Eintritt des tatbestandsmäßigen Gefährdungserfolgs beim Tatbestand der Gefährdung des Straßenverkehrs
Gesetze: § 315c Abs 1 StGB
Instanzenzug: LG Wuppertal Az: 21 KLs 6/23
Gründe
1Das Landgericht hat die Angeklagten sowie einen nicht revidierenden Mitangeklagten des schweren Raubes in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung schuldig gesprochen. Den Angeklagten P. hat es daneben wegen einer weiteren Tat der gefährlichen Körperverletzung und den Angeklagten A. wegen zweier weiterer Taten, nämlich des versuchten besonders schweren Raubes in Tateinheit mit Sachbeschädigung sowie der „Gefährdung des Straßenverkehrs“ in Tateinheit mit „Fahren ohne Fahrerlaubnis“ und mit Körperverletzung, schuldig gesprochen. Es hat alle Angeklagten zu Jugendstrafen verurteilt, deren Vollstreckung hinsichtlich der Angeklagten K. und Ab. zur Bewährung ausgesetzt worden ist; den Angeklagten A. hat es zu einer Einheitsjugendstrafe von vier Jahren und sechs Monaten und den Angeklagten P. unter Einbeziehung einer früheren Verurteilung zu einer solchen von vier Jahren und drei Monaten verurteilt. Ferner hat die Jugendkammer eine Sperrfrist für die Erteilung einer Fahrerlaubnis an den Angeklagten A. bestimmt und Einziehungsentscheidungen getroffen. Die auf Verfahrensbeanstandungen sowie die Rüge der Verletzung materiellen Rechts gestützten Revisionen erzielen den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg und sind im Übrigen unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
21. Die Verfahrensrügen der Angeklagten K. und P. sind aus den Gründen der Antragsschriften des Generalbundesanwalts jedenfalls unbegründet.
32. Der Schuldspruch gegen den Angeklagten A. hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung teilweise nicht stand. Die Verurteilung wegen (vorsätzlicher) Gefährdung des Straßenverkehrs gemäß § 315c Abs. 1 Nr. 2 d) StGB im Fall II.4. der Urteilsgründe wird von den Feststellungen nicht getragen.
4a) Nach diesen steuerte der Angeklagte im öffentlichen Straßenverkehr einen Mietwagen, in dessen Besitz er unrechtmäßig gelangt war und der außer ihm mit drei weiteren Insassen besetzt war. Als das Fahrzeug einer Polizeikontrolle unterzogen werden sollte, flüchtete der Angeklagte mit stark überhöhter Geschwindigkeit und unter Missachtung von Verkehrsregeln. Während seiner Fluchtfahrt hielt er es für möglich, dass seine gefährliche Fahrweise zu einem Unfall und damit zu einer Verletzung seiner Mitinsassen führen könnte, ordnete deren Gesundheit jedoch seinem Fluchtziel unter. Im Bereich einer rechtwinklig verlaufenden Linkskurve, wo die Einsicht in die nach links weiterführende Straße durch eine „heckenähnliche Anpflanzung verschiedener Bäume“ am Straßenrand fast vollständig verdeckt war, befand sich eine Verkehrsinsel, über die ein Fahrradweg führte. Dort kam der Angeklagte „aufgrund seiner grob verkehrswidrigen und rücksichtslosen Fahrweise in Form einer nach wie vor deutlich überhöhten Geschwindigkeit“ von der Fahrbahn ab und der von ihm gesteuerte Mietwagen kollidierte mit dem Bordstein der Verkehrsinsel, wodurch beide rechte Reifen des Fahrzeugs beschädigt wurden. Der Angeklagte verlor die Kontrolle über dieses, so dass es beinahe zu der Kollision mit einem weiteren Verkehrsteilnehmer gekommen wäre. Er setzte seine Flucht gleichwohl fort, konnte kurz darauf aber von der Besatzung des ihn verfolgenden Polizeiwagens gestellt werden, wobei eine Polizeibeamtin verletzt wurde.
5b) Diese Feststellungen belegen die Voraussetzungen einer (vorsätzlichen) Gefährdung des Straßenverkehrs im Sinne des § 315c Abs. 1 Nr. 2 d) StGB nicht. Denn sie ergeben nicht, dass der von dem Straftatbestand vorausgesetzte Gefahrerfolg eingetreten und gerade durch die Tathandlung bewirkt worden ist.
6aa) Die Vorschrift des § 315c Abs. 1 StGB setzt in allen Tatvarianten eine konkrete Gefährdung von Leib oder Leben eines anderen oder fremder Sachen von bedeutendem Wert voraus. Dies ist nach gefestigter Rechtsprechung der Fall, wenn die Tathandlung über die ihr innewohnende latente Gefährlichkeit hinaus in eine kritische Situation geführt hat, in der – was nach allgemeiner Lebenserfahrung auf Grund einer objektiv nachträglichen Prognose zu beurteilen ist – die Sicherheit einer bestimmten Person oder Sache so stark beeinträchtigt wurde, dass es nur noch vom Zufall abhing, ob das Rechtsgut verletzt wurde oder nicht. Erforderlich ist die Feststellung eines „Beinahe-Unfalls“, also eines Geschehens, bei dem ein unbeteiligter Beobachter zu der Einschätzung gelangt, es sei „noch einmal gut gegangen“ (st. Rspr.; vgl. zum Ganzen nur Rn. 5 mwN).
