Deliktische Haftung des Fahrzeugherstellers in einem sog. Dieselfall: Anrechnung der gezogenen Nutzungen auf den Schadensersatzanspruch wegen vorsätzlicher sittenwidriger Schädigung
Leitsatz
Zur deliktischen Haftung des Fahrzeugherstellers wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasrückführung gegenüber dem Käufer eines Fahrzeugs.
Gesetze: § 31 BGB, § 826 BGB, Art 3 Nr 10 EGV 715/2007, Art 5 Abs 2 EGV 715/2007, § 6 EG-FGV, § 27 EG-FGV
Instanzenzug: Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt Az: 1 U 95/19vorgehend LG Halle (Saale) Az: 5 O 353/18nachgehend Az: VI ZR 381/20 Beschluss
Tatbestand
1Der Kläger nimmt den beklagten Fahrzeughersteller wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung in Anspruch.
2Der Kläger erwarb am bei einem Händler einen gebrauchten, von der Beklagten hergestellten Pkw VW Passat Variant Comfortline zu einem Preis von brutto 16.990 €. Das Fahrzeug verfügt über einen Dieselmotor des Typs EA189. Dieser Motor war mit einer Steuerungssoftware ausgestattet, die erkannte, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus unterzogen wurde, und schaltete in diesem Fall in einen Abgasrückführungsmodus mit niedrigem Stickoxidausstoß. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltete der Motor dagegen in einen Abgasrückführungsmodus mit höherem Stickoxidausstoß.
3Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) erkannte in der genannten Software eine unzulässige Abschalteinrichtung und ordnete im Oktober 2015 gegenüber der Beklagten unter anderem an, die Abschalteinrichtung bei allen betroffenen Fahrzeugen zu entfernen. Die Beklagte entwickelte daraufhin ein Software-Update, das das KBA als geeignet zur Herstellung der Vorschriftsmäßigkeit auch des hier im Streit stehenden Fahrzeugtyps ansah. Der Kläger ließ das Software-Update im Juli 2016 installieren.
4Mit seiner Klage begehrt der Kläger - soweit im Revisionsverfahren noch von Interesse - in erster Linie die ungekürzte Erstattung des Bruttokaufpreises Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs nebst Delikts- und Rechtshängigkeitszinsen; lediglich hilfsweise verlangt er diese Erstattung unter Anrechnung einer Nutzungsentschädigung für die von ihm seit dem Kauf mit dem Fahrzeug zurückgelegte Strecke (Berufungsantrag zu 1). Der Kläger begehrt ferner die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten (Klage- und Berufungsantrag zu 2) sowie die Feststellung der Pflicht der Beklagten zum Ersatz weiterer Schäden (Klage- und Berufungsantrag zu 4).
5Das Landgericht hat die Klage hinsichtlich des Klageantrags zu 4 als unzulässig, im Übrigen als unbegründet abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Oberlandesgericht die Beklagte unter Klageabweisung im Übrigen zur Erstattung des Bruttokaufpreises, jedoch nur unter Abzug einer Nutzungsentschädigung in Höhe von 7.984,19 € im Wege der Vorteilsausgleichung, nebst Zinsen ab Rechtshängigkeit Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs sowie teilweise zu der begehrten Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verurteilt.
6Mit seiner vom Berufungsgericht zugelassenen Revision wendet sich der Kläger gegen die Teilabweisung seiner Klage durch das Berufungsgericht, insbesondere gegen die vorgenommene Vorteilsausgleichung, die darauf beruhende Teilabweisung hinsichtlich der vorgerichtlichen Kosten sowie gegen die Abweisung der Klage auf Feststellung der Pflicht der Beklagten zum Ersatz weiterer Schäden.
7Die Beklagte hat ihre Revision zurückgenommen.
Gründe
I.
