(Durchbrechung der Bindungswirkung eines nach § 17a Abs. 1 GVG ergangenen Verweisungsbeschlusses)
Leitsatz
1. Eine Durchbrechung der Bindungswirkung eines nach § 17a Abs. 1 GVG ergangenen Verweisungsbeschlusses kommt allenfalls bei extremen Verstößen gegen die den Rechtsweg und seine Bestimmung regelnden materiell- und verfahrensrechtlichen Vorschriften in Betracht (Bestätigung von , NJW-RR 2018, 250 Rn. 19; Beschluss vom - X ARZ 143/19, BeckRS 2019, 8235 Rn. 13).
2. Ein derart extremer Verstoß liegt nicht schon dann vor, wenn ein Amtsgericht, das den Rechtsstreit bereits auf der Grundlage von § 281 ZPO an ein Arbeitsgericht verwiesen hat, den Rechtsstreit nach Rücksendung der Akten auf der Grundlage von § 17a GVG erneut an dasselbe Arbeitsgericht verweist (Abgrenzung zu , NZA 2016, 446).
Gesetze: § 17a Abs 1 GVG, § 281 ZPO
Instanzenzug: Az: 57 Ca 521/24vorgehend AG Köpenick Az: 4 C 157/22 (2)
Gründe
1I. Die Klägerin betreibt ein Bauunternehmen. Sie begehrt Ersatz von Schäden an einem ihr gehörenden Fahrzeug, die nach ihrem Vorbringen bei einem vom Beklagten verursachten Verkehrsunfall in Berlin entstanden sind. Zwischen den Parteien steht im Streit, ob der Beklagte den Unfall im Rahmen einer Tätigkeit als selbstständiger Werkunternehmer oder als Scheinselbstständiger und damit als Beschäftigter der Klägerin verursacht hat.
2Daneben verlangt die Klägerin die Erstattung von Bauabzugssteuer, die sie ihrem Vortrag nach wegen einer Nichtvorlage einer vom Beklagten zugesicherten Freistellungsbescheinigung abzuführen hatte.
3Der Beklagte hat geltend gemacht, das angerufene Amtsgericht Köpenick sei nicht zuständig. Das Amtsgericht ist dieser Auffassung in einem Hinweis beigetreten. Daraufhin hat die Klägerin die Verweisung an das Arbeitsgericht Berlin beantragt.
4Mit Beschluss vom hat sich das Amtsgericht für sachlich unzuständig erklärt und den Rechtsstreit nach § 281 ZPO an das Arbeitsgericht Berlin verwiesen. Das Arbeitsgericht hat die Übernahme abgelehnt und die Akten an das Amtsgericht zurückgesandt.
5Mit Beschluss vom hat das Amtsgericht auf Grundlage von § 13 und § 17a Abs. 2 GVG den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht verwiesen. Gegen diesen Beschluss hat die Klägerin am Tag der Zustellung sofortige Beschwerde eingelegt. Das Amtsgericht hat hieraufhin mit Verfügung vom einen Haupttermin bestimmt und darauf hingewiesen, mit der Anberaumung des Termins werde der sofortigen Beschwerde abgeholfen.
6In dem Haupttermin am hat das Amtsgericht ein Versäumnisurteil gegen den Beklagten erlassen. Im Einspruchstermin hat es nach Erörterung der Rechtswegzuständigkeit mit Beschluss vom erneut auf Grundlage von § 13 und § 17a Abs. 2 GVG den Rechtsweg zu den ordentlichen Gerichten für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Arbeitsgericht verwiesen.
7Das Arbeitsgericht hat sich mit Beschluss vom seinerseits für unzuständig erklärt und die Sache dem Bundesgerichtshof zur Bestimmung des zuständigen Gerichts vorgelegt. Es hält den Verweisungsbeschluss vom angesichts einer Selbstbindung des Amtsgerichts durch die Abhilfeentscheidung und das Versäumnisurteil für grob rechtswidrig und nicht bindend.
8II. Das zuständige Gericht ist in entsprechender Anwendung des § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO zu bestimmen.
91. Bei negativen Kompetenzkonflikten zwischen Gerichten verschiedener Gerichtszweige ist § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO entsprechend anwendbar.
