BGH Urteil v. - VI ZR 133/23

Regress der gesetzlichen Unfallversicherung nach einem Verkehrsunfall eines versicherten Arbeitnehmers: Übertragbarkeit der zur vereinsrechtlichen Repräsentantenhaftung entwickelten Grundsätze auf die Unternehmenshaftung bei grob fahrlässiger Herbeiführung des Versicherungsfalls

Leitsatz

Die zu § 31 BGB entwickelten Grundsätze der Repräsentantenhaftung sind nicht auf § 111 Satz 1 SGB VII zu übertragen.

Gesetze: § 8 Abs 1 SGB 7, § 110 Abs 1 S 1 SGB 7, § 111 S 1 SGB 7, § 31 BGB, § 278 BGB, § 823 Abs 1 BGB, § 831 BGB

Instanzenzug: Az: 10 U 89/21vorgehend Az: 14 O 330/20

Tatbestand

1Die Klägerin nimmt als Trägerin der gesetzlichen Unfallversicherung die Beklagte nach einem Verkehrsunfall in Anspruch, der sich mit einem bei der Beklagten haftpflichtversicherten Werttransporter ereignete.

2Am befuhr der bei der P. GmbH - einem Mitgliedsunternehmen der Klägerin - beschäftigte Versicherte Z. mit einem - bei der Beklagten haftpflichtversicherten - Werttransporter der P. GmbH die BAB 8. Als ein vor ihm fahrender Sattelzug abbremste, stieß der Werttransporter mit der linken Front gegen das rechte Heck des Sattelzugs. Z. lenkte das Fahrzeug nach rechts auf den Seitenstreifen, von dem aus es auf das angrenzende Feld rollte. Bei dem Unfall wurde Z. verletzt.

3Der Werttransporter hatte nach einem Bericht des TÜV Süd vom eine Reihe von Mängeln. Der Fuhrparkleiter H. der P. GmbH hatte bereits am per E-Mail dem Leiter des Flottenmanagements F. mitgeteilt, dass der Werttransporter erhebliche Mängel aufweise und die Gefahr bestehe, dass etwas passiere.

4Auf den außergerichtlich geforderten Betrag von 66.975,13 € zahlte die Beklagte 33.566,60 €. Mit der Klage begehrt die Klägerin unter anderem die Zahlung von weiteren 33.429,04 €.

5Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht das Urteil des Landgerichts abgeändert und die Beklagte zur Zahlung von 33.429,04 € verurteilt sowie festgestellt, dass die Beklagte zum Ersatz weiterer Aufwendungen verpflichtet ist. Mit ihrer vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Zurückweisung der Berufung weiter. Für den Fall, dass von einer wirksamen Beschränkung der Revisionszulassung auszugehen sein sollte, hat die Beklagte insoweit vorsorglich Nichtzulassungsbeschwerde erhoben.

Gründe

I.

6Das Berufungsgericht hat ausgeführt, der Klägerin stehe gegen die Beklagte ein Anspruch gemäß §§ 110, 111 SGB VII in Verbindung mit § 115 VVG zu. Da auch der Anspruch des Sozialversicherungsträgers gegen den Versicherer nach § 115 VVG gerichtet werden könne, sei die Beklagte passivlegitimiert. Ferner sei vom Vorliegen eines für die Klägerin eintrittspflichtigen Versicherungsfalls und der Anwendbarkeit der Regressregelung des § 110 SGB VII auszugehen. Die Haftung der Versicherungsnehmerin P. GmbH der Beklagten sei nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB VII beschränkt, da es sich bei dem Verkehrsunfall um einen Arbeitsunfall im Sinne des § 8 Abs. 1 SGB VII handele. Die P. GmbH müsse nach § 111 Satz 1 SGB VII - vergleichbar mit der zu § 31 BGB entwickelten Repräsentantenhaftung - auch für sonstige Personen haften, denen sie bedeutsame wesensmäßige Funktionen zur eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen habe und die in Ausführung der ihnen zustehenden Verrichtungen den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hätten. Jedenfalls dem insoweit in die Haftung einbezogenen Fuhrparkleiter H. der P. GmbH, dem der TÜV-Bericht vorgelegen habe und der bei dem TÜV-Termin vor Ort gewesen sei, dem mithin die vom TÜV festgestellten Mängel und die damit erhebliche Verkehrsunsicherheit des Werttransporters bekannt gewesen seien, müsse grobe Fahrlässigkeit in Form einer schwerwiegenden Verletzung der Überwachungs- und Aufsichtspflicht zur Last gelegt werden, weil er in Kenntnis der gravierenden Sicherheitsmängel und der Gefährlichkeit eines weiteren Einsatzes den Werttransporter nicht aus dem Verkehr gezogen habe (§ 31 Abs. 2 StVZO). Die Voraussetzungen der deliktischen Haftung gemäß § 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit § 115 VVG lägen vor, da dem Fuhrparkleiter H. der P. GmbH grobe Fahrlässigkeit zur Last zu legen sei, weil er in Kenntnis der gravierenden Sicherheitsmängel und der Gefährlichkeit eines weiteren Einsatzes das Fahrzeug weiterhin im Verkehr eingesetzt habe. Es sei von einem gedeckten Personenschaden auszugehen.

