BGH Urteil v. - X ZR 33/22

Nichtigkeitsklage bezüglich eines Patents für ein Flüssigkeitszufuhrgerät - Flüssigkeitszufuhrgerät

Leitsatz

Flüssigkeitszufuhrgerät

Aus dem Umstand, dass eine Entgegenhaltung einen bestimmten Antriebsmechanismus als für eine Vielzahl von unterschiedlichen Vorrichtungen vorteilhaft bezeichnet, ergibt sich nicht ohne weiteres die Anregung, die angeführten Vorteile in abstrahierender Betrachtung auf ein einzelnes Konstruktionselement zurückzuführen und dieses isoliert auf andere Vorrichtungen zu übertragen.

Gesetze: Art 56 EuPatÜbk, § 4 PatG

Instanzenzug: Az: 1 Ni 19/19 (EP) Urteil

Tatbestand

1Die Beklagte ist Inhaberin des mit Wirkung für die Bundesrepublik Deutschland erteilten europäischen Patents 1 874 390 (Streitpatents), das am unter Inanspruchnahme zweier US-Prioritäten vom angemeldet worden ist und ein Flüssigkeitszufuhrgerät betrifft.

2Patentanspruch 1, auf den 17 Ansprüche zurückbezogen sind, lautet in der Verfahrenssprache:

A fluid delivery device (200) comprising:

a fluid reservoir (230);

a plunger (236) received in said fluid reservoir (230);

a threaded drive rod (252) coupled to said plunger (236) to advance said plunger (236) in said fluid reservoir (230);

a drive wheel (256) coupled to said threaded drive rod (252);

characterized in that it further comprises

a pivotable drive engaging member (262) including first and second arms (264a, 264b) configured to engage and incrementally rotate said drive wheel (256), wherein at all times one of the first arm (264a) or the second arm (264b) is engaged with said drive wheel (256); and

a linear actuator coupled to said pivotable drive engaging member (262) to pivot said pivotable drive engaging member (262), wherein said linear actuator causes the pivotable drive engaging member (262) to pivot when actuated.

3Die Klägerin hat geltend gemacht, der Gegenstand der Patentansprüche 1 bis 11 sowie 14 und 18 gehe über den Inhalt der ursprünglich eingereichten Unterlagen hinaus und sei nicht patentfähig. Die Beklagte hat das Streitpatent in der erteilten Fassung sowie mit vierzehn Hilfsanträgen in geänderten Fassungen verteidigt. Das Patentgericht hat das Streitpatent für nichtig erklärt, soweit der angegriffene Gegenstand über die Fassung nach dem erstinstanzlichen Hilfsantrag 2 hinausgeht, und die Klage im Übrigen abgewiesen.

4Dagegen wenden sich beide Parteien mit ihren Berufungen. Die Beklagte strebt weiterhin die vollständige Abweisung der Klage an und verteidigt die angegriffenen Ansprüche hilfsweise in dreizehn geänderten Fassungen. Die Klägerin verfolgt ihren erstinstanzlichen Antrag auf Nichtigerklärung weiter.

Gründe

5Beide Berufungen sind zulässig. Nur das Rechtsmittel der Beklagten ist begründet; es führt zur Abweisung der Klage.

6I. Das Streitpatent betrifft ein Flüssigkeitszufuhrgerät.

71. In der Beschreibung des Streitpatents wird ausgeführt, Flüssigkeitszufuhrgeräte würden unter anderem für die subkutane Zufuhr eines flüssigen Arzneimittels bei einem Patienten eingesetzt. Bei einer Verwendung als ambulante Infusionspumpe für Insulin könnten anspruchsvolle Flüssigkeitszufuhrprofile angeboten werden. Die Steuerbarkeit der Medikamentenzufuhr könne zu besserer Effizienz des Medikaments und der Therapie und zu geringerer Toxizität für den Patienten führen.

8Bekannte ambulante Infusionspumpen wiesen einen Behälter auf, der das flüssige Arzneimittel enthalte. Sie verwendeten elektromechanische Pump- oder Dosiertechnologie zur Zufuhr des Arzneimittels über Schläuche zu einer subkutan eingeführten Nadel oder weichen Kanüle. Der Patient führe derartige Geräte üblicherweise in einem Gurt oder in einer Tasche mit sich oder habe sie an den Körper geschnallt.

