Instanzenzug: Az: I-22 U 75/20vorgehend Az: 15 O 61/19
Tatbestand
1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung von unzulässigen Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz aus unerlaubter Handlung in Anspruch.
2Der Kläger erwarb im Juli 2017 von einem Händler einen gebrauchten Audi A6 Avant 3.0 TDI quattro S-tronic, der mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 897 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist. Die Beklagte hat sowohl das Fahrzeug als auch den Motor hergestellt. Die Emissionskontrolle erfolgt unter Verwendung einer Abgasrückführung, welche bei kühleren Temperaturen zurückgefahren wird. Weiter verfügt das Fahrzeug über einen SCR-Katalysator. Reicht das zur Abgasreinigung im SCR-Katalysator eingesetzte Reagens "AdBlue" nur noch für eine Reichweite von 2.400 km, ändert sich die Dosierstrategie ("Restreichweiten-Regelung"). Das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) ordnete für das streitgegenständliche Fahrzeug wegen dieser Dosierstrategie einen Rückruf an.
3Der Kläger hat die Erstattung des Kaufpreises zuzüglich des Entgelts für den Kauf und die Montage von Sommerreifen abzüglich einer nach einer im Antrag wiedergegebenen Formel zu berechnenden Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs und die Zahlung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nebst Rechtshängigkeitszinsen begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Schlussanträge aus der Berufungsinstanz weiter.
Gründe
4Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:
6Ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB bestehe nicht. Bei einer umfassenden Würdigung des Sachvortrags beider Parteien und Bewertung des Verhaltens der Beklagten ergebe sich weder im Hinblick auf das unstreitig implementierte "Thermofenster", dessen Unzulässigkeit unterstellt werde, noch im Hinblick auf die "Restreichweiten-Regelung", welche eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 darstelle, eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung des Klägers durch den Erwerb des Fahrzeugs. Es fehle hierzu sowohl an der objektiven Sittenwidrigkeit als auch am Schädigungsvorsatz. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV scheitere daran, dass es sich bei diesen Vorschriften nicht um Schutzgesetze handele.
II.
7Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
81. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine konkreten Einwände.
92. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
10Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
11Die angefochtene Entscheidung ist aufzuheben, § 562 ZPO, weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
12Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:090724UVIAZR763.22.0
Fundstelle(n):
MAAAJ-71782