Abschiebungshaft: Mitteilung wesentlicher Ergänzungen und Änderungen des Haftantrags vor der gerichtlichen Anhörung des Betroffenen
Leitsatz
Dem Betroffenen müssen vor seiner gerichtlichen Anhörung wesentliche Ergänzungen und Änderungen des Haftantrags in geeigneter Weise mitgeteilt und erforderlichenfalls übersetzt werden.
Gesetze: Art 103 Abs 1 GG, § 417 FamFG
Instanzenzug: LG Passau Az: 2 T 103/21vorgehend AG Passau Az: XIV 124/21 (B)
Gründe
1I. Der Betroffene, ein malischer Staatsangehöriger, reiste im August 2016 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Seinen Asylantrag hat das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (nachfolgend: Bundesamt) mit Bescheid vom - wegen eines bereits zuvor in Belgien gestellten Asylantrags - als unzulässig abgelehnt und dem Betroffenen die Abschiebung angedroht. Der Bescheid ist seit dem bestandskräftig.
2Auf Antrag der beteiligten Behörde vom , ergänzt mit E-Mail vom , ordnete das Haft zur Sicherung der Abschiebung bis spätestens an. Mit Schreiben vom hat der Rechtsbeschwerdeführer angezeigt, Person des Vertrauens des Betroffenen zu sein und einen Antrag auf Haftaufhebung gestellt. Mit Beschluss vom hat das Amtsgericht den Haftaufhebungsantrag zurückgewiesen. Die dagegen eingelegte Beschwerde hat das zurückgewiesen. Der Betroffene ist am abgeschoben worden.
3Mit der Rechtsbeschwerde begehrt die Vertrauensperson festzustellen, dass die Haft den Betroffenen ab dem in seinen Rechten verletzt hat.
4II. Die zulässige Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
51. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, der Haftantrag der beteiligten Behörde sei zulässig. In der Aushändigung und Übersetzung des Haftantrags erst zu Beginn der Anhörung liege keine Verletzung des rechtlichen Gehörs. Die Ausreisepflicht des Betroffenen stehe aufgrund des bestandskräftigen Bescheids des Bundesamts fest. Fluchtgefahr sei angesichts des Untertauchens des Betroffenen im April 2021 und seiner Erklärung, nicht freiwillig ausreisen zu wollen, gegeben. Einer erneuten Anhörung bedürfe es nicht.
62. Diese Beurteilung hält rechtlicher Überprüfung nicht stand.
7a) Die Rechtsbeschwerde ist zulässig. Die Vertrauensperson ist gemäß § 70 Abs. 3 Satz 1 Nr. 3 FamFG i.V.m. § 418 Abs. 3 Nr. 2 FamFG rechtsbeschwerdebefugt (vgl. , InfAuslR 2024, 39 Rn. 3). Sie ist durch die angefochtene Entscheidung, mit der ihre Beschwerde gegen Beschluss des Amtsgerichts zurückgewiesen wurde, formell beschwert. Der Rechtsbeschwerdeberechtigung steht nicht entgegen, dass die Vertrauensperson im ersten Rechtszug des Haftanordnungsverfahrens, der mit Erlass des die Haft anordnenden endete (vgl. , InfAuslR 2024, 39 Rn. 9), nicht beteiligt war. Einen Haftaufhebungsantrag kann die Vertrauensperson unabhängig von einer förmlichen Beteiligung durch das Gericht stellen (, InfAuslR 2020, 387 Rn. 13). Das Haftaufhebungsverfahren ist ein gegenüber dem Anordnungsverfahren eigenständiges Verfahren mit unterschiedlichen Voraussetzungen (vgl. BGH, Beschlüsse vom - XIII ZB 82/19, InfAuslR 2020, 387 Rn. 23; vom - XIII ZB 52/20, juris Rn. 14).
8b) Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Zu Recht rügt die Rechtsbeschwerde, dass die Haftanordnung unter Verletzung von Verfahrensrechten des Betroffenen, namentlich seines Anspruchs auf rechtliches Gehör, ergangen ist. Das führte zur Fehlerhaftigkeit der Anhörung und Rechtswidrigkeit der Haft. Das Amtsgericht hat zwar eine Anhörung des Betroffenen durchgeführt und ihm zuvor den Haftantrag vom übergeben, der ihm vollständig übersetzt wurde. Der Betroffene ist ausweislich der Akte aber nicht zu den ergänzenden Angaben der antragstellenden Behörde angehört worden.
9aa) Das Gesetz misst dem Haftantrag eine besondere Bedeutung für die Zulässigkeit der Anordnung von Sicherungshaft zu. Eine Ablichtung des Haftantrags ist dem Betroffenen deshalb vor seiner gerichtlichen Anhörung auszuhändigen und erforderlichenfalls mündlich zu übersetzen. Dass dies geschehen ist, muss dem Protokoll über die Anhörung zu entnehmen oder in anderer Weise in der Akte dokumentiert sein (, juris Rn. 5 mwN). Dadurch wird sichergestellt, dass sich der Betroffene zu sämtlichen (tatsächlichen und rechtlichen) Angaben der beteiligten Behörde äußern und gegenüber dem Haftantrag verteidigen kann. Unterbleibt die Übergabe des Haftantrags oder seine vollständige Übersetzung, verletzt dies den Betroffenen in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör. Es führt zur Rechtswidrigkeit der Haft, wenn der Betroffene gehindert ist, der Anordnung von Haft entgegenstehende tatsächliche oder rechtliche Gründe vorzutragen (BGH, Beschlüsse vom - V ZB 187/14, InfAuslR 2015, 301 Rn. 4 f.; vom - XIII ZB 37/19, InfAuslR 2020, 279 Rn. 12). Das gleiche gilt, wenn die antragstellende Behörde die Angaben im Haftantrag nachträglich ergänzt. Die Änderungen müssen dem Betroffenen vor der Anhörung in geeigneter Weise mitgeteilt und erforderlichenfalls übersetzt werden (vgl. BGH, Beschlüsse vom - XIII ZA 1/24, juris Rn. 10 f.; vom - XIII ZB 20/22, juris Rn. 9).
10bb) Die beteiligte Behörde hat mit ihrem Haftantrag vom zunächst Haft bis einschließlich beantragt. Grundlage hierfür war, dass sie beim Landesamt für Asyl und Rückführungen eine sicherheitsbegleitete Rückführung beantragt und dafür einen erforderlichen Haftzeitraum von sieben Wochen veranschlagt hatte. Mit einer ergänzenden E-Mail vom hat sie ihren Antrag auf einen Haftzeitraum von etwas mehr als vier Wochen begrenzt. Sie hat mitgeteilt, dass seitens des Landesamts für Asyl und Rückführungen eine Sicherheitsbegleitung nicht empfohlen, sondern ein unbegleiteter Flug für den gebucht wurde. Um möglichen Verzögerungen vorzubeugen, werde um Haft bis zum gebeten. Diese Angaben waren nicht Gegenstand der Anhörung des Betroffenen. Aus dem Protokoll geht lediglich hervor, dass dem Betroffenen der Haftantrag vom ausgehändigt und übersetzt wurde und dass er sich dazu äußern konnte. Die E-Mail-Korrespondenz wird im Protokoll nicht erwähnt. Bei dieser Sachlage wurde der Betroffene über die wesentlichen Gründe für die beabsichtigte Haftdauer nicht zutreffend unterrichtet. Es wurde ihm etwa die Möglichkeit genommen, in Bezug auf die nunmehr geplante Abschiebung ohne Sicherheitsbegleitung geltend zu machen, dass diese früher erfolgen könne. Dahinstehen kann danach, ob die E-Mail vom ausreichende Angaben zur Dauer der Haft enthält.
113. Die Kostenentscheidung beruht auf § 81 Abs. 1 Satz 1 und 2, § 83 Abs. 2 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:110624BXIIIZB49.21.0
Fundstelle(n):
VAAAJ-72443