessenausgleich und freiwillige Betriebsvereinbarung Restrukturierung 2019“. Danach sollte eine „neue Besetzungssystematik für den Verkauf“ implementiert werden. Die Aufgaben der Verkäufer sollten getrennt auf Mitarbeiter im Verkauf, mit Kassentätigkeit (Kassenserviceteam - KST) und gewerbliche Mitarbeiter für den Warenservice (Warenserviceteam - WST) übertragen werden. Die Maßnahmen wurden im Folgenden in dem Warenhaus in W umgesetzt.

4Die Stellenbeschreibung WST aus Mai 2019 hat ua. folgenden Inhalt:

5Es existieren ein „Prozesshandbuch Warenserviceteam“ der K GmbH und ein „Visual Merchandising Leitfaden“, in denen Aufgaben des Warenserviceteams eingehend beschrieben und Vorgaben zur Arbeitsausführung gemacht werden.

6Im Zuge der Neustrukturierung wechselten einige Arbeitnehmerinnen vom Verkauf in das WST. Mit Schreiben vom beantragte die Arbeitgeberin beim Betriebsrat die Zustimmung zur Umgruppierung dieser - soweit noch streitgegenständlich - sieben Arbeitnehmerinnen. Diese waren bisher nach Beschäftigungsgruppe II des Gehaltstarifvertrags für die Angestellten im Einzelhandel in Bayern (GTV) vergütet worden. Die Umgruppierung sollte in Lohngruppenabteilung A Lohngruppe II Lohnstaffel IIa (Lohngruppe A II a) des Lohntarifvertrags für die gewerblichen Arbeitnehmer/innen im Einzelhandel in Bayern (LTV) erfolgen. Der Betriebsrat beschloss, den Umgruppierungen nicht zuzustimmen und teilte dies der Arbeitgeberin mit ihr am zugegangenen Schreiben mit. Zur Begründung führte er aus, die Aufgaben der Arbeitnehmerinnen seien fehlerhaft bewertet worden. Zutreffend sei eine Eingruppierung in Beschäftigungsgruppe II GTV oder zumindest in Lohngruppenabteilung A Lohngruppe II Lohnstaffel IIb LTV (Lohngruppe A II b LTV).

7Die Beteiligten haben in der Zeit vom 28. März bis zum einvernehmlich eine Tätigkeitserhebung bei den Arbeitnehmerinnen im WST durchgeführt. Danach entfielen - bei Zugrundelegung von insgesamt 100,01 vH - 10,88 vH der Gesamtarbeitszeit auf die Warenvorbereitung, 5,12 vH auf die Warenauszeichnung, 33,6 vH auf die Warenverräumung, 5,49 vH auf die Warenpflege, 9,85 vH auf den Kabinendienst, 1,31 vH auf Reinigungsarbeiten, 6,23 vH auf den Aktionsauf- und -abbau, 6,9 vH auf die Abschriftensteuerung, 1,7 vH auf Bestandskorrekturen, Bestandsaufnahmen und Inventuren, 4,96 vH auf Retouren/Umlagerungen, 1,47 vH auf Mitteilungen an Vorgesetzte uä., 4,02 vH auf Online-Themen, 3,17 vH auf Kundenkontakte und 5,31 vH auf sonstige Tätigkeiten.

8Die Arbeitgeberin hat die Auffassung vertreten, die im WST tätigen Arbeitnehmerinnen seien in Lohngruppe A II a LTV eingruppiert. Es handele sich um Tätigkeiten gewerblicher Arbeitnehmerinnen, die ohne berufliche Vor- und Ausbildung ausgeführt werden können, die aber gewisse Fertigkeiten, Übung und Erfahrung erfordern. Die Tätigkeit im WST sei eine Unterstützungstätigkeit für den Verkauf und erfolge nach konkreten Vorgaben. Aus der Tätigkeitserhebung sei ersichtlich, dass 72,5 vH der Tätigkeiten (Warenvorbereitung, Warenverräumung, Warenpflege, Kabinendienst, Reinigung, Aktionsauf- und -abbau) einfache körperliche Arbeiten seien. Eine Kundenberatung finde nicht statt. Allenfalls würden die Arbeitnehmerinnen Auskunft darüber geben, wo bestimmte Waren zu finden seien. Zur Ausführung der Tätigkeit sei eine Einarbeitungszeit von 47,5 Stunden ausreichend. Die Tätigkeit entspreche keinem der in den Lohngruppen A II a und A II b LTV genannten Beispiele, sei aber eher mit denjenigen aus der Lohngruppe A II a LTV vergleichbar. Diese sei daher maßgebend.

9Die Arbeitgeberin hat - soweit noch streitgegenständlich - beantragt,

10Der Betriebsrat hat die Abweisung der Anträge beantragt. Nachdem er zunächst die Auffassung vertreten hatte, die Arbeitnehmerinnen im WST würden überwiegend kaufmännisch tätig und seien daher in die Beschäftigungsgruppen des GTV eingruppiert, ist er nach Auswertung der Tätigkeitserhebung ebenfalls von einer gewerblichen Tätigkeit ausgegangen. Die Arbeitnehmerinnen seien aber in Lohngruppe A II b LTV eingruppiert. Hierbei handele es sich um eine Auffanglohngruppe für alle Tätigkeiten, die weder eines der Beispiele in Lohnstaffel IIa LTV erfüllen noch der Lohngruppenabteilung A Lohngruppe III LTV (Lohngruppe A III LTV) zuzuordnen sind. Vorliegend sei keines der Beispiele einschlägig. Aufgrund der Vielzahl der zu verrichtenden Arbeitsschritte sei die Tätigkeit zudem nicht mit einer solchen nach Lohngruppe A II a LTV vergleichbar. Hinsichtlich der Tätigkeitserhebung sei zu berücksichtigen, dass diese während der Corona-Pandemie stattgefunden habe. Tatsächlich würden Kundenkontakte mit 4,2 vH der Arbeitszeit anfallen.

11Das Arbeitsgericht hat nach Einholung einer Tarifauskunft beim Handelsverband Bayern e.V. und der Vereinten Dienstleistungsgewerkschaft - ver.di den Anträgen stattgegeben. Auf die Beschwerde des Betriebsrats hat das Landesarbeitsgericht den Beschluss des Arbeitsgerichts abgeändert und die Anträge abgewiesen. Mit ihrer Rechtsbeschwerde begehrt die Arbeitgeberin die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung.

12Mit Beschluss des Amtsgerichts Essen vom ist über das Vermögen der Arbeitgeberin das Insolvenzverfahren eröffnet worden (- 162 IN 196/22 -). Der Beschluss des Landesarbeitsgerichts ist der Arbeitgeberin am zugestellt worden. Die Rechtsbeschwerde ist am beim Bundesarbeitsgericht eingegangen. Mit Beschluss des Amtsgerichts Essen vom ist das Insolvenzverfahren über das Vermögen der Arbeitgeberin mit Ablauf des aufgehoben worden. Die Rechtsbeschwerdebegründung der Arbeitgeberin ist am beim Bundesarbeitsgericht eingegangen.

13B. Die zulässige Rechtsbeschwerde ist unbegründet.

14I. Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Sie ist insbesondere fristgerecht eingelegt und begründet worden. Das Beschwerdeverfahren war mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Arbeitgeberin unterbrochen. Die erst danach bewirkte Zustellung der Beschwerdeentscheidung war daher zunächst unwirksam, der Zustellungsmangel ist aber mit Aufhebung des Insolvenzverfahrens geheilt worden. Die einmonatige Rechtsbeschwerde- und zweimonatige Rechtsbeschwerdebegründungsfrist haben dementsprechend erst mit Beendigung der Unterbrechung zu laufen begonnen.

151. Das Beschwerdeverfahren war wegen des am eröffneten Insolvenzverfahrens über das Vermögen der Arbeitgeberin nach § 240 Satz 1 ZPO unterbrochen.