7Hieran gemessen fehlt es an Feststellungen, die den tatbestandsmäßigen Gefährdungserfolg belegen. Das Landgericht hat in seiner rechtlichen Würdigung darauf abgestellt, dass der Kontrollverlust des Angeklagten über das Fahrzeug dessen Kollision mit dem Bordstein der Verkehrsinsel zur Folge gehabt habe, was zum Platzen zweier Reifen geführt „und damit Leib und Leben der Fahrzeuginsassen in die konkrete Gefahr einer Verletzung gebracht“ habe. Dabei hat das Landgericht zwar zutreffend angenommen, dass die Mitfahrer des Angeklagten A. – anders als das von ihm geführte fremde Fahrzeug – vom Schutzbereich des § 315c Abs. 1 StGB erfasst waren, denn sie hatten nach den Feststellungen weder in die Rechtsgutsgefährdung eingewilligt noch waren sie tatbeteiligt (vgl. zu beiden Tatobjekten nur Rn. 5 f. mwN). Letzteres würde auch dann gelten, wenn der festgestellte Umstand, dass einer der Mitfahrer das Geschehen mit seinem Mobiltelefon filmte, die Annahme einer psychischen Beihilfe tragen sollte; denn diese würde eine Tatbeteiligung jedenfalls der weiteren Mitinsassen des Fahrzeugs nicht begründen können.
8Allerdings kann den Urteilsfeststellungen nicht entnommen werden, dass das Kollisionsgeschehen an der Verkehrsinsel oder eine andere während der Fahrt eingetretene Situation die Fahrzeuginsassen in eine den obigen Anforderungen entsprechende Schadensnähe brachte, sie also nicht nur abstrakt, sondern konkret an Leib oder Leben gefährdet waren. Feststellungen dazu, welche körperliche Wirkung der Anstoß des Fahrzeugs an den Bordstein der Verkehrsinsel – der zwar zu einem Reifenschaden führte, die Fahrtauglichkeit des Mietwagens aber nicht aufhob – auf die Mitfahrer des Angeklagten hatte, hat das Landgericht nicht getroffen.
9bb) Ungeachtet dessen kann den Urteilsgründen auch nicht entnommen werden, dass ein etwaiger Gefährdungserfolg gerade auf der Tathandlung des § 315c Abs. 1 Nr. 2 d) StGB beruhte. Diese hat die Jugendkammer zwar rechtsfehlerfrei festgestellt. Die Urteilsgründe ergeben ohne weiteres, dass der Angeklagte A. im Bereich der Verkehrsinsel grob verkehrswidrig und rücksichtslos zu schnell fuhr und – in ihrem Gesamtzusammenhang – auch dass es sich hierbei um eine unübersichtliche Stelle im Sinne der Strafvorschrift handelte. Der objektive Tatbestand des § 315c Abs. 1 Nr. 2 d) StGB („und dadurch“) setzt aber darüber hinaus voraus, dass die konkrete Gefahr in einem inneren Zusammenhang mit den Risiken steht, die von der unübersichtlichen Stelle typischerweise ausgehen (vgl. Rn. 16 mwN). Dieser Gefahrverwirklichungszusammenhang ergibt sich aus den Feststellungen des Landgerichts nicht. Danach kam der Angeklagte im Bereich der Kurve, in der sich die Verkehrsinsel befand, aufgrund seiner deutlich überhöhten Geschwindigkeit von der Fahrbahn ab und kollidierte mit dem Bordstein. Dass diese Kollision durch die Unübersichtlichkeit der Unfallstelle – etwa durch ein hieraus resultierendes Übersehen der Verkehrsinsel – wenigstens mitverursacht wurde, ist damit nicht festgestellt.
10cc) Der Senat schließt aus, dass in einem zweiten Rechtsgang hinsichtlich des Eintritts einer konkreten Gefahr im Sinne von § 315c Abs. 1 StGB und ihrer Verursachung noch ergänzende Feststellungen getroffen werden können, die zur Annahme einer Strafbarkeit des Angeklagten nach § 315c Abs. 1 Nr. 2 d) StGB führen. Er lässt daher die tateinheitlich erfolgte Verurteilung wegen vorsätzlicher Gefährdung des Straßenverkehrs im Wege der Schuldspruchänderung analog § 354 Abs. 1 StPO entfallen.
11c) Die Aufhebung der Verurteilung wegen (vorsätzlicher) Gefährdung des Straßenverkehrs entzieht auch der Entscheidung über die Anordnung einer isolierten Sperre für die Erteilung einer Fahrerlaubnis gemäß § 69a StGB die Grundlage, denn das Landgericht hat die Sperrfrist maßgeblich darauf gestützt, dass § 315c StGB eine Katalogtat nach § 69 Abs. 2 StGB darstellt. Der Senat lässt die Maßregel insgesamt entfallen.