II.

7Die Revision ist ohne Einschränkungen zugelassen.

81. Dem Berufungsgericht ist die Möglichkeit eröffnet, die Revision nur hinsichtlich eines tatsächlich und rechtlich selbständigen und abtrennbaren Teils des Gesamtstreitstoffs zuzulassen, auf den auch die Partei selbst die Revision beschränken könnte. Voraussetzung hierfür ist eine Selbständigkeit des von der Zulassungsbeschränkung erfassten Teils des Streitstoffs in dem Sinne, dass dieser in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unabhängig von dem übrigen Prozessstoff beurteilt werden und auch im Falle einer Zurückverweisung kein Widerspruch zum nicht anfechtbaren Teil des Streitstoffs auftreten kann (vgl. Senat, Urteil vom - VI ZR 445/19, juris Rn. 10; , NJW 2020, 3258 Rn. 18 mwN).

9Eine Beschränkung der Revisionszulassung, die nicht schon in der Entscheidungsformel des Berufungsurteils enthalten ist, kann sich auch aus den Entscheidungsgründen ergeben. Die Entscheidungsformel ist im Lichte der Urteilsgründe auszulegen und deshalb ist von einer beschränkten Revisionszulassung auszugehen, wenn sich dies aus den Gründen des Urteils klar ergibt. Das ist regelmäßig dann anzunehmen, wenn sich die vom Berufungsgericht als zulassungsrelevant angesehene Frage nur für einen eindeutig abgrenzbaren selbständigen Teil des Streitstoffs stellt, der Gegenstand eines Teilurteils oder eines eingeschränkt eingelegten Rechtsmittels sein kann (vgl. Senat, Urteil vom - VI ZR 445/19, juris Rn. 11; , NJW 2020, 3258 Rn. 9 mwN).

102. Das Berufungsgericht hat die Revisionszulassung im Tenor des Berufungsurteils uneingeschränkt ausgesprochen. In den Entscheidungsgründen hat es ausgeführt, die Revision sei wegen Grundsatzbedeutung mit Blick auf die Frage zuzulassen, inwieweit eine juristische Person nach der Vorschrift des § 111 Satz 1 SGB VII - vergleichbar mit der zu § 31 BGB entwickelten Repräsentantenhaftung - auch für sonstige Personen hafte, denen sie bedeutsame wesensmäßige Funktionen zur eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen habe und die in Ausführung der ihnen zustehenden Verrichtungen den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hätten.

11Ob sich daraus ein entsprechender Beschränkungswille des Berufungsgerichts hinreichend klar ergibt, kann offenbleiben. Denn eine entsprechende Beschränkung auf einzelne Rechtsfragen oder Elemente des Anspruchsgrundes wäre jedenfalls unwirksam.

123. Die von der Beklagten vorsorglich erhobene Nichtzulassungsbeschwerde ist daher gegenstandslos.

III.

13Die Revision der Beklagten ist begründet und führt zur Zurückweisung der Berufung der Klägerin. Ihr steht gegen die Beklagte kein Anspruch aus § 110 Abs. 1 Satz 1, § 111 Satz 1 SGB VII in Verbindung mit § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 VVG zu.

141. Bei dem Rückgriffsanspruch gemäß § 110 Abs. 1 Satz 1, § 111 Satz 1 SGB VII handelt es sich um einen originären, selbständigen Anspruch des Sozialversicherungsträgers, der privatrechtlicher Natur ist (vgl. , VersR 2022, 512 Rn. 15; Senat, Urteile vom - VI ZR 160/71, VersR 1973, 818, juris Rn. 31 [zu § 640, § 641 RVO]; vom - VI ZR 143/05, BGHZ 168, 161 Rn. 14; vom - VI ZR 47/13, BGHZ 203, 224 Rn. 35 [zu § 110 Abs. 1 SGB VII]). Das Berufungsgericht ist zutreffend davon ausgegangen, dass die Klägerin als Sozialversicherungsträgerin einen etwaigen Anspruch nach § 115 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 Alt. 1 VVG direkt gegen die Beklagte als Haftpflichtversicherer richten kann (vgl. dazu Senat, Urteil vom - VI ZR 137/70, NJW 1972, 445, juris Rn. 26 [zu § 3 Nr. 1 PflVG a.F., § 640 RVO]; OLG Naumburg, Urteil vom - 12 U 79/14, juris Rn. 41; Ricke, in BeckOGK, Stand , SGB VII, § 110 Rn. 6; Schneider, in Langheid/Wandt, MüKo VVG, 3. Aufl., § 115 Rn. 9; Jahnke, in Stiefel/Maier, Kraftfahrtversicherung: AKB, 19. Auflage, § 115 VVG, Rn. 19; Lemcke/Hensen, NJW 2019, 2655, 2656).

152. Allerdings hat das Berufungsgericht zu Unrecht angenommen, dass die P. GmbH der Klägerin haftet, weil ihr Fuhrparkleiter H. den Versicherungsfall, bei dem Z. verletzt wurde, grob fahrlässig herbeigeführt hatte (§ 110 Abs. 1 Satz 1, § 111 Satz 1 SGB VII).

16a) Gemäß § 111 Satz 1 SGB VII haften nach Maßgabe des § 110 SGB VII auch die Vertretenen, wenn ein Mitglied eines vertretungsberechtigten Organs, Abwickler oder Liquidatoren juristischer Personen, vertretungsberechtigte Gesellschafter oder Liquidatoren einer rechtsfähigen Personengesellschaft oder gesetzliche Vertreter der Unternehmer in Ausführung ihnen zustehender Verrichtungen den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht haben.

17Das Berufungsgericht hat festgestellt, dass H. Fuhrparkleiter, aber nicht darüber hinaus Mitglied eines vertretungsberechtigten Organs der P. GmbH war.

18b) Der Beurteilung des Berufungsgerichts, dass eine juristische Person nach §§ 110, 111 SGB VII vergleichbar mit der zu § 31 BGB entwickelten Repräsentantenhaftung auch für sonstige Personen haftet, denen sie bedeutsame wesensmäßige Funktionen zur eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen hat und die in Ausführung der ihnen zustehenden Verrichtung den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht haben, folgt der Senat nicht (offen insoweit , VersR 2022, 512 Rn. 15; Senat, Urteil vom - VI ZR 164/67, VersR 1969, 39, juris Rn. 14 [zu § 641 RVO]; ablehnend , VersR 1968, 305, juris Rn. 27 [zu § 904 RVO i.d.F. vom , RGBl. S. 509, nachfolgend: a.F.]).

19aa) Nach teilweise vertretener Auffassung soll die Haftung gemäß § 111 Satz 1 SGB VII den §§ 31, 89, 278 BGB vergleichbar sein. Da nach dem Willen des Gesetzgebers durch § 111 Satz 1 SGB VII eine § 31 BGB entsprechende Haftung normiert sei, seien die von der Rechtsprechung zu § 31 BGB entwickelten Grundsätze der Repräsentantenhaftung in gleicher Weise anzuwenden. Für die Anwendbarkeit des § 31 BGB genüge es, dass dem Vertreter durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbstständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen seien, dass er also die juristische Person auf diese Weise repräsentiere. Dieser Grundsatz sei auf die Haftung des Unternehmens gemäß § 111 Satz 1 SGB VII anzuwenden, der in gleicher Weise eine Haftung für Organe normiere (vgl. , BeckRS 2011, 23044; Ricke, in BeckOGK, Stand , SGB VII § 111 Rn. 3; Kranig, in Hauck/Noftz SGB VII, 45. EL, § 111 Rn. 9). Habe ein Vertreter einen Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig herbeigeführt, sei er den Sozialversicherungsträgern nach § 110 Abs. 1 SGB VII persönlich ersatzpflichtig. Da er fremdnützig für das Unternehmen des Vertretenen handele, sei es gerechtfertigt, das zivilrechtliche Repräsentationsprinzip der (Mit-)Haftung des Vertretenen (§§ 31, 278, 831 BGB) zu übertragen. Denn ein Sondervermögen, für das im Wirtschaftsverkehr gehandelt werde, müsse die Vor- und Nachteile seiner Verselbständigung (mit-)tragen (vgl. Karmanski, in NK-ArbR, 2. Aufl., SGB VII § 111 Rn. 1; Ricke, in BeckOGK, Stand , SGB VII, § 111 Rn. 3). Zusätzlicher Grund sei, dass die anderenfalls nur haftenden Vertreter die unter Umständen hohen Schadenssummen selbst nicht tragen könnten, die Unternehmen als zusätzliche Schuldner selbst aber eher dazu in der Lage seien (vgl. Ricke, in BeckOGK, Stand , SGB VII, § 111 Rn. 3).