16a) Eine Unterbrechung nach § 240 Satz 1 ZPO setzt voraus, dass das Verfahren „die Insolvenzmasse“ betrifft. Dazu muss der Streitgegenstand als Aktivum oder Passivum ganz oder anteilig zur Masse gehören, wobei es ausreichend ist, wenn sich die Beziehung als mittelbare darstellt ( - Rn. 17, BAGE 178, 120; - 1 ABR 10/14 - Rn. 17, BAGE 154, 322). Ein mittelbarer Bezug zur Insolvenzmasse liegt ua. dann vor, wenn die obsiegende Partei auf der Basis der Entscheidung vermögensrechtliche Ansprüche geltend machen kann. Eine nur wirtschaftliche Beziehung zur Insolvenzmasse reicht demgegenüber nicht aus ( - Rn. 19 mwN, BAGE 120, 27;  - Rn. 11).

17b) Ein solcher mittelbarer Bezug zur Insolvenzmasse besteht auch bei einem auf Ersetzung der Zustimmung zu einer Ein- oder Umgruppierung gerichteten Beschlussverfahren. Das Verfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG betrifft zwar unmittelbar nur das Mitbeurteilungsrecht des Betriebsrats und hat zunächst keine direkten vermögensrechtlichen Konsequenzen. Ihm kommt aber eine begrenzte Bindungswirkung im Verhältnis zwischen der Arbeitgeberin und der betroffenen Arbeitnehmerin zu. Eine gerichtlich im Verfahren nach § 99 Abs. 4 BetrVG als zutreffend festgestellte Eingruppierung ist für die Arbeitgeberin im Verhältnis zu der betroffenen Arbeitnehmerin verbindlich. Bei einem erfolglosen Zustimmungsersetzungsantrag kann sie sich im Verhältnis zur Arbeitnehmerin nicht mehr auf die von ihr als zutreffend erachtete Eingruppierung berufen ( - Rn. 36, BAGE 127, 342; - 1 ABR 58/93 - zu B II 2 c bb der Gründe, BAGE 77, 1). Damit kann zwar nicht der Betriebsrat selbst auf Basis der Entscheidung im Zustimmungsersetzungsverfahren vermögensrechtliche Ansprüche gegenüber der Arbeitgeberin geltend machen. Die Arbeitgeberin ist aber gehindert, sich - mit bestimmten Argumenten - gegen vermögensrechtliche Ansprüche der Arbeitnehmerin zu wehren.

182. Aufgrund der Unterbrechung des Verfahrens ist der Beschluss des Landesarbeitsgerichts am nicht wirksam zugestellt worden. Die fehlerhafte Zustellung ist jedoch mit Aufhebung des Insolvenzverfahrens nach § 189 ZPO geheilt worden.

19a) Nach Eröffnung des Insolvenzverfahrens und Unterbrechung des Verfahrens konnte keine wirksame Zustellung erfolgen. Während der Unterbrechung sind nach § 249 Abs. 2 ZPO nicht nur die von einer Partei in Ansehung der Hauptsache vorgenommenen Prozesshandlungen der anderen Partei gegenüber ohne rechtliche Wirkung. Die Vorschrift erfasst darüber hinaus auch Handlungen des Gerichts, die nach außen vorgenommen werden. Zu diesen gehört die von Amts wegen zu bewirkende Zustellung von gerichtlichen Entscheidungen. Diese ist im Unterbrechungszeitraum grundsätzlich unwirksam ( - Rn. 18, BAGE 151, 302;  - Rn. 14).

20b) Der Unwirksamkeit der am bewirkten Zustellung steht die vor Beginn der Unterbrechung erfolgte Verkündung der angefochtenen Entscheidung nicht entgegen. Der Beschluss war bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht zugestellt und die Instanz deshalb noch nicht abgeschlossen ( - Rn. 19 mwN, BAGE 151, 302).