12d) Der Strafausspruch kann hingegen bestehen bleiben. Die Jugendkammer hat die Erforderlichkeit einer Jugendstrafe (§ 17 JGG) unter anderem auf die Schwere der Schuld gestützt und hierfür maßgeblich auf die Taten in den Fällen II.1. und 2. der Urteilsgründe abgestellt. Soweit sie zur Begründung der ebenfalls bejahten schädlichen Neigungen des Angeklagten A. unter anderem auch die Verkehrsstraftat (Fall II.4. der Urteilsgründe) herangezogen hat, hat sich ihre Argumentation allein auf die Durchführung der Autofahrt als solche, insbesondere die hierbei nach den rechtsfehlerfreien Feststellungen an den Tag gelegte Rücksichtslosigkeit, und nicht auf deren strafrechtliche Bewertung gestützt. Auch hinsichtlich der Dauer der Einheitsjugendstrafe (§ 18 JGG) hat das Landgericht nicht die Verwirklichung des Tatbestandes einer Gefährdung des Straßenverkehrs als maßgeblich erachtet, sondern die Strafhöhe – unter Berücksichtigung der Schwere der ersten beiden Taten – vor allem an dem Erfordernis der erzieherischen Einwirkung auf den Angeklagten orientiert. Der Senat kann daher ausschließen, dass das Landgericht ohne den Schuldspruch wegen (vorsätzlicher) Gefährdung des Straßenverkehrs zu einer niedrigeren Strafe gekommen wäre.
133. Der Einziehungsausspruch weist Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten auf. Die Einziehung des Wertes von Taterträgen aus der Tat zu Fall II.1. der Urteilsgründe kann keinen Bestand haben.
14a) Das Landgericht hat seine Entscheidung insoweit auf § 73 Abs. 1, § 73c StGB gestützt. Hinsichtlich des Angeklagten K. sind indes – wie der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift zutreffend ausgeführt hat – bereits die Voraussetzungen des § 73 Abs. 1 StGB nicht dargetan. Nach den Feststellungen zu Fall II.1. der Urteilsgründe überfielen die Angeklagten die Geschädigte in ihrer Wohnung, bedrohten sie mit vorgehaltenen Softair-Pistolen, misshandelten sie körperlich und entwendeten Bargeld im Wert von 2.400 Euro aus ihrer Wohnung. Der Angeklagte K. hatte die Wohnung bereits verlassen, als die anderen Angeklagten das Geld fanden und an sich nahmen. Dass er später auch nur einen Teil der Tatbeute erhalten hätte, hat das Landgericht nicht festgestellt, so dass eine die gegen ihn angeordnete Einziehung rechtfertigende Mitverfügungsgewalt des Angeklagten nicht ersichtlich ist.
15b) Überdies steht der Einziehung auch die Vorschrift des § 73e StGB entgegen, denn der Ersatzanspruch der Geschädigten ist gemäß § 362 Abs. 1 BGB durch Zahlung erloschen. Der Senat entnimmt jedenfalls der festgestellten Ausgleichszahlung des Angeklagten Ab. eine (zumindest) konkludente Tilgungsbestimmung dahingehend, dass sie gerade auf den Schadensersatzanspruch wegen des entwendeten Bargelds geleistet werden sollte; denn nur so ist die Identität der entwendeten und der geleisteten Summe (2.400 Euro) zu erklären. Anderenfalls würde allerdings die gesetzliche Tilgungsreihenfolge (§ 366 Abs. 2 BGB) aus den vom Generalbundesanwalt genannten Gründen zu keinem anderen Ergebnis führen. Bereits hierdurch sind gemäß § 422 Abs. 1 Satz 1 BGB – unbeschadet der Regelungen über den Gesamtschuldnerausgleich (§ 426 BGB) – auch die weiteren Angeklagten im Sinne des § 73e StGB freigeworden (vgl. Rn. 5).
16c) Die Aufhebung des Ausspruchs über die Einziehung des Wertes von Taterträgen ist unter dem letztgenannten Gesichtspunkt gemäß § 357 Satz 1 StPO auf den nichtrevidierenden Mitangeklagten Al. zu erstrecken.
174. Im Übrigen hat die Nachprüfung des Urteils aufgrund der Sachrügen keinen Rechtsfehler zum Nachteil der Angeklagten ergeben.
185. Der Senat hat davon abgesehen, den Beschwerdeführern die Kosten und Auslagen des Revisionsverfahrens aufzuerlegen (§ 74, § 109 Abs. 2 JGG). Der – heranwachsende – Beschwerdeführer Ab. hat gleichwohl die der Nebenklägerin im Revisionsverfahren entstandenen notwendigen Auslagen zu tragen (vgl. Rn. 7 mwN).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:190624B4STR73.24.0
Fundstelle(n):
LAAAJ-71256