BGH Urteil v. - 6 StR 71/24

Bedeutung der Tatmotivation beim bedingten Tötungsvorsatz

Gesetze: § 211 StGB, § 212 StGB, § 261 StPO

Instanzenzug: Az: 39 Ks 7/23

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen versuchten Mordes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung (Tat vom 4./ zum Nachteil der Mutter des Angeklagten) und wegen gefährlicher Körperverletzung „in zwei rechtlich zusammentreffenden Fällen“ (Tat vom zum Nachteil der Geschädigten D.       und H.      ) zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sechs Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision wendet sich die Staatsanwaltschaft dagegen, dass hinsichtlich der Tat vom eine Verurteilung des Angeklagten wegen versuchten Mordes unterblieben ist. Das vom Generalbundesanwalt vertretene Rechtsmittel hat Erfolg.

I.

2Nach den Feststellungen war der Angeklagte mehr als 20 Jahre lang 1. Konzertmeister eines renommierten Sinfonieorchesters, dem auch die mit ihm befreundeten Geschädigten D.     und H.       angehörten. Seit 2014 gestaltete sich seine berufliche Situation schwierig, weil er sich von einem neuen Generalmusikdirektor und dem mit ihm konkurrierenden 2. Konzertmeister zunehmend gemobbt und schikaniert fühlte. Die daraus resultierenden Auseinandersetzungen, bei denen ihn D.       und H      nach seinem Empfinden nicht hinreichend unterstützten, führten bei dem Angeklagten zu psychischen Problemen, die ihn Ende 2018 dazu veranlassten, seine Stelle als 1. Konzertmeister aufzugeben und unter Reduzierung seiner beruflichen Tätigkeit um die Hälfte eine untergeordnete Position im Orchester einzunehmen.

3Nachdem der bisherige 2. Konzertmeister kommissarisch zu seinem Nachfolger bestellt worden war und gute Aussichten hatte, diese Position dauerhaft zu bekleiden, entwickelte der Angeklagte ihm gegenüber Hassgefühle und Tötungsphantasien. Er informierte sich im Internet über Giftstoffe und stieß hierbei auf ein in China erhältliches Rattengift mit dem Wirkstoff Brodifacoum, durch dessen Einnahme die Gerinnungshemmung im Körper aufgehoben wird, so dass es nach einiger Zeit zu Blutungen aus inneren Organen, Schleimhäuten und Körperhöhlen kommt; bereits eine Menge von 56 Milligramm ist als potentiell tödlich einzustufen. Im November 2019 erwarb er über eine Handelsplattform im Internet 20 Gramm des in Deutschland nicht frei erhältlichen Rattengifts, um es seinem früheren Konkurrenten beizubringen und ihn dadurch „für eine Weile außer Gefecht zu setzen“, wobei ihm dessen möglicher Tod gleichgültig war. Er machte sich eine Zeitlang konkrete Gedanken darüber, wie er die Tat ausführen könnte, sah letztlich aber aus nicht bekannten Gründen davon ab.

4Am 4. und besuchte der Angeklagte seine seit geraumer Zeit in einer Senioreneinrichtung lebende Mutter und mischte einen Teil des weiterhin in seinem Besitz befindlichen Rattengifts in ein von ihr konsumiertes Lebensmittel, wobei er ihren Tod zumindest billigend in Kauf nahm. Zum Motiv seines Handelns konnte das Landgericht keine Feststellungen treffen. Einige Tage nach der Tat kam es bei der Mutter des Angeklagten zu lebensgefährlichen Blutungen. Ihr Leben konnte jedoch gerettet werden, indem sie sechs Monate lang mit Vitamin K, dem Gegenmittel gegen Brodifacoum, behandelt wurde. Dieses Geschehen hat das Landgericht als versuchten Heimtückemord in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gewertet.

5Am reichte der Angeklagte auf einer Busfahrt im Anschluss an ein gemeinsames Konzert seinen Kollegen D.     und H.       einen von ihm zubereiteten Frischkäsedipp zum Verzehr, in den er zuvor eine nicht konkret bestimmbare Menge des Rattengifts gemischt hatte. Bei beiden kam es einige Tage später ebenfalls zu anhaltenden Blutungen. Sie wurden in ein Krankenhaus eingeliefert, wo die Vergiftung festgestellt wurde. Auch ihr Leben konnte durch eine monatelange Behandlung mit Vitamin K gerettet werden.

