Aussetzung des gerichtlichen Verfahrens zur Nachholung des Vorverfahrens
Leitsatz
Die Klage eines Beamten gegen die Entziehung des Sicherheitsbescheids betrifft einen Vorgang aus dem Beamtenverhältnis i. S. v. § 126 Abs. 2 Satz 1 BBG. Sie bedarf daher der Durchführung eines Vorverfahrens.
Gesetze: § 126 Abs 2 S 1 BBG 2009, § 5 Abs 1 S 1 Nr 1 SÜG, § 43 Abs 1 VwGO, § 68 Abs 1 S 1 VwGO, § 75 S 3 VwGO
Gründe
I
1Der Rechtsstreit betrifft die Entziehung des Sicherheitsbescheids.
2Der Kläger stand seit als Beamter auf Widerruf im Vorbereitungsdienst für den gehobenen Dienst im Bundesnachrichtendienst (BND), unter dem erhielt er den sog. Sicherheitsbescheid und damit Zugang zu Verschlusssachen. Ab September 2021 wandte er sich in immer kürzeren Zeitabständen mit einer Vielzahl sicherheitsbezogener Anfragen und Eingaben an den Sicherheitsbeauftragten des Zentrums für nachrichtendienstliche Aus- und Fortbildung sowie das Referat Personelle Sicherheit des BND. Anlass hierzu waren Unsicherheiten des Klägers im Umgang mit "fordernden" Familienangehörigen und von ihm selbst gemeldetes "Fehlverhalten" im Umgang mit sicherheitsrechtlichen Anforderungen. Im Dezember 2021 entzog der BND dem Kläger vorläufig den Sicherheitsbescheid und sprach ein Zutrittsverbot für sämtliche BND-Liegenschaften aus.
3Mit Verfügung vom entzog der Geheimschutzbeauftragte des BND dem Kläger den Sicherheitsbescheid. Aus Umfang, Art und Inhalt der vom Kläger gemeldeten Sicherheitsvorfälle sowie den hierzu geführten Gesprächen ergäben sich tatsächliche Anhaltspunkte für Zweifel an der sicherheitsrechtlichen Zuverlässigkeit und Eignung des Klägers für den Umgang mit Verschlusssachen. Er habe eine Überforderung im Umgang mit Verschlusssachen gezeigt und eine fehlende Fähigkeit zur eigenständigen Erfassung und Bewertung sicherheitsrechtlicher Angelegenheiten offenbart.
4Um dem Kläger gleichwohl einen Abschluss seiner Ausbildung zu ermöglichen, vereinbarten die Beteiligten nachfolgend Modalitäten zur Fortführung seines Studiums. Die schriftliche Abschlussprüfung bestand der Kläger nicht. Mit Verfügung vom entließ der BND den Kläger daraufhin aus dem Beamtenverhältnis. Über den hiergegen erhobenen Widerspruch ist noch nicht entscheiden.
5Der Kläger beantragt,
festzustellen, dass die vom Geheimschutzbeauftragten des Bundesnachrichtendienstes am verfügte Entziehung des Sicherheitsbescheids den Kläger in seinen Rechten verletzt.
6Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
7Sie macht geltend, die Klage sei bereits unzulässig. Es fehle an der Durchführung eines Vorverfahrens, die Feststellungsklage sei im Hinblick auf die Möglichkeit der Anfechtung der bereits verfügten Entlassung aus dem Beamtenverhältnis subsidiär und dem Kläger fehle ein schützenswertes Interesse an einer gerichtlichen Feststellung. Darüber hinaus erweise sich die Klage auch als unbegründet, weil die Entziehung des Sicherheitsbescheids rechtmäßig sei.
8Im Termin zur mündlichen Verhandlung hat der Kläger mitgeteilt, er sei seit September 2023 als Beamter auf Widerruf bei der Bundeswehr beschäftigt und habe dort eine positive Sicherheitsüberprüfung der 2. Stufe erhalten.
II
9Die Klage ist derzeit unzulässig, weil es an der Durchführung des gemäß § 126 Abs. 2 Satz 1 BBG erforderlichen Vorverfahrens fehlt (1.). Diese für den Erlass der begehrten Sachentscheidung erforderliche Voraussetzung kann aber nachgeholt werden, sodass das gerichtliche Verfahren auszusetzen ist (2.).
101. Die von einem Beamten gegen den Entzug des Sicherheitsbescheids gerichtete Klage bedarf der Durchführung eines Vorverfahrens.
11a) Die Erforderlichkeit der Durchführung eines Vorverfahrens ergibt sich zwar nicht bereits aus § 68 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Der Entzug des Sicherheitsbescheids ist kein Verwaltungsakt i. S. v. § 35 Satz 1 VwVfG.
12Anders als die bloße Mitteilung über das Ergebnis des Überprüfungsverfahrens und die darin enthaltende Feststellung eines Sicherheitsrisikos (vgl. hierzu 6 A 6.18 - juris Rn. 3 m. w. N.; - juris Rn. 17 ff.) wird die hieran anknüpfende Entziehung des Sicherheitsbescheids zwar dem Beamten gegenüber ausgesprochen und kann daher nicht als rein interner Vorgang qualifiziert werden.
13Auch der Entzug des Sicherheitsbescheids betrifft den betroffenen Beamten indes nicht in seiner persönlichen Rechtsstellung (vgl. 6 A 2.87 - BVerwGE 81, 258 <261 f.> und vom - 2 A 5.93 - Buchholz 310 § 43 VwGO Nr. 122 Rn. 11; Eicholt, ZBR 2012, 154 <155>). Denn der Sicherheitsbescheid regelt den Zugang zu Verschlusssachen, den ein Beamter - wie hier der Kläger - nur in dienstlicher Eigenschaft haben darf und kann. Der Regelungsgehalt der Maßnahme betrifft die persönliche Rechtsstellung des Beamten daher nicht.
14Aus dem Umstand, dass sich aus der Verfügung ggf. weitere nachteilige Wirkungen ergeben können - etwa im Fall des Wechsels in die Privatwirtschaft und einer angestrebten Tätigkeit im Rüstungsbereich o. ä. - und die Maßnahme daher zu einer Einschränkung der beruflichen Einsatzmöglichkeit führen kann (vgl. hierzu etwa Warg, in: Schenke/Graulich/Ruthig, Sicherheitsrecht des Bundes, 2. Aufl. 2019, Vor § 1 Rn. 21 oder Däubler, SÜG, 2019, § 14 Rn. 31 ff.), folgt nichts anderes. Derartig mittelbare Folgen können ggf. zwar ein Feststellungsinteresse für die Klage gegen die Entziehung des Sicherheitsbescheids begründen. Sie ändern aber nichts daran, dass die Maßnahme selbst nicht auf die persönliche Rechtsstellung des Klägers bezogen ist und - anders als etwa beim Verbot des Tragens einer Tätowierung - auch nicht zwangsläufig in seine persönlichen Rechte eingreifen muss.
15b) Die Notwendigkeit eines Vorverfahrens folgt aber aus § 126 Abs. 2 Satz 1 BBG. Denn das Verfahren betrifft einen Vorgang aus dem Beamtenverhältnis.
16Das Gesetz über die Voraussetzungen und das Verfahren von Sicherheitsüberprüfungen des Bundes und den Schutz von Verschlusssachen (Sicherheitsüberprüfungsgesetz - SÜG) vom (BGBl. I S. 1634), zuletzt geändert durch Gesetz vom (BGBl. I Nr. 413), betrifft nicht nur Beamte und stellt für sich genommen auch keine beamtenrechtliche Regelung dar. Hieraus folgt indes nicht, dass die entsprechende Klage eines Beamten keine Streitigkeit aus dem Beamtenverhältnis ist; an der entgegenstehenden Auffassung im Urteil vom - 2 A 3.09 - (Rn. 16 ff. zu § 126 Abs. 1 und 3 BRRG) hält der Senat nicht fest.
