Unzulässige Richtervorlage zur Verfassungsmäßigkeit der §§ 850c, 850f ZPO - erneut unzureichende Vorlagebegründung
Gesetze: Art 100 Abs 1 GG, § 80 Abs 2 S 1 BVerfGG, § 80a BVerfGG, § 850c ZPO, § 850f ZPO
Instanzenzug: AG Aue-Bad Schlema Az: 2 M 2596/20 Vorlagebeschlussvorgehend Az: 1 BvL 4/22 Kammerbeschlussvorgehend AG Aue-Bad Schlema Az: 2 M 2596/20 Vorlagebeschluss
Gründe
1Der Vorlage liegt eine Erinnerung im Zwangsvollstreckungsverfahren zugrunde.
2Im Ausgangsverfahren geht es um die denkbare Erhöhung des unpfändbaren Betrags des Arbeitseinkommens wegen im Haushalt lebender Kinder, für die keine gesetzliche Unterhaltspflicht besteht. Im Haushalt des Schuldners leben, neben eigenen Kindern des Schuldners und dessen Ehefrau, deren drei Kinder, für die er nicht unterhaltspflichtig ist.
3Die Vorschriften lauten in ihrer derzeit gültigen Fassung:
(1) Arbeitseinkommen ist unpfändbar, wenn es, je nach dem Zeitraum, für den es gezahlt wird, nicht mehr als
1. 1 178,59 Euro monatlich,
2. 271,24 Euro wöchentlich oder
3. 54,25 Euro täglich
beträgt.
(2) Gewährt der Schuldner auf Grund einer gesetzlichen Verpflichtung seinem Ehegatten, einem früheren Ehegatten, seinem Lebenspartner, einem früheren Lebenspartner, einem Verwandten oder nach den §§ 1615l und 1615n des Bürgerlichen Gesetzbuchs einem Elternteil Unterhalt, so erhöht sich der Betrag nach Absatz 1 für die erste Person, der Unterhalt gewährt wird, und zwar um
1. 443,57 Euro monatlich,
2. 102,08 Euro wöchentlich oder
3. 20,42 Euro täglich.
Für die zweite bis fünfte Person, der Unterhalt gewährt wird, erhöht sich der Betrag nach Absatz 1 um je
1. 247,12 Euro monatlich,
2. 56,87 Euro wöchentlich oder
3. 11,37 Euro täglich.
(3) Übersteigt das Arbeitseinkommen den Betrag nach Absatz 1, so ist es hinsichtlich des überschießenden Teils in Höhe von drei Zehnteln unpfändbar. Gewährt der Schuldner nach Absatz 2 Unterhalt, so sind für die erste Person weitere zwei Zehntel und für die zweite bis fünfte Person jeweils ein weiteres Zehntel unpfändbar. Der Teil des Arbeitseinkommens, der
1. 3 613,08 Euro monatlich,
2. 831,50 Euro wöchentlich oder
3. 166,30 Euro täglich
übersteigt, bleibt bei der Berechnung des unpfändbaren Betrages unberücksichtigt.
[…]
(1) Das Vollstreckungsgericht kann dem Schuldner auf Antrag von dem nach den Bestimmungen der §§ 850c, 850d und 850i pfändbaren Teil seines Arbeitseinkommens einen Teil belassen, wenn
1. der Schuldner nachweist, dass bei Anwendung der Pfändungsfreigrenzen entsprechend § 850c der notwendige Lebensunterhalt im Sinne des Dritten und Vierten Kapitels des Zwölften Buches Sozialgesetzbuch oder nach Kapitel 3 Abschnitt 2 des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch für sich und für die Personen, denen er gesetzlich zum Unterhalt verpflichtet ist, nicht gedeckt ist,
2. besondere Bedürfnisse des Schuldners aus persönlichen oder beruflichen Gründen oder
3. der besondere Umfang der gesetzlichen Unterhaltspflichten des Schuldners, insbesondere die Zahl der Unterhaltsberechtigten, dies erfordern und überwiegende Belange des Gläubigers nicht entgegenstehen.
