BVerwG Urteil v. - 8 C 5/23

Beitrag zur Industrie- und Handelskammer für das Wirtschaftsjahr 2021

Leitsatz

1. Das Gebot der Schätzgenauigkeit verpflichtet eine Industrie- und Handelskammer nicht, die bei Aufstellung ihres Wirtschaftsplans anzustellende Mittelbedarfsprognose auf der Grundlage einer bestimmten Methode zu ermitteln. Maßgeblich ist vielmehr, ob der für einen bestimmten Zweck veranschlagte Mittelbedarf unter Einsatz der jeweiligen Methode aufgrund der bei der Aufstellung des Wirtschaftsplans verfügbaren Informationen sachgerecht und vertretbar prognostiziert wurde und auch im Übrigen den rechtlichen Anforderungen genügt.

2. Eine Industrie- und Handelskammer darf sich nach § 1 Abs. 2 IHKG an der Finanzierung einer Stiftungsprofessur nur beteiligen, wenn diese auf ein spezifisches Interesse der gewerblichen Wirtschaft ausgerichtet und von diesem gefordert ist (Anschluss an 1 C 29.99 - BVerwGE 112, 69 <74 f.>).

Instanzenzug: Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz Az: 6 A 11191/22.OVG Urteilvorgehend Az: 5 K 19/22 Urteil

Tatbestand

1Die Klägerin ist Mitglied der beklagten Industrie- und Handelskammer. Sie wendet sich gegen ihre Veranlagung zum Kammerbeitrag.

2Die Beklagte veranlagte die Klägerin mit Bescheid vom für das Wirtschaftsjahr 2021 vorläufig zu einem Beitrag in Höhe von insgesamt 2 325,27 €. Den Widerspruch der Klägerin wies die Beklagte mit Widerspruchsbescheid vom zurück. Das Verwaltungsgericht hat die dagegen erhobene Klage abgewiesen. Das Oberverwaltungsgericht hat auch die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Rechtsgrundlage für die Beitragserhebung sei § 3 Abs. 2 des Gesetzes zur vorläufigen Regelung des Rechtes der Industrie- und Handelskammern (IHKG) in Verbindung mit § 6 und § 7 der Beitragsordnung der Beklagten sowie der für das Wirtschaftsjahr 2021 geltenden Wirtschaftssatzung. Der nach § 3 Abs. 2 IHKG von der Industrie- und Handelskammer für ein Wirtschaftsjahr im Voraus aufzustellende Wirtschaftsplan, der unter Berücksichtigung der Einnahmen und Ausgaben den voraussichtlichen Bedarf der Kammer prognostiziere, sei im Beitragsanfechtungsverfahren inzident darauf zu prüfen, ob er den rechtlichen Anforderungen genüge. Das sei hier der Fall.

3Die Beklagte habe eine Ausgleichsrücklage zur Kompensation etwaiger ergebniswirksamer Schwankungen im Wirtschaftsjahr 2021 bilden dürfen. Sie diene einem sachlichen Zweck im Rahmen zulässiger Kammertätigkeit und sei auch der Höhe nach nicht zu beanstanden. Die Beklagte habe sich mit der Verwendung eines softwaregestützten Risiko-Tools einer geeigneten Methode zur Ermittlung der Höhe der Ausgleichsrücklage bedient. Die konkrete Anwendung des Risiko-Tools sei für das Wirtschaftsjahr 2021 nicht zu beanstanden. Die Beklagte habe in nachvollziehbarer Weise Risiken erkannt, begründet und beziffert. Die Wahl eines Konfidenzniveaus von 95 % sei ebenfalls nicht zu beanstanden. Dabei handele es sich um einen anerkannten standardisierten Wert, der keiner gesonderten Begründung bedürfe. Das Zurückbleiben des Planansatzes hinter der ermittelten Ausgleichsrücklage verstoße nicht gegen das Gebot der Schätzgenauigkeit. Der ermittelte Wert stelle eine Obergrenze dar, hinter dem die Kammer aus Gründen der pfleglichen Behandlung der Leistungsfähigkeit der Kammerzugehörigen zurückbleiben dürfe.

