BGH Urteil v. - VIa ZR 1437/22

Instanzenzug: Az: 5 U 4465/21vorgehend LG Regensburg Az: 73 O 1393/21

Tatbestand

1Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Die Klägerin erwarb im September 2017 von dritter Seite ein von der Beklagten hergestelltes gebrauchtes Kraftfahrzeug Mercedes-Benz GLK 200 CDI, das mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. Das Fahrzeug ist von einem Rückruf des Kraftfahrt-Bundesamts wegen Vorhandenseins einer unzulässigen Abschalteinrichtung betreffend die Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR) betroffen.

3Die Klägerin hat zuletzt die Zahlung von Schadensersatz in Höhe des Kaufpreises abzüglich des Werts der gezogenen Nutzungen nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs (Berufungsantrag zu I) sowie die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Prozesszinsen (Berufungsantrag zu II) begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihre Berufungsanträge mit Ausnahme der mit dem Berufungsantrag zu II begehrten Freistellung von Zinsen aus den außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten weiter, soweit sie sie auf ihre deliktische Schädigung durch das Inverkehrbringen des Fahrzeugs stützt.

Gründe

4Die Revision der Klägerin hat Erfolg.

I.

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:

6Ein Schadensersatzanspruch aus § 826 BGB bestehe nicht. Insbesondere hinsichtlich des Thermofensters und der KSR - unterstellt, diese Einrichtungen seien als unzulässige Abschalteinrichtungen zu qualifizieren - könne eine sittenwidrige vorsätzliche Schädigung durch die Beklagte nicht angenommen werden. Nach dem Vortrag der Klägerin verhielten sich das Thermofenster und die KSR unter vergleichbaren Bedingungen im realen Fahrbetrieb nicht anders als in der Prüfungssituation. Das Vorbringen der Klägerin zu weiteren Abschalteinrichtungen sei unbeachtlich. Sie habe keine konkreten Anhaltspunkte für deren Vorhandensein aufgezeigt. Ein Anspruch der Klägerin aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder mit Art. 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 scheide aus, weil diese Vorschriften nicht den Schutz vor der Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit bezweckten.

II.

7Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren teilweise nicht stand.

81. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat, weil es tatsächliche Anhaltspunkte für ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten nicht festgestellt hat. Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

92. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

10Das Berufungsgericht hat daher zwar im Ergebnis zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

11Die angefochtene Entscheidung ist demnach im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es der Klägerin Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:110624UVIAZR1437.22.0

Fundstelle(n):
GAAAJ-71249