6Im Hinblick auf die zum Nachteil der Geschädigten D.     und H.      begangene Tat ist das Landgericht davon ausgegangen, dass der Angeklagte ihnen wegen ihrer aus seiner Sicht mangelnden Unterstützung bei seinen Problemen mit dem Generalmusikdirektor und dem 2. Konzertmeister lediglich „einen Denkzettel verpassen“, sie aber nicht tödlich verletzen wollte. Durch die Verabreichung des Giftes habe er bei ihnen schmerzhafte und potentiell lebensgefährliche Symptome in Form von schwer zu kontrollierenden Blutungen hervorrufen wollen. In Kenntnis der potentiellen Lebensgefahr habe er aber aufgrund des im Vergleich mit seiner hochbetagten Mutter deutlich „jüngeren Alters“ und der vergleichsweise guten körperlichen Fitness der Geschädigten darauf vertraut, dass sich die Gefahr nicht realisieren werde. Er habe ihnen zwar ernsthaft schaden und Sorgen bereiten wollen. Aufgrund der körperlichen Konstitution und Kenntnis von der verzögerten Wirkweise des Giftes habe er aber – anders als bei seiner Mutter – nicht ernsthaft mit Stürzen gerechnet, die zu inneren oder äußeren Blutungen hätten führen können, sondern darauf vertraut, dass D.      und H.      sich bei wahrnehmbaren Symptomen selbständig in ärztliche Behandlung begeben würden und es zu der Behandlung mit Vitamin K kommen werde, wie es dann tatsächlich auch geschehen sei.

II.

7Die wirksam auf die Verurteilung des Angeklagten wegen der Tat vom6. September 2022 beschränkte Revision der Staatsanwaltschaft ist begründet.

81. Die Annahme des Landgerichts, dass der Angeklagte im Hinblick auf die Geschädigten D.        und H.       nicht mit (bedingtem) Tötungsvorsatz handelte, entbehrt einer tragfähigen Beweiswürdigung.

9a) Die Beweiswürdigung ist Sache des Tatgerichts (§ 261 StPO). Die revisionsgerichtliche Prüfung beschränkt sich darauf, ob dem Tatgericht Rechtsfehler unterlaufen sind, weil die Beweiswürdigung lückenhaft, in sich widersprüchlich oder unklar ist, gegen Denkgesetze oder Erfahrungssätze verstößt oder weil an die zur Verurteilung erforderliche Gewissheit übertriebene Anforderungen gestellt worden sind. Rechtsfehlerhaft ist die Beweiswürdigung insbesondere dann, wenn eine nach den Feststellungen naheliegende Schlussfolgerung nicht gezogen worden ist, ohne dass konkrete Gründe angeführt sind, die dieses Ergebnis stützen können. Das Tatgericht darf bei der Überzeugungsbildung Zweifeln keinen Raum geben, die lediglich auf einer abstrakt-theoretischen Möglichkeit gründen. Es ist weder im Hinblick auf den Zweifelssatz noch sonst geboten, zugunsten des Angeklagten von Annahmen auszugehen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten Anhaltspunkte erbracht hat (st. Rspr.; vgl. etwa , Rn. 19; vom – 6 StR 479/23, Rn. 10, jeweils mwN).

10b) Daran gemessen erweist sich die der Verneinung des Tötungsvorsatzes zugrundeliegende Beweiswürdigung des Landgerichts als durchgreifend rechtsfehlerhaft. Es ist bei seiner Überzeugungsbildung zugunsten des Angeklagten von Annahmen ausgegangen, für deren Vorliegen das Beweisergebnis keine konkreten tatsächlichen Anhaltspunkte ergeben hat; zudem sind die Beweiserwägungen des Landgerichts insoweit lückenhaft.

11aa) Dies gilt zunächst für die Annahme des Landgerichts, dass der Angeklagte den Geschädigten D.        und H.       wegen der nach seinem Empfinden unzureichenden Unterstützung bei den Auseinandersetzungen mit dem Generalmusikdirektor und dem 2. Konzertmeister lediglich einen „Denkzettel“ habe erteilen wollen, um sie durch Zufügung schmerzhafter und potentiell lebensgefährlicher Symptome zu bestrafen, aber nicht zu töten. Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass der Angeklagte dieses Vorstellungsbild hatte, lassen sich den Urteilsgründen nicht entnehmen. Sie ergeben sich insbesondere nicht aus den Angaben des den Tatvorwurf bestreitenden Angeklagten. Unabhängig davon, ob aus dem Aussageverhalten des Angeklagten ansonsten Schlüsse gezogen werden dürfen, bedeutet dies nicht, dass zu seinen Gunsten von Annahmen auszugehen ist, für die es keine tatsächlichen Anhaltspunkte gibt (vgl. dazu , NStZ-RR 2005, 147, 148). Im Übrigen erweisen sich die Beweiserwägungen des Landgerichts zu dem Vorstellungsbild des Angeklagten insoweit als lückenhaft, als es nicht in den Blick genommen hat, dass die Auseinandersetzungen des Angeklagten mit dem Generalmusikdirektor und dem 2. Konzertmeister, bei denen er sich von D.      und H.       nicht ausreichend unterstützt gefühlt hatte, im Tatzeitpunkt bereits Jahre zurücklagen.

