BGH Beschluss v. - 4 StR 107/24

Gesetze: § 261 StPO, § 267 Abs 1 S 2 StPO

Instanzenzug: LG Bielefeld Az: 1 Ks 15/23

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung zu einer Freiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt und eine auf ein Anerkenntnis des Angeklagten gestützte Adhäsionsentscheidung getroffen. Mit seiner Revision wendet sich der Angeklagte gegen seine Verurteilung wegen versuchten Mordes und die Strafzumessung. Das Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2Nach den Feststellungen unterhielten der Angeklagte und die Nebenklägerin eine Beziehung, in deren Verlauf die Nebenklägerin in die Wohnung des Angeklagten einzog. Nach diversen Streitigkeiten zog die Nebenklägerin im April 2023 wieder aus der Wohnung des Angeklagten aus. Für den vereinbarten beide nochmals ein Treffen in der Wohnung des Angeklagten, bei dem die Nebenklägerin verschiedene Unterlagen abholen wollte. Nachdem die Nebenklägerin dem Angeklagten bei dem absprachegemäß stattfindenden Treffen noch im Treppenhaus mitgeteilt hatte, dass ihre Beziehung endgültig beendet sei und sie einen neuen Freund habe, begaben sich beide weiter in das Wohnzimmer, wobei der Angeklagte, für die Nebenklägerin nicht sichtbar, ein Messer mit einer Klingenlänge von 12 cm bei sich trug. Spätestens zu dem Zeitpunkt, als die Nebenklägerin bereitgelegte Unterlagen durchsah, fasste der Angeklagte den Entschluss, sie zu töten. Er trat von hinten an die sich keines Angriffs versehende Nebenklägerin heran, legte ihr den Arm um den Hals und schnitt ihr einmal mit dem Messer am Hals entlang. Dabei wurde die Nebenklägerin durch ihr Halstuch sowie von ihrer Hand vor einer tiefergehenden Verletzung geschützt. Sodann löste der Angeklagte seinen Griff etwas und stach der Nebenklägerin nunmehr dreimal wuchtig in den Rücken. Als sich die Nebenklägerin daraufhin zu ihm umdrehte, stach ihr der Angeklagte jeweils noch einmal in die Brust und in den Bauch. Die Nebenklägerin sank zu Boden und schrie nach Hilfe. Der Angeklagte ließ von der Nebenklägerin ab und verließ das Wohnzimmer. Beim Verlassen des eigenen Wohnbereiches fügte er sich selbst mehrere Stich- und Schnittverletzungen zu.

3Dem in Tötungsabsicht handelnden Angeklagten war bewusst, dass die Nebenklägerin bei der Durchsicht ihrer Unterlagen nicht damit rechnete, von hinten angegriffen zu werden. Nach der letzten Stichverletzung ging er davon aus, alles Erforderliche für den Eintritt ihres Todes getan zu haben.

4Das Landgericht hat das Tatgeschehen als versuchten Heimtückemord gemäß § 211 Abs. 2 StGB in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB bewertet. Dabei ist es von einem beendeten Versuch ausgegangen und hat deshalb einen Rücktritt verneint.

II.

5Die Verurteilung wegen versuchten Mordes kann nicht bestehen bleiben, weil wesentliche die Annahme eines beendeten Versuches stützende Indiztatsachen nicht belegt sind.

61. Wird der Beweis tatbestandsrelevanter Tatsachen aus anderen Tatsachen gefolgert, so sind diese nach § 267 Abs. 1 Satz 2 StPO in den Urteilsgründen ebenfalls mitzuteilen. Dies hat in einer Weise zu erfolgen, die dem Revisionsgericht eine Überprüfung dieser Beweisführung an den Maßstäben rationaler Argumentation ermöglicht (Wenske in MüKo-StPO, 2. Aufl., § 267 Rn. 169). Ergibt sich dabei die Evidenz einer Indiztatsache nicht von selbst, sind daher auch die Erwägungen mitzuteilen, die ihrer Annahme zugrunde liegen. Denn den Angeklagten belastende Schlussfolgerungen dürfen nicht auf Vermutungen oder bloße Möglichkeiten gestützt werden (vgl. , Rn. 13; Beschluss vom ‒ 2 StR 417/06, NStZ-RR 2007, 86).

72. Den sich daraus ergebenden Anforderungen werden die Urteilsgründe nicht gerecht.

8Die Strafkammer hat angenommen, dass der Angeklagte auch deshalb davon ausgegangen sei, alles Erforderliche für den Eintritt des Todes der Nebenklägerin getan zu haben, weil diese an einer Blutgerinnungsstörung litt und ihm die erhöhte Gefährlichkeit von blutenden Verletzungen bewusst gewesen sei (UA S. 5 und 10). Einen Beleg dafür, dass bei dem Angeklagten ein derartiges Wissen zu dem dafür maßgeblichen Zeitpunkt (nach der letzten Ausführungshandlung) präsent war, bieten die Urteilsgründe nicht. Die mitgeteilte Einlassung des Angeklagten, die von der Strafkammer zudem in Teilen zurückgewiesen worden ist, enthält dafür keinen Anhaltspunkt. Die nur fragmentarisch angeführten Angaben der Nebenklägerin sind hierzu ebenfalls unergiebig. Gleiches gilt, soweit das Landgericht darauf abgestellt hat, dass der Angeklagte wahrgenommen habe, dass sich die Nebenklägerin nicht mehr vom Tatort wegzubewegen vermochte (UA S. 10). Der Angeklagte hat hierzu angegeben, aus dem Raum gelaufen zu sein, als die Nebenklägerin zu schreien begonnen habe (UA S. 8). Weitere Ausführungen, die den Ablauf des Geschehens nach dem letzten Stich erläutern oder belegen könnten, enthalten die auch insoweit sehr knappen Urteilsgründe nicht.

9Der aufgezeigte Rechtsfehler führt zur Aufhebung der Verurteilung – auch wegen der tateinheitlich begangenen gefährlichen Körperverletzung. Die ersichtlich nicht angefochtene – auf der Grundlage eines Anerkenntnisses des Angeklagten – getroffene Adhäsionsentscheidung bleibt hiervon unberührt (vgl. Rn. 5;Beschluss vom ‒ 4 StR 570/05, NJW 2006, 1890 Rn. 13 mwN).

103. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf das Folgende hin:

11Mit Blick auf § 224 Abs. 1 Nr. 5 StGB wird sich der neue Tatrichter genauer als bisher mit den Verletzungen der Nebenklägerin zu befassen haben. Die Beurteilung von Gefahren („akute Lebensgefahr“ etc.) wird dabei nachvollziehbar auszuführen und zu belegen sein.

12Der nach der Tat begangene Suizidversuch des Angeklagten und das der Tat vorausgehende Beziehungsgeschehen legen die Erörterung eines „Affekts“ nahe.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:070524B4STR107.24.0

Fundstelle(n):
WAAAJ-73163