9Erhältliche ambulante Infusionsgeräte seien teuer, ließen sich nur schwer programmieren und für die Infusion vorbereiten und seien oft sperrig, schwer und leicht zerbrechlich.

102. Das Streitpatent betrifft vor diesem Hintergrund das technische Problem, ein Flüssigkeitszufuhrgerät mit geringer Größe und Komplexität bereitzustellen, das kostengünstig herzustellen ist.

113. Zur Lösung schlägt das Streitpatent in Patentanspruch 1 ein Flüssigkeitszufuhrgerät vor, dessen Merkmale sich wie folgt gliedern lassen:

134. Einige Merkmale bedürfen der näheren Erläuterung.

14a) Zutreffend und von den Parteien nicht beanstandet hat das Patentgericht angenommen, dass Patentanspruch 1 keinen besonderen Einsatzzweck vorgibt, für den das geschützte Gerät geeignet sein muss.

15Die Beschreibung führt als Einsatzzweck beispielhaft die subkutane Zufuhr eines flüssigen Arzneimittels bei einem Menschen oder Tier an (Abs. 10). Patentanspruch 1 gibt dies nicht zwingend vor. Er enthält auch keine Vorgaben zu Größe und Gewicht und zur Eignung für den mobilen Einsatz.

16b) Nach den Merkmalen 1 bis 5 kann ein im Flüssigkeitsbehälter angeordneter Kolben mittels einer Gewindestange und eines daran anschließenden Antriebsrads bewegt werden.

17Hierzu kann das Antriebsrad so angebracht werden, dass es bei einer Drehung eine lineare Bewegung der Antriebsstange und des daran befestigten Kolbens bewirkt. Alternativ können Antriebsrad und Antriebsstange fest miteinander verbunden sein und bei einer Drehung eine lineare Bewegung des Kolbens bewirken (Abs. 14).

18c) Nach Merkmalsgruppe 6 kann das Antriebsrad mit einem drehbaren Greifglied schrittweise gedreht werden. Das Greifglied weist hierzu zwei Arme auf, von denen stets mindestens einer mit dem Antriebsrad verrastet ist.

19Nach Merkmalsgruppe 7 kann das Greifglied mit einem linearen Betätiger in eine Drehbewegung versetzt werden.

20Ein in der Beschreibung (Abs. 20 f.) geschildertes Beispiel für einen solchen Mechanismus ist unter anderem in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 5 dargestellt.

21Bei diesem Ausführungsbeispiel wird als linearer Betätiger ein Draht eingesetzt, der aus einer Formgedächtnislegierung (shape memory alloy, SMA) besteht. Dieser Draht zieht sich zusammen, wenn ein elektrischer Strom durch ihn fließt. Er weist zwei Abschnitte (260a, 260b) auf, die bei Stromfluss ein Ende des Greifglieds (262) in Richtung des linken (20) bzw. rechten (22) Pfeils ziehen, wodurch das Greifglied (262) jeweils in eine Schwenkbewegung versetzt wird. Je nach Schwenkrichtung greift einer der beiden Arme (264a, 264b) in einen Zahn eines ihm zugeordneten Abschnitts (258a, 258b) eines Sperrrads. Dadurch dreht sich das Antriebsrad (256) jeweils um einen Schritt. Durch abwechselndes Anlegen eines Impulses an die beiden Drahtabschnitte (260a, 260b) kann das Antriebsrad schrittweise gedreht werden. Da stets einer der beiden Arme (264a, 264b) in Eingriff mit dem zugehörigen Abschnitt (258a, 258b) des Sperrrads steht, wird ein Zurückdrehen des Antriebsrads (256) verhindert.

22II. Das Patentgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

23Der Gegenstand von Patentanspruch 1 gehe nicht über den Inhalt der ursprünglich eingereichten, mit der Offenlegungsschrift (WO 2006/104806 A1, NB3) übereinstimmenden Unterlagen hinaus. Er sei aber durch das US-amerikanische Patent 5 919 167 (D1) und das chinesische Gebrauchsmuster 2301576 (D7) nahegelegt. Dass das in D7 offenbarte Prinzip zur Umsetzung einer Schwenkbewegung in eine schrittweise Drehung eines Antriebsrads bei Dosierpumpen anwendbar sei, belegten auch das US-amerikanische Patent 6 656 158 (D8) und die europäische Patentanmeldung 132 403 (D16).

24Der mit Hilfsantrag 1 verteidigte Gegenstand sei ebenfalls ursprünglich offenbart, aber durch die genannten Entgegenhaltungen nahegelegt.