4Die Bildung einer Rücklage "Stiftungsprofessur" gründe auf einem sachlichen Zweck im Rahmen zulässiger Kammertätigkeit. Sie diene einem spezifischen Zweck der gewerblichen Wirtschaft und wahre den Grundsatz der Jährlichkeit. Dem stehe nicht entgegen, dass die Vollversammlung der Beklagten bereits 2016 die Rücklage in einer Höhe von 500 000 € für einen Förderzeitraum von fünf Jahren ab dem Jahr 2017 gebildet und diese im Wirtschaftsjahr 2021 noch immer im Umfang von 150 000 € bestanden habe. Die bereits im Wirtschaftsplan für das Jahr 2017 vollständig abgebildete Höhe der Rücklage habe dazu gedient, den künftigen Finanzierungsbedarf abzusichern, der aufgrund der Förderzusage sicher festgestanden habe.

5Mit der Revision macht die Klägerin geltend, das Berufungsgericht sei von einem unzutreffenden Planansatz der Ausgleichsrücklage ausgegangen. Das von der Beklagten zur Ermittlung der Höhe der Ausgleichsrücklage eingesetzte Risiko-Tool stelle keine geeignete Prognosemethode dar. Es lasse bezüglich der Bezifferung der Schadenssummen in den Risikofeldern sowie der Eintrittswahrscheinlichkeit die Nutzung willkürlich gegriffener Daten zu. Auch über die Wahl des Konfidenzniveaus sei das Ergebnis beeinflussbar. Das aus der Wirtschaft übernommene Tool gehe zudem auf die Besonderheiten einer Industrie- und Handelskammer, die im Gegensatz zu Wirtschaftsunternehmen nicht insolvenzfähig sei, nicht ein. Auch die Nutzungsweise des Risiko-Tools habe das Berufungsgericht zu Unrecht gebilligt. Es habe verkannt, dass die Auswahl des Konfidenzniveaus auch dann einer sachgerechten Begründung bedürfe, wenn sich die Kammer für einen Absicherungsgrad von 95 % entscheide. Zudem missachte der Wirtschaftsplan der Beklagten das Gebot der Schätzgenauigkeit, weil ihm widersprüchliche Ansätze zugrunde lägen. Die Bewertung des Konjunkturrisikos sei fehlerhaft, die Bezifferung des Schadensausmaßes und die Bewertung der Eintrittswahrscheinlichkeit seien gegriffen. Das Risiko "Endgültige Beitragsbescheide" bestehe schon dem Grunde nach nicht. Indem die Beklagte mit der abschließenden Dotierung der Ausgleichsrücklage das ermittelte Gesamtrisiko deutlich unterschritten habe, habe sie sich vom Zweck der Ausgleichsrücklage entfernt. Darüber hinaus habe die Beklagte mit der Bildung der Rücklage "Stiftungsprofessur" ihren gesetzlich zugewiesenen Aufgabenbereich überschritten, weil diese Einrichtung dem allgemeinen Wohl diene. Die Bildung der Rücklage verstoße überdies gegen den Grundsatz der Jährlichkeit. Es verbiete sich, eine solche Professur über mehrere Jahre aus einer Rücklage zu finanzieren.

6Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Oberverwaltungsgerichts Rheinland-Pfalz vom und das Urteil des Verwaltungsgerichts Koblenz vom zu ändern und den Bescheid der Beklagten vom in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom aufzuheben, soweit die Beklagte im Wege der vorläufigen Veranlagung für das Jahr 2021 einen Beitrag in Höhe von 2 325,27 € festgesetzt hat.

7Die Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

8Sie verteidigt das Berufungsurteil und trägt ergänzend vor, die Revision sei bereits unzulässig. Die Revisionsschrift enthalte weder einen bestimmten Antrag noch genüge sie den gesetzlichen Begründungsanforderungen. Die Revision sei auch unbegründet. Das Berufungsgericht sei von einer zutreffenden Höhe der Ausgleichsrücklage ausgegangen. Es habe die Eignung des Risiko-Tools für das Revisionsgericht bindend festgestellt. Die Klägerin verkenne die Funktion des Konfidenzniveaus, mit dem bestimmt werde, mit welcher Risikobereitschaft die Beklagte die ermittelten Risiken absichern wolle. Die Ausgleichsrücklage schütze nicht vor Insolvenz, sondern vor der Notwendigkeit, teure Kassenkredite in Anspruch zu nehmen. Dass tatsächliche Einbrüche der Beitragseinnahmen in der jeweils kalkulierten Höhe nicht zu verzeichnen gewesen seien, schade nicht. Mehr als ein redliches und angemessenes Bemühen um eine realitätsnahe Prognose könne nicht verlangt werden. Die Bewertung der Einzelrisiken durch die Beklagte sei fehlerfrei. Die Höhe der Ausgleichsrücklage habe das mit Hilfe des Risiko-Tools ermittelte Gesamtrisiko unterschreiten dürfen. Dieses stelle nur die zulässige Obergrenze der Ausgleichsrücklage dar. Ob das ermittelte Risiko vollständig abgesichert werde, sei eine haushaltspolitische Entscheidung. Die Rücklage "Stiftungsprofessur" liege innerhalb des gesetzlichen Aufgabenbereichs der Beklagten, verfolge einen zulässigen Zweck und wahre den Jährlichkeitsgrundsatz.

