BGH Urteil v. - X ZR 82/22

Instanzenzug: Az: 4 Ni 5/22 (EP) Urteil

Tatbestand

1Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 2 454 894 (Streitpatents), das am unter Inanspruchnahme einer Priorität vom angemeldet wurde und die Übertragung von Daten zwischen Kommunikationsendgeräten betrifft.

2Patentanspruch 1, auf den zwölf Patentansprüche zurückbezogen sind, lautet in der Verfahrenssprache:

System zur Übertragung von Daten zwischen mindestens zwei Kommunikationsendgeräten (10, 20), mit

a) mindestens einem ersten Kommunikationsendgerät (10) und mindestens einem zweiten Kommunikationsendgerät (20), wobei mindestens ein Kommunikationsendgerät (10, 20) als mobiles Gerät, insbesondere Handgerät, ausgebildet ist,

b) einer mit allen Kommunikationsendgeräten (10, 20) über ein Datennetzwerk (100) koppelbaren Vermittlungseinheit (30),

c) einem Mittel (40) zur Berechnung und/oder Auswertung der räumlichen Distanz der Kommunikationsendgeräte (10, 20),

d) einem Mittel (50) zur Bestimmung und/oder Auswertung von zeitlichen Abständen von Kommunikationsanfragen (200, 201, 202, 203) an die Vermittlungseinheit (30), um eine Datenübertragung zwischen den mindestens zwei Kommunikationsendgeräten (10, 20) einzuleiten, wobei ein der Vermittlungseinheit (30) zugeordnetes Verbindungsmittel (60), in Abhängigkeit von vorgebbaren Schwellenwerten der räumlichen Distanz der mindestens zwei Kommunikationsendgeräte (10, 20) und des zeitlichen Abstands zwischen den Kommunikationsanfragen (200, 201, 202, 203) die Datenübertragung steuert, und

e) wobei die Kommunikationsanfrage an mindestens einem Kommunikationsendgerät (10, 20) durch Betätigen mindestens einer Taste an mindestens einem Kommunikationsendgerät (10, 20), eine Bewegung des mindestens einen Kommunikationsendgerätes (10, 20) im Raum, ein akustisches Signal, eine Spracheingabe und/oder Berühren des berührungssensitiven Bildschirms auslösbar ist und eine entsprechende Kodierung in der Kommunikationsanfrage (200, 201, 202, 203) und/oder dem Anfragedatensatz (70) gespeichert wird.

3Patentanspruch 14 schützt ein Verfahren mit im Wesentlichen entsprechenden Merkmalen.

4Die Klägerin hat geltend gemacht, die Erfindung sei nicht so offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne, und der Gegenstand des Streitpatents sei nicht patentfähig. Die Beklagte hat das Schutzrecht zuletzt in drei geänderten Fassungen verteidigt.

5Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt. Dagegen richtet sich die Berufung der Beklagten, die ihre zuletzt gestellten Anträge aus erster Instanz weiterverfolgt, jedoch mit umgekehrter Reihenfolge der beiden Hilfsanträge. Die Klägerin tritt dem Rechtsmittel entgegen.

Gründe

6Die Berufung ist zulässig, jedoch nicht begründet.

7I. Das Streitpatent betrifft die Übertragung von Daten zwischen Endgeräten.

81. Nach der Beschreibung des Streitpatents war es im Stand der Technik für eine spontane Übermittlung von Daten zwischen Endgeräten erforderlich, eine Telefonnummer oder E-Mail-Adresse auszutauschen. Die Übermittlung könne auch über eine Ad-Hoc-Verbindung mittels Bluetooth oder Infrarot erfolgen; dafür müsse jedoch ein Teilnehmer den anderen aus einer Liste auswählen.

9Dem Streitpatent liegt vor diesem Hintergrund das technische Problem zugrunde, die Datenübermittlung zwischen Endgeräten zu erleichtern.

102. Zur Lösung schlägt die in erster Linie verteidigte Fassung von Patentanspruch 1 ein System vor, dessen Merkmale sich wie folgt gliedern lassen (die Abweichung gegenüber der erteilten Fassung ist hervorgehoben):

113. Patentanspruch 14 sieht ein Verfahren mit im Wesentlichen entsprechenden Merkmalen vor und unterliegt deshalb derselben Beurteilung wie Patentanspruch 1.

124. Einige Merkmale bedürfen der näheren Erörterung.

13a) Wie das Patentgericht zu Recht angenommen hat, bildet die in Merkmal 1.2 vorgesehene Vermittlungseinheit ein von den Endgeräten im Sinne von Merkmal 1.1 unabhängiges Gerät.

14Dies ergibt sich aus der ausdrücklichen Definition in der Beschreibung (Abs. 7) und steht in Einklang mit den Ausführungsbeispielen, bei denen die der Vermittlungseinheit zugewiesenen Funktionen von einem Gerät wahrgenommen werden, das nicht zu den Endgeräten im Sinne von Merkmal 1.1 gehört.

15b) Merkmal 1.6 bestimmt, welche Mittel zur Verfügung stehen müssen, um eine Kommunikationsanfrage auszulösen.

16aa) Aus der und/oder-Verknüpfung in Merkmal 1.6 ergibt sich, dass es ausreicht, wenn eine der vorgesehenen Aktionen - das Betätigen einer Taste, eine Spracheingabe oder das Berühren des Bildschirms - eine Kommunikationsanfrage auslöst. Optional kann das System so ausgestaltet sein, dass mehrere dieser Aktionen die genannte Funktion auslösen.

17Merkmal 1.6 schließt ferner nicht aus, dass es weitere Aktionen gibt, denen ebenfalls diese Funktion zugeordnet ist.

18bb) Entgegen der Auffassung der Berufung ergibt sich weder aus Merkmal 1.6 noch aus sonstigen Vorgaben in Patentanspruch 1, dass eine Kommunikationsanfrage nur dann ausgelöst werden darf, wenn dem ein konkreter Nutzerwunsch zugrunde liegt.

19Die in Merkmal 1.6 vorgesehenen Aktionen bilden nach der Lehre des Streitpatents zwar Indikatoren dafür, dass ein konkreter Kommunikationswunsch besteht. Alle diese Aktionen können je nach Einzelfall aber auch versehentlich erfolgen. Zusätzliche Vorkehrungen, um ein solches Versehen von einer gewollten Betätigung zu unterscheiden, sieht Patentanspruch 1 nicht vor.

20Insbesondere ist Merkmal 1.2 nicht zu entnehmen, dass die Vermittlungseinheit über besondere Funktionen verfügen muss, um eine solche Unterscheidung zu treffen. Die Funktionen, die die Vermittlungseinheit erfüllen muss, sind lediglich in Merkmal 1.5 definiert. Darüber hinaus kommt die Vermittlungseinheit auch zur Verwirklichung der in den Merkmalen 1.3 und 1.4 definierten Funktionen in Betracht. Die Überprüfung, ob eine der in Merkmal 1.6 vorgegebenen Aktionen auf einem konkreten Nutzerwunsch oder auf einem Versehen beruht, sieht Patentanspruch 1 demgegenüber nicht vor.

21Die Beschreibung sieht allerdings zusätzliche Merkmale vor, um den Zeitpunkt der Interaktion zwischen den Endgeräten näher einzugrenzen. So kann etwa überprüft werden, ob zwei Endgeräte gegeneinandergestoßen worden sind oder ob eine mit einem Endgerät ausgeführte Wurfgeste mit einer Fanggeste auf einem anderen Endgerät korrespondiert (Abs. 20). Patentanspruch 1 sieht eine solche Ausgestaltung indes nicht zwingend vor.

22c) Die in Merkmal 1.6.1 vorgesehene Kodierung bezieht sich auf die Aktion, die die Kommunikationsanfrage im Sinne von Merkmal 1.6 ausgelöst hat.

23aa) Aus dem Zusammenhang der Merkmale 1.6 und 1.6.1 und aus der in Merkmal 1.6.1 enthaltenen Vorgabe, dass es sich um eine entsprechende Kodierung handeln muss, ergibt sich, dass in Systemen, in denen die Auslösung durch mehrere unterschiedliche Aktionen erfolgen kann, aus der Kommunikationsanfrage oder dem Anfragedatensatz hervorgehen muss, welche Eingabeart diese Anfrage ausgelöst hat.

24Dies ermöglicht es unter anderem, eine Datenübertragung nur dann zuzulassen, wenn die Kommunikationsanfrage auf allen beteiligten Endgeräten mit der gleichen Aktion ausgelöst worden ist, oder eine Auswahl zwischen einer Datenübertragung von 1:1 oder von 1:n Endgeräten zu treffen. Zwingend erforderlich ist eine solche Verwendung der kodierten Angaben nach Patentanspruch 1 jedoch nicht.

25bb) In Systemen, in denen nur eine der in Merkmal 1.6 vorgegebenen Aktionen eine Kommunikationsanfrage auslösen kann, ist eine Kodierung im Sinne von Merkmal 1.6.1 hingegen nicht erforderlich.

26Auch dies ergibt sich aus der in Merkmal 1.6.1 enthaltenen Vorgabe, dass es sich um eine entsprechende Kodierung handeln, die Kodierung also in Zusammenhang mit der jeweils gewählten Eingabeart stehen muss.

27Wenn eine Kommunikationsanfrage nur mit einer der drei in Merkmal 1.6 vorgegebenen Eingabearten ausgelöst werden kann, bedarf es einer Angabe zu der im Einzelfall gewählten Eingabeart nicht, weil es ohnehin nur eine Möglichkeit gibt. Merkmal 1.6.1 ist insoweit - ebenso wie die Möglichkeit mehrerer verschiedener Eingabearten in Merkmal 1.6 - optional.

28d) Wie das Patentgericht zu Recht angenommen hat, muss sich das Einleiten einer Datenübertragung im Sinne von Merkmal 1.4.1 nicht grundlegend vom Steuern der Datenübertragung im Sinne von Merkmal 1.5 unterscheiden.

29aa) Die Merkmale 1.4 und 1.4.1 sehen die Bestimmung oder Auswertung von zeitlichen Abständen zwischen Kommunikationsanfragen als Mittel vor, anhand dessen über die Einleitung einer Datenübertragung entschieden werden kann.

30Im Vergleich dazu stellt sich die in Merkmal 1.5 vorgesehene Steuerung in Abhängigkeit von vorgebbaren Schwellenwerten für die räumliche und zeitliche Distanz als Konkretisierung dar. Dies schließt nicht aus, ein mehrstufiges Prüf- oder Steuerverfahren vorzusehen, in dem die einzelnen Kriterien sukzessiv geprüft werden. Zwingende Vorgaben hierzu sind Patentanspruch 1 indes nicht zu entnehmen.

31Die Beschreibung führt sogar als Möglichkeit an, zur Reduzierung der Latenz mit der Übertragung von Daten sofort nach deren Auswahl zu beginnen, ohne eine Aktivierungseingabe abzuwarten (Abs. 49). Auch eine solche Ausgestaltung ist durch Patentanspruch 1 nicht ausgeschlossen.

32bb) Entgegen der Auffassung der Berufung ergibt sich aus den Ausführungen in der Beschreibung, wonach die Datenübertragung auf unterschiedlichen Wegen erfolgen kann (Abs. 45), keine abweichende Beurteilung.

33Nach diesen Ausführungen kann die Übermittlung wahlweise dergestalt erfolgen, dass die Vermittlungseinheit die zu übermittelnden Nutzdaten entgegennimmt, zwischenspeichert und an den Empfänger übermittelt (Abs. 46), oder dergestalt, dass die Vermittlungseinheit nur die Adresse des Empfängers übermittelt und die Nutzdaten auf direktem Weg zwischen Sender und Empfänger übertragen werden (Abs. 47). Die Auswahl der Übermittlungsart hängt aber nicht von der zeitlichen oder räumlichen Distanz der beteiligten Endgeräte ab, sondern von den Vorgaben des Nutzers (Abs. 46 und 47).

34Das System kann zwar auch so ausgelegt werden, dass es automatisch den besten Übermittlungsweg ermittelt. Als dafür relevantes Kriterium wird aber lediglich der Umstand benannt, dass Sender und Empfänger sich in privaten, von außen nicht erreichbaren Netzen befinden (Abs. 47 aE). Die räumliche oder zeitliche Distanz zwischen den beteiligten Endgeräten wird auch in diesem Zusammenhang nicht angeführt.

35e) Vorgebbare Schwellenwerte im Sinne von Merkmal 1.5 setzen voraus, dass die Schwellenwerte vom Anwender oder zumindest von einer das System administrierenden Person verändert werden können, ohne dass hierfür die Programmierung geändert werden muss.

36II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

37Die Erfindung sei trotz der Beschränkung von Merkmal 1.6 so offenbart, dass ein Fachmann sie ausführen könne. Tastatur und Touchscreen seien für die Bedienung eines Mobiltelefons üblich.

38Der Gegenstand von Patentanspruch 1 beruhe ausgehend von dem Artikel "Bump, the 1 Billionth iPhone App" (NK8b), der Ende April 2009 auf der Website www.appscout.com veröffentlicht worden sei, nicht auf erfinderischer Tätigkeit.

39NK8b offenbare ein System mit den Merkmalen 1.1 bis 1.3 und 1.6. Der Fachmann lese ferner die Merkmale 1.4, 1.4.1 und 1.6.1 mit. Nicht offenbart seien die Möglichkeit zur Vorgabe von Schwellenwerten im Sinne von Merkmal 1.5 und das Auslösen einer Kommunikationsanfrage mit einem der in Merkmal 1.6 vorgesehenen Mittel.

40Die Vorgabe von Schwellenwerten ergebe sich aufgrund fachmännischer Überlegungen in Verbindung mit dem Fachwissen, wie es zum Beispiel durch die Veröffentlichung von Melinger et al. (Socialight: A Mobile Social Networking System, NK9) und das US-Patent 6 542 748 (NK12) belegt sei. Entsprechendes gelte für das Auslösen einer Kommunikationsanfrage durch Betätigen einer Taste oder durch Berühren des Bildschirms; insoweit sei das Fachwissen zum Beispiel durch die internationale Patentanmeldung 2007/121414 (NK6), die Veröffentlichung von Hinckley (Synchronous Gestures for Multiple Persons and Computers, NK7) und die US-Patentanmeldung 2007/019028 (NK11) belegt.

41Das nach dem erstinstanzlichen Hilfsantrag 1 zusätzlich vorgesehene Merkmal, vor der Signalisierung der Kommunikationsanfrage einen zu sendenden Nutzdatensatz auswählen zu können, sei in NK8b ebenfalls offenbart.

42Entsprechendes gelte im Ansatz für die zusätzlichen Merkmale nach dem erstinstanzlichen Hilfsantrag 2. Die darüber hinausgehende Konkretisierung habe sich in naheliegender Weise aus dem Fachwissen ergeben.

43III. Dies hält der Nachprüfung im Berufungsverfahren stand.

441. Im Ergebnis zu Recht hat das Patentgericht den Gegenstand der in erster Linie verteidigten Fassung von Patentanspruch 1 ausgehend von NK8b als naheliegend angesehen.

45a) Die vom Patentgericht getroffene Feststellung, dass NK8b am im Internet öffentlich zugänglich war und damit zum Stand der Technik gehört, wird von der Berufung nicht in Zweifel gezogen und begegnet keinen Bedenken.

46b) NK8b berichtet über die damals für iPhones und iPods verfügbare App Bump.

47Bump nutze den Beschleunigungssensor der Geräte sowie deren Internetverbindung und Standortdaten. Die Idee der App liege darin, dass zwei Geräte den Austausch von Kontaktinformationen anbieten, wenn sie aneinandergestoßen würden. Hierzu nehme die App nach dem Start Verbindung mit dem Internet auf und der Nutzer wähle die Daten aus, die später gesendet werden sollen. Wenn das Gerät an ein anderes Gerät angestoßen oder wenn mit ihm gewinkt werde, benachrichtige die App den Internetserver von Bump. Dieser prüfe, ob ein anderes Gerät am gleichen Ort und zur gleichen Zeit an ein anderes gestoßen sei oder eine winkende Bewegung ausgeführt habe. Wenn der Server eine Übereinstimmung finde, erscheine auf dem Bildschirm die Angabe, mit wem ein Anstoß erfolgt sei, sowie die Frage, ob mit diesem Gerät Informationen ausgetauscht werden sollen. Bei Bejahung würden die beiden Geräte ihre Kontaktdaten verschlüsselt auf den Server hochladen und die Daten des jeweils anderen Geräts herunterladen.

48Hierbei sei es nicht erforderlich, die beiden Geräte tatsächlich aneinander zu stoßen. Zwei Geräte würden auch dann miteinander in Kontakt treten, wenn mit ihnen im Abstand von zehn Fuß gewinkt werde. Der Hersteller habe mitgeteilt, dass die App zu einem erneuten Anstoßen auffordere, wenn zu viele Geräte zu nahe beieinander seien. Für eine künftige Version sei geplant, den Austausch von Fotos und mehreren Kontaktdaten zu ermöglichen.

49c) Damit sind die Merkmale 1 bis 1.4.1 offenbart.

50aa) Dass die Merkmale 1 und 1.1 in NK8b offenbart sind, zieht auch die Berufung nicht in Zweifel.

51bb) Zu Recht hat das Patentgericht Merkmal 1.2 als offenbart angesehen.

52Wie bereits oben dargelegt wurde, ist zur Verwirklichung dieses Merkmals entgegen der Ansicht der Berufung nicht erforderlich, dass über die in Merkmal 1.6 vorgesehenen Mittel hinaus überprüft wird, ob einer Kommunikationsanfrage ein konkreter Nutzerwunsch zugrunde liegt.

53cc) Ebenfalls zutreffend hat das Patentgericht entschieden, dass Merkmal 1.3 offenbart ist.

54Aus der in NK8b enthaltenen Angabe, dass eine Datenübertragung auch dann ausgelöst werden kann, wenn die beiden beteiligten Geräte etwa drei Meter voneinander entfernt sind, ergibt sich, dass das System in der Lage ist, die Entfernung zwischen den beiden Geräten zu bestimmen. Auf welche Weise dies geschieht, ist unerheblich, weil Patentanspruch 1 insoweit keine Vorgaben enthält.

55dd) Entsprechendes gilt für die Merkmale 1.4 und 1.4.1.

56Aus der Angabe, dass eine Datenübertragung eingeleitet wird, wenn zwei Geräte zur gleichen Zeit an ein anderes Gerät gestoßen sind oder eine winkende Bewegung ausgeführt haben, ergibt sich, dass der Bump-Server den zeitlichen Abstand zwischen zwei auslösenden Aktionen ermittelt. Auf welche Weise dies geschieht, ist unerheblich, weil Patentanspruch 1 auch insoweit keine Vorgaben enthält.

57Entgegen der Ansicht der Berufung ist auch in diesem Zusammenhang unerheblich, dass bei dem in NK8b geschilderten Verfahren eine Datenübertragung auch dann ausgelöst werden kann, wenn zwei Endgeräte versehentlich aneinanderstoßen oder eine Winkbewegung ausführen. Wie bereits oben dargelegt wurde, schließt Patentanspruch 1 eine solche Ausgestaltung nicht aus.

58d) Wie das Patentgericht ebenfalls zu Recht angenommen hat, sind die Merkmale 1.5 und 1.6 in NK8b nicht offenbart.

59Aus NK8b ergibt sich nicht, dass ein Schwellenwert für die räumliche Distanz vorgegeben werden kann, innerhalb der eine Kommunikationsanfrage ausgelöst werden kann. Der Veröffentlichung ist auch nicht zu entnehmen, dass eine Kommunikationsanfrage nicht nur durch Aneinanderstoßen oder Winken ausgelöst werden kann, sondern auch durch eine Tastatur- oder Spracheingabe oder durch Berühren des Bildschirms.

60e) Im Ergebnis zutreffend hat das Patentgericht erkannt, dass NK8b nicht wegen Fehlens des Merkmals 1.6.1 von der Lehre des Streitpatents abweicht.

61aa) Entgegen der Auffassung des Patentgerichts offenbart NK8b jedoch nicht, dass durch eine differenzierende Kodierung die Art des Auslösens in der Kommunikationsanfrage mit angegeben wird. Insbesondere enthält NK8b keine eindeutigen Angaben dazu, ob eine Anfrage durch Anstoßen oder durch Winken ausgelöst worden ist.

62Die Ausführungen, wonach ein Datenaustausch erfolgt, wenn zwei Endgeräte am gleichen Ort und zur selben Zeit an ein anderes Gerät gestoßen sind oder eine Winkbewegung ausgeführt haben, mögen die Deutung zulassen, dass der Bump-Server in diesem Zusammenhang auch überprüft, ob die Art der Bewegung (Anstoßen oder Winken) übereinstimmt. Diese Ausführungen können aber auch dahin verstanden werden, dass es ausreicht, wenn jedes der beteiligten Geräte eine dieser Bewegungen ausgeführt hat, ohne dass zwischen der Art der Bewegung differenziert wird. Mangels näherer Angaben ist der Offenbarungsgehalt von NK8b in dieser Hinsicht nicht eindeutig.

63bb) Eine gesonderte Kodierung ist bei der in NK8b geschilderten Ausgestaltung indes nicht erforderlich, weil dort eine Kommunikationsanfrage nur auf eine Art ausgelöst werden kann - nämlich durch eine Bewegung des Geräts.

64Wie bereits oben dargelegt wurde, ist eine Kodierung nach Merkmal 1.6.1 nur dann erforderlich, wenn eine Kommunikationsanfrage durch unterschiedliche Eingabearten ausgelöst werden kann. Bei NK8b wäre dies etwa dann der Fall, wenn auch eine Tastatur- oder Spracheingabe genügen würde. Letzteres ist in NK8b jedoch nicht offenbart.

65f) Zu Recht ist das Patentgericht zu dem Ergebnis gelangt, dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 ausgehend von NK8b naheliegend war.

66aa) Zu Recht hat das Patentgericht entschieden, dass es nahelag, eine Konfigurationsmöglichkeit für den räumlichen sowie den zeitlichen Abstand vorzusehen, innerhalb dessen eine Datenübertragung eingeleitet werden kann.

67(1) Wie das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat, ist NK8b zu entnehmen, dass sich Probleme ergeben können, wenn zu viele Geräte zu nahe beieinander sind ("if too many devices are bumping too close to each other, the app will just ask to re-bump …"). Daraus ergibt sich, dass die Bestimmung des maximalen Abstands, innerhalb dessen eine Datenübertragung eingeleitet werden kann, von ausschlaggebender Bedeutung für die Funktionsfähigkeit des Systems ist.

68Vor diesem Hintergrund hat das Patentgericht zu Recht eine Veranlassung gesehen, eine Konfigurationsmöglichkeit vorzusehen, wie sie in ähnlichem Zusammenhang im Stand der Technik bekannt war.

69(2) Dem steht nicht entgegen, dass die vom Patentgericht insoweit als Beleg für das Fachwissen angeführten Veröffentlichungen keine Datenübertragung betreffen, wie sie in NK8b offenbart ist.

70Zu Recht hat das Patentgericht insoweit als ausschlaggebend und ausreichend angesehen, dass auch bei diesen Veröffentlichungen der Abstand zwischen zwei Geräten von Bedeutung ist und aus diesem Grund eine Konfigurationsmöglichkeit vorgesehen wurde.

71bb) Ebenfalls zu Recht hat das Patentgericht entschieden, dass es ausgehend von NK8b nahelag, zusätzliche Möglichkeiten für das Auslösen einer Kommunikationsanfrage vorzusehen, wie sie in Merkmal 1.6 aufgeführt sind.

72Dem steht nicht entgegen, dass das Auslösen der Datenübertragung durch eine bloße Bewegung des Endgeräts in NK8b als besonders intuitiv und benutzerfreundlich dargestellt wird und sich sogar im Namen der App widerspiegelt. Gebräuchliche Mittel zum Aufrufen von Funktionen wie eine Tastatur- oder Spracheingabe oder ein Berühren des Bildschirms werden damit nicht als ungeeignet qualifiziert, sondern sind allenfalls eine Möglichkeit, die nicht alle als erstrebenswert angesehenen Vorteile bietet. Die Lehre des Streitpatents geht darüber nicht hinaus.

73Die Steuerung mit Hilfe von Gesten wird auch in der Beschreibung des Streitpatents als besonders schnell und intuitiv bezeichnet (Abs. 18 f.). Dementsprechend sieht die erteilte Fassung von Patentanspruch 1 diese Art der Auslösung als eine von vier alternativen Möglichkeiten vor. Vor diesem Hintergrund erschöpft sich die Beschränkung auf drei als weniger vorteilhaft bezeichnete Möglichkeiten in der Inkaufnahme von Nachteilen, die bereits im Stand der Technik bekannt waren. Dies vermag nicht zur Bejahung der erfinderischen Tätigkeit zu führen (vgl. , GRUR 2018, 1128 Rn. 37 - Gurtstraffer).

742. Ebenfalls zu Recht hat das Patentgericht den mit Hilfsantrag I (erstinstanzlich: Hilfsantrag 2) verteidigten Gegenstand als nicht patentfähig beurteilt.

75a) Nach Hilfsantrag I soll die mit dem Hauptantrag verteidigte Fassung von Patentanspruch 1 um folgende Merkmale ergänzt werden:

76b) Einige Merkmale bedürfen der Erörterung.

77aa) Wie die Berufung im Ansatz zutreffend darlegt, weist das Streitpatent der Vermittlungseinheit im Sinne von Merkmal 1.2, dem Datenaustauschknoten im Sinne von Merkmal 1.2.2 und dem Verbindungsmittel im Sinne von Merkmal 1.5 jeweils unterschiedliche Funktionen zu.

78Entgegen der Auffassung der Berufung ergibt sich daraus jedoch nicht, dass diese Funktionen von drei unterschiedlichen Geräten erfüllt werden müssen.

79(1) Nach Merkmal 1.5 ist das Verbindungsmittel der Vermittlungseinheit zugeordnet.

80Dies setzt eine funktionelle und räumliche Nähe dieser beiden Komponenten voraus und lässt die Möglichkeit offen, beide Funktionen durch ein einheitliches Gerät zu verwirklichen.

81(2) Nach Merkmal 1.2.1 ist die Vermittlungseinheit datentechnisch mit dem Datenaustauschknoten gekoppelt.

82Dies beschreibt eine funktionelle Verknüpfung und lässt offen, ob die beiden genannten Funktionen durch ein Gerät oder durch mehrere Geräte verwirklicht werden.

83(3) Dieses Verständnis steht in Einklang mit den Ausführungen in der Beschreibung, wonach die Mittel (40, 50) zur Berechnung der räumlichen und zeitlichen Distanz, die Vermittlungseinheit (30) und das Verbindungsmittel (60) als Software und/oder Hardware realisiert sein können und dafür übliche Rechner und/oder Prozessoren eingesetzt werden können (Abs. 52).

84Für den Datenaustauschknoten enthält die Beschreibung zwar keinen ausdrücklichen Hinweis mit vergleichbarem Inhalt. Sie lässt aber auch nicht erkennen, dass für diese Komponente etwas anderes gelten soll.

85(4) Aus der Funktion des Datenaustauschknotens ergeben sich keine weitergehenden Anforderungen.

86Die Zwischenschaltung eines Datenaustauschknotens verwirklicht nach der Beschreibung eine noch weitere Trennung oder Entkopplung der Datenübertragung (Abs. 59). Diese Funktion erfordert nicht zwingend die Realisierung in einem separaten Gerät.

87Aus der Gegenüberstellung zwischen diesem Ausführungsbeispiel und dem zuvor geschilderten Beispiel, bei dem der Nutzdatensatz über die Vermittlungseinheit übertragen wird (Abs. 46), ergibt sich allerdings, dass der beim zweiten Beispiel zusätzlich vorgesehene Datenaustauschknoten funktionell von der Vermittlungseinheit getrennt sein muss. Auch diese funktionelle Trennung erfordert aber nicht zwingend eine Aufteilung auf zwei unterschiedliche Geräte. Sie kann auch durch zwei Programme verwirklicht werden, die unabhängig voneinander auf demselben Rechner ausgeführt werden.

88bb) Die in Merkmal 1.2.3 vorgesehene Nutzdatenadresse (91) ermöglicht es ausweislich der Beschreibung, den Nutzdatensatz (90) vom Datenaustauschknoten (31) herunterzuladen (Abs. 58).

89Nähere Anforderungen an Inhalt und Struktur dieser Adressangabe sind in Patentanspruch 1 nicht spezifiziert. Auch die Beschreibung enthält hierzu keine Angaben.

90cc) Aus der in Merkmal 1.2.4 enthaltenen Vorgabe, dass die zweite Kommunikationsanfrage "anschließend" versendet wird, ergibt sich lediglich, dass das System in der Lage sein muss, eine Kommunikationsanfrage des Empfängergeräts zu verarbeiten, wenn diese nach der Kommunikationsanfrage des die Nutzdaten sendenden Geräts übermittelt wird.

91Damit ist nicht ausgeschlossen, dass eine Kommunikationsanfrage des empfangenden Geräts auch dann verarbeitet wird, wenn sie vor der Kommunikationsanfrage des sendenden Geräts erfolgt. Ebenfalls nicht zwingend ausgeschlossen ist eine Übertragung von Nutzdaten in beide Richtungen.

92c) Der damit verteidigte Gegenstand ist durch NK8b nahegelegt.

93aa) Zutreffend hat das Patentgericht den in NK8b beschriebenen Bump-Server sowohl als Vermittlungseinheit im Sinne von Merkmal 1.2 angesehen als auch als Datenaustauschknoten im Sinne von Merkmal 1.2.1.

94Dabei kann zugunsten der Berufung unterstellt werden, dass beide Funktionen des Bump-Servers auf demselben Gerät ausgeführt werden. Wie oben dargelegt wurde, wird Merkmal 1.2.1 auch durch eine solche Ausgestaltung verwirklicht.

95Ob NK8b eindeutig zu entnehmen ist, dass die beiden Funktionen durch unabhängig voneinander ausgeführte Programme ausgeführt werden, bedarf keiner abschließenden Entscheidung. Eine solche Ausgestaltung liegt jedenfalls nahe, weil bei dem in NK8b geschilderten Verfahren beide Geräte zur gleichen Zeit Daten auf den Server laden und anschließend die von der Gegenstelle übermittelten Daten herunterladen.

96bb) Zu Recht hat das Patentgericht auch Merkmal 1.2.2 als nahegelegt angesehen.

97cc) Zutreffend hat das Patentgericht angenommen, dass die in NK8b beschriebene Vorgehensweise geeignet ist, einen Übertragungsvorgang auch dann auszulösen, wenn die zweite Anfrage kurz nach der ersten erfolgt.

98Die Angabe in NK8b, ein Übermittlungsvorgang werde ausgelöst, wenn zwei Endgeräte am gleichen Ort und zur gleichen Zeit bewegt werden, mag ihrem Wortlaut nach das Tolerieren eines gewissen Zeitversatzes ausschließen. Zumindest bei dem in NK8b beschriebenen Auslösen durch gleichzeitiges Winken mit zwei Endgeräten ist aber nicht auszuschließen, dass die beiden Winkbewegungen mit kurzem zeitlichen Abstand ausgelöst werden. Der Umstand, dass auch in dieser Situation ein Datenaustausch möglich ist, belegt, dass das System in der Lage ist, zwei kurz nacheinander übermittelte Kommunikationsanfragen zu verarbeiten. Dass es auch in der Lage ist, einen solchen Austausch zu ermöglichen, wenn das zweite Endgerät (kurz) vor dem ersten seine Kommunikationsanfrage sendet und beide Endgeräte jeweils die Übertragung eines von ihnen stammenden Nutzdatensatzes an das jeweils andere mit ihren Kommunikationsanfragen initiieren, steht der Offenbarung der Merkmale 1.2.3 und 1.2.4 aus den oben dargelegten Gründen nicht entgegen.

993. Zu Recht hat das Patentgericht den mit Hilfsantrag II (erstinstanzlich: Hilfsantrag 1) verteidigten Gegenstand ebenfalls als nicht patentfähig angesehen.

100a) Nach Hilfsantrag II soll die mit dem Hauptantrag verteidigte Fassung von Patentanspruch 1 um folgendes Merkmal ergänzt werden:

101b) Wie das Patentgericht zutreffend ausgeführt hat, genügt es zur Verwirklichung dieses Merkmals, wenn vor der Kommunikationsanfrage ein zu sendender Nutzdatensatz ausgewählt werden kann. Die mit dem "insbesondere" eingeleiteten zusätzlichen Teilmerkmale sind demgegenüber fakultativ.

102c) Zu Recht hat das Patentgericht entschieden, dass die zwingend vorgegebene Ausgestaltung in NK8b offenbart wird.

103Wie bereits oben dargelegt wurde, führt NK8b aus, dass der Benutzer die zu übermittelnden Daten im Voraus auswählen kann.

104IV. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG und § 97 Abs. 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:020724UXZR82.22.0

Fundstelle(n):
KAAAJ-73222