BSG Beschluss v. - B 5 R 222/13 B

Sozialgerichtsverfahren - Nichtzulassungsbeschwerde - grundsätzliche Bedeutung - fehlende Sachverhaltsangabe - selbst formulierter Sachverhalt - vom Berufsgericht abweichend festgestellter Sachverhalt - Divergenz - Notwendigkeit gleich gelagerter Sachverhalte

Gesetze: § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, § 160 Abs 2 Nr 2 SGG, § 160a Abs 2 S 3 SGG, § 163 SGG

Instanzenzug: Az: S 4 R 666/08 Urteilvorgehend Landessozialgericht Hamburg Az: L 2 R 123/12 ZVW Urteil

Gründe

1Mit Urteil vom hat das LSG Hamburg einen Anspruch des Klägers auf höhere Regelaltersrente unter Berücksichtigung fiktiver Pflichtbeiträge bis zur Beitragsbemessungsgrenze für Wehrdienstzeiten im Zeitraum vom bis verneint.

2Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung wurde Beschwerde zum BSG eingelegt. In der Beschwerdebegründung werden die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (I.) sowie Rechtsprechungsabweichungen (II.) geltend gemacht.

3Die Nichtzulassungsbeschwerde ist unzulässig, weil sie nicht formgerecht begründet ist.

5Derartige Gründe werden in der Beschwerdebegründung nicht nach Maßgabe der Erfordernisse des § 160a Abs 2 S 3 SGG dargetan. Die Beschwerde ist daher gemäß § 160a Abs 4 S 1 iVm § 169 SGG zu verwerfen.

6I. Eine Rechtssache hat nur dann grundsätzliche Bedeutung, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Ein Beschwerdeführer muss mithin, um seiner Darlegungspflicht zu genügen, eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (so genannte Breitenwirkung) darlegen (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 70 mwN; Fichte in Breitkreuz/Fichte, SGG, 2009, § 160a RdNr 41).

8Mit diesen Fragen hat der Kläger die grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache nicht dargetan. Es fehlt bereits an einer ausreichenden Darlegung der Klärungsfähigkeit. Hierzu hätte aufgezeigt werden müssen, dass gerade ausgehend von dem Sachverhalt, den das LSG für das Revisionsgericht verbindlich festgestellt hat (§ 163 SGG), im künftigen Revisionsverfahren notwendig über die aufgeworfenen Fragen zu entscheiden sein wird und an welcher konkreten Stelle der vorzunehmenden rechtlichen Prüfung dies jeweils zu geschehen hat. Erst der vom Berufungsgericht festgestellte Sachverhalt individualisiert die als klärungsfähig behauptete rechtliche Problematik und versetzt das Beschwerdegericht in die Lage, die Klärungsfähigkeit der behaupteten Rechtsfrage in einem künftigen Revisionsverfahren festzustellen.

9Die Beschwerdebegründung verschweigt jedoch bereits, ob sie sich mit dem geschilderten Lebenssachverhalt überhaupt auf denjenigen berufen will, den das LSG festgestellt hat und inwieweit beide Sachverhalte ggf identisch sind. Da jedenfalls die bloße Mitteilung eines ohne Herkunftsangabe in der Beschwerdebegründung selbst formulierten Sachverhalts nicht geeignet ist, die mangelnde Bezeichnung des vom Berufungsgericht festgestellten Sachverhalts zu kompensieren und es andererseits nicht dem Beschwerdegericht obliegt, das angegriffene Urteil selbst nach einschlägigen Feststellungen zu durchsuchen, ist eine Beurteilung der potenziellen Entscheidungsrelevanz der Rechtsfragen schon deshalb von vornherein ausgeschlossen.

10Zudem lässt der Kläger unerörtert, warum die aufgeworfenen Fragen entscheidungserheblich sein könnten, obwohl sie einerseits den Eintritt eines "Schadens" (Fragen 1, 3 bis 5), eine "Belastung seines Vermögens" (Frage 2) bzw eine "Benachteiligung" (Frage 6) voraussetzen, "die Entscheidung des Landessozialgerichts" - wie sich aus der Beschwerdebegründung ergibt - aber andererseits "auf der Annahme beruht, dass einem Wehrpflichtigen aufgrund des § 256 (3) SGB VI kein Schaden entsteht", das Berufungsgericht mithin davon ausgeht, "dass der Kläger nicht benachteiligt und ihm überhaupt kein Schaden entstanden sei". Legt der Beschwerdeführer seinen (Rechts-)Fragen damit aber Tatsachen zu Grunde, die das Berufungsgericht im angefochtenen Urteil gerade nicht festgestellt hat, so scheidet die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache aus, weil das Recht auf der Basis eines Sachverhalts, den das LSG in wesentlichen Zügen abweichend festgestellt hat, keinesfalls fortgebildet werden kann (Senatsbeschluss vom - B 5 R 334/11 B - NZS 2012, 428 RdNr 9). Fragen, die sich entscheidungserheblich nur dann stellen würden, wenn die Vorinstanz andere oder weitere tatsächliche Feststellungen getroffen hätte, sind somit nicht klärungsfähig. Dies folgt aus § 163 SGG und der dort angesprochenen Bindung des Revisionsgerichts an die tatsächlichen Feststellungen der Vorinstanz. Diese Bindung schließt es aus, andere als die festgestellten Tatsachen in den Rechtsstreit einzuführen und zur Grundlage des Revisionsverfahrens zu machen.