21c) Die fehlerhaft erfolgte Zustellung des Beschlusses an die Arbeitgeberin ist mit Wirksamwerden des Beschlusses des Amtsgerichts Essen vom über die Aufhebung des Insolvenzverfahrens mit Ablauf des nach § 189 ZPO geheilt worden, da sie den Beschluss erhalten hat. Nach § 189 ZPO gilt ein Schriftstück, das unter Verletzung zwingender Zustellungsvorschriften zugegangen ist, in dem Zeitpunkt als zugestellt, in dem es der Person, an die die Zustellung dem Gesetz gemäß gerichtet war oder gerichtet werden konnte, tatsächlich zugegangen ist. Die Vorschrift erfasst über ihren Wortlaut hinaus auch Fälle, in denen eine förmliche Zustellung eines Schriftstücks nach dem Gesetz zu erfolgen, jedoch nicht stattgefunden hat ( - Rn. 22, BAGE 151, 302;  - Rn. 35, BGHZ 188, 128).

223. Mit Beendigung der Unterbrechung begannen der Lauf der einmonatigen Rechtsbeschwerde- und zweimonatigen Rechtsbeschwerdebegründungsfrist. Diese hat die Arbeitgeberin eingehalten.

23a) Die Arbeitgeberin konnte bereits während der Unterbrechung und vor Zustellung des Beschlusses Rechtsbeschwerde einlegen, da dieser bereits verkündet war (so zum Urteilsverfahren  - Rn. 10; - 2 AZR 483/14 - Rn. 13). Die Rechtsbeschwerdeeinlegung war nicht wegen der Unterbrechung wirkungslos. Nach § 249 Abs. 2 ZPO sind nur Prozesshandlungen, die gegenüber dem Gegner vorzunehmen sind, wirkungslos, nicht aber diejenigen, die gegenüber dem Gericht erfolgen müssen. Hierzu gehört die Einlegung der Rechtsbeschwerde (vgl.  - Rn. 27, BAGE 151, 302; - 5 AZR 844/06 - Rn. 5). Soweit die Arbeitgeberin ab Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht mehr prozessführungsbefugt war, hat sie sich jedenfalls, indem sie in ihrer während des Laufs der Rechtsbeschwerdefrist übermittelten Rechtsbeschwerdebegründung auf die Einlegung der Rechtsbeschwerde Bezug genommen hat, die Einlegung zu eigen gemacht. Eine erneute Einlegung war daher entbehrlich (vgl.  (F) - Rn. 15 ff.).

24b) Die Rechtsbeschwerdebegründung ist innerhalb von zwei Monaten nach Beendigung der Unterbrechung beim Bundesarbeitsgericht eingegangen und damit ebenfalls fristgerecht erfolgt.

25II. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Anträge im Ergebnis zutreffend abgewiesen.

261. Die Zustimmungsersetzungsanträge sind - nach gebotener Auslegung - zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt iSd. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Es fehlt zwar an einer Angabe des Abschlussdatums des LTV, nach dem sich die Eingruppierung richten soll. Aus dem Vorbringen der Arbeitgeberin, die Tarifverträge würden statisch „auf Grundlage des letzten Tarifabschlusses 2017“ Anwendung finden, ergibt sich aber, dass sich der Antrag auf den LTV vom bezieht. Ebenso ist die Bezeichnung der begehrten Eingruppierung als „Lohngruppe L II a“ unschädlich. Da es nur in Lohngruppenabteilung A LTV eine Lohngruppe II mit einer Lohnstaffel IIa gibt, wird hinreichend deutlich, dass die Arbeitgeberin diese für zutreffend hält.

272. Die Anträge sind aber unbegründet. Die Tätigkeit der Arbeitnehmerinnen im WST führt nicht zu einer Eingruppierung in Lohngruppe A II a LTV.

28a) Die Arbeitgeberin hat die Zustimmungsverfahren ordnungsgemäß eingeleitet. Sie hat den Betriebsrat über die beabsichtigten personellen Einzelmaßnahmen unter Vorlage der erforderlichen Unterlagen informiert. Der Betriebsrat hat seine Zustimmung form- und fristgerecht nach § 99 Abs. 2 und Abs. 3 BetrVG verweigert. Er hat jeweils Gründe genannt, die es als möglich erscheinen lassen, dass die Zustimmungsverweigerungen berechtigt erfolgten.