9Die Vertreterin des Bundesinteresses unterstützt das Vorbringen der Beklagten. Das Gebot der Schätzgenauigkeit sei methodenoffen. Die Risikoprognose und damit die Wirtschaftsplanung einer IHK müssten handhabbar bleiben, daher dürften keine überzogenen Anforderungen gestellt werden.

Gründe

10Die Revision ist zulässig, aber unbegründet. Das Berufungsurteil verletzt kein revisibles Recht (§ 137 Abs. 1 VwGO).

111. Die Revision ist zulässig. Die Revisionsbegründung genügt den Anforderungen des § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO.

12a) Nach § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO muss die Begründung einen bestimmten Antrag enthalten. Dem Antragserfordernis wird bereits dann entsprochen, wenn das Vorbringen des Revisionsklägers Umfang und Ziel der Revision erkennen lässt ( 4 C 5.18 - NVwZ 2020, 404 Rn. 12 m. w. N.). So liegt es hier. Die Klägerin hat innerhalb der Frist zur Revisionsbegründung nach § 139 Abs. 3 Satz 1 VwGO ausgeführt, an dem in den Vorinstanzen gestellten Klageantrag unter Aufhebung der vorinstanzlichen Entscheidungen festzuhalten. Mit ihrem Vorbringen hat sie hinreichend deutlich gemacht, dass sie eine Änderung der vorinstanzlichen Urteile und die Aufhebung des angefochtenen Beitragsbescheids begehrt.

13b) Die Klägerin hat die Revision auch ausreichend begründet. Die Begründung einer Revision muss nach § 139 Abs. 3 Satz 4 VwGO die verletzte Rechtsnorm und, soweit Verfahrensmängel gerügt werden, die Tatsachen angeben, die den Mangel ergeben. Dies verlangt eine Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffs und eine damit verbundene sachliche Auseinandersetzung mit den die Entscheidung des Berufungsgerichts tragenden Gründen, aus der hervorgeht, warum der Revisionskläger diese Begründung als nicht zutreffend erachtet (stRspr, vgl. nur 10 C 14.14 - BVerwGE 152, 204 Rn. 14, vom - 10 C 6.15 - BVerwGE 153, 314 Rn. 10 und vom - 4 C 5.18 - NVwZ 2020, 404 Rn. 13). Die Revisionsbegründung genügt diesen Anforderungen. Die Klägerin hat den Streitstoff in der erforderlichen Weise rechtlich durchdrungen und sich mit den tragenden Erwägungen der Berufungsentscheidung sachlich auseinandergesetzt. Ihre Ausführungen lassen in hinreichender Weise erkennen, weshalb sie die Berufungsentscheidung als nicht zutreffend erachtet und dass sie die Vorgaben des § 3 Abs. 2 IHKG für verletzt hält.

142. Die Revision ist unbegründet. Die Annahme des Berufungsgerichts, der angefochtene Beitragsbescheid sei rechtmäßig und verletze die Klägerin nicht in ihren Rechten, steht mit Bundesrecht im Einklang.