11II. Auch die Divergenzrüge hat keinen Erfolg. Divergenz iS von § 160 Abs 2 Nr 2 SGG liegt vor, wenn die tragenden abstrakten Rechtssätze, die zwei Entscheidungen zu Grunde gelegt worden sind, nicht übereinstimmen. Sie kommt nur dann in Betracht, wenn das LSG einen tragenden abstrakten Rechtssatz in Abweichung von einem vorhandenen abstrakten Rechtssatz des BSG, des GmSOGB oder des BVerfG aufgestellt hat. Eine Abweichung liegt folglich nicht schon dann vor, wenn die Entscheidung des LSG nicht den Kriterien entspricht, die das BSG aufgestellt hat, sondern erst, wenn das LSG diesen Kriterien widersprochen, also eigene rechtliche Maßstäbe entwickelt hat. Nicht die Unrichtigkeit der Entscheidung im Einzelfall, sondern die Nichtübereinstimmung im Grundsätzlichen begründet die Zulassung der Revision wegen Abweichung. Darüber hinaus verlangt der Zulassungsgrund der Divergenz, dass das angefochtene Urteil auf der Abweichung beruht. Bezogen auf die Darlegungspflicht bedeutet das vorstehend Gesagte, dass die Beschwerdebegründung erkennen lassen muss, welcher abstrakte Rechtssatz in der höchstrichterlichen Entscheidung enthalten ist und welcher im Urteil des LSG enthaltene Rechtssatz dazu im Widerspruch steht; ferner muss aufgezeigt werden, dass auch das Revisionsgericht die oberstgerichtliche Rechtsprechung in einem künftigen Revisionsverfahren seiner Entscheidung zu Grunde zu legen haben wird (zum Ganzen vgl BSG SozR 3-1500 § 160a Nr 34 S 72 mwN). Diesen Darlegungserfordernissen wird die Beschwerdebegründung nicht gerecht.

12Soweit der Kläger aus dem angefochtenen Urteil des LSG sowie den herangezogenen Entscheidungen des - BSGE 78, 138 = SozR 3-2600 § 71 Nr 1) und des BVerfG (Nichtannahmebeschluss vom - 1 BvR 756/96 - SozR 4-2600 § 250 Nr 1) jeweils Rechtssätze ableitet, legt er schon nicht dar, an welcher genauen Stelle und mit Hilfe welcher anerkannten Methodik er diesen Entscheidungen die von ihm behaupteten Rechtssätze jeweils entnehmen will (vgl dazu Senatsbeschluss vom - B 5 R 384/11 B - BeckRS 2012, 66267 RdNr 11).

13Darüber hinaus hätte die Beschwerdebegründung substantiiert darlegen müssen, dass BVerfG und BSG in den herangezogenen Entscheidungen auf der Grundlage des darin angeblich aufgestellten Rechtssatzes eine Fallkonstellation bzw rechtliche Problematik, die mit derjenigen des Klägers vergleichbar ist, tragend anders entschieden haben als das LSG im angefochtenen Urteil. Dabei kann eine die Rechtseinheit gefährdende Abweichung nur bei gleichem oder vergleichbarem Sachverhalt vorliegen ( - BFH/NV 2010, 1469), wobei die angefochtene und die herangezogene Entscheidung zu denselben Rechtsnormen ergangen sein müssen (vgl Senatsbeschluss vom - B 5 R 88/10 B - BeckRS 2010, 74190 RdNr 9; - Juris RdNr 4; Kummer, Die Nichtzulassungsbeschwerde, 2. Aufl. 2010, RdNr 383). Der Kläger lässt jedoch offen, warum diese Voraussetzungen hier erfüllt sein könnten, obwohl er selbst einräumt, dass das LSG über die Bewertung von Wehrdienstzeiten nach § 256 Abs 3 S 1 SGB VI als Beitragszeiten entschieden habe, während sich BVerfG und BSG in den herangezogenen Entscheidungen mit Ersatzzeiten nach § 250 Abs 1 Nr 1 und 2 SGB VI befasst hätten. Deshalb wäre vertieft darauf einzugehen gewesen, warum sich in seinem Fall bei vergleichbarem Sachverhalt eine identische Rechtsfrage stellen könnte. Denn ein Widerspruch in der Rechtsprechung ist grundsätzlich nur möglich, wenn sich zwei Rechtssätze auf zumindest gleich gelagerte Sachverhalte beziehen und dieselbe Rechtsfrage auf Basis derselben Rechtsvorschriften unterschiedlich beantworten.

14Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 S 2 Halbs 2 SGG).

15Die Kostenentscheidung beruht auf der entsprechenden Anwendung des § 193 Abs 1 SGG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2013:070813BB5R22213B0

Fundstelle(n):
JAAAJ-73056