29b) Bei der Einstufung der Arbeitnehmerinnen in die Lohngruppen und Lohnstaffeln des LTV handelt es sich um mitbestimmungspflichtige Umgruppierungen.

30aa) Eine Eingruppierung ist die erstmalige, eine Umgruppierung die erneute Einreihung einer Arbeitnehmerin in eine im Betrieb geltende Vergütungsordnung. Sie besteht in der Zuordnung der Arbeitnehmerin zu einer bestimmten Gruppe der Vergütungsordnung nach Maßgabe der dafür gültigen Kriterien. Dabei ist es für die Mitbestimmung des Betriebsrats ohne Bedeutung, ob der Beurteilungsakt eine Eingruppierung zum Gegenstand hat oder eine Umgruppierung. Weist die Arbeitgeberin der bereits eingruppierten Arbeitnehmerin im Wege der Versetzung eine veränderte Tätigkeit zu, ist die Arbeitgeberin gehalten, die Übereinstimmung mit der bisherigen Eingruppierung zu überprüfen. Gelangt sie dabei zu dem Ergebnis, dass die Arbeitnehmerin aufgrund der geänderten Tätigkeit einer anderen Vergütungsgruppe zuzuordnen ist, handelt es sich um eine Umgruppierung ( - Rn. 16; - 1 ABR 64/08 - Rn. 16).

31bb) Vorliegend waren die nunmehr im WST eingesetzten Arbeitnehmerinnen zuvor im Verkauf eingesetzt. Aufgrund der Versetzungen war die Arbeitgeberin gehalten, die bisherige Eingruppierung in Beschäftigungsgruppe II GTV zu überprüfen. Sie ist der Auffassung, nunmehr sei eine - geänderte - Eingruppierung in Lohngruppe A II a LTV zutreffend.

32c) Bei dem LTV vom handelt es sich um die im Betrieb geltende Vergütungsordnung iSv. § 99 Abs. 2 Nr. 1 BetrVG. Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts endete die Tarifgebundenheit der Arbeitgeberin mit Ablauf des Jahres 2019.

33d) Die Tätigkeit im WST führt nicht zu einer Eingruppierung in Lohngruppe A II a LTV.

34aa) Die für die Einstufung maßgebenden Bestimmungen in § 9 des Manteltarifvertrags für die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer im Einzelhandel in Bayern vom (MTV) lauten auszugsweise wie folgt:

35Der LTV enthält folgende einschlägige Bestimmungen:

36Der Gehaltstarifvertrag für die Angestellten im Einzelhandel in Bayern vom gilt nach dessen § 1 persönlich „für alle Angestellten und Auszubildenden, ausgenommen die in § 5 Absatz 2 und 3 Betriebsverfassungsgesetz genannten Personen“.

37bb) Die Eingruppierung hat nach den Lohngruppen des LTV zu erfolgen. Die Mitarbeiter im WST sind als gewerbliche Arbeitnehmerinnen anzusehen.

38(1) Bei der Eingruppierung einer Arbeitnehmerin in Beschäftigungsgruppen oder Lohngruppen ist vorab zu prüfen, ob die Arbeitnehmerin der Gruppe der Angestellten oder derjenigen der gewerblichen Arbeitnehmerinnen zuzuordnen ist. Für Angestellte erfolgt dann eine Eingruppierung nach den Tätigkeitsmerkmalen der Beschäftigungsgruppen, für gewerbliche Arbeitnehmerinnen eine solche in die Lohngruppen. Die Tarifvertragsparteien haben separate Gehalts- und Lohntarifverträge abgeschlossen, deren persönlicher Geltungsbereich auf Angestellte und gewerblich Beschäftigte beschränkt ist. Hieraus ergibt sich die Notwendigkeit der vorangestellten Prüfung (vgl. zum in Niedersachsen bis 1979 geltenden Tarifrecht  - Rn. 28 f.).

39(2) Die Arbeitnehmerinnen sind im Hinblick auf ihre Tätigkeit im WST als gewerblich Beschäftigte einzuordnen. Diese ist körperlich und nicht geistig geprägt. Sie ist in der Hauptsache darauf gerichtet, die Waren in der richtigen Form an den richtigen Ort zu verbringen und stellt sich damit als körperlich-mechanische Tätigkeit dar. Im Wesentlichen handelt es sich um Vorarbeiten zur Verkaufstätigkeit, die nicht durch eine geistige Leistung, sondern durch die körperliche Zurverfügungstellung der Ware geprägt wird. Das hat der Betriebsrat nach Auswertung der Tätigkeitserhebung nicht mehr in Zweifel gezogen.

40cc) Bei der Tätigkeit im WST handelt es sich um eine einheitlich zu bewertende Gesamttätigkeit.

41(1) Gegenstand der tariflichen Bewertung ist gemäß § 9 Nr. 2 Satz 2 MTV die „tatsächlich verrichtete Tätigkeit“. Übt eine Arbeitnehmerin dauernd mehrere Tätigkeiten nebeneinander aus, die unter verschiedene Lohngruppen fallen, erfolgt die Eingruppierung entsprechend der zeitlich überwiegenden Tätigkeit (§ 9 Nr. 3 Satz 1 MTV). Für die danach erforderliche Feststellung, ob eine Arbeitnehmerin eine einheitlich zu bewertende Gesamttätigkeit ausübt oder ob ihre Tätigkeit aus mehreren jeweils eine Einheit bildenden und gesondert zu bewertenden Teiltätigkeiten besteht, sind die gesamten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen, wobei vorrangig auf die Arbeitsaufgabe abzustellen ist. Von einer Gesamttätigkeit ist auszugehen, wenn der Arbeitnehmerin eine einheitliche, nicht weiter trennbare Aufgabe übertragen ist oder wenn zwischen den ihr übertragenen Aufgaben ein sachlicher Zusammenhang besteht. Dagegen sind tatsächlich getrennte und nicht im Zusammenhang stehende Tätigkeiten als Teiltätigkeiten getrennt zu bewerten ( - Rn. 28 und - 4 AZR 283/22 - Rn. 28, jeweils mwN).

42(2) Danach handelt es sich vorliegend um eine einheitlich zu bewertende Gesamttätigkeit. Die von den Arbeitnehmerinnen im WST auszuübende Tätigkeit dient dem Ziel, die Warenbestückung und -präsentation in den Verkaufsräumen sicherzustellen und stets in dem vorgegebenen Zustand zu erhalten. Mit der Schaffung der WST wurden ua. Tätigkeiten, die zuvor im Verkauf beschäftigte Arbeitnehmerinnen verrichteten, herausgelöst und mit anderen zu einer neuen Tätigkeit mit einem eigenen arbeitstechnischen Zweck zusammengefasst. Diese umfasst alle hierfür erforderlichen Arbeitsschritte vom Zeitpunkt der Warenannahme bis zum Verkauf. Die Arbeitnehmerinnen übernehmen nach Anlieferung den Transport der Ware in die Verkaufsräume, die dortige Präsentation sowie im Folgenden deren Erhalt in verkaufsfähigem Zustand durch Ordnen und Sortieren nebst der Entsorgung von Bügeln und Verpackungen. Auch die Bearbeitung von Retouren, Rücklieferungen und Umlagerungen gehört zu diesem einheitlichen Tätigkeitsbild, da sie das Ziel hat, aktuell nicht benötigte Waren wieder aus den Verkaufsräumen zu entfernen (vgl. zur Einordnung der Tätigkeit im WST als einheitliche Gesamttätigkeit in einer Filiale in  - Rn. 25).

