Quellenschutz bei allgemein oder jedenfalls einem größeren Kreis zugänglichen Dokumenten
Gesetze: § 99 Abs 1 S 2 VwGO
Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht für das Land Mecklenburg-Vorpommern Az: 13 P 667/21 OVG Beschluss
Gründe
I
1In dem diesem Zwischenverfahren zugrunde liegenden Hauptsacheverfahren vor dem Verwaltungsgericht ... begehrt der Kläger (weitere) Auskunft über die bei der Verfassungsschutzbehörde des Landes Mecklenburg-Vorpommern zu seiner Person gespeicherten Daten.
2Im Hauptsacheverfahren forderte der Kammervorsitzende den Beklagten mit der Eingangsverfügung auf, sämtliche Verwaltungsvorgänge im Original vorzulegen. Daraufhin hat der Beklagte mit Schwärzungen versehene Ausdrucke der elektronisch geführten Verwaltungsvorgänge vorgelegt, die Vorlage der vollständigen, ungeschwärzten Akten hingegen unter Vorlage einer Sperrerklärung vom verweigert. Der Berichterstatter hat die Beteiligten mit Verfügung vom darauf hingewiesen, dass ein Beweisbeschluss oder eine förmliche Äußerung des Gerichts der Hauptsache zur Klärung der rechtlichen Erheblichkeit des Akteninhaltes für die Entscheidung des Rechtsstreites entbehrlich sei, wenn die zurückgehaltenen Unterlagen zweifelsfrei rechtserheblich seien. Dies sei der Fall, wenn - wie hier - die Entscheidung von der allein anhand des Akteninhaltes zu beantwortenden Frage abhänge, ob die Akten geheimhaltungsbedürftig seien. Auf Antrag des Klägers hat das Verwaltungsgericht das Verfahren zur Durchführung eines "In-Camera"-Verfahrens an den Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern abgegeben.
3Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom ergänzende Ausführungen zur Sperrerklärung gemacht.
4Der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts hat den Antrag des Klägers mit Beschluss vom abgelehnt. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers, der der Beklagte entgegen getreten ist.
II
5Die zulässige Beschwerde hat zu einem geringen Teil Erfolg. Der Antrag des Klägers auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Sperrerklärung ist zulässig, aber nur in geringem Umfang begründet. Die Sperrerklärung vom ist nur insoweit rechtswidrig, als sie sich auf die im Tenor angeführten Passagen bezieht.
61. Die Zulässigkeit eines Antrags auf Entscheidung des Fachsenats im Zwischenverfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO setzt voraus, dass das Gericht der Hauptsache die Entscheidungserheblichkeit der angeforderten Unterlagen ordnungsgemäß bejaht hat (vgl. 20 F 13.20 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 98 Rn. 7 m. w. N.). Dafür ist grundsätzlich ein der Sperrerklärung vorausgehender förmlicher Beweisbeschluss erforderlich, der durch den Spruchkörper zu fassen ist (vgl. 20 F 17.22 - juris Rn. 14). Es kann dahinstehen, ob der Fachsenat des Oberverwaltungsgerichts zu Recht angenommen hat, dass die Mitteilung des Berichterstatters vom der zur Entscheidung berufenen Kammer zuzurechnen ist und deshalb auf einen vorangegangenen Beschluss des Spruchkörpers schließen ließe (vgl. 20 F 17.22 - juris Rn. 14). Denn jedenfalls geht die Vorinstanz zu Recht davon aus, dass eine förmliche Verlautbarung der Entscheidungserheblichkeit durch den Spruchkörper dann entbehrlich ist, wenn die zurückgehaltenen Unterlagen zweifelsfrei rechtserheblich sind, weil die Entscheidung des Verfahrens zur Hauptsache - wie hier - von der allein anhand des Inhalts der umstrittenen Akten zu beantwortenden Frage abhängt, ob die Akten bzw. Aktenteile geheimhaltungsbedürftig sind (BVerwG, Beschlüsse vom - 20 F 10.08 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 55 Rn. 4 und vom - 20 F 12.13 - juris Rn. 6).
72. Der Antrag ist nur teilweise begründet.
8a) Die Sperrerklärung bezieht sich auf die geschwärzten und vorenthaltenen Akteninhalte des 67-seitigen Verwaltungsvorgangs zu den gespeicherten Daten des Klägers.
9b) Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO sind Behörden zur Vorlage von Urkunden oder Akten, zur Übermittlung elektronischer Dokumente und zu Auskünften verpflichtet. Wenn das Bekanntwerden ihres Inhalts dem Wohl des Bundes oder eines Landes Nachteile bereiten würde oder die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen, kann die zuständige oberste Aufsichtsbehörde gemäß § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO die Vorlage der Urkunden oder Akten, die Übermittlung elektronischer Dokumente und die Erteilung der Auskünfte verweigern. Danach ist die Sperrerklärung rechtmäßig.
10aa) Sie genügt den formalen Anforderungen. Aus ihr ergibt sich hinreichend genau, welche Weigerungsgründe zu welchen Schwärzungen und vorenthaltenen Aktenbestandteilen geltend gemacht werden.
11(1) Die Schwärzungen auf Blatt 1 bis 4 (interne Dokumente) wurden teilweise auf § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO und teilweise auf § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO gestützt. So wurde unter Ziffer I der Sperrerklärung eine Differenzierung nach den Kategorien A (Aktenzeichen, Organisationskennzeichen, Signaturen), B (Verfügungen) und C (Namentliche Hinweise auf Sachbearbeiter, Durchwahlnummern) vorgenommen. In der Kategorie A wurde auf die Folgen für die künftige Arbeit der Sicherheitsbehörden und deren Aufgabenerfüllung abgestellt, in der Kategorie B auf Belange des Landesverfassungsschutzes und in der Kategorie C auf den Schutz der Sachbearbeiter vor personenbezogenen Repressalien. Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom erläutert, dass mit den Kategorien A und B der Weigerungsgrund des § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO und mit der Kategorie C derjenige des § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO geltend gemacht wurde. Eine solche Ergänzung der bereits in der Sperrerklärung geltend gemachten Weigerungsgründe um tatsächliche Angaben und Erläuterungen ist zulässig ( 20 F 9.20 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 96 Rn. 32).
12(2) Die Zurückhaltung der Deckblattmeldungen (Blatt 5 bis 47) wurde in der Sperrerklärung auf eine "Gefährdung von Informationsquellen" gestützt. Der Beklagte hat mit Schriftsatz vom erläutert, dass damit kumulativ die Weigerungsgründe nach § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 und 3 VwGO geltend gemacht wurden.
13(3) Die Vorenthaltung des von der Polizei übermittelten Einsatzberichtes (Blatt 48 bis 67) wurde in der Sperrerklärung allein auf "drohende Nachteile für den Bund oder eines Landes", mithin auf § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO gestützt. Die mit Schriftsatz des Beklagten vom erfolgte Ergänzung um den in der Sperrerklärung noch nicht angeführten Weigerungsgrund des § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO ist unzulässig (vgl. 20 F 9.20 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 96 Rn. 32).
14bb) Die Sperrerklärung ist bezogen auf die im Tenor angeführten Teile der Seiten 50 und 52 des Verwaltungsvorganges rechtswidrig, ansonsten aber materiell rechtmäßig.