17Soweit ein Beamter betroffen ist, handelt es sich beim Entzug des Sicherheitsbescheids um eine innerdienstliche Maßnahme, mit der die Eignung eines Beamten für bestimmte Verwendungen und Dienstposten (vorab) geklärt wird. Die Klage betrifft damit unmittelbar die dienstliche Verwendbarkeit des Beamten und folglich sein Beamtenverhältnis (vgl. 2 A 5.93 - Rn. 11). Mit der Sicherheitsüberprüfung wird über die Möglichkeiten der künftigen dienstlichen Verwendung entschieden - im Fall des BND sogar über die Einsatz- und Verwendungsmöglichkeit an sich. Auch materiell betrachtet ist die Sicherheitsüberprüfung Bestandteil der Eignungsprüfung des Beamten und unterliegt daher der Beurteilungsbefugnis des Dienstherrn (vgl. 1 WB 12.11 - BVerwGE 140, 384 Rn. 30). Damit handelt es sich bei der gegen die Entziehung des Sicherheitsbescheids gerichteten Klage um eine solche aus dem Beamtenverhältnis, für die es nach § 126 Abs. 2 Satz 1 BBG eines Vorverfahrens bedarf.
182. Die erfolglose Durchführung eines Vorverfahrens stellt indes eine Sachurteilsvoraussetzung dar, die erst im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung erfüllt sein muss. Das gerichtliche Verfahren kann daher zur Nachholung des Vorverfahrens ausgesetzt werden.
19a) In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass die Durchführung eines vorgeschriebenen Vorverfahrens nicht eine notwendige Voraussetzung für das gerichtliche Tätigwerden schlechthin darstellt, sondern als "Sachentscheidungsvoraussetzung" (erst) im Zeitpunkt der für die gerichtliche Entscheidung maßgeblichen mündlichen Verhandlung erfüllt sein muss (vgl. bereits 1 C 36.56 - BVerwGE 4, 203 <204> und vom - 1 C 24.63 - BVerwGE 23, 135 <136>). Das Vorverfahren kann daher auch noch während des bereits anhängigen Klageverfahrens nachgeholt werden (vgl. 7 C 97.81 - NVwZ 1984, 507 Rn. 10).
20Hierfür kann das Klageverfahren in entsprechender Anwendung des § 75 Satz 3 VwGO ausgesetzt werden (vgl. etwa Porsch, in: Schoch/Schneider, VwGO, Stand März 2023, § 68 Rn. 35 sowie W.-R. Schenke, in: Kopp/Schenke, VwGO, 29. Aufl. 2023, § 68 Rn. 5).
21b) Von dieser Möglichkeit macht der Senat vorliegend Gebrauch, weil die Klage im Übrigen zulässig ist.
22Gegen die Entziehung des Sicherheitsbescheids ist die Feststellungsklage nach § 43 Abs. 1 VwGO statthaft (vgl. 6 A 2.87 - BVerwGE 81, 258 <262 f.> und vom - 2 A 3.09 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 24 Rn. 13 ff.). Zwischen dem Kläger und der Beklagten bestand ein Rechtsverhältnis. Die streitige Frage, ob dem Kläger die sicherheitsrechtliche Eignung für den Zugang zu Verschlusssachen abgesprochen werden kann, ist auch feststellungsfähig.
23Entgegen der Auffassung der Beklagten kann die Klage auch nicht als subsidiär im Hinblick auf die bereits verfügte Entlassung aus dem Beamtenverhältnis angesehen werden. Beide Maßnahmen weisen unterschiedliche Regelungsgegenstände mit eigenständigen Wirkungen auf. Ob die Entlassung bereits aus anderen Rechtsgründen gerechtfertigt ist - insbesondere wegen des Nichtbestehens der Laufbahnprüfung -, steht im Übrigen (noch) nicht fest. Denn über den insoweit erhobenen Widerspruch des Klägers ist noch nicht entschieden worden.
24Auch das Feststellungsinteresse für die streitgegenständliche Klage besteht. Zum einen schränkt die Feststellung eines in seiner Person liegenden Sicherheitsrisikos die künftige Verwendungsmöglichkeit des Klägers - und damit ggf. auch seine Rechtsstellung aus Art. 33 Abs. 2 GG - ein. Zum anderen ist die streitgegenständliche Frage jedenfalls zum Teil vorgreiflich für das noch nicht bestandskräftig abgeschlossene Entlassungsverfahren.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2024:020524B2A2.23.0
Fundstelle(n):
FAAAJ-71190