10Obwohl ein nach § 17a GVG ergangener und unanfechtbar gewordener Beschluss, mit dem ein Gericht den beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an ein anderes Gericht verwiesen hat, nach dem Gesetz keiner weiteren Überprüfung unterliegt, ist eine - regelmäßig deklaratorische - Zuständigkeitsbestimmung entsprechend § 36 Abs.1 Nr. 6 ZPO im Interesse einer funktionierenden Rechtspflege und der Rechtssicherheit dann geboten, wenn es innerhalb eines Verfahrens zu Zweifeln über die Bindungswirkung der Verweisung kommt und deshalb keines der infrage kommenden Gerichte bereit ist, die Sache zu bearbeiten, oder die Verfahrensweise eines Gerichts die Annahme rechtfertigt, dass der Rechtsstreit von diesem nicht prozessordnungsgemäß gefördert werden wird, obwohl er gemäß § 17b Abs. 1 GVG vor ihm anhängig ist (, NJOZ 2014, 446 Rn. 5; Beschluss vom - X ARZ 482/18, NJOZ 2019, 487 Rn. 5).
11So liegt der Fall hier.
12Sowohl das Arbeitsgericht als auch das Amtsgericht haben eine inhaltliche Befassung mit der Sache abgelehnt.
132. Der Bundesgerichtshof ist für die Entscheidung zuständig.
14Sofern zwei Gerichte unterschiedlicher Rechtswege ihre Zuständigkeit verneint haben, obliegt die Bestimmung des zuständigen Gerichts demjenigen obersten Gerichtshof des Bundes, der zuerst darum angegangen wird (, NJW-RR 2017, 1215 Rn. 6).
15III. Zuständig ist das Arbeitsgericht Berlin.
16Die Zuständigkeit ergibt sich aus der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses des § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG).
17Ein nach § 17a GVG ergangener Beschluss, mit dem ein Gericht den zu ihm beschrittenen Rechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Gericht eines anderen Rechtswegs verwiesen hat, ist einer weiteren Überprüfung entzogen, sobald er unanfechtbar geworden ist.
18Ist das zulässige Rechtsmittel nicht eingelegt worden oder ist es erfolglos geblieben oder zurückgenommen worden, ist die Verweisung für das Gericht, an das der Rechtsstreit verwiesen worden ist, hinsichtlich des Rechtswegs gemäß § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG bindend (vgl. nur , NJW-RR 2018, 250 Rn. 10).
19Diese Voraussetzung ist im Streitfall erfüllt.
20Der Verweisungsbeschluss des ist von den Parteien nicht angefochten worden.
21Der Rücksendung der Akten durch das Arbeitsgericht nach der ersten, auf § 281 ZPO gestützten Verweisung kommt demgegenüber keine Bindungswirkung zu.
22Der formlosen Abgabe eines Verfahrens an ein anderes Gericht kommen nicht dieselben Rechtswirkungen zu wie einem förmlichen Verweisungsbeschluss (vgl. zu § 281 ZPO: , NJW-RR 1994, 1282).
23Im Streitfall hat das Arbeitsgericht nach der ersten Verweisung keinen förmlichen Beschluss gefasst, sondern die Akten formlos an das Amtsgericht zurückgegeben.
24Bei dieser Ausgangslage kann offenbleiben, ob der erste Verweisungsbeschluss des Amtsgerichts bindend war, obwohl er auf § 281 ZPO und damit auf eine in der Konstellation des Streitfalls offensichtlich nicht einschlägige Rechtsgrundlage gestützt war.
25Der Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses vom steht nicht entgegen, dass die Verfahrensweise des Amtsgerichts nach der Rückgabe erheblichen rechtlichen Zweifeln unterliegt.
26Wie auch das Arbeitsgericht im Ansatz nicht verkannt hat, ist die Korrektur einer bindenden Entscheidung im Verfahren entsprechend § 36 Abs. 1 Nr. 6 ZPO allenfalls in extremen Ausnahmefällen denkbar.
27Eine Durchbrechung der Bindungswirkung kommt demnach allenfalls bei, wie es das Bundesverwaltungsgericht formuliert hat (, NVwZ 1995, 372), "extremen Verstößen" gegen die den Rechtsweg und seine Bestimmung regelnden materiell- und verfahrensrechtlichen Vorschriften in Betracht (, NJW-RR 2018, 250 Rn. 19; Beschluss vom - X ARZ 143/19, BeckRS 2019, 8235 Rn. 13), etwa wenn sich die Verweisungsentscheidung bei der Auslegung und Anwendung der Zuständigkeitsnormen so weit von dem diese beherrschenden verfassungsrechtlichen Grundsatz des gesