Prozesskostenhilfe; Anwendbarkeit im Wehrbeschwerdeverfahren
Leitsatz
Die Bestimmungen über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe in § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 114 ff. ZPO sind im Wehrbeschwerdeverfahren gemäß § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO anwendbar.
Gesetze: § 23a Abs 2 S 1 WBO, § 166 Abs 1 S 1 VwGO, § 114 Abs 1 ZPO
Gründe
1Der Antragsteller begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gegen die Verpflichtung zur Duldung einer COVID-19-Impfung.
2Der Bewilligungsantrag hat Erfolg.
31. Die Bestimmungen über die Bewilligung von Prozesskostenhilfe in § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 114 ff. ZPO sind im Wehrbeschwerdeverfahren gemäß § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO anwendbar.
4Der Senat bejaht die bisher von ihm offengelassene Frage (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom - 1 WB 11.94 -, vom - 1 WB 58.97 - und vom - 2 WNB 5.10 - BeckRS 2010, 149643), weil die entsprechende Anwendung dieser Vorschriften der Eigenart des Beschwerdeverfahrens nicht widerspricht (vgl. Bachmann, in: Fürst, GKÖD I, Stand 3/2024, § 20 WBO Rn. 6; Lingens, NZWehrr 1994, 231 f.; a. A. Dau/Scheuren, WBO, 7. Aufl. 2020, § 20 Rn. 3). Sie knüpfen verfahrensrechtlich nicht an die Rechtsnatur des Parteiprozesses an und werden auch nicht durch vorrangige Bestimmungen der Wehrdisziplinarordnung ausgeschlossen. Dass das Wehrdisziplinarrecht - ebenso wie das Strafprozessrecht - das Institut der Prozesskostenhilfe nicht kennt (vgl. 2 WDB 5.17 - juris Rn. 3), ist dabei unerheblich. Die Regelungen über die Bewilligung der Prozesskostenhilfe werden ferner nicht durch Normen der Wehrbeschwerdeordnung verdrängt. Die Bestimmungen in § 20 WBO zu den notwendigen Aufwendungen und Kosten im Verfahren vor dem Truppendienstgericht, die nach § 17 Abs. 2 Satz 1 WBO für das gerichtliche Antragsverfahren vor dem Bundesverwaltungsgericht entsprechend gelten, sind insoweit nicht abschließend.
5Für die Anwendbarkeit der Regelungen über die Prozesskostenhilfe besteht auch ein Bedürfnis, weil im Wehrbeschwerdeverfahren Fälle denkbar sind, in denen ein Soldat wegen seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse nicht in der Lage ist, die Kosten der Prozessführung durch einen Rechtsanwalt zu tragen. In derartigen Konstellationen gebietet es der in Art. 3 Abs. 1 i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG verbürgte Anspruch auf Rechtsschutzgleichheit (vgl. dazu näher - BVerfGE 122, 39 <48 f.>), auch einem unbemittelten Soldaten die nach den §§ 114 ff. ZPO gebotenen Möglichkeiten zu eröffnen. Sie können nicht durch die Bestellung eines Verteidigers nach § 23a Abs. 1 WBO i. V. m. § 90 Abs. 1 Satz 2 WDO kompensiert werden, weil der Soldat im Falle der Zurückweisung seines Antrags auch die Kosten eines bestellten Verteidigers zu tragen hätte (vgl. 2 WDB 2.09 - juris Rn. 5).
62. Nach § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO ist einer Partei, die nach ihren persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnissen die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen kann, Prozesskostenhilfe zu bewilligen, wenn die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet und nicht mutwillig erscheint. Diese Voraussetzungen liegen vor.
7a) Die beabsichtigte Rechtsverfolgung bietet hinreichende Aussicht auf Erfolg.
8Hierfür reicht es aus, wenn sich die Erfolgsaussichten bei summarischer Prüfung als offen darstellen ( u. a. - BVerfGE 81, 347 <357>). Maßgeblich ist grundsätzlich der Zeitpunkt der Entscheidungsreife des Prozesskostenhilfeantrags. Sie ist gegeben, wenn dieser Antrag vollständig vorliegt und der Prozessgegner Gelegenheit zur Äußerung hatte. Änderungen in der Beurteilung der Erfolgsaussichten, die nach diesem Zeitpunkt eintreten, dürfen dabei grundsätzlich nicht mehr zu Lasten des Rechtsschutzsuchenden berücksichtigt werden ( - juris Rn. 14 m. w. N.).
9Gemessen an diesen Grundsätzen sind im vorliegenden Fall zum Zeitpunkt der Entscheidungsreife hinreichende Erfolgsaussichten anzunehmen; insoweit ist es unerheblich, dass das Bundesministerium der Verteidigung inzwischen mitgeteilt hat, die hier streitgegenständliche Duldungspflicht aufheben zu wollen. Vor der besagten Absichtsbekundung stellten sich komplexe Fragen der materiellen Rechtmäßigkeit der angefochtenen Anordnung der Bundesverteidigungsministerin vom , die COVID-19-Schutzimpfung in das Basisimpfschema der Bundeswehr "Allgemeine Regelung (AR) Impf- und ausgewählte Prophylaxemaßnahmen - Fachlicher Teil - A1-840/8-4000" aufzunehmen. Entscheidungserheblich wäre etwa zu beantworten gewesen, ob es angesichts veränderter Umstände einer erneuten Ermessensentscheidung des Dienstherrn über die Aufrechterhaltung der COVID-19-Impfung bedurft hätte. Derartige Fragestellungen hätten sich auch auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Senats nicht ohne Weiteres klären lassen.
10b) Der Antragsteller ist zudem als bedürftig anzusehen. Er kann aufgrund seiner persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse die Kosten der Prozessführung nicht aufbringen.
113. Da die Vertretung des Antragstellers nach § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 67 Abs. 4 Satz 1 VwGO durch einen Rechtsanwalt erforderlich ist, war zudem dessen Beiordnung nach § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO und § 121 Abs. 2 ZPO auszusprechen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2024:190624B1WB41.23.0
Fundstelle(n):
NJW 2024 S. 10 Nr. 32
XAAAJ-71910