Anordnung ärztlicher Zwangsmaßnahmen
Leitsatz
1. Eine ärztliche Zwangsmaßnahme ist nur dann gemäß § 9 a Abs. 1 Nr. 7 MVollzG LSA zulässig, wenn der ernsthafte, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung von Druck unternommene Versuch einer Ärztin oder eines Arztes, ein Einverständnis der untergebrachten Person zu der Maßnahme zu erreichen, erfolglos geblieben ist.
2. Zu den Anforderungen an die tatrichterliche Feststellung und Darlegung des Versuchs, die untergebrachte Person von der Notwendigkeit einer ärztlichen Maßnahme zu überzeugen (im Anschluss an Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 87/18, FamRZ 2018, 1947; vom - XII ZB 185/17, FamRZ 2017, 2056 und vom - XII ZB 169/14, FamRZ 2014, 1694).
Gesetze: § 9a Abs 1 Nr 7 MVollzG ST vom , § 1832 Abs 1 S 1 Nr 4 BGB
Instanzenzug: Az: XII ZB 572/23 Beschlussvorgehend Az: XII ZB 572/23 Beschlussvorgehend LG Stendal Az: 25 T 82/23vorgehend AG Burg Az: 63 XVII 155/22
Gründe
I.
1Der nach § 63 StGB untergebrachte Betroffene wendet sich gegen die durch Zeitablauf erledigte gerichtliche Einwilligung in seine Zwangsbehandlung.
2Der 43-jährige Betroffene leidet seit vielen Jahren unter einer paranoiden Schizophrenie. Nachdem er seinem Vater mit einem Messer in den Rücken gestochen hatte, wurde im Jahr 2008 seine Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB angeordnet. Eine medikamentöse Behandlung lehnte der Betroffene überwiegend ab. Lediglich im Zeitraum vom bis zum ließ er sich auf eine Behandlung mit Abilify (Wirkstoff Aripiprazol) ein, davon allerdings nur vom bis zum mit der ärztlich zur Erreichung eines ausreichenden Wirkspiegels empfohlenen Tagesdosis von 20 mg Aripiprazol (oral). Seit diesem Zeitpunkt verweigert der Betroffene wieder jegliche Medikation.
3Mit Schreiben vom hat die Leiterin der Einrichtung, in welcher der Betroffene lebt (im Folgenden: Antragstellerin), die Erteilung der gerichtlichen Einwilligung in die Zwangsbehandlung des Betroffenen mit dem Depotpräparat Abilify beantragt. Nach Einholung eines psychiatrischen Sachverständigengutachtens und persönlicher Anhörung des Betroffenen hat das Amtsgericht die Erteilung der Einwilligung abgelehnt.
4Auf die Beschwerde der Antragstellerin hat das Landgericht nach Einholung eines Ergänzungsgutachtens und erneuter persönlicher Anhörung des Betroffenen die Einwilligung in die zweimalige Verabreichung von Abilify Maintena 400 mg (Wirkstoff Aripiprazol) 28-tägig intramuskulär (Depotspritze) im Zeitraum vom bis zum erteilt. Mit der hiergegen gerichteten Rechtsbeschwerde erstrebt der Betroffene die Feststellung, dass der landgerichtliche Beschluss ihn in seinen Rechten verletzt hat.
II.
5Die zulässige Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
61. Das Beschwerdegericht hat die Einwilligung in die Zwangsbehandlung des Betroffenen gemäß § 9 a Abs. 2 Satz 2 des Maßregelvollzugsgesetzes des Landes Sachsen-Anhalt in der Fassung vom (GVBl. LSA S. 120 - MVollzG LSA) erteilt. Bei dieser Einwilligung handelt es sich nach §§ 138 Abs. 4, 121 b Abs. 1 Satz 2 StVollzG iVm § 312 Nr. 4 FamFG um eine Unterbringungssache. Die Statthaftigkeit der Rechtsbeschwerde ergibt sich auch im Fall der hier aufgrund Zeitablaufs eingetretenen Erledigung aus § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 FamFG (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 541/19 - FamRZ 2020, 1305 Rn. 8 mwN). Das nach der - in der Rechtsbeschwerdeinstanz entsprechend anwendbaren - Vorschrift des § 62 Abs. 1 FamFG auf Feststellung der Rechtswidrigkeit des durch Zeitablauf erledigten Gerichtsbeschlusses gerichtete Rechtsmittel (st. Rspr., vgl. etwa Senatsbeschluss vom - XII ZB 222/19 - juris Rn. 4 mwN) ist auch im Übrigen zulässig.
72. Die Rechtsbeschwerde ist aber unbegründet. Auf Grundlage der vom Beschwerdegericht getroffenen Feststellungen ist die nach § 9 a Abs. 1, Abs. 2 Satz 2 MVollzG LSA erteilte Einwilligung in die ärztliche Zwangsmaßnahme gegen den natürlichen Willen des Betroffenen rechtsbeschwerderechtlich nicht zu beanstanden.
8a) Soweit die Rechtsbeschwerde geltend macht, das Beschwerdegericht habe keine ausreichenden Feststellungen zur Geeignetheit der Zwangsbehandlung getroffen und diese Behandlung zu Unrecht für erforderlich gehalten, vermag sie damit nicht durchzudringen. Diesbezüglich wird zur Vermeidung von Wiederholungen auf die Ausführungen im Senatsbeschluss vom Bezug genommen. Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird insoweit abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
9b) Entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde hat das Beschwerdegericht auch hinreichende Feststellungen dazu getroffen, dass vor der gerichtlichen Einwilligung in die Zwangsbehandlung in ausreichendem Maße versucht worden ist, den Betroffenen von der Notwendigkeit dieser Maßnahme zu überzeugen und seine auf Vertrauen gegründete Zustimmung hierzu zu erreichen.
10aa) Nach § 9 a Abs. 1 Nr. 7 MVollzG LSA ist eine Zwangsbehandlung der untergebrachten Person nur dann zulässig, wenn der ernsthafte, mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung von Druck unternommene Versuch einer Ärztin oder eines Arztes, ein Einverständnis der untergebrachten Person zu der Maßnahme zu erreichen, erfolglos geblieben ist. Diese Vorgaben entsprechen im Wesentlichen denjenigen in der Vorschrift des § 1906 a Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BGB aF (jetzt § 1832 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 BGB), für die der Senat ausgesprochen hat, dass das Gericht das Vorliegen dieser Voraussetzung in jedem Einzelfall festzustellen und in seiner Entscheidung in nachprüfbarer Weise darzulegen hat (vgl. Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 87/18 - FamRZ 2018, 1947 Rn. 19 und vom - XII ZB 185/17 - FamRZ 2017, 2056 Rn. 6 mwN). Dabei hat der Senat auf seine Rechtsprechung zur früheren Regelung in § 1906 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 BGB aF Bezug genommen, wonach die Ausgestaltung des Überzeugungsversuchs stark vom jeweiligen Einzelfall und dem Krankheitsbild des Betroffenen abhängt (vgl. Senatsbeschluss BGHZ 201, 324 = FamRZ 2014, 1358 Rn. 20) und eine nicht näher konkretisierte Feststellung des Gerichts, es sei vergeblich versucht worden, den Betroffenen von der Notwendigkeit der ärztlichen Behandlung zu überzeugen, unzureichend ist. Denn eine derartig pauschale Feststellung ermöglicht keine Überprüfung, ob den materiell-rechtlichen Vorgaben für eine Zwangsbehandlung genügt ist, weil sich ihr nichts zu Zeitpunkt, äußerem Rahmen, Beteiligten, Umfang und Inhalt des Überzeugungsversuchs entnehmen lässt (Senatsbeschluss vom - XII ZB 169/14 - FamRZ 2014, 1694 Rn. 16; vgl. auch BVerfG FamRZ 2015, 1589 Rn. 32).