15a) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass § 3 Abs. 2 IHKG die Kammern ermächtigt, zur Deckung der Kosten ihrer Errichtung und Tätigkeit nach Maßgabe ihres Wirtschaftsplans von den Kammerzugehörigen gemäß einer Beitragsordnung Beiträge zu erheben, soweit diese nicht anderweitig gedeckt sind. Die Heranziehung zu Kammerbeiträgen ist rechtmäßig, wenn die Feststellung des Mittelbedarfs der Kammer im Wirtschaftsplan den an sie zu stellenden rechtlichen Anforderungen genügt, der Mittelbedarf in rechtmäßiger Weise durch eine Beitragsordnung auf die Kammerzugehörigen umgelegt wird und diese Beitragsordnung im Einzelfall ohne Rechtsfehler angewendet wurde. Bei Aufstellung des Wirtschaftsplans muss die Kammer vor dem Hintergrund der von ihr im kommenden Wirtschaftsjahr beabsichtigten Tätigkeiten unter Berücksichtigung der zu erwartenden Einnahmen und Ausgaben den durch Beiträge zu deckenden Bedarf prognostizieren. Dabei hat sie zu beachten, dass die Kammern zur sparsamen und wirtschaftlichen Finanzgebarung sowie zur pfleglichen Behandlung der Leistungsfähigkeit der Kammerzugehörigen verpflichtet sind. Vermögen zu bilden, ist den Kammern verboten. Jeder Bedarfsansatz muss daher von einem sachlichen Zweck im Rahmen zulässiger Kammertätigkeit getragen werden und auch der Höhe nach von diesem gedeckt sein. Darüber hinaus sind die Kammern an die Grundsätze des staatlichen Haushaltsrechts und ergänzende Satzungsbestimmungen gebunden. Zu den haushaltsrechtlichen Grundsätzen zählt das Gebot der Haushaltswahrheit, aus dem für Prognosen das Gebot der Schätzgenauigkeit folgt. Danach müssen Mittelbedarfs- und Einnahmenprognosen aus ex-ante-Sicht sachgerecht und vertretbar sein. Diese rechtlichen Vorgaben gelten auch nach der Einführung der doppischen Rechnungslegung gemäß § 3 Abs. 7a IHKG unverändert fort (stRspr, zum Ganzen vgl. nur 8 C 9.19 - BVerwGE 167, 259 Rn. 11 m. w. N.).

16b) Das Berufungsgericht geht zu Recht davon aus, dass die Bildung einer Ausgleichsrücklage dem Grunde nach zulässig war. Sie war durch einen sachlichen Zweck im Rahmen zulässiger Kammertätigkeit gerechtfertigt. Nach den Feststellungen der Vorinstanz hat die Beklagte die Ausgleichsrücklage zur Kompensation etwaiger ergebniswirksamer Schwankungen im Wirtschaftsjahr 2021 vorgesehen. Sie dient damit dem Erhalt der wirtschaftlichen Handlungsfähigkeit und der Sicherung der Verfügbarkeit der für die Aufgabenerfüllung erforderlichen Finanzmittel der Beklagten. Die Bildung der Ausgleichsrücklage vermeidet die Inanspruchnahme von teuren Kassenkrediten zur Finanzierung der Aufgaben der Kammer bei einem Ausfall von Beitragseinnahmen infolge eines Konjunkturabschwungs (vgl. dazu 8 C 9.19 - BVerwGE 167, 259 Rn. 14, - 8 C 10.19 - juris Rn. 18 und - 8 C 11.19 - juris Rn. 16).

17c) Das Berufungsgericht hat revisionsrechtlich fehlerfrei die Bildung der Ausgleichsrücklage der Höhe nach unbeanstandet gelassen. Die Bemessung der Höhe der Ausgleichsrücklage im Wirtschaftsjahr 2021 hält sich im Rahmen des weiten Gestaltungsspielraums, den das Haushaltsrecht der Kammer bei der Aufstellung ihres Wirtschaftsplans einräumt (vgl. 10 C 6.15 - BVerwGE 153, 314 Rn. 16 und vom - 8 C 9.19 - BVerwGE 167, 259 Rn. 16).

18Nach den für den Senat gemäß § 137 Abs. 2 VwGO mangels wirksamer Verfahrensrüge bindenden Tatsachenfeststellungen des Berufungsgerichts belief sich die Ausgleichsrücklage zum auf einen Betrag von 1,062 Mio. €. Dieser Mittelansatz der Beklagten für die Ausgleichsrücklage ist mit dem Gebot der Schätzgenauigkeit vereinbar. Es verpflichtet dazu, den im Haushalt für einen bestimmten Zweck veranschlagten Mittelbedarf aufgrund der bei der Aufstellung des Wirtschaftsplans verfügbaren Informationen sachgerecht und vertretbar zu prognostizieren. Was dabei als vertretbar zu gelten hat, kann nur aufgrund einer Gesamtbewertung der konkreten Entscheidungssituation unter Berücksichtigung des betroffenen Sach- und Regelungsbereichs, der Bedeutung der zu treffenden Entscheidung und deren Folgen sowie der verfügbaren Tatsachengrundlagen für die Prognose bestimmt werden. Unvertretbar sind jedenfalls bewusst falsche Etatansätze und gegriffene Ansätze, die trotz naheliegender Möglichkeit besserer Informationsgewinnung ein angemessenes Bemühen um realitätsgerechte Prognosen zu erwartender Einnahmen oder Ausgaben vermissen lassen. Die Mittelbedarfsprognose richtet sich auf eine möglichst realitätsgerechte Schätzung der künftigen Einnahmen und Ausgaben der Kammer. Der Kontrolle der Mittelbedarfsprognose sind alle Erwägungen der Beklagten zugrunde zu legen, die sie zu den im Zeitpunkt des Beschlusses ihrer Vollversammlung über den betreffenden Wirtschaftsplan vorliegenden Tatsachen bis zum Schluss der letzten mündlichen Tatsachenverhandlung prozessordnungsgemäß vorgebracht hat (vgl. 8 C 9.19 - BVerwGE 167, 259 Rn. 20 und 22). Verstößt der Mittelbedarfsansatz im Wirtschaftsplan gegen das Gebot der Schätzgenauigkeit, ist die Bedarfsprognose unvertretbar (vgl. 8 C 10.19 - juris Rn. 29).

19aa) Das Gebot der Schätzgenauigkeit verpflichtet die Kammer nicht dazu, die Mittelbedarfsprognose auf der Grundlage einer bestimmten Methode zu ermitteln. Es schließt den Einsatz eines Risiko-Tools nicht grundsätzlich aus. Maßgeblich ist vielmehr, ob der für einen bestimmten Zweck veranschlagte Mittelbedarf unter Einsatz der jeweiligen Methode aufgrund der bei der Aufstellung des Wirtschaftsplans verfügbaren Informationen sachgerecht und vertretbar prognostiziert wurde und auch im Übrigen den rechtlichen Anforderungen genügt (vgl. auch 8 C 10.19 - juris Rn. 5 und 30).

20bb) Die konkrete Ermittlung der Höhe der Ausgleichsrücklage hat das Berufungsgericht zu Recht unbeanstandet gelassen. Seine Auffassung, die Risikobeschreibungen der Beklagten beruhten auf plausiblen Annahmen und nicht auf bewusst falschen oder gegriffenen Ansätzen, die trotz naheliegender Möglichkeiten besserer Informationsgewinnung ein angemessenes Bemühen um realitätsgerechte Prognosen zu erwartender Einnahmen und Ausgaben vermissen ließen, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Beklagte hat die Höhe der Ausgleichsrücklage auf der Grundlage sachgerechter und vertretbarer Annahmen ermittelt.

21(1) Im Risikobereich "Umlagen und Beiträge" hat die Beklagte die beiden Risikofelder "Konjunktur" (A.1.) und "Endgültige Beiträge" (A.3.) in die Bemessung der Ausgleichsrücklage eingestellt.

22Nach den Feststellungen der Vorinstanz hat die Beklagte im Risikofeld "Konjunktur" das abzudeckende Risiko darin gesehen, Mitgliedsbetriebe könnten einen Antrag auf Reduzierung der vorläufigen Veranlagung stellen, wenn die Gewerbeerträge für das Wirtschaftsjahr 2021 aufgrund konjunktureller Schwächen im Zeitpunkt der Beitragsveranlagung voraussichtlich deutlich niedriger ausfallen würden als in dem der Berechnung zugrunde liegenden Jahr. Das geschätzte Schadensausmaß hat die Beklagte nach dem mittleren Ausfall in Höhe von 5,5 % des planerischen Beitragsertragsvolumens von 16,5 Mio. € mit ca. 915 000 € bestimmt. Dabei hat sie IHK-Konjunkturberichte aus dem Jahr 2020, Beobachtungen von nationalen und globalen Konjunkturzyklen, aktuelle Entwicklungen in der Wirtschaftsfachpresse, Einschätzungen zur Entwicklung der regionalen Wirtschaft, Steuerschätzungen des Bundes und Nachfragen in den Gemeinden des Kammerbezirks zu dem zu erwartenden Rückgang der Bemessungsgrundlage für die Gewerbesteuerprognose berücksichtigt. Darüber hinaus hat die Beklagte ausweislich der Erläuterungen des Risiko-Katalogs 2021 bei Würdigung dieser Aspekte jeweils die Auswirkungen der Covid-19-Pandemie in Rechnung gestellt. Die Pandemie hatte die Wirtschaft im Kammerbezirk im Jahr 2020 in eine Rezession geführt. Auch wenn sich zu Beginn des Jahres 2021 eine leichte konjunkturelle Erholung andeutete, konnten ihre weiteren Auswirkungen für die Folgezeit nicht prognostisch verlässlich positiv eingeschätzt werden. Unter Berücksichtigung dieser maßgeblich durch die Pandemie bestimmten Sondersituation, die den an sich naheliegenden Rückgriff auf die Erfahrungen der Vorjahre entwertete, erscheinen die für das Risikofeld A.1. getroffenen Annahmen noch hinreichend plausibel.

23Im Risikofeld "Endgültige Beiträge" soll das Risiko nicht konjunkturell, sondern unternehmerisch bedingter Beitragsrückgänge abgedeckt werden, etwa aufgrund von Betriebsstilllegungen, Unternehmensabwicklungen oder Standortverlagerungen, aber auch aufgrund von Änderungen innerhalb von Organschaftsverhältnissen der Beitragszahler sowie Veränderungen in der steuerlichen Betrachtung. Dabei hat die Beklagte unterschiedliche Fallgruppen von zu korrigierenden Beitragsbescheiden auf der Basis von Erfahrungen aus den Vorjahren herangezogen. Außerdem hat sie bei den Finanzbehörden ihres Bezirks Auskünfte über die tatsächliche Festsetzung der Bemessungsgrundlagen im Zeitraum 2014 bis 2019 eingeholt und in die Bemessung eingestellt. Auf dieser Grundlage ergab das erwartete Ausfallausmaß einen durchschnittlichen Wert von 29 % bei einem prognostizierten Ertrag von 1,4 Mio. €, so dass die Beklagte bei einer angenommenen mittleren Eintrittswahrscheinlichkeit ein erwartetes Schadensausmaß von 408 000 € berücksichtigt hat. Damit hat die Beklagte naheliegende Möglichkeiten der Informationsgewinnung genutzt und die Bemessung des prognostizierten Ausfalls auf hinreichend plausible Annahmen gestützt.

24(2) Im Risikobereich "IT" hat die Beklagte die beiden Risikofelder "Technische Störungen " (I.1.) und "Datenschutz und Rechtsrisiken" (I.2.) in die Bemessung der Ausgleichsrücklage eingestellt. Im Bereich "Technische Störungen" hat sie Erfahrungen aus der Vergangenheit herangezogen und berücksichtigt, dass bei einem Angriff auf IT-Systeme die gesamte IHK ganz oder teilweise nicht mehr arbeitsfähig sei. Die im Schadensfall erforderlichen internen und externen Dienstleistungen hat sie auf der Grundlage plausibler Annahmen sowie bei Annahme einer mittleren Eintrittswahrscheinlichkeit nachvollziehbar mit 283 000 € berechnet. Im Risikobereich "Datenschutz und Rechtsrisiken" hat die Beklagte berücksichtigt, im Falle von Datenschutzverstößen mit Bußgeldern belegt und Schadensersatzforderungen ausgesetzt sein zu können. Dabei hat sie die erhöhten Anforderungen der Datenschutz-Grundverordnung, den hierdurch eröffneten größeren Bußgeldrahmen und die zunehmende Kontrolldichte des Landesdatenschutzbeauftragten in die Betrachtung eingestellt, angesichts der Einrichtung eines Datenschutzmanagements sowie weiterer Vorsorgemaßnahmen nur eine geringe Eintrittswahrscheinlichkeit angenommen und das zu bemessende Risiko mit 80 000 € bewertet. In beiden Risikofeldern beruht die Prognose auf nachvollziehbaren und plausiblen Annahmen, die auch von der Klägerin zu Recht nicht in Zweifel gezogen werden.

25(3) Das Berufungsgericht hat ohne Verstoß gegen das Gebot der Schätzgenauigkeit die Annahme eines Konfidenzniveaus von 95 % für vertretbar gehalten. Nach den vorinstanzlichen Feststellungen handelt es sich dabei um einen standardisierten und als üblich anerkannten Wert, der zum Ausdruck bringt, dass keine Gründe für eine besonders konservative oder besonders risikofreudige Herangehensweise bestehen und dessen Annahme daher keiner besonderen Begründung bedarf. Das Gebot der Schätzgenauigkeit, das eine realitätsnahe Prognose verlangt, schließt die Annahme eines solchen anerkannten Standardwertes nicht aus. Sie hält sich im Rahmen des Gestaltungsspielraums der Kammer.

26(4) Ohne Verletzung von Bundesrecht hat das Berufungsgericht einen Verstoß gegen das Gebot der Schätzgenauigkeit verneint, soweit die Ausgleichsrücklage in Höhe von 1,062 Mio. € hinter dem von der Beklagten ermittelten Gesamtrisiko in Höhe von 1,341 Mio. € zurückgeblieben ist. Das Gebot der Schätzgenauigkeit verlangt bei der Bildung der Ausgleichsrücklage eine realitätsnahe Prognose, verpflichtet die Kammer aber nicht, in jedem Fall das ermittelte Gesamtrisiko in vollem Umfang in den Wirtschaftsplan einzustellen. Es liegt im Gestaltungsspielraum der Kammer, im Interesse der pfleglichen Behandlung der Leistungsfähigkeit der Kammerzugehörigen (§ 3 Abs. 2 Satz 2 IHKG) hinter diesem Wert zurückzubleiben und das damit verbundene Risiko, etwa der Inanspruchnahme von Kassenkrediten einzugehen. Ist der erforderliche Zusammenhang zwischen dem ermittelten Gesamtrisiko und der gebildeten Ausgleichsrücklage jedoch nicht mehr erkennbar, ist das Gebot der Schätzgenauigkeit verletzt. Unterschreitet die in den Wirtschaftsplan eingestellte Ausgleichsrücklage den ermittelten Wert erheblich, ist der Ansatz nicht mehr vom Zweck der Rücklage gedeckt und erweist sich als "gegriffen". Beträgt die Abweichung der Ausgleichsrücklage von dem ermittelten Gesamtrisiko - wie hier - rund 20 %, ist der erforderliche Zusammenhang zwischen beiden Beträgen gerade noch erkennbar und der Gestaltungsspielraum der Kammer noch nicht überschritten.

27d) Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Bildung der Rücklage "Stiftungsprofessur" auf einem sachlichen Zweck im Rahmen zulässiger Kammertätigkeit gründet. Nach § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 IHKG haben die Industrie- und Handelskammern die Aufgabe, das Gesamtinteresse der gewerblichen Wirtschaft wahrzunehmen. Gemäß § 1 Abs. 2 IHKG können sie Anlagen und Einrichtungen, die der Förderung der gewerblichen Wirtschaft oder einzelner Gewerbezweige dienen, begründen, unterhalten und unterstützen sowie Maßnahmen zur Förderung und Durchführung der kaufmännischen und gewerblichen Berufsbildung unter Beachtung der geltenden Rechtsvorschriften, insbesondere des Berufsbildungsgesetzes, treffen. Dabei sind die Voraussetzungen des Absatzes 2 enger als diejenigen des Absatzes 1, unter denen die Industrie- und Handelskammern Anlagen oder Einrichtungen begründen, unterhalten oder unterstützen dürfen. § 1 Abs. 2 IHKG lässt dies nur zu, wenn die Anlagen oder Einrichtungen der Förderung der gewerblichen Wirtschaft oder einzelner Gewerbezweige dienen. Darunter ist zu verstehen, dass die Anlage oder Einrichtung auf ein spezifisches Interesse der gewerblichen Wirtschaft ausgerichtet und von diesem gefordert ist. Der Nutzen einer solchen Anlage oder Einrichtung für das Gemeinwohl ergibt sich als Reflex der Förderung der Wirtschaft. Dient hingegen eine Anlage oder Einrichtung dem allgemeinen Wohl, darf sich eine Industrie- und Handelskammer nicht an ihrer Begründung, Unterhaltung oder Unterstützung beteiligen. Dies gilt auch, wenn die jeweilige Anlage oder Einrichtung zugleich der gewerblichen Wirtschaft von Nutzen ist ( 1 C 29.99 - BVerwGE 112, 69 <74 f.>).