25Der mit dem erstinstanzlichen Hilfsantrag 2 verteidigte Gegenstand sei hingegen ursprungsoffenbart und patentfähig. Die damit beanspruchte Ausgestaltung sei durch keine Entgegenhaltung offenbart oder nahegelegt. In D1 verlaufe die geometrische Drehachse des Antriebsgreifglieds seitlich neben dem Antriebsrad. Die Drehachse zwischen ersten und zweiten Sperrradabschnitten anzuordnen, sei auch in Verbindung mit D7 nicht nahegelegt. D16 offenbare zwar eine schrittweise Drehung mittels zweier an einem hin- und herbewegten Antriebsgreifglied angeordneter Arme. Jedoch sei auch bei dieser Anordnung mit zudem nur einem Sperrrad, an dem die Arme gemeinsam angreifen, die geometrische Schwenkachse parallel zur Drehachse des Antriebsrads ausgerichtet. Bei einer Kombination von D1 und D8 wäre die Drehachse unverändert gegenüber dem Aufbau der D1 seitlich neben dem Antriebsrad angeordnet. Bei der internationalen Patentanmeldung 2004/056412 (D11) fehle es bereits an einem drehbaren Antriebsgreifglied mit zwei Armen. Die internationale Patentanmeldung 96/34637 (D9) sowie das US-amerikanische Patent 5 618 269 (D10) lägen weiter ab.

26III. Diese Beurteilung hält der Nachprüfung im Berufungsverfahren in einem entscheidenden Punkt nicht stand.

271. Zu Recht hat das Patentgericht entschieden, dass der Gegenstand des Patentanspruchs 1 in den ursprünglich eingereichten Unterlagen als zur Erfindung gehörend offenbart ist.

28a) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist der Anmeldung hinreichend deutlich zu entnehmen, dass die in Merkmal 6.1 vorgesehene Ausgestaltung des Greifglieds mit zwei Armen nicht in zwingendem funktionellem Zusammenhang mit der Ausbildung eines Kontaktfußes oder einer Schwenkbewegung des Greifglieds in zwei Richtungen steht.

29aa) Der in der Anmeldung formulierte Anspruch 6, der zwei Arme vorsieht, bezieht sich allerdings auf Anspruch 5, der einen Kontaktfuß vorsieht.

30In der Beschreibung des zwei Arme aufweisenden Ausführungsbeispiels wird indes ausgeführt, das Greifglied (262) könne auch Füße (268a, 268b) umfassen, die mit Punkten (164a, 164b) auf dem Gestell (100) in Kontakt stünden (Abs. 36). Dem ist zu entnehmen, dass es nicht zwingend erforderlich ist, die in den Ansprüchen 5 und 6 der Anmeldung vorgesehenen Merkmale kumulativ zu verwirklichen.

31bb) Dem in der Anmeldung formulierten Anspruch 6 und den Ausführungen in der Beschreibung lässt sich auch nicht entnehmen, dass eine Ausgestaltung mit zwei Armen zwingend voraussetzt, dass das Greifglied in zwei Richtungen verschwenkbar ist.

32Sowohl in Anspruch 6 als auch in der Beschreibung wird zwar aufgezeigt, dass die beiden Arme das Antriebsrad schrittweise drehen, wenn das Greifglied (262) eine Schwenkbewegung in die eine oder andere Richtung ausführt. Aus dem Umstand, dass damit ein Beispiel beschrieben wird, ergibt sich aber, dass nicht zwingend alle Einzelheiten verwirklicht sein müssen. Damit sind auch andere Gestaltungsformen als zur Erfindung gehörend offenbart, bei denen eine Drehbewegung des Greifglieds mittels zweier Arme in eine schrittweise Drehbewegung des Antriebsrads umgesetzt wird.

33b) Entgegen der Auffassung der Klägerin ist der Anmeldung nicht zu entnehmen, dass das in Merkmal 6.2b vorgesehene Verrasten der Arme zwingend mit der Betätigung mittels eines SMA-Drahts einhergehen oder dass das Verrasten zwingend mit einem Zahnabschnitt erfolgen muss.

34aa) Bei dem in der Anmeldung (und dem Streitpatent) geschilderten Ausführungsbeispiel erfolgt die lineare Betätigung zwar über Abschnitte eines SMA-Drahtes. Diese Betätigungsart wird aber lediglich als bevorzugt bezeichnet (Abs. 34), nicht als zwingend erforderlich.

