BGH Beschluss v. - III ZR 54/23

Instanzenzug: Az: 1 U 7104/22 evorgehend LG München II Az: 11 O 3929/21 Ent

Gründe

I.

1Der Kläger begehrt Entschädigung aufgrund eines Entzugs seiner Fahrerlaubnis.

2Mit Bescheid des Landratsamts S.      vom wurde dem Kläger die Fahrerlaubnis der Klassen A, A1, A2, AM, B und L entzogen. Mit Urteil des Verwaltungsgerichts München vom wurde der Bescheid aufgehoben und der Beklagte angewiesen, den Führerschein zurückzugeben, was im Februar 2021 erfolgte.

3Der Kläger arbeitete im fraglichen Zeitraum bei einem Unternehmen in der Z.     Straße 100 in M.     und wohnte in der K.            -Straße in S.       . Er reduzierte mit Vereinbarung vom und Wirkung zum seine Arbeitszeit von 40 Wochenstunden auf 28 Wochenstunden und arbeitete in der Folge nur noch an vier Tagen pro Woche. Die reduzierte Arbeitszeit wurde bis zur Beendigung des Arbeitsverhältnisses Mitte des Jahres 2022 beibehalten.

4Der Kläger behauptet Einkommensverluste aufgrund des Fahrerlaubnisentzugs in Höhe von insgesamt 31.678 €; einen immateriellen Schaden macht er im dritten Rechtszug nicht mehr geltend. Er trägt vor, durch den erhöhten Zeitaufwand für den Arbeitsweg gezwungen gewesen zu sein, seine Arbeitszeit von zuvor 40 Stunden auf 28 Stunden zu reduzieren. Der Arbeitsweg habe sich durch den Umstieg auf öffentliche Verkehrsmittel auf mindestens eineinhalb Stunden einfach verlängert, während er vorher mit dem Motorrad lediglich rund 30 Minuten einfach benötigt habe und an Staus hätte vorbeifahren können. Er hätte ohne Arbeitszeitreduzierung um 6.00 Uhr morgens das Haus verlassen müssen und wäre meist erst nach 22.00 Uhr abends zurückgekehrt. Dies sei nicht zumutbar gewesen, da er so kaum noch Freizeit gehabt hätte. Durch die Arbeitszeitreduzierung habe sich sein Arbeitsentgelt von 5.170 € brutto auf 3.619 € brutto reduziert. Aus dem um 1.551 € niedrigeren Brutto-Lohnanspruch über 18 Monate errechne sich ein Schaden in Höhe von 27.918 €. Zudem habe er in diesem Zeitraum in Höhe von 3.760 € geringere Bonuszahlungen erhalten.

II.

5Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Das Berufungsgericht hat die Berufung des Klägers gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO im Beschlusswege zurückgewiesen, nachdem es zuvor auf diese Absicht hingewiesen hatte. Zur Begründung hat es in dem Hinweisbeschluss unter anderem ausgeführt: Das Landgericht habe die Klage zu Recht abgewiesen. Es fehle zumindest an der Kausalität des Entzugs der Fahrerlaubnis für den vom Kläger geltend gemachten Vermögensschaden. Der Kläger habe durch die Reduzierung seiner Arbeitszeit in den Geschehensablauf eingegriffen und selbst eine weitere Ursache gesetzt, die seinen Vermögensschaden erst herbeigeführt habe. Er habe zum Nachweis seiner Behauptungen hinsichtlich der Fahrzeit mit dem Motorrad und öffentlichen Verkehrsmitteln lediglich einen Screenshot eines Routenplaners vorgelegt (Anlage K 6), der für die Fahrtstrecke von 34 km über die A 95 und die B 2R (Mittlerer Ring in M.      ) mit dem Personenkraftwagen eine Fahrzeit von 33 Minuten angebe, allerdings zu der auf dem Screenshot angegebenen Uhrzeit von 2.39 Uhr nachts. Der Beklagte habe substantiiert bestritten, dass eine solche Fahrzeit mit dem Personenkraftwagen oder dem Motorrad zu Arbeitsbeginn des Klägers im Berufsverkehr auch nur annäherungsweise erreichbar sei. Der Kläger habe seinen Vortrag nicht weiter substantiiert, insbesondere nicht im Hinblick auf die bei Arbeitsbeginn und Arbeitsende tatsächlich erreichbaren Fahrzeiten. Dem Antrag auf Einholung eines Sachverständigengutachtens (Schriftsatz vom , Seite 3) sei das Landgericht zu Recht nicht nachgegangen, weil es bereits an hinreichendem Vortrag und damit an Anknüpfungstatsachen fehle. Gegen einen Kausalzusammenhang spreche auch, dass der Kläger nach Rückerhalt der Fahrerlaubnis seine Arbeitszeit nicht wieder verlängert habe. Seine Behauptung, dass der Arbeitgeber einer (Rück-)Verlängerung nicht zugestimmt habe, sei streitig, ein Nachweis nicht erbracht.

6Im Zurückweisungsbeschluss hat das Berufungsgericht auf seine Ausführungen im Hinweisbeschluss Bezug genommen und diese unter anderem wie folgt ergänzt: Der Vortrag des Klägers zu den Fahrzeiten sei weiterhin unsubstantiiert. Der bloße Verweis im Schriftsatz vom auf die in der Anlage BK 7 enthaltenen Screenshots könne einen schriftsätzlichen Vortrag nicht ersetzen. Zudem sei das Vorbringen nach den §§ 530, 520 ZPO nicht mehr zu berücksichtigen, weil es nicht innerhalb der Berufungsbegründungsfrist eingegangen sei. Weiter enthielten die vorgelegten Auszüge zwar Zeitangaben, es werde jedoch nicht mitgeteilt, zu welchem Zeitpunkt diese Screenshots angefertigt worden seien, beispielsweise an einem Wochentag oder am Wochenende, obwohl sich die Fahrzeiten diesbezüglich erheblich unterscheiden dürften. Das Landgericht habe zu Recht kein Sachverständigengutachten eingeholt. Es wäre dem Kläger ohne weiteres möglich gewesen, seinen Sachvortrag durch Auskünfte von allgemein verfügbaren Routenplanern zu tatsächlich relevanten Zeitpunkten des Fahrtantritts zu ergänzen. Die Ausführungen des Klägers zu seinem angeblichen Versuch, nach Wiedererhalt der Fahrerlaubnis die Arbeitszeit wieder zu verlängern, habe der Beklagte zu Recht als unsubstantiiert gerügt.

7Mit seiner Nichtzulassungsbeschwerde verfolgt der Kläger sein Klagebegehren mit Ausnahme der Entscheidung über den immateriellen Schadensersatz weiter.

III.

8Die zulässige Nichtzulassungsbeschwerde hat in der Sache Erfolg und führt im tenorierten Umfang gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angegriffenen Beschlusses und zur Zurückverweisung des Rechtsstreits an das Berufungsgericht. Die angefochtene Entscheidung beruht auf einer Verletzung des Anspruchs des Klägers auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG).

91. Das Gebot des rechtlichen Gehörs soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben. In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt - auch bei Kenntnisnahme des Vorbringens durch den Tatrichter - dann gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze mehr findet. Das ist unter anderem dann der Fall, wenn die Nichtberücksichtigung des Beweisangebots darauf beruht, dass das Gericht verfahrensfehlerhaft überspannte Anforderungen an den Vortrag einer Partei gestellt hat (zB Senat, Beschluss vom - III ZR 210/17, WM 2018, 1252 Rn. 4; , NJW 2019, 607 Rn. 7; jew. mwN). Ein Sachvortrag zur Begründung eines Klageanspruchs ist dabei schlüssig und damit als Prozessstoff erheblich, wenn die Partei Tatsachen vorträgt, die in Verbindung mit einem Rechtssatz geeignet sind, das geltend gemachte Recht als in ihrer Person entstanden erscheinen zu lassen. Das Gericht muss anhand des Parteivortrags beurteilen können, ob die gesetzlichen Voraussetzungen der an eine Behauptung geknüpften Rechtsfolge erfüllt sind (zB Senat aaO). Genügt das Parteivorbringen diesen Anforderungen an die Substantiierung, kann der Vortrag weiterer Einzeltatsachen nicht verlangt werden; es ist dann vielmehr Sache des Tatrichters, in die Beweisaufnahme einzutreten und dabei gegebenenfalls die benannten Zeugen oder die zu vernehmende Partei nach weiteren Einzelheiten zu befragen oder einem Sachverständigen die beweiserheblichen Streitfragen zu unterbreiten (zB Senat, aaO sowie Urteil vom - III ZR 80/12, juris Rn. 41 und Beschluss vom - III ZR 318/14, juris Rn. 6; , VersR 2019, 835 Rn. 11 mwN).

102. Nach diesen Grundsätzen verletzt die Würdigung des Berufungsgerichts, der Vortrag des Klägers zu den Fahrzeiten sei unsubstantiiert, das von ihm beantragte Sachverständigengutachten müsse deswegen nicht eingeholt werden, den Anspruch des Klägers auf rechtliches Gehör aus Art. 103 Abs. 1 GG.

11Der Kläger hat in der Klageschrift unter Vorlage einer Wegzeitberechnung (Screenshot eines Routenplaners, Anlage K 6) vorgetragen, vor Entziehung der Fahrerlaubnis für den Weg zur Arbeit ein Motorrad benutzt zu haben, mit dem der Arbeitsweg in etwa 30 Minuten je einfache Strecke zu bewältigen gewesen sei, während er mit öffentlichen Verkehrsmitteln mindestens eineinhalb Stunden je einfache Strecke benötigt habe. In seiner Replik auf die Klageerwiderung hat er behauptet, die der Klageschrift beigefügte Wegzeitberechnung sei richtig und spiegele die durchschnittliche Reisezeit zu Arbeitsbeginn und nach Beendigung der Arbeit wider. Zum Beweis hat er die Einholung eines Sachverständigengutachtens angeboten.

12Bereits dieses Vorbringen hätte dem Tatrichter Veranlassung geben müssen, in die Beweisaufnahme einzutreten und einen - ortskundigen und mit den dort gegebenen Verhältnissen im Berufsverkehr vertrauten - Sachverständigen mit der Erstellung eines Gutachtens zu beauftragen.

13In der Berufungsbegründung hat der Kläger sein Vorbringen - unter Vorlage der als "Auszug Maps Fahrstrecke Motorrad" bezeichneten Anlage BK 6 - überdies dahingehend ergänzt, dass sich die rund 30-minütige Fahrzeit mit dem Motorrad selbst bei vollständiger Sperrung der kürzesten Strecke (laut Anlage K 6) in der "Rush-Hour" bei Nutzung einer Alternativroute nur um neun Minuten erhöhte, und im Schriftsatz vom (Gegenerklärung) an die Einholung des angebotenen Sachverständigengutachtens erinnert.

14Die Nichtzulassungsbeschwerde hat diese Umstände zutreffend herausgearbeitet und mit Recht ausgeführt, dass es weiterer Angaben für die Behauptung des Klägers, dass die Fahrzeit mit dem Motorrad deutlich kürzer gewesen sei als mit öffentlichen Verkehrsmitteln, nicht bedurft und das Berufungsgericht durch die Nichteinholung des Sachverständigengutachtens gegen Art. 103 Abs. 1 GG verstoßen habe.

153. Der Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ist entscheidungserheblich. Es kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht ohne den Verstoß zu einem in Bezug auf das Klagebegehren günstigeren Ergebnis gelangt wäre. Das gilt auch, wenn man den Umstand mit einbezieht, dass der Kläger nach Rückerhalt der Fahrerlaubnis seine Arbeitszeit nicht wieder verlängerte. Denn das Berufungsgericht hat diesen Umstand lediglich als einen "auch" gegen den Kausalzusammenhang sprechenden Gesichtspunkt angesehen, nicht jedoch seine Entscheidung selbständig tragend auf ihn gestützt.

IV.

16Die angefochtene Entscheidung ist daher im tenorierten Umfang aufzuheben und das Verfahren insoweit an das Oberlandesgericht zurückzuverweisen. Die Zurückverweisung gibt dem Berufungsgericht auch Gelegenheit, sich gegebenenfalls mit den weiteren Rügen des Klägers in der Nichtzulassungsbeschwerde auseinanderzusetzen. Hinsichtlich des Umstandes, dass der Kläger nach Rückerhalt der Fahrerlaubnis seine Arbeitszeit nicht wieder verlängerte, weist der Senat vorsorglich darauf hin, dass der Kläger in Ansehung der Gründe im Hinweisbeschluss des Berufungsgerichts, in dem dieses moniert hatte, es fehle an einem Beweisantritt für die Behauptung, dass der Arbeitgeber einer (Rück-)Verlängerung nicht zugestimmt habe, mit einer Bewertung seines Vorbringens als "unsubstantiiert" im angefochtenen Zurückweisungsbeschluss nicht (mehr) rechnen musste; sollte es im zweiten Rechtsgang darauf ankommen, ist ihm insoweit Gelegenheit zu ergänzendem Vortrag zu geben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:250424BIIIZR54.23.0

Fundstelle(n):
TAAAJ-72688