12bb) Gleiches gilt für die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe in Kenntnis seines potentiell lebensgefährlichen Vorgehens im Hinblick auf die im Vergleich mit seiner Mutter deutlich jüngeren Kollegen und deren „vergleichsweise gute körperliche Fitness“ darauf vertraut, dass sich die Gefahr nicht realisieren werde. Zu dem Gesundheitszustand der Geschädigten D.     und H.       vor der Vergiftung hat das Landgericht keine Feststellungen getroffen, und den Urteilsgründen ist nicht zu entnehmen, dass diese oder der Angeklagte dazu Angaben gemacht haben.

13In diesem Zusammenhang hat es zudem nicht erkennbar bedacht, dass der Angeklagte hinsichtlich der ursprünglich beabsichtigten Vergiftung des 2. Konzertmeisters mit dem Rattengift einen tödlichen Verlauf billigend in Kauf genommen hätte. Den Urteilsfeststellungen lässt sich nicht entnehmen, dass der 2. Konzertmeister deutlich älter oder aus anderen Gründen vulnerabler war als D.       und H.       . Warum der Angeklagte bei ihnen dennoch ernsthaft auf einen nicht tödlichen Verlauf vertraut haben soll, erschließt sich nicht und hätte näherer Erörterung bedurft.

14Die unterschiedliche Bewertung ergibt sich nicht ohne Weiteres daraus, dass der Angeklagte gegen den 2. Konzertmeister eine tiefe Abneigung entwickelt hatte, während er mit D.      und H.       befreundet war. Dieser Umstand ist für sich genommen nicht geeignet, einen bedingten Tötungsvorsatz zu verneinen. Zwar ist bei der Würdigung des Willenselements des Tötungsvorsatzes regelmäßig auch die Motivation des Täters in die Betrachtung miteinzubeziehen (vgl. , BGHR StGB § 212 Abs. 1 Vorsatz, bedingter 51). Da aber mit bedingtem Tötungsvorsatz handelnde Täter regelmäßig über kein Tötungsmotiv verfügen (vgl. , Rn. 10; vom – 4 StR 608/11, Rn. 20; vom – 5 StR 344/05, Rn. 21), kommt dem jeweiligen Handlungsantrieb nur insoweit Bedeutung zu, als dieser Rückschlüsse auf die Stärke des vom Täter empfundenen Tatanreizes und damit auch auf seine Bereitschaft zur Inkaufnahme schwerster Folgen zulässt (vgl. , Rn. 14; vom − 4 StR 347/13, Rn. 29, NStZ 2014, 147; vom – 4 StR 608/11, Rn. 20).

15cc) Auch die Annahme des Landgerichts, der Angeklagte habe darauf vertraut, dass D.      und H.       sich bei wahrnehmbaren Symptomen selbständig in ärztliche Behandlung begeben würden und ihnen rechtzeitig Vitamin K verabreicht werde, entbehrt einer tatsächlichen Grundlage. Sie ergibt sich insbesondere nicht aus den Angaben des Angeklagten. Er hat sich vielmehr dahin eingelassen, zwar gewusst zu haben, dass es Gegenmittel gegen Brodifacoum gebe, Vitamin K sei ihm in diesem Zusammenhang aber „nicht geläufig“ gewesen. Im Übrigen sind die Beweiserwägungen des Landgerichts auch in diesem Punkt lückenhaft. Denn es hat sich insoweit nicht mit den von ihm als zutreffend bewerteten Ausführungen der toxikologischen und rechtsmedizinischen Sachverständigen auseinandergesetzt, wonach die durch Rattengift hervorgerufene Einschränkung der Blutgerinnungsfähigkeit schon deutlich vor nach außen erkennbaren Symptomen zu inneren Blutungen führen und „das geringste alltägliche Bagatelltrauma“ eine tödliche Blutung zur Folge haben kann.

162. Die Aufhebung des Urteils im Hinblick auf die am zum Nachteil der Geschädigten D.      und H.        begangene Tat erfasst den für sich genommen rechtsfehlerfreien Schuldspruch wegen gefährlicher Körperverletzung und zieht die Aufhebung des Ausspruchs über die Gesamtstrafe nach sich. Insoweit bedarf die Sache neuer Verhandlung und Entscheidung. Die Feststellungen zum äußeren Tatgeschehen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen und können deshalb bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO); sie können durch ihnen nicht widersprechende ergänzt werden.

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:260624U6STR71.24.0

Fundstelle(n):
KAAAJ-71680