8Nach Auffassung des Berufungsgerichts haftet die Beklagte dem Kläger wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung (§ 826 BGB) auf Erstattung des für den Erwerb des Fahrzeugs verauslagten Bruttokaufpreises abzüglich eines Vorteilsausgleichs für die von dem Kläger gezogenen Nutzungen in Höhe von 7.984,19 € nebst Verzugszinsen ab Rechtshängigkeit - wobei dem Kläger ein Anspruch auf Deliktszinsen nicht zustehe - Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs. Dementsprechend stehe dem Kläger ausgehend von der nur in Höhe der Differenz zwischen Bruttokaufpreis und Nutzungsanrechnung begründeten Hauptforderung lediglich ein Anspruch auf teilweise Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten zu. Der Klage auf Feststellung der Pflicht der Beklagten zum Ersatz weiterer Schäden fehle ein Feststellungsinteresse, weil weitere Schäden nicht konkret dargelegt seien, zumal sich die Berufung insoweit nicht mit der Begründung auseinandersetze, mit der das Landgericht diesen Antrag als unzulässig angesehen hat.
II.
9Die Revision des Klägers hat keinen Erfolg.
101. Soweit die Revision die Teilabweisung der geltend gemachten Zinsen (Berufungsantrag zu 1) aus der zuerkannten Hauptforderung angreift, ist sie mangels Begründung unzulässig (§ 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 Buchst. a ZPO; vgl. , NJW-RR 2006, 1044 Rn. 22).
112. Unbegründet ist die Revision, soweit sie sich gegen die Teilabweisung der Klage auf Rückerstattung des von dem Kläger bezahlten Bruttokaufpreises sowie des von ihm geltend gemachten Anspruchs auf Freistellung von vorgerichtlichen Kosten wendet.
12a) Die dem jeweils zugrundeliegende, von der Revision beanstandete Annahme des Berufungsgerichts, der Kläger müsse sich auf seinen nach § 826 BGB begründeten Schadensersatzanspruch im Wege der Vorteilsausgleichung die von ihm gezogenen Nutzungen anrechnen lassen, steht im Einklang mit gefestigter Rechtsprechung des Senats (vgl. etwa , BGHZ 225, 316 Rn. 64 ff.; vom - VI ZR 397/19, NJW 2020, 2806 Rn. 34; vom - VI ZR 3/20, NJW-RR 2021, 1534 Rn. 7; vom - VI ZR 316/20, VersR 2023, 733 Rn. 9 ff.; vom - VI ZR 131/20, WM 2024, 218 Rn. 28), die auch unionsrechtlich unbedenklich ist (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 131/20, WM 2024, 218 Rn. 28, 46; VIa ZR 111/22, juris).
13b) Die Revision bringt dagegen ohne Erfolg vor, der Beklagten sei "unter Billigkeitserwägungen die Anrechnung einer Nutzungsentschädigung zu versagen". Eine unangemessene Entlastung der Beklagten liegt in der Vorteilsausgleichung nicht (vgl. etwa , BGHZ 225, 316 Rn. 66 ff.; vom - VI ZR 354/19, NJW 2020, 2796 Rn. 11; VIa ZR 542/21, VersR 2023, 192 Rn. 17). Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem weiteren Vorbringen der Revision, die durch die anfängliche Umschaltlogik begründete Gefahr der Stilllegung des Fahrzeugs des Klägers habe auch nach der Durchführung des Software-Updates im Juli 2016 fortbestanden, die Schädigung des Klägers sei durch das Update also "perpetuiert" worden, weil nach dessen Installation - wobei Zweifel bestünden, ob der Mangel technisch überhaupt behebbar sei - "Folgeschäden" nicht auszuschließen oder sogar konkret zu befürchten seien, zumal in ihm ein unzulässiges "Thermofenster" enthalten sei. Derartige Eigenschaften des Software-Updates, zu deren Vorliegen das Berufungsgericht keine Feststellungen getroffen hat, mögen für die Beurteilung eine Rolle spielen, ob und inwieweit ein nachträgliches Software-Update geeignet ist, eine schadensersatzrechtlich etwa bedeutsame Differenz zwischen dem objektiven Wert des erworbenen Fahrzeugs und dem dafür bezahlten Kaufpreis nach den Grundsätzen der Vorteilsausgleichung oder aber einen so genannten Differenzschaden zu reduzieren (zum "kleinen" Schadensersatz Senatsurteil vom - VI ZR 40/20, BGHZ 230, 224 Rn. 24; VIa ZR 100/21, NJW-RR 2022, 1033 Rn. 18; zum Differenzschaden VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 80; vom - VIa ZR 468/21, WM 2023, 2232 Rn. 14; vom - VIa ZR 1356/22, juris Rn. 16). Auf eine solche Wertdifferenz und deren etwaige Reduzierung kommt es für den Anspruch des Klägers auf (wirtschaftlich gesehen) Rückgängigmachung des Vertrags gegenüber der Beklagten aber von vornherein nicht an (vgl. etwa , BGHZ 225, 316 Rn. 58; vom - VI ZR 495/20, VersR 2022, 385 Rn. 10). Eine Gefahr der Stilllegung des Fahrzeugs, die - läge eine solche vor - mit der Implementierung einer unzulässigen Abschalteinrichtung auch in das Software-Update verbunden sein mag (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 80), kann der Nutzungsanrechnung, die die Revision hier beanstandet, schon deshalb nicht entgegengehalten werden, weil sich eine solche Gefahr insoweit, wie Nutzungen tatsächlich gezogen worden sind, gerade nicht realisiert hat.
14c) Gegen die Bemessung der Höhe der von dem Kläger gezogenen Nutzungsvorteile (§ 287 ZPO) erhebt die Revision keine Beanstandungen.
153. Die Revision des Klägers ist, soweit sie die Abweisung der mit dem Klage- und Berufungsantrag zu 4 begehrten Feststellung der Pflicht der Beklagten zum Ersatz weiterer Schäden betrifft, mit der Maßgabe zurückzuweisen, dass insoweit die Berufung als unzulässig verworfen wird. Denn der Kläger hat, was der Senat als Prozessfortsetzungsvoraussetzung von Amts wegen zu beachten hat und Gegenstand der mündlichen Verhandlung vor dem Senat war (vgl. VIa ZR 510/22, juris Rn. 4; vom - VIa ZR 368/22, juris Rn. 6), die Berufung insoweit nicht in einer § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO genügenden Weise begründet.
16a) Ist die Klageabweisung auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen gestützt, muss die Berufungsbegründung für jede dieser Erwägungen darlegen, warum sie unrichtig sein soll (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 68/20, WM 2022, 2395 Rn. 13; VIa ZR 510/22, juris Rn. 5). Die Rechtsmittelbegründung muss zudem geeignet sein, das gesamte angefochtene Urteil in Frage zu stellen. Bei mehreren Streitgegenständen oder einem teilbaren Streitgegenstand muss sie sich grundsätzlich auf alle Teile des Urteils erstrecken, hinsichtlich deren eine Abänderung beantragt ist; andernfalls ist das Rechtsmittel für den nicht begründeten Teil unzulässig (Senatsurteil vom - VI ZR 228/05, NJW-RR 2007, 414 Rn. 10; , NJW 2015, 3040 Rn. 11; vom - VIa ZR 1669/22, juris Rn. 13; , juris Rn. 8).
17b) Diese Voraussetzungen sind hier insoweit nicht erfüllt, wie das Landgericht die mit dem Klageantrag zu 4 erhobene Klage auf Feststellung der Ersatzpflicht der Beklagten "für Schäden, die aus der Ausstattung des Fahrzeugs", das der Kläger erwarb, "mit illegaler Motorsoftware resultieren", als unzulässig abgewiesen hat, weil dieser Klageantrag den in § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO verlangten Bestimmtheitsanforderungen nicht genüge.
18Das Landgericht hatte dazu ausgeführt, mit dem "für eine Rechtskraft vollkommen unzugänglichen" Begriff der "illegalen Motorsoftware" bleibe offen, "aufgrund welcher Tatsache eine Schadensersatzpflicht noch festgestellt werden" solle, zumal hier die ursprüngliche Abschalteinrichtung nicht mehr vorhanden und durch ein Update korrigiert worden sei, so dass "keine Klarheit über eine feststellungsfähige Grundursache angegeben" sei.
19Mit diesen Erwägungen und auch eigens mit der Abweisung dieses Feststellungsantrags überhaupt hat sich der Kläger in der Berufungsbegründung nicht befasst. Damit hat er insoweit die gesetzlichen Anforderungen an eine zulässige Berufungsbegründung verfehlt.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:120324UVIZR381.20.0
Fundstelle(n):
WM 2024 S. 1681 Nr. 36
JAAAJ-72447