43dd) Die Arbeitnehmerinnen im WST sind nicht in Lohngruppe A II a, sondern mindestens in Lohngruppe A II b LTV eingruppiert. Sie verrichten Tätigkeiten, die gewisse Fertigkeiten, Übung und Erfahrung erfordern und zudem höherwertig als die in den Beispielen zu Lohngruppe A II a LTV genannten sind.

44(1) Unter Fertigkeiten ist die praktische Handhabung des Erlernten zu verstehen. Auch Geschicklichkeit, Erfahrung und Übung wird regelmäßig aufgrund einer über einen längeren Zeitraum ausgeübten Tätigkeit erworben ( - zu II 3 e der Gründe). Die Verwendung der Formulierung „gewisse“ verdeutlicht, dass an diese Fertigkeiten keine hohen Anforderungen zu stellen sind. Hierunter ist „kein sehr großes Ausmaß habend, aber doch ein Mindestmaß einhaltend“ (Duden Deutsches Universalwörterbuch 10. Aufl. Stichwort „gewiss“) zu verstehen. Die Anforderung liegt damit deutlich unter derjenigen der Lohngruppe A III LTV, für deren Tätigkeiten eine abgeschlossene Lehre oder mindestens vier Jahre Berufstätigkeit vorausgesetzt werden.

45(2) Den Tätigkeitsmerkmalen der Lohngruppe A II LTV sind sowohl Lohnstaffel a als auch Lohnstaffel b untergeordnet. Es handelt sich daher in beiden Lohnstaffeln um Tätigkeiten, die keine berufliche Vor- oder Ausbildung und lediglich ein Mindestmaß an Fertigkeiten, Übung und Erfahrung erfordern. Da eine Eingruppierung in Lohngruppe A II b LTV eine höhere Vergütung nach sich zieht als eine solche in Lohngruppe A II a LTV, muss es sich aber - innerhalb der Anforderungen des Oberbegriffs - um höherwertige Tätigkeiten handeln. Die Tarifvertragsparteien haben allerdings nicht ausdrücklich festgelegt, welche Kriterien für die höhere Bewertung heranzuziehen sind. Sie können sich - in einer Gesamtbetrachtung - sowohl aus quantitativen als auch aus qualitativen Merkmalen ergeben. Das ergibt die Auslegung des Tarifvertrags (zu den Auslegungsgrundsätzen  - Rn. 35 mwN, BAGE 164, 326).

46(a) Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts enthält Lohngruppe A II a LTV keine abschließende Aufzählung der ihr unterfallenden Tätigkeiten mit der Folge, dass alle nicht ausdrücklich genannten Tätigkeiten der Lohngruppe A II b LTV zuzuordnen wären. In beiden Lohnstaffeln wird der Begriff „Beispiel“ verwendet. Für ein unterschiedliches Verständnis iSe. abschließenden oder nicht abschließenden Regelung bestehen keine Anhaltspunkte. Der Zusatz „sowie sonstige Arbeitskräfte, soweit sie die Voraussetzungen der Lohngruppe III nicht erfüllen“ in Lohngruppe A II b LTV enthält bereits seinem Wortlaut nach lediglich eine Abgrenzung zu Lohngruppe A III LTV, nicht zu Lohngruppe A II a LTV. Dies wird durch die Systematik bestätigt. Es bedurfte im Hinblick auf Arbeitnehmerinnen, die Tätigkeiten der Lohngruppe A III LTV ausüben, aber nicht über eine Ausbildung oder ausreichende Berufserfahrung verfügen, einer Regelung, welcher Lohngruppe sie zuzuordnen sind. Gleiches gilt für Arbeitnehmerinnen, deren Tätigkeiten mehr als gewisse Fertigkeiten, Übung und Erfahrung erfordern, aber (noch) nicht einem Lehrberuf entsprechen.