[…]
4Mit Beschluss vom hat das Amtsgericht, das in demselben Verfahren die entsprechende Frage bereits im Jahr 2022 dem Bundesverfassungsgericht zur Prüfung vorgelegt hatte, bei unveränderter Sach- und Rechtslage dieses erneut ausgesetzt und dem Bundesverfassungsgericht zur Überprüfung der Verfassungsgemäßheit der Regelung der Pfändungsfreigrenzen in den §§ 850c und f ZPO im Hinblick auf Art. 3 Abs. 1 GG vorgelegt.
5Die Vorlage ist unzulässig.
6Die Begründung des Beschlusses der 3. Kammer des Ersten Senats des - gilt vollumfänglich fort.
7Dort heißt es:
„[…] Was die verfassungsrechtliche Beurteilung der zur Prüfung gestellten Norm angeht, muss das vorlegende Gericht von ihrer Verfassungswidrigkeit überzeugt sein und die für seine Überzeugung maßgeblichen Erwägungen nachvollziehbar darlegen (vgl. BVerfGE 78, 165 <171 f.>; 86, 71 <77 f.>; 88, 70 <74>; 88, 198 <201>; 93, 121 <132>; 136, 127 <142 Rn. 45>; 138, 1 <13 f. Rn. 37>; 159, 149 <171 Rn. 59>). Der Vorlagebeschluss muss den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab angeben, die naheliegenden tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte erörtern, sich eingehend sowohl mit der einfachrechtlichen als auch mit der verfassungsrechtlichen Rechtslage auseinandersetzen und dabei die in der Literatur und Rechtsprechung entwickelten Rechtsauffassungen berücksichtigen (vgl. BVerfGE 79, 240 <243 f.>; 136, 127 <141 Rn. 45>). Insbesondere ist eine Auseinandersetzung mit der maßgeblichen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts notwendig (vgl. BVerfGE 131, 88 <118>).
[…]
Ausgehend von diesen Maßstäben genügt der Vorlagebeschluss den Anforderungen nicht.
Das Amtsgericht stellt nicht hinreichend dar, weshalb es von der Verfassungswidrigkeit der vorgelegten Normen überzeugt ist. Es hat weder den verfassungsrechtlichen Prüfungsmaßstab angegeben noch sich hinreichend mit der Rechtslage und den dazu vertretenen unterschiedlichen Rechtsauffassungen auseinandergesetzt.“
8Dies gilt auch für den hier verfahrensgegenständlichen neuen Vorlagebeschluss. Es ist insbesondere unklar, warum das Amtsgericht der Meinung ist, im Haushalt lebende Stiefkinder müssten für den Pfändungsfreibetrag wie eigene Kinder berücksichtigt werden, obwohl für sie gerade keine gesetzliche Unterhaltspflicht des Schuldners besteht, dafür aber in aller Regel eine Unterhaltspflicht Dritter, nämlich der (leiblichen) Eltern, gegeben ist.
9Zudem fehlt es zu den tatsächlichen Umständen des Schuldners des Ausgangsverfahrens und seiner Haushaltsangehörigen an Vortrag. Es lässt sich nicht beurteilen, ob eine Situation vorliegt, in der sich eine vermeintlich gleichheitswidrige Ausgestaltung des § 850c ZPO überhaupt entscheidungserheblich auswirken kann. Welche tatsächlichen Aufwendungen der Schuldner etwa genau für die Stiefkinder tätigt, die nach Meinung des vorlegenden Richters einen entsprechenden Pfändungsfreibetrag erforderlich machen würden, ist nicht ersichtlich.
10Auch mit den Voraussetzungen des § 850f ZPO, der eine Änderung des unpfändbaren Betrages aufgrund besonderer persönlicher Umstände gerade zulässt, setzt sich das vorlegende Gericht nicht auseinander.
11Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerfG:2024:lk20240620.1bvl000424
Fundstelle(n):
TAAAJ-72166