BGH Beschluss v. - XIII ZB 35/21

Instanzenzug: LG Ingolstadt Az: 24 T 332/21vorgehend AG Hof Az: XIV 9/21 (B)

Gründe

1I. Der Betroffene, ein pakistanischer Staatsangehöriger, reiste im August 2015 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Im Februar 2016 beantragte er die Anerkennung als Asylberechtigter. Mit Bescheid vom wurde der Asylantrag abgelehnt und dem Betroffenen die Abschiebung angedroht. Die gegen den Bescheid erhobene Klage des Betroffenen blieb erfolglos. Die Abschiebungsandrohung ist seit dem vollziehbar.

2Bei einem Ausreisegespräch am bei der Zentralen Ausländerbehörde Oberfranken erklärte der Betroffene, nicht freiwillig ausreisen zu wollen. Vom 1. Oktober bis und vom 16. September bis war der Betroffene unbekannten Aufenthalts.

3Für eine Sammelabschiebung am sollte der Betroffene am in Ausreisegewahrsam genommen werden, wurde aber in der Gemeinschaftsunterkunft nicht angetroffen. Daraufhin wurde er zur Fahndung ausgeschrieben und am in Hof aufgegriffen.

4Auf Antrag der beteiligten Behörde vom gleichen Tag hat das Amtsgericht nach Anhörung des Betroffenen mit Beschluss vom Abschiebungshaft bis längstens zum angeordnet. Zuvor hatte es den Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen, Rechtsanwalt K, telefonisch vom Anhörungstermin informiert; dieser hatte um Übersendung der Antragschrift, des Protokolls und des Beschlusses gebeten, um die Einlegung von Rechtsmitteln prüfen zu können. Gegen den Beschluss haben der Verfahrensbevollmächtigte K sowie ein Rechtsanwalt F Beschwerde eingelegt. Nach der am erfolgten Abschiebung des Betroffenen hat das Landgericht die noch auf Feststellung gerichtete Beschwerde mit Beschluss vom zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betroffene sein Feststellungsbegehren weiter.

5II. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.

61. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der Haftantrag der beteiligten Behörde sei zulässig und begründet. Es habe der Haftgrund der Fluchtgefahr bestanden. Obwohl der Betroffene auf die Anzeigepflicht hingewiesen worden sei, habe er seinen Aufenthaltsort mehrmals gewechselt, ohne die zuständige Behörde zu informieren. Aus Sicht der Kammer sei er bewusst untergetaucht und deshalb am in der Gemeinschaftsunterkunft nicht anzutreffen gewesen. Eine formelle Ladung des Rechtsanwalts zum Anhörungstermin sei nicht erforderlich gewesen. Dieser sei ausweislich des Protokolls vom Gericht telefonisch über den Termin in Kenntnis gesetzt worden. Dass er am Anhörungstermin teilnehmen wollte, sei weder aus der Akte noch seiner Beschwerdebegründung ersichtlich.

72. Diese Beurteilung hält der rechtlichen Überprüfung stand.

8a) Die Beschwerde war zulässig. Der Betroffene hat auf das Beschwerderecht nicht wirksam verzichtet. Nach dem Protokoll der Anhörung äußerte er zwar, er lege keine Beschwerde ein. Es kann dahinstehen, ob in dieser Erklärung ein Rechtsmittelverzicht liegt. Ein solcher wäre jedenfalls unwirksam. Nach der Rechtsprechung des Senats muss das Gericht im Verfahren der Abschiebungshaft einem anwaltlich nicht vertretenen Betroffenen, der von sich aus einen Rechtsmittelverzicht im Sinne von § 67 Abs. 1 FamFG abgeben will, eine von der Rechtsmittelbelehrung unabhängige Belehrung über die Folgen des Verzichts erteilen und diese für das Rechtsbeschwerdegericht nachprüfbar dokumentieren (BGH, Beschlüsse vom - V ZB 73/11, NVwZ 2012, 319 f.; vom - V ZB 87/14, InfAuslR 2015, 146 Rn. 3 f.). Die Dokumentation kann in dem Vermerk über die Anhörung enthalten sein oder im Anschluss gefertigt werden. Daran fehlt es. Der Anwalt des Betroffenen war bei der Anhörung nicht anwesend. Die damit erforderliche Belehrung ist weder im Protokoll noch sonst dokumentiert.

9b) Die Haftanordnung erweist sich jedoch als rechtmäßig.

10aa) Das Beschwerdegericht hat zu Recht das Vorliegen des Haftgrundes der Fluchtgefahr nach § 62 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 AufenthG bejaht. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs ist die Fluchtgefahr durch eine Gesamtbetrachtung aller Umstände des Einzelfalls festzustellen (BGH, Beschlüsse vom - XIII ZB 2/20, juris Rn. 10 - unter Hinweis auf den Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur besseren Durchsetzung der Ausreisepflicht vom , BT-Drucks. 19/10047, S. 41 f.; vom - XIII ZB 29/20, juris Rn. 15). Sie wird nach § 62 Abs. 3a Nr. 3 AufenthG vermutet, wenn die Ausreisefrist abgelaufen ist und der Ausländer seinen Aufenthaltsort trotz Hinweises auf die Anzeigepflicht gewechselt hat, ohne der zuständigen Behörde eine Anschrift anzugeben, unter der er erreichbar ist. Diese Voraussetzungen lagen vor. Nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts ist der Betroffene vom Bundesamt schriftlich in seiner Muttersprache über seine Anzeigepflicht nach § 50 Abs. 4 AufenthG belehrt worden. In der Zeit vom 1. Oktober bis und in der Zeit vom 16. September bis war er gleichwohl unbekannten Aufenthalts. Als der Betroffene am um 6:00 Uhr in Ausreisegewahrsam genommen werden sollte, wurde er nicht in der Gemeinschaftsunterkunft angetroffen. Ohne Erfolg beruft sich die Rechtsbeschwerde darauf, es könne nicht widerlegt werden, dass sich der Betroffene in der zugewiesenen Unterkunft in N, jedoch dort bei einer anderen Person aufgehalten habe. Der Betroffene hat bei seiner Anhörung vor dem Haftrichter angegeben, am bei einem Freund in H gewesen zu sein. Das Beschwerdegericht hat daher zu Recht angenommen, dass der Betroffene seinen Aufenthaltsort unter Verletzung der Meldepflicht gewechselt hat. Der Nachweis eines Untertauchens mit dem Ziel, der Abschiebung zu entgehen, ist entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde nicht erforderlich. Es genügt, dass hinreichende Umstände für die Annahme sprechen, der Betroffene werde sich ohne die Haft seiner Abschiebung durch Flucht entziehen. Dafür sprach zusätzlich, dass er gegenüber der Ausländerbehörde bei einem Ausreisegespräch im Juli 2019 geäußert hatte, er sei nicht bereit, das Bundesgebiet freiwillig zu verlassen.

11bb) Soweit die Rechtsbeschwerde rügt, das Amtsgericht habe bei der Abhilfeentscheidung die Ausländerakten nicht beigezogen, greift das nicht durch. Dem Amtsgericht hat die Ausländerakte jedenfalls vorgelegen, als es die Haft angeordnet hat. Es kann hier dahinstehen, ob eine Beiziehung der Ausländerakten auch für die Abhilfeentscheidung erforderlich ist. Denn eine rechtmäßige Abhilfeentscheidung ist nach allgemeinen Grundsätzen schon nicht Voraussetzung für die Rechtmäßigkeit der Beschwerdeentscheidung (BGH, Beschlüsse vom - V ZB 13/10, juris Rn. 11; vom - XII ZB 462/16, NJW-RR 2017, 707 Rn. 13). Das erstinstanzliche Verfahren endet mit dem Erlass der angefochtenen Entscheidung. Das Abhilfeverfahren ist bereits Teil des Beschwerdeverfahrens und dient der Entlastung des Beschwerdegerichts (, juris Rn. 9). Entscheidet das Beschwerdegericht trotz fehlender oder fehlerhafter Abhilfeentscheidung, kommt dieser Entlastungseffekt zwar nicht mehr zum Tragen; für die Rechtmäßigkeit des Beschwerdeverfahrens ist dies jedoch ohne Belang (BGH, NJW-RR 2017, 707 Rn. 13).

12cc) Die Rechtsbeschwerde rügt schließlich zu Unrecht die Verletzung des Grundsatzes des fairen Verfahrens durch das Amtsgericht.

13(1) Der Grundsatz des fairen Verfahrens garantiert einem Betroffenen, sich zur Wahrung seiner Rechte in einem Freiheitsentziehungsverfahren von einem Bevollmächtigten seiner Wahl vertreten zu lassen und diesen zu der Anhörung hinzuzuziehen. Erfährt oder weiß das Gericht, dass der Betroffene einen Rechtsanwalt hat, muss es dafür Sorge tragen, dass dieser von dem Termin in Kenntnis gesetzt und ihm die Teilnahme an der Anhörung ermöglicht wird; gegebenenfalls ist unter einstweiliger Anordnung einer nur kurzen Haft nach § 427 FamFG ein neuer Termin zu bestimmen. Vereitelt das Gericht durch seine Verfahrensgestaltung eine Teilnahme des Bevollmächtigten an der Anhörung, führt dies ohne Weiteres zur Rechtswidrigkeit der Haft; es kommt in diesem Fall nicht darauf an, ob die Anordnung der Haft auf diesem Fehler beruht (vgl. zuletzt BGH, Beschlüsse vom - XIII ZB 50/21, NVwZ-RR 2022, 885 Rn. 6; vom - XIII ZB 70/21, Asylmagazin 2023, 275 Rn. 9, vom - XIII ZB 49/20, juris Rn. 6, vom - XIII ZB 15/23, Rn. 11 jeweils mwN).

14(2) Diesen Anforderungen ist das Amtsgericht gerecht geworden. Es hat den Verfahrensbevollmächtigten des Betroffenen, der am Tag der Festnahme mit Schreiben vom gegenüber der Polizei seine Vertretung angezeigt hatte, über den Anhörungstermin unterrichtet. Aus dem Protokoll vom ergibt sich, dass das Gericht dem Betroffenen mitgeteilt hat, es habe mit Rechtsanwalt K telefoniert. Dieser bitte um Übersendung der Antragsschrift, des Protokolls der heutigen Anhörung und des ergangenen Beschlusses per Fax, um eventuell die Einlegung von Rechtsmitteln prüfen zu können. Daraus ergibt sich, dass der vom Gericht persönlich erreichte Rechtsanwalt nicht am Anhörungstermin teilnehmen wollte. Sein Verzicht ist dem Betroffenen zuzurechnen (§ 11 Satz 5 FamFG, § 85 ZPO). Es kommt insofern nicht darauf an, ob der Rechtsanwalt in Anbetracht der Entfernung zum Gerichtsort die Möglichkeit hatte, den anberaumten Anhörungstermin wahrzunehmen. Das Haftgericht ist grundsätzlich nicht von Amts wegen, sondern nur auf Antrag zu einer Verlegung des Termins verpflichtet (BGH, Beschlüsse vom - XIII ZB 28/20, juris Rn. 18; vom - XIII ZB 12/19, juris Rn. 17). Die Stellung eines solchen Antrags wäre dem Verfahrensbevollmächtigten am Telefon möglich gewesen.

153. Von einer weiteren Begründung wird abgesehen (§ 74 Abs. 7 FamFG).

164. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:110624BXIIIZB35.21.0

Fundstelle(n):
BAAAJ-72788