20bb) Dieser Auffassung schließt sich der Senat nicht an. Die Übertragung der zu § 31 BGB entwickelten Grundsätze der Repräsentantenhaftung auf § 111 Satz 1 SGB VII überschritte die Grenzen richterlicher Gesetzesauslegung und Rechtsfortbildung.

21(1) Der Richter darf sich nicht dem vom Gesetzgeber festgelegten Sinn und Zweck des Gesetzes entziehen. Er muss die gesetzgeberische Grundentscheidung respektieren und den Willen des Gesetzgebers möglichst zuverlässig zur Geltung bringen. Er hat hierbei den anerkannten Methoden der Gesetzesauslegung zu folgen. Eine Interpretation, die als richterliche Rechtsfortbildung den klaren Wortlaut des Gesetzes hintanstellt, keinen Widerhall im Gesetz findet und vom Gesetzgeber nicht ausdrücklich oder - bei Vorliegen einer erkennbar planwidrigen Gesetzeslücke - stillschweigend gebilligt wird, greift unzulässig in die Kompetenzen des demokratisch legitimierten Gesetzgebers ein (vgl. BVerfGE 128, 193, juris Rn. 53 mwN). Hat der Gesetzgeber eine eindeutige Entscheidung getroffen, darf der Richter diese nicht aufgrund eigener rechtspolitischer Vorstellungen verändern und durch eine judikative Lösung ersetzen, die so im Parlament nicht erreichbar war (vgl. BVerfGE 82, 6, juris Rn. 20 mwN).

22(2) Nach § 31 BGB ist der Verein für den Schaden verantwortlich, den der Vorstand, ein Mitglied des Vorstands oder ein anderer verfassungsmäßig berufener Vertreter durch eine in Ausführung der ihm zustehenden Verrichtungen begangene, zum Schadensersatz verpflichtende Handlung einem Dritten zufügt. Oberbegriff ist mithin der "verfassungsmäßig berufene Vertreter" (vgl. Offenloch, in BeckOGK, Stand , § 31 BGB Rn. 44). Über den Wortlaut des § 31 BGB hinaus hat die Rechtsprechung eine Repräsentantenhaftung für solche Personen entwickelt, denen durch die allgemeine Betriebsregelung und Handhabung bedeutsame, wesensmäßige Funktionen der juristischen Person zur selbständigen, eigenverantwortlichen Erfüllung zugewiesen sind, so dass sie die juristische Person im Rechtsverkehr repräsentieren. Da es der juristischen Person nicht freisteht, selbst darüber zu entscheiden, für wen sie ohne Entlastungsmöglichkeit haften will, kommt es nicht entscheidend auf die Frage an, ob die Stellung des "Vertreters" in der Satzung der Körperschaft vorgesehen ist oder ob er über eine entsprechende rechtsgeschäftliche Vertretungsmacht verfügt (vgl. , BGHZ 196, 340 Rn. 12; vom - IX ZR 218/05, BGHZ 172, 169 Rn. 16; vom - VII ZR 82/65, BGHZ 49, 19, juris Rn. 11; Leuschner, in MüKoBGB, 9. Aufl., § 31 Rn. 14 f.; jew. mwN).

23(3) Im Vergleich zu § 31 BGB ist der Wortlaut des § 111 Satz 1 SGB VII enger. Er erfasst neben dem Mitglied eines vertretungsberechtigten Organs nur Abwickler oder Liquidatoren juristischer Personen. Insbesondere enthält § 111 Satz 1 SGB VII im Gegensatz zu § 31 BGB ("verfassungsmäßig berufene Vertreter") keinen Oberbegriff.

24(4) Aus der Gesetzgebungshistorie ergeben sich keine Anhaltspunkte dafür, dass der Gesetzgeber auch bei § 111 Satz 1 SGB VII von einer Repräsentantenhaftung ausgeht.

25Vorgängerregelung des § 111 Satz 1 SGB VII war § 641 RVO, dem wiederum § 904 RVO a.F. voranging. Nach § 904 Satz 1 RVO a.F. haften als Unternehmer auch (1.) eine Aktiengesellschaft, ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, eine eingetragene Genossenschaft, eine Innung oder andere juristische Person für die durch ein Mitglied des Vorstands, (2.) eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung für die durch einen Geschäftsführer, (3.) eine andere Handelsgesellschaft für die durch einen Gesellschafter, der zur Geschäftsführung berechtigt ist, (4.) im Falle der Liquidation eine Handelsgesellschaft, ein Versicherungsverein auf Gegenseitigkeit, eine eingetragene Genossenschaft, eine Innung oder andere juristische Person für die durch einen der Liquidatoren herbeigeführten Unfälle, wenn diese Personen dabei eine ihnen zustehende Verrichtung ausgeführt haben. Bereits der Wortlaut des § 904 RVO a.F. erfasste ausschließlich das Verschulden organschaftlicher und gesetzlicher Vertreter (vgl. , VersR 1968, 305, juris Rn. 27 [zu § 904 RVO a.F.]). In den Materialien zu § 904 RVO a.F. heißt es lediglich, die Vorschrift wolle "neben der Haftung der Bevollmächtigten, Repräsentanten usw., zu denen auch die Geschäftsführer gehören, die Haftverbindlichkeit der Gesellschaft selbst begründen" (vgl. Reichstagsprotokoll, 12. Legislaturperiode, Band 274, zu Nr. 340 S. 334 [zu § 902 RVO-E]). Soweit § 904 Satz 1 RVO a.F. in Anlehnung an die Vorschrift des § 31 BGB gefasst wurde, beschränkt sich dies auf die abschließende Formulierung "[…], wenn diese Personen dabei eine ihnen zustehende Verrichtung ausgeführt haben." (vgl. Reichstagsprotokoll, 12. Legislaturperiode, Band 274, zu Nr. 340 S. 333 f. [zu § 902 RVO-E]). Zudem sollte eine Haftung der Handelsgesellschaften für nicht geschäftsführende Gesellschafter ausgeschlossen sein (vgl. Reichstagsprotokoll, 12. Legislaturperiode, Band 274, zu Nr. 340 S. 334 [zu § 902 RVO-E]).

26Gemäß § 641 RVO (i.d.F. vom , BGBl. I S. 241, 262) haftet nach Maßgabe des § 640 RVO auch der Vertretene, wenn ein Mitglied eines vertretungsberechtigten Organs, ein Abwickler oder Liquidator einer juristischen Person, ein vertretungsberechtigter Gesellschafter oder ein Liquidator einer Personengesellschaft des Handelsrechts oder ein gesetzlicher Vertreter des Unternehmers in Ausführung einer ihm zustehenden Verrichtung den Arbeitsunfall vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht hat. Die Neuregelung in § 641 RVO sollte grundsätzlich § 904 RVO a.F. entsprechen und die Haftung lediglich entsprechend der Erweiterung der Unfallversicherung auf alle Unternehmensträger erstrecken sowie klarstellen, dass eine Haftung nur bei vorsätzlicher oder grob fahrlässiger Herbeiführung besteht (vgl. BT-Drucks. 02/3318, S. 100 und 03/758, S. 61; Etmer/Schulz, RVO, 14. EL, § 641 Ziffer 2.).

27Zur Einführung des § 111 SGB VII heißt es, dass die Vorschrift in entsprechender Anwendung des § 110 SGB VII die Haftung des Unternehmens bei einem vorsätzlichen oder grob fahrlässigen Verschulden seiner Vertreter wie im geltenden Recht (§ 641 RVO) regele (vgl. BT-Drucks. 13/2204, S. 101). Mit der Formulierung "jedoch nur bis zur Höhe des zivilrechtlichen Schadensersatzes" in § 110 Abs. 1 Satz 1 SGB VII sollte ausdrücklich keine Angleichung, sondern ausschließlich eine Beschränkung des Umfangs der Haftung erreicht werden (vgl. BT-Drucks. 13/2204, S. 101; Senat, Beschluss vom - VI ZR 578/15, juris; Urteile vom - VI ZR 70/07, NJW 2008, 2033 Rn. 13; vom - VI ZR 143/05, BGHZ 168, 161 Rn. 11, 14 f.). Auch die Materialien zur letzten Änderung des § 111 SGB VII anlässlich der gesetzlichen Anerkennung der Rechtsfähigkeit der Gesellschaft bürgerlichen Rechts in der ab geltenden Fassung (Achtes Gesetz zur Änderung des Vierten Buches Sozialgesetzbuch und anderer Gesetze vom , BGBl. I S. 2794), wonach der Haftung auch rechtsfähige Personengesellschaften unterfallen, verhalten sich nicht zur Zurechnung der Haftung (vgl. BT-Drucks. 20/3900, S. 105).

28Demgegenüber hat die Repräsentantenhaftung bei Auslegung und Anwendung des § 31 BGB eine lange Rechtsprechungsgeschichte (vgl. nur die Nachweise bei , BGHZ 49, 19, juris Rn. 11; siehe weiter Offenloch, in BeckOGK, Stand , § 31 BGB Rn. 44.1 ["gewohnheitsrechtlich anerkannt"]; Leuschner, in MüKoBGB, 9. Aufl., § 31 Rn. 2 ["gewohnheitsrechtlich verfestigt"]). Wenn der Gesetzgeber im Zusammenhang mit § 111 SGB VII und den Vorgängervorschriften darauf hätte zurückgekommen wollen, hätte dazu nicht nur reichlich Gelegenheit, sondern sogar mehrfach Anlass bestanden.

29Im Übrigen gibt es keinen allgemein geltenden Grundsatz der Repräsentantenhaftung (vgl. etwa in versicherungsrechtlichen Zusammenhängen BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 293/23, ZfS 2024, 285 Rn. 11; vom - IV ZR 110/12, ZfS 2013, 633 Rn. 12 f.; , VersR 2011, 1003 Rn. 29 f.).

30(5) Eine erweiternde Auslegung oder analoge Anwendung des § 111 Satz 1 SGB VII im Sinne einer Repräsentantenhaftung widerspräche der Gesetzessystematik.

31Der Gesetzgeber hat den Rückgriffsanspruch der Sozialversicherungsträger gemäß §§ 110 ff. SGB VII besonders ausgestaltet (vgl. , VersR 2022, 512 Rn. 17; vom - III ZR 178/65, VersR 1968, 305, juris Rn. 27 [zu § 904 RVO a.F.]). Die Regelungen der §§ 104 ff. SGB VII bilden ein in sich geschlossenes System. Das gilt insbesondere für die Regressvorschriften der §§ 110 f. SGB VII, die den Rückgriff eigenständig und ohne Anlehnung an andere Regressmodelle regeln (vgl. Senat, Urteil vom - VI ZR 296/81, VersR 1985, 237, juris Rn. 9 [zu §§ 636 ff. RVO]).

32Bei dem Rückgriffsanspruch gemäß § 110 Abs. 1, § 111 Satz 1 SGB VII handelt es sich nicht um einen übergeleiteten Schadensersatzanspruch des Verletzten, sondern um einen originären, selbständigen Anspruch des Sozialversicherungsträgers (siehe oben III.1.). Die Vorschrift des § 111 Satz 1 SGB VII begründet eine Haftung der juristischen Person nach Maßgabe des § 110 SGB VII, indem dieser das Verschulden ihrer vertretungsberechtigten Organe zugerechnet wird (vgl. , VersR 2022, 512 Rn. 15). Der Gesetzgeber hat den Rückgriffsanspruch der Sozialversicherungsträger gemäß §§ 110 ff. SGB VII besonders ausgestaltet und dabei von einer weitergehenden Zurechnungsnorm abgesehen. Daher verbietet sich eine über § 111 SGB VII hinausgehende Zurechnung des Verschuldens sonstiger Personen nach anderen Vorschriften (vgl. , VersR 2022, 512 Rn. 17 [zu § 278 BGB]; vom - III ZR 178/65, VersR 1968, 305, juris Rn. 27 [zu § 904 RVO a.F.]).

33Nach § 111 Satz 1 SGB VII werden einer rechtsfähigen Personengesellschaft ausschließlich das Verhalten vertretungsberechtigter Gesellschafter und Unternehmern ausschließlich das Verhalten gesetzlicher Vertreter zugerechnet.

34(6) Sinn und Zweck der gesetzlichen Regelung sprechen nicht für eine erweiternde Auslegung oder analoge Anwendung des § 111 Satz 1 SGB VII.

35Die §§ 110 f. SGB VII erfüllen im System der Haftung nach §§ 104 ff. SGB VII einen spezifischen Zweck. Es erschien dem Gesetzgeber angemessen, die Sozialversicherungsträger nur dann für ihre satzungsgemäßen Aufwendungen zu Lasten des verantwortlichen Schädigers schadlos zu stellen, wenn der Schädiger den Schadensfall durch ein besonders zu missbilligendes Verhalten herbeigeführt hat, andererseits bei Vorliegen dieser Rückgriffsvoraussetzungen den Regress ihrem pflichtgemäßen Ermessen anheim zu geben (§ 110 Abs. 2 SGB VII). Damit verliert hier der das Schadensersatzrecht beherrschende Ausgleichsgedanke an Gewicht. Ersatz soll dem Sozialversicherungsträger im Wesentlichen aus präventiven, erzieherischen Gründen gewährt werden. Diese spezifische Zweckbestimmung gibt den §§ 110 f. SGB VII ihr Gepräge (vgl. Senat, Urteile vom - VI ZR 369/19, VersR 2020, 1476 Rn. 7; vom - VI ZR 212/07, NJW 2009, 681 Rn. 31; vom - VI ZR 143/05, BGHZ 168, 161 Rn. 8 f.; vom - VI ZR 34/02, BGHZ 154, 11, juris Rn. 22 f. [jew. zu §§ 104 ff. SGB VII]; vom - VI ZR 296/81, VersR 1985, 237, juris Rn. 10; vom - VI ZR 238/78, BGHZ 75, 328, juris Rn. 9; vom - VI ZR 216/69, BGHZ 57, 96, juris Rn. 15 [jew. zu §§ 636 ff. RVO]; siehe weiter , VersR 2022, 512 Rn. 17).

36Danach soll § 111 Satz 1 SGB VII keinen umfassenden Rückgriff nach schadensersatzrechtlichen Grundsätzen gewährleisten. Es kann gerade nicht davon ausgegangen werden, dass in diesem Regelungszusammenhang ein Sondervermögen neben Vorteilen auch Nachteile seiner Verselbständigung nach dem haftungsrechtlichen Repräsentationsprinzip tragen muss.

37Schließlich spricht für die Übertragung der zu § 31 BGB entwickelten Grundsätze der Repräsentantenhaftung auf § 111 Satz 1 SGB VII nicht, dass ein nach § 111 Satz 2, § 110 Abs. 1 Satz 1 SGB VII Haftender (zumindest regelmäßig) allein die hohe Haftungssumme nicht tragen könnte. Zwar können dem persönlich Haftenden weitere Haftende wirtschaftlich zu Gute kommen und kann deren wirtschaftliche Leistungsfähigkeit bei der Ermessenausübung gemäß § 110 Abs. 2 SGB VII berücksichtigt werden. Allerdings ist diese Entlastungswirkung nicht Regelungszweck des § 111 Satz 1 SGB VII. Zudem wäre nicht zu erklären, warum auf diesem Wege nur der für eine juristische Person Handelnde entlastet werden soll.

38(7) Nach alledem ist nicht von einer gesetzlichen Lücke auszugehen, die durch eine Analogie geschlossen werden könnte. Es obliegt dem Gesetzgeber, über eine angemessene Haftungsverteilung zu entscheiden.

393. Das Urteil des Berufungsgerichts ist aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Der Senat entscheidet selbst in der Sache, da sie zur Endentscheidung reif ist (§ 563 Abs. 3 ZPO). Die Klägerin hat ihre Klage darauf gestützt, dass der Beklagten das Verhalten ihres Fuhrparkleiters H. zuzurechnen sei. Darüber hinaus hat sie nicht geltend gemacht, dass ein Mitglied eines vertretungsberechtigten Organs der Beklagten den Versicherungsfall vorsätzlich oder grob fahrlässig verursacht habe.

Seiters                       von Pentz                     Müller

               Allgayer                           Böhm

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:110624UVIZR133.23.0

Fundstelle(n):
CAAAJ-71703