11Enthält die gerichtliche Entscheidung - gegebenenfalls unter ergänzender Berücksichtigung eines Schreibens, Sachverständigengutachtens oder sonstigen Dokuments - indes nähere Ausführungen zur Ausgestaltung der Überzeugungsversuche, die dem Rechtsbeschwerdegericht eine Überprüfung der Hinlänglichkeit dieser Versuche ermöglichen, ist dem Darlegungserfordernis genügt (vgl. Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 341/22 - MDR 2023, 719 Rn. 23; vom - XII ZB 222/19 - juris Rn. 12; vom - XII ZB 87/18 - FamRZ 2018, 1947 Rn. 20 und vom - XII ZB 226/15 - FamRZ 2015, 2050 Rn. 27).
12bb) Das Beschwerdegericht ist diesen Anforderungen gerecht geworden.
13(1) Es hat in der angefochtenen Entscheidung ausgeführt, dass die behandelnden Ärzte im Rahmen der Unterbringung wiederholt mit dem nötigen Zeitaufwand und ohne Ausübung von Druck versucht hätten, ein Einverständnis des Betroffenen zu der ärztlichen Maßnahme zu erreichen. Gleichwohl habe der Betroffene nach Oktober 2020 jegliche Behandlung mit Psychopharmaka abgelehnt. Dies habe er auch im Rahmen seiner beiden persönlichen Anhörungen bekräftigt. Auf die Versuche des bei der zweitinstanzlichen Anhörung anwesenden Chefarztes T., ihm die Gründe für die gestellte Diagnose darzulegen, habe der Betroffene wütend und mit Beschimpfungen reagiert, so dass ein vernunftgeprägtes Gespräch hierüber nicht möglich gewesen sei. Ausweislich des vom Beschwerdegericht in Bezug genommenen Vermerks über diese Anhörung hat der Chefarzt T. versucht, dem Betroffenen zu erklären, dass bei seiner Art der Erkrankung eine medikamentöse Behandlung unerlässlich sei und auch nicht allein durch eine Therapie ersetzt werden könne. Der Betroffene sei allerdings nicht der Meinung, dass er aktuell noch an einer psychischen Erkrankung leide, und sehe daher auch nicht ein, weshalb er Medikamente nehmen solle. Ihm sei vom Beschwerdegericht erläutert worden, welche Art der Behandlung (zweimalige Verabreichung einer Depotspritze Abilify Maintena im Abstand von vier Wochen) beabsichtigt sei. Auch hierauf habe der Betroffene vehement erklärt, dass er jegliche Art der Medikation ablehne, ob nun oral oder durch eine Spritze.
14Zudem hat das Beschwerdegericht auf den amtsgerichtlichen Beschluss verwiesen, in dem auf ein Schreiben vom Bezug genommen wurde. Darin hat der Chefarzt T. ausgeführt, dass seit November 2020 eine Kontaktaufnahme zum Betroffenen infolge dessen psychopathologischen Zustandsbildes trotz vielfältiger und regelmäßiger Versuche nicht mehr gelinge. Alle ernsthaften, mit Zeitaufwand und ohne Druckausübung unternommenen Versuche des Chefarztes T. und weiterer Einrichtungsärzte, das Einverständnis des Betroffenen zu erreichen, seien erfolglos geblieben.
15(2) Somit ist festgestellt, dass seit November 2020 in der Maßregelvollzugseinrichtung regelmäßig Überzeugungsversuche durch den Chefarzt T. und weitere Ärzte stattgefunden haben. Ein weiterer Versuch wurde in der zweitinstanzlichen Anhörung des Betroffenen unternommen, bei dem auch der konkrete Wirkstoff Aripiprazol zur Sprache kam, den sich der Betroffene in der Vergangenheit zum Teil freiwillig verabreichen ließ. Von einer lediglich pauschalen Feststellung, dass Überzeugungsversuche erfolglos geblieben seien, kann daher keine Rede sein. Weitere Feststellungen waren mithin entgegen der Auffassung der Rechtsbeschwerde vorliegend nicht erforderlich.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:120624BXIIZB572.23.0
Fundstelle(n):
NJW 2024 S. 3224 Nr. 44
NJW 2024 S. 3226 Nr. 44
NJW 2024 S. 8 Nr. 35
EAAAJ-72774