47(b) Mangels anderweitiger Anhaltspunkte hat die Abgrenzung von Lohngruppe A II a LTV zu Lohngruppe A II b LTV unter Berücksichtigung der Wertigkeit der Beispiele zu erfolgen. Der Vergleich der Beispiele zeigt, dass jede Tätigkeit, die in quantitativer und/oder qualitativer Hinsicht über die Beispiele der Lohngruppe A II a LTV hinausgeht, der Lohngruppe A II b LTV zuzuordnen ist. Die Fahrerin für Elektrokarren und Hubstapler muss, ebenso wie die Fahrstuhlführerin oder die Heizerin, technische Geräte bedienen. Derartige Beispiele finden sich in Lohngruppe A II a LTV nicht. Die Tätigkeit einer Lagerarbeiterin oder einer Packerin setzt sich aus verschiedenen Tätigkeiten der Lohngruppe A II a LTV, zB Abfüllerin, Abpackerin, Abwiegerin, Etikettiererin zusammen und ist aus diesem Aspekt höherwertig. Die Pförtnerin muss, anders als die Wächterin, mit anderen Menschen kommunizieren. Das begründet ebenfalls die Höherwertigkeit der Tätigkeit. Der Berücksichtigung aller - auch quantitativen - Aspekte steht nicht entgegen, dass zB ein Gehilfe in Imbissecken, worauf die Arbeitgeberin hingewiesen hat, ebenfalls eine Vielzahl an Einzeltätigkeiten verrichten muss. Bei diesen handelt es sich um ein eng begrenztes Tätigkeitsfeld, welches mit den in Lohngruppe A II b LTV genannten komplexen Tätigkeiten zB einer Lagerarbeiterin nicht vergleichbar ist.

48(c) Dieser Auslegung steht die durch das Arbeitsgericht eingeholte Auskunft der Tarifvertragsparteien nicht entgegen. Unabhängig davon, ob diese auf die prozessentscheidende Rechtsfrage gerichtet und damit unzulässig war (vgl.  - Rn. 44, BAGE 164, 326), ist sie jedenfalls unergiebig. Die Auskünfte stimmen inhaltlich nicht überein. Während es sich nach der - nicht näher begründeten - Auskunft von ver.di bei Lohngruppe A II b LTV um eine Auffanglohngruppe handelt, ist dies nach - ebenfalls nicht näher begründeter - Auffassung des Handelsverbands nur insoweit der Fall, als es sich um Tätigkeiten handelt, die ihrer Wertigkeit nach nicht mit den in Lohngruppe A II a LTV genannten Beispielen vergleichbar sind.

49(3) Nach diesen Grundsätzen ist die Tätigkeit im WST nicht der Lohngruppe A II a LTV zuzuordnen. Die Tätigkeit erfordert gewisse Fertigkeiten, Übung und Erfahrung. Das steht zwischen den Beteiligten nicht im Streit. Auch nach Auffassung der Arbeitgeberin kann diese nicht ohne eine Einarbeitung von knapp 50 Stunden ausgeübt werden. Sie geht aber ihren Anforderungen nach über eine Tätigkeit der Lohngruppe A II a LTV hinaus. Unter Zugrundelegung der Ergebnisse der Tätigkeitserhebung müssen die Arbeitnehmerinnen nicht nur abpacken oder auszeichnen oder etikettieren, sondern Waren packen, etikettieren und verräumen. Ihnen obliegen ferner, wenn auch nach engen Vorgaben, Kontrolltätigkeiten bei Retouren und Beständen. Dabei mögen die einzelnen Tätigkeiten mit Beispielen der Lohngruppe A II a LTV vergleichbar sein, sie müssen aber von den Arbeitnehmerinnen miteinander koordiniert und aufeinander abgestimmt werden. Dies führt in der Gesamtbetrachtung zu einem höheren Aufwand und einer komplexeren Tätigkeit als einer solchen nach Lohngruppe A II a LTV. Daher kann dahinstehen, ob der Anteil der Tätigkeiten mit Kundenkontakt tatsächlich, wie der Betriebsrat meint, höher ist als sich aus dem Ergebnis der Tätigkeitserhebung ergibt.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2024:210224.B.4ABR5.23.0

Fundstelle(n):
UAAAJ-73369