35bb) Bei den Erläuterungen zu dem unter anderem in Figur 5 dargestellten Ausführungsbeispiel führt die Anmeldung zwar aus, dass die Arme mit Zahnabschnitten des Antriebsrads verrastet sind (Abs. 38). Aus der in Anspruch 1 der Anmeldung verwendeten Formulierung, wonach die Arme in das Antriebsrad greifen, ergibt sich aber hinreichend deutlich, dass dies nicht zwingend über Zahnabschnitte erfolgen muss.

362. Zu Recht ist das Patentgericht davon ausgegangen, dass der Gegenstand von Patentanspruch 1 im Stand der Technik nicht vollständig offenbart ist.

37a) D1 offenbart kein Greifglied mit den Merkmalen 6.1, 6.2a und 6.2b.

38aa) D1 betrifft eine Vorrichtung zur Abgabe einer Flüssigkeit, insbesondere eine Einweg-Mikropumpe zur Infusion (Sp. 1 Z. 5-7).

39D1 führt aus, bei bekannten Spritzenpumpen zur Infusion bewirke üblicherweise ein Elektromotor die Bewegung eines Kolbens. Dies erhöhe die Herstellungskosten und mache die Konstruktion von Einheiten für die einmalige Nutzung unrealistisch (Sp. 1 Z. 10-22). Wiederverwendbare Spritzen hätten den Nachteil, dass Batterien ersetzt oder wieder aufgeladen werden müssten (Sp. 1 Z. 23-27).

40bb) Zur Verbesserung schlägt D1 eine Spritzenpumpe vor, die mittels der Änderung der Länge eines Formgedächtniselements eine Antriebskraft bereitstellt, um den Kolben zu bewegen (Sp. 1 Z. 33-46).

41(1) Ein Ausführungsbeispiel ist in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 2 dargestellt.

42Die Mikropumpe weist eine Spritzenpumpe (26) mit einem Kolben (28) auf (Sp. 2 Z. 45-46, Z. 58-63).

43Der Kolben (28) steht mit einer Bewegungsschraube (84) (power screw) in Eingriff (Sp. 4 Z. 60-62). Diese ragt aus einer Bohrung (82) eines Kopplungsstücks (74) (coupler) hervor und verläuft durch eine fixierte Mutter (86) (Sp. 4 Z. 26-27).

44Eine Drehung des Kopplungsstücks (74) führt zu einer Drehung der Schraube (84) und damit zu einer linearen Bewegung der Schraube (84) und des Kolbens (28) (Sp. 4 Z. 23-25, Z. 33-38).

45(2) Die Drehung des Kopplungsstücks (74) erfolgt mittels einer Raste (pawl 48), die in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 3 dargestellt ist.

46Die Raste (48) ist mittels zweier Noppen (60a, 60b) schwenkbar mit dem Gehäuse (12) verbunden. Sie weist einen Kanal (52) auf, an dem ein Draht (38) befestigt ist, dessen Länge bei Anlegen einer elektrischen Spannung abnimmt. Wenn dies geschieht, schwenken das Ende (50) in Richtung des Pfeiles (A) und die Erweiterung (62) in Richtung des Pfeiles (B). Die Rückstellung erfolgt mittels einer (in Figur 2 dargestellten) Feder (66) (Sp. 3 Z. 8-37).

47Das Kopplungsstück (74) ist durch die Öffnung (58) in die Raste (48) eingesetzt. Eine Nase (64) an der Erweiterung (62) der Raste (48) steht in Eingriff mit einem Sperrrad (ratchet 78) an der Oberfläche des Kopplungsstücks (74). Die Bewegung der Raste (48) aus der Ruheposition in die Betätigungsposition bewirkt, dass sich das Kopplungsstück (74) gegen den Uhrzeigersinn dreht. Eine Federbandklinke (80) verhindert die Drehung des Kopplungsstücks (74) in entgegengesetzter Richtung (Sp. 4 Z. 7-18, Z. 48-53).

48cc) Damit sind die Merkmale 1 bis 6 und die Merkmalsgruppe 7 offenbart.

49Bei dem in D1 offenbarten Ausführungsbeispiel wird die lineare Bewegung des Formgedächtniselements (38) mittels der schwenkbaren Raste (48) in eine Drehung des Kopplungsstücks (74) umgesetzt. Das Kopplungsstück (74) fungiert dabei als Antriebsrad im Sinne von Merkmal 5, die Raste (48) als Greifglied im Sinne von Merkmal 6.