28Gemessen daran hält sich die von der Beklagten gebildete Rücklage "Stiftungsprofessur" im Rahmen des ihr nach § 1 Abs. 2 IHKG zugewiesenen Aufgabenbereichs. Nach den bindenden Tatsachenfeststellungen der Vorinstanz (vgl. § 137 Abs. 2 VwGO) dient die Stiftungsprofessur der Einrichtung eines ausbildungsintegrierten dualen Studiengangs im kaufmännischen Bereich an der Hochschule K. Sie wird gerade für Fachbereiche mitfinanziert, die für die Mitgliedsunternehmen der Beklagten von Interesse sind und einen regionalen Bezug aufweisen. Sie ist damit auf ein spezifisches Interesse der gewerblichen Wirtschaft ausgerichtet, während sich der Nutzen der Stiftungsprofessur (auch) für das Gemeinwohl lediglich als Reflex der Förderung der Wirtschaft ergibt.

29e) Einen Verstoß gegen das Prinzip der Jährlichkeit hat das Berufungsgericht zu Recht verneint. Nach dem haushaltsrechtlichen Grundsatz der Jährlichkeit hat die Kammer über das Vorhalten einer Rücklage und über deren Höhe bei jedem Wirtschaftsplan - und damit jährlich - erneut zu entscheiden (vgl. 10 C 6.15 - BVerwGE 153, 314 Rn. 18). Das folgt aus § 3 Abs. 2 IHKG, der die jährliche Aufstellung des Wirtschaftsplans und - damit korrespondierend - die jährliche Beitragserhebung vorsieht. Grundsätzlich dürfen die Kammerzugehörigen im jeweiligen Wirtschaftsjahr nur mit den Kosten der Errichtung und der Tätigkeit der Industrie- und Handelskammer im betreffenden Wirtschaftsjahr als Beitragszahler belastet werden. Eine Ausgleichsrücklage, die einen Beitragsausfall in den Folgejahren vorwegnimmt, verletzt mithin den haushaltsrechtlichen Grundsatz der Jährlichkeit (vgl. 8 C 9.19 - BVerwGE 167, 259 Rn. 25). Nichts Anderes gilt im Grundsatz für die Bildung zweckgebundener Rücklagen. Auch insoweit sichert das Jährlichkeitsprinzip das Budgetrecht der Vollversammlung der Kammer, insbesondere im Hinblick darauf, dass das Budget bei längeren Haushaltsperioden seine Aussagekraft und Verbindlichkeit verlöre (zum entsprechenden Budgetrecht des Parlaments vgl. - NVwZ 2023, 1892 Rn. 158 m. w. N.). Dieser Grundsatz lässt jedoch Ausnahmen zu. Sichert die zweckgebundene Rücklage einen über das Wirtschaftsjahr hinausgehenden, bereits verbindlich feststehenden Finanzbedarf, darf die Rücklage in voller Höhe in den Wirtschaftsplan eingestellt und durch jährliche Entnahme abgeschmolzen werden (vgl. auch § 22 HGrG). So liegt es hier. Nach den bindenden Feststellungen der Vorinstanz wurde bereits im Wirtschaftsjahr 2017 die vollständige Höhe der "Rücklage Stiftungsprofessur" für die fünfjährige Laufzeit abgebildet und in den folgenden Jahren schrittweise abgeschmolzen und bestimmungsgemäß genutzt. Die zweckgebundene Rücklage beruhte auf einer rechtlich verbindlichen Förderzusage und sollte eine Zuwendung an die Hochschule K. zur Finanzierung einer Stiftungsprofessur in bestimmter jährlicher Höhe für eine Laufzeit von fünf Jahren ab 2017 sicherstellen.

30Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2024:270324U8C5.23.0

Fundstelle(n):
NWB-Eilnachricht Nr. 38/2024 S. 2615
NWB-Eilnachricht Nr. 38/2024 S. 2615
JAAAJ-72622