BGH Urteil v. - VIa ZR 511/21

Instanzenzug: Az: 16a U 205/21vorgehend Az: 20 O 178/20

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Der Kläger erwarb im Juli 2017 - kreditfinanziert - von einem Dritten einen VW Tiguan 2.0 TDI 4Motion als Neuwagen (Kilometerstand: 10 km), der mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 288 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist. Die Beklagte hat sowohl das Fahrzeug als auch den Motor hergestellt.

3Der Kläger, dessen Klage in beiden Instanzen erfolglos geblieben ist, hat die Beklagte zuletzt auf Zahlung von 11.094,98 € nebst Verzugszinsen an sich und auf Freistellung von den Verbindlichkeiten gegenüber dem Kreditgeber in Höhe von zur Zeit der Antragstellung noch 22.896,56 €, Zug um Zug gegen Übergabe des Fahrzeugs und Übertragung des dem Kläger gegenüber dem Kreditgeber zustehenden Anwartschaftsrechts, in Anspruch genommen und im Hinblick auf diesen Antrag den Rechtsstreit teilweise einseitig für erledigt erklärt. Ferner hat er die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten sowie die Erstattung vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten nebst Rechtshängigkeitszinsen begehrt. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Schlussanträge aus der Berufungsinstanz weiter.

Gründe

4Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung, soweit für das Revisionsverfahren von Interesse, im Wesentlichen wie folgt begründet:

6Deliktische Ansprüche gegen die Beklagte schieden aus. Eine Haftung aus § 826 BGB bestehe nicht, weil tatsächliche Anhaltspunkte für ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten nicht ersichtlich seien. Im Hinblick auf das unstreitig im streitgegenständlichen Motortyp enthaltene sogenannte Thermofenster bestünden keine tatsächlichen Anhaltspunkte dafür, dass das Kraftfahrt-Bundesamt insoweit einer Täuschung durch die Beklagte erlegen sei, was jedoch Voraussetzung für eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB sei. Der Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB, §§ 6, 27 EG-FGV scheitere daran, dass das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht im Normbereich der genannten Vorschriften liege.

II.

7Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

81. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

92. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass der Berufungsentscheidung entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

10Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

11Die angefochtene Entscheidung ist aufzuheben, § 562 ZPO, weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO.

12Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil sie nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang nicht geprüften - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:180624UVIAZR511.21.0

Fundstelle(n):
XAAAJ-71252