50dd) Nicht offenbart sind die Merkmale 6.1, 6.2a und 6.2b.

51Die in D1 offenbarte Vorrichtung weist mit der Erweiterung (62) lediglich einen Arm im Sinne der Merkmale 6.1 und 6.2a auf. Dieser steht zudem nur bei einer Drehung gegen den Uhrzeigersinn in Eingriff mit dem Kopplungsstück (74). Eine Drehung in umgekehrter Richtung wird hingegen durch die Federbandklinke (80) verhindert. Diese ist nicht Bestandteil der Raste (48) und ist auch nicht dafür ausgelegt, das Kopplungsstück zu drehen.

52b) D7 (deutsche Übersetzungen: D7b-K und D7b-B) offenbart kein Flüssigkeitszufuhrgerät im Sinne der Merkmale 1 bis 4.

53aa) D7 betrifft eine Klinkenrad-Transmissionsstruktur.

54D7 führt aus, Transmissionsstrukturen mit einem einzelnen Klinkenrad und einer einzelnen Sperrklinke hätten den Nachteil einer langen Intervallzeit und einer geringen Effizienz (D7b-K S. 1 Abs. 2).

55Zur Verbesserung schlägt D7 eine Struktur mit einem kleinen und einem großen Klinkenrad vor, die koaxial zueinander angeordnet sind und die gleiche Anzahl an Klinkenzähnen aufweisen. Eine große bzw. eine kleine Sperrklinke stehen jeweils mit ihrem distalen (entfernten) Ende mit den Zähnen der Klinkenräder in Eingriff (D7b-K S. 1 Abs. 5).

56Ein Ausführungsbeispiel ist in der nachfolgend wiedergegebenen (einzigen) Figur dargestellt.

57Die beiden Klinkenräder (1, 2) werden abwechselnd durch ihnen jeweils zugeordnete Sperrklinken (3, 4) angetrieben. Hierzu dient ein T-förmiges Gestänge, das um einen Drehpunkt (8) verschwenkt werden kann und mit den beiden Sperrklinken (3, 4) sowie einer Kraft-Übertragungsstange (11) verbunden ist (D7b-K S. 2 f.).

58Durch das Hin- und Herbewegen der Hauptstange (5), zum Beispiel mittels eines Hydraulikzylinders (10), werden abwechselnd das große bzw. das kleine Klinkenrad (1, 2) durch die zugehörige Sperrklinke (3, 4) angeschoben, wodurch ein kontinuierlicher Betrieb erreicht wird (D7b-K S. 3).

59Als mögliche Einsatzzwecke gibt D7 verschiedene Maschinen an, die einen Übertragungsmechanismus mit einem einzelnen Klinkenrad oder eine verwandte Struktur nutzen (D7b-K S. 3 unten).

60bb) Damit sind ein Antriebsrad im Sinne von Merkmal 5, ein Greifglied im Sinne von Merkmalsgruppe 6 und ein linearer Betätiger im Sinne von Merkmalsgruppe 7 offenbart, nicht aber der Einsatz eines solchen Mechanismus in einem Flüssigkeitszufuhrgerät nach den Merkmalen 1 bis 4.

61c) D8 offenbart nicht die Kombination der Merkmale 6 und 6.2b.

62aa) D8 betrifft eine tragbare Infusionsvorrichtung für die Abgabe therapeutischer Flüssigkeiten wie Insulin.

63Die Beschreibung von D8 führt aus, bekannte ambulante Infusionsvorrichtungen seien teuer, schwierig zu programmieren und für die Infusion vorzubereiten, außerdem tendenziell sperrig, schwer und zerbrechlich (Sp. 1 Z. 30-32).

64Zur Verbesserung schlägt D8 eine Vorrichtung mit einem Kolben vor, der durch Drehung einer Gewindespindel in Bewegung versetzt werden kann (Sp. 3 Z. 2-14).

65(1) Ein Ausführungsbeispiel ist in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 3 dargestellt.

66An der Gewindespindel (202) ist ein Zahnrad (214) angeordnet, das durch lineare Bewegung einer Raste (222) in Drehung versetzt werden kann. Die lineare Bewegung wird durch ein langgestrecktes Formgedächtniselement (220) bewirkt (Sp. 12 Z. 21-44).

67(2) Für den Antrieb des Zahnrads (214) offenbart D8 mehrere unterschiedliche Ausführungsbeispiele.

68(a) Bei dem Ausführungsbeispiel nach der nachfolgend wiedergegebenen Figur 11A wird das Zahnrad durch zwei Rasten (346, 348) angetrieben.

69Die beiden Rasten (346, 348) befinden sich in einem Käfig (344), der koaxial um das Zahnrad (314) angeordnet ist. Der Käfig kann mit zwei Abschnitten (356, 358) eines Formgedächtniselements (350) linear in zwei entgegengesetzte Richtungen bewegt werden (Sp. 15 Z. 15-24; Sp. 16 Z. 6-14).

70(b) Das Ausführungsbeispiel nach den nachfolgend wiedergegebenen Figuren 12 und 13A weist zwei Zahnräder (314a, 314b) auf.

71Der Antrieb der Zahnräder erfolgt wie bei dem Beispiel aus Figur 11A mit zwei Rasten (346, 348), die in einem Käfig (364) angeordnet sind. Bevorzugt sind die beiden Zahnräder (314a, 314b) identisch ausgebildet, aber um einen einzelnen Zahnabstand auf der Gewindespindel (202) phasenversetzt angeordnet (Sp. 16 Z. 56 bis Sp. 17 Z. 18).

72(c) Bei dem Ausführungsbeispiel nach der nachfolgend wiedergegebenen Figur 14 sind zwei Rasten (376, 378) an einer Kurvenscheibe (374) angeordnet.

73Die Kurvenscheibe (374) kann mit zwei Abschnitten (356, 358) eines Formgedächtniselements (350) koaxial um die Gewindespindel (202) verschwenkt werden (Sp. 17 Z. 48-55; Sp. 18 Z. 10-16). Die beiden Rasten (376, 378) weisen unterschiedliche Längen auf, sodass eine Schwenkbewegung der Kurvenscheibe (374) in die Schwenkrichtung (A) ein Vorrücken des Zahnrads (314) in der Drehrichtung (C) um weniger als einen Zahnabstand erzeugt (Sp. 17 Z. 56 bis Sp. 18 Z. 9).

74Eine separate, am Gehäuse fixierte Rastanordnung (370) mit zwei Rasten (382, 384) verhindert eine Drehung des Zahnrads (314) in die entgegengesetzte Drehrichtung (D) (Sp. 18 Z. 40-52).

75bb) Damit ist zwar jedes Merkmal von Patentanspruch 1 bei mindestens einem der Ausführungsbeispiele offenbart. Kein Ausführungsbeispiel weist aber die Merkmale 6 und 6.2b in Kombination auf.

76(1) Bei den beiden ersten Beispielen fehlt es an Merkmal 6, weil das Antriebsglied linear bewegt wird.

77(2) Beim dritten Beispiel ist das Antriebsglied zwar drehbar. Es fehlt aber an einer Offenbarung von Merkmal 6.2b.

78Aus den Erläuterungen zu Figur 14 geht nicht hervor, dass zu jeder Zeit mindestens eine der beiden Rasten (376, 378) mit dem Antriebsrad verrastet ist. Gegen eine solche Ausgestaltung spricht zudem der Umstand, dass bei diesem Ausführungsbeispiel zwei zusätzliche Rasten (382, 384) vorhanden sind, um eine Drehung in die entgegengesetzte Richtung zu verhindern.

79d) D16 offenbart nur die Merkmale 6 bis 6.2.

80aa) D16 betrifft chirurgisch implantierbare Vorrichtungen, insbesondere Nebenschlussventile zur Drainage zerebrospinaler Flüssigkeit bei der Behandlung von Hydrocephalus und ähnlich behinderter Zirkulation oder mangelhafter Absorption von Körperflüssigkeiten.

81Ausgehend von bekannten regelbaren Ventilen, die einen Schrittmotor verwenden, schlägt D16 eine implantierbare Vorrichtung vor, die durch Einprägen eines Magnetfelds von außerhalb des Körpers betrieben wird (S. 3 Z. 14; S. 5 Z. 1-11).

82Ein Ausführungsbeispiel ist in der nachfolgend wiedergegebenen Figur 13 dargestellt.

83Ein Getriebe (132) wird angetrieben, indem eine magnetische Kraft von außen einen Magneten (212) in eine Drehbewegung gegen eine Feder drückt, wodurch zwei dünne Elemente (210, 211) in das Getriebe eingreifen. Am Ende eines jeden Impulses bringt eine zentrale Feder (216) den Magneten (212) und die Elemente (210, 211) zurück in die Ruheposition (S. 31 Z. 1-22).

84bb) Damit ist ein drehbares Antriebsglied im Sinne der Merkmale 6 bis 6.2b offenbart.

85cc) Nicht offenbart sind die Merkmale 1 bis 5 und ein linearer Betätiger im Sinne der Merkmale 7 bis 7.2.

863. Entgegen der Auffassung des Patentgerichts war der Gegenstand von Patentanspruch 1 ausgehend von D1 durch D7, D8 und D16 nicht nahegelegt.

87a) Ausgehend von D1 bestand allerdings Anlass, nach alternativen Möglichkeiten zur Umsetzung der mittels des Drahtes (38) erzeugten Zugbewegung in eine nur in eine Richtung mögliche Drehbewegung zu suchen.

88D1 lässt erkennen, dass die dort eingesetzte Kombination aus einer verschwenkbaren Raste (48), einem Sperrrad (78) und einer Klinke (80) dazu dient, mit einfachen Mitteln die lineare Bewegung eines Drahts (38) in eine Drehbewegung umzusetzen und eine Drehung in entgegengesetzter Richtung zu verhindern. Dies gab Anlass, nach anderen geeigneten Mechanismen zu suchen, die eine vergleichbare Funktion bieten.

89b) Entgegen der Auffassung der Beklagten bestand auch Anlass, auf der Suche nach solchen Alternativen D7 in Betracht zu ziehen.

90aa) D7 zeigt Wege auf, bei Transmissionsstrukturen mit Klinkenrad eine kürzere Intervallzeit und eine höhere Effizienz zu erzielen.

91Solche Verbesserungen sind auch für Vorrichtungen der in D1 gezeigten Art von Interesse. Dies gab Anlass zur Befassung mit der Frage, ob die in D7 vorgeschlagene Struktur auch im Umfeld von D1 einsetzbar ist.

92bb) Dass D7 sich nicht mit Insulinpumpen oder Flüssigkeitszufuhrgeräten befasst, führt nicht zu einer abweichenden Beurteilung.

93Entgegen der Auffassung der Beklagten ergeben sich aus D7 keine Anhaltspunkte dafür, dass es dort um eine Anwendung aus dem Bereich des Schwermaschinenbaus geht.

94Nach den Ausführungen in D7 ist der dort vorgeschlagene Betätigungsmechanismus grundsätzlich für jede Vorrichtung geeignet, in der ein Klinkenrad eingesetzt wird. Dies wird bestätigt durch den Umstand, dass sich D7 lediglich mit dem Betätigungsmechanismus befasst und offenlässt, was durch die Klinkenräder angetrieben wird.

95c) Entgegen der Auffassung des Patentgerichts ergab sich daraus jedoch keine hinreichende Anregung, den in D7 offenbarten Mechanismus in Vorrichtungen der in D1 offenbarten Art einzusetzen.

96aa) Wie auch das Patentgericht nicht verkannt hat, kann der in D7 offenbarte Mechanismus nicht ohne weiteres in eine Mikropumpe der in D1 offenbarten Art eingesetzt werden. Es bedürfte vielmehr einer grundlegenden Änderung der in D1 offenbarten linearen Antriebskomponenten oder einer abweichenden Ausgestaltung und Anordnung der in D7 offenbarten Sperrklinken.

97Zu solchen Veränderungen bestand kein Anlass. Sie wären mit erheblichem Konstruktionsaufwand verbunden gewesen, ohne dass ein daraus resultierender Vorteil erkennbar war.

98bb) Um zur Lösung des Streitpatents zu gelangen, hätte es der Erkenntnis bedurft, dass der in D7 offenbarte Einsatz von zwei Klinkenrädern, die durch eine Schwenkbewegung abwechselnd zum Erzeugen einer Drehbewegung genutzt werden, unabhängig von der konkreten Ausgestaltung des Betätigungsmechanismus eine vorteilhafte Alternative zum Einsatz eines einzelnen Klinkenrads darstellen kann.

99Diese abstrakte Überlegung ist in D7 nicht offenbart. Die dort angeführten Vorteile werden nur in Zusammenhang mit der vorgeschlagenen Ausgestaltung mit zwei unterschiedlich großen Klinkenrädern und dem darauf abgestimmten Antriebsmechanismus geschildert.

100Vor diesem Hintergrund ergab sich aus D7 keine Anregung, die dort offenbarte Vorteile in abstrahierender Betrachtung auf den Einsatz von zwei Klinkenrädern zurückzuführen und nach Möglichkeiten zu suchen, den in D1 offenbarten Mechanismus unabhängig von den in D7 offenbarten Details durch ein zweites Klinkenrad zu ergänzen.

101d) Entgegen der Auffassung des Patentgerichts ergaben sich aus D8 und D16 keine weitergehenden Anregungen.

102D8 und D16 offenbaren zwar zahlreiche Möglichkeiten, um eine lineare Bewegung mit Hilfe von zwei Klinken in eine Drehbewegung umzusetzen. Sie machen aber nicht von dem D7 zugrundeliegenden Konstruktionsprinzip Gebrauch, das zwei Sperrklinken mit einem drehbar gelagerten, aber durch lineare Bewegung angetriebenen Antriebsglied kombiniert.

103Auch aus einer Zusammenschau von D7, D8 und D16 ergab sich damit nicht die Anregung, das D7 zugrundeliegende Prinzip auf Flüssigkeitspumpen der in D1 offenbarten Art zu übertragen.

1044. Aus dem chinesischen Gebrauchsmuster 2 180 300 (D24) ergaben sich keine weitergehenden Anregungen.

105a) D24 offenbart ein Skateboard, das durch eine Wippbewegung des Benutzers vorwärtsbewegt werden kann (D24a Abs. 1-5).

106Die Funktionsweise des Antriebs ist in den nachfolgend wiedergegebenen Figuren 2 und 3 dargestellt.

107Ein Pedal (19) ist drehbar um eine Achse (25) angeordnet. An dem Pedal sind gelenkig zwei Sperrklinken (6, 16) angebracht. Durch eine Pendelbewegung des Pedals (19) versetzen die Sperrklinken (6, 16) abwechselnd zwei Klinkenräder (2, 13) in Drehung, wobei bei einer Pendelbewegung in die eine Richtung das Sperrrad (13) und bei einer Pendelbewegung in die andere Richtung das Sperrrad (2) in Drehung in die entgegengesetzte Richtung versetzt wird. Über mehrere Zahnräder (10, 14, 15, 12, 11) findet eine Richtungsumkehr statt, so dass ein auf der Achse (25) befestigtes Zahnrad (3) durch die beiden Sperrklinken (6, 16) bei jeder Pendelbewegung gleichläufig angetrieben wird. Mittels Ritzel und einer Kette wird die Drehbewegung des Zahnrads (3) auf das Hinterrad (8) übertragen, wodurch das Skateboard insgesamt vorwärtsbewegt werden kann (D24a Abs. 11).

108b) Damit mögen die Merkmale 5 bis 7.2 offenbart sein. Es bestand jedoch keine Veranlassung, das Antriebsprinzip aus D24 auf eine Vorrichtung nach dem Vorbild von D1 zu übertragen.

109Der in D24 gezeigte Antrieb lässt sich zwar als Unterfall des auch in D7 vorgeschlagenen Wirkprinzips mit zwei Klinkenrädern einordnen. Auch D24 offenbart aber nur eine besondere Ausgestaltung dieses Prinzips und schlägt dessen Einsatz überdies nur für einen speziellen Anwendungsfall vor. Ein Anlass, diese besondere Ausgestaltung bei einer Vorrichtung nach dem Vorbild von D1 einzusetzen, ergab sich aus D24 nicht. Eine abstrahierende Betrachtung, die den Einsatz von zwei Klinkenrädern als das entscheidende Konstruktionsprinzip identifiziert, war ausgehend von D24 ebenfalls nicht nahegelegt.

1105. Die übrigen Entgegenhaltungen führen nicht zu einer abweichenden Beurteilung.

111IV. Die Sache ist zur Endentscheidung reif (§ 119 Abs. 5 Satz 2 PatG).

112Die Nichtigkeitsklage erweist sich aus den oben aufgezeigten Gründen als unbegründet.

113V. Die Kostenentscheidung beruht auf § 121 Abs. 2 PatG und § 91 Abs. 1 ZPO.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:190324UXZR33.22.0

Fundstelle(n):
RAAAJ-72145