15(1) Für die geltend gemachten Weigerungsgründe nach § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 und 3 VwGO gelten folgende Maßstäbe:
16(a) Ein Nachteil für das Wohl des Landes im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO ist gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Akteninhalts die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren würde (vgl. 20 F 6.14 - juris Rn. 7 m. w. N.). Dies kann der Fall sein, wenn sich aus einer vollständigen Offenlegung von Unterlagen - vor allem in einer Zusammenschau - Rückschlüsse auf die gegenwärtige Organisation der Sicherheitsbehörden, die Art und Weise ihrer Informationsbeschaffung, aktuelle Ermittlungsmethoden oder die praktizierten Methoden ihrer Zusammenarbeit mit anderen Stellen ableiten lassen. Zu solchen Rückschlüssen geeignet sind z. B. Vorgangsvorblätter, Aktenzeichen, Organisationskennzeichen, Arbeitstitel, Verfügungen, namentliche Hinweise auf Bearbeiter, Aktenvermerke, Arbeitshinweise, Randbemerkungen, Querverweise, Hervorhebungen und Unterstreichungen sowie Vermerke zur Aktenverwaltung, Schriftverkehr mit anderen Behörden, Gesprächsdokumentationen, Verfügungsbögen und Deckblattberichte (vgl. 20 F 4.21 - juris Rn. 7 m. w. N.).
17Für Deckblattberichte greift darüber hinaus der Gesichtspunkt des Quellenschutzes, weshalb sie grundsätzlich in ihrer Gesamtheit einschließlich Anlagen geheimhaltungsbedürftig sind. Etwas anderes kann bei Gewinnung von Informationen mit nachrichtendienstlichen Mitteln dann gelten, wenn die Quelle aus Zusammenkünften und Veranstaltungen berichtet, bei denen ihre Identität aufgrund der Anonymität eines großen nicht individualisierbaren Teilnehmerkreises verborgen bleiben kann. Indes sind selbst (nunmehr) allgemein oder jedenfalls einem größeren Kreis zugängliche Dokumente, die aber durch den Zeitpunkt der Kenntniserlangung im kleinen Personenkreis oder die Art ihrer Zusammenstellung Rückschlüsse auf die Quelle erlauben können, grundsätzlich geeignet, vor allem im Rahmen einer umfangreichen Zusammenschau, die künftige Aufgabenerfüllung der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden zu erschweren. Feststellungen des Fachsenats dazu, welchen Anlass die Deckblattmeldungen hatten, verbieten sich unter dem Gesichtspunkt des Geheimhaltungsschutzes ( 20 F 7.16 - juris Rn. 8 m. w. N.).
18(b) Personenbezogene Daten sind ihrem Wesen nach grundsätzlich geheimhaltungsbedürftig im Sinne des § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO. Sie werden vom Schutzbereich des informationellen Selbstbestimmungsrechts nach Art. 2 Abs. 1 i. V. m. Art. 1 Abs. 1 GG erfasst, welches die Befugnis des Einzelnen gewährleistet, grundsätzlich selbst über die Preisgabe und Verwendung seiner persönlichen Daten zu bestimmen (vgl. - BVerfGE 156, 11 Rn. 71). Geschützt sind nicht nur personenbezogene Daten, die ohne Weiteres zur Identifikation der Person führen. Auch Äußerungen und Angaben zur Sache können geheimhaltungsbedürftig sein, wenn sie Rückschlüsse auf die Person erlauben und in Abwägung mit den Interessen des Klägers ein berechtigtes Interesse an einer Geheimhaltung besteht ( 20 F 13.17 - juris Rn. 13). Der Schutz persönlicher Daten gilt grundsätzlich auch für Behördenmitarbeiter. Daran ändert nichts, dass diese in Wahrnehmung öffentlich-rechtlicher Aufgaben und somit in ihrer Eigenschaft als Amtswalter tätig werden. Denn auch insoweit bleiben sie Träger von Grundrechten (vgl. 20 F 3.21 - juris Rn. 7). Anderes gilt bei Beschäftigten, welche die Behörden nach außen vertreten ( 20 F 2.16 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 72 Rn. 18), oder wenn die Daten anderweitig öffentlich bekannt sind (vgl. 20 F 13.09 - BVerwGE 136, 345 Rn. 22). Der Schutz personenbezogener Daten begründet grundsätzlich auch im Fall von Personen, die einer Behörde Informationen zur Erfüllung ihrer Aufgaben geben, einen Weigerungsgrund (vgl. 20 F 4.21 - juris Rn. 8 m. w. N.).
19(2) Eine Einsicht in die ungeschwärzte Fassung des 67-seitigen Verwaltungsvorgangs durch den Senat hat ergeben, dass die Weigerung des Beklagten, die Seiten 50 und 52 vorzulegen, hiernach teilweise rechtswidrig ist. In Bezug auf diese Seiten kann den überwiegend berechtigten Geheimhaltungsinteressen durch Teilschwärzungen Rechnung getragen werden, sodass eine Entnahme dieser Seiten nicht erforderlich ist. Dass der Kläger im Rahmen einer Protestaktion gegen eine AfD-Veranstaltung in ... am ... mit einem Regenschirm in Richtung von Polizeikräften eingestochen hatte, ist nicht nur Gegenstand der Auskunft an seine Prozessbevollmächtigte vom , sondern ergibt sich auch aus den offengelegten Teilen der Seiten 48 und 49 des Verwaltungsvorgangs. Da der Beklagte insoweit den Geheimhaltungsgrund nach § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO, auf den er sich für die Seiten 48 bis 67 des Verwaltungsvorgangs beruft, nicht geltend macht, ist auch nicht ersichtlich, dass dieser Geheimhaltungsgrund für die im Tenor präzisierten Teile der Seiten 50 und 52 eingreift. Denn in den ersten fünf Zeilen der Seite 50 wird nur zur strafrechtlichen Würdigung des Vorfalles ausgeführt, während dieser im letzten Absatz der Seite 52 nochmals kurz beschrieben wird. Insoweit besteht nur hinsichtlich des für den Sachverhalt vergebenen Aktenzeichens ein Geheimhaltungsgrund, aber nicht für die Beschreibung des bereits offengelegten Sachverhaltes oder dessen strafrechtliche Würdigung.
20Im Übrigen liegen die in der Sperrerklärung geltend gemachten Weigerungsgründe vor. Der diesbezügliche Vortrag des Klägers in dessen Schriftsätzen vom , vom und vom rechtfertigt keine andere Bewertung. Insbesondere ist nach Einsicht in die ungeschwärzten Originalakten im Hinblick auf den Inhalt der entnommenen Berichte nachvollziehbar, dass trotz der zum Teil erheblichen Teilnehmerzahlen einzelner Veranstaltungen ein Rückschluss auf Quellen und Arbeitsweisen der Sicherheitsbehörden möglich ist. Von einer weiteren Begründung wird nach § 99 Abs. 2 Satz 14 i. V. m. Satz 10 Halbs. 2 VwGO abgesehen, weil die Entscheidungsgründe Art und Inhalt der geheim gehaltenen Akten nicht erkennen lassen dürfen.
21(3) Die Entscheidung, die betreffenden Aktenbestandteile nicht freizugeben, ist - soweit Geheimhaltungsgründe bestehen - unter Berücksichtigung der diesbezüglichen Ermessenserwägungen in der Sperrerklärung und der entsprechend § 114 Satz 2 VwGO zulässigen ergänzenden Ermessenserwägungen im Schriftsatz des Beklagten vom (vgl. 20 F 2.23 - Rn. 12 f.) ermessensfehlerfrei. Der Beklagte hat insbesondere erkannt, dass allein die Tatsache, dass Dokumente als Verschlusssache eingestuft wurden, die Verweigerung von Auskünften im Rahmen des § 99 VwGO nicht rechtfertigt (vgl. 20 F 2.19 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 89 Rn. 29 m. w. N.). Er hat die gegenläufigen privaten und öffentlichen Interessen bezogen auf die einzelnen Aktenstücke abgewogen sowie eine Ermessensentscheidung getroffen, die den rechtlichen Anforderungen (vgl. 20 F 11.09 - Buchholz 310 § 99 VwGO Nr. 56 Rn. 12 m. w. N.) genügt.
223. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 3 VwGO. Der Antragsteller obsiegt nur in geringem Umfang, weil nur kurze Angaben zu einem bereits offengelegten Vorfall nicht durch Weigerungsgründe nach § 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO gedeckt sind.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2023:150823B20F8.23.0
Fundstelle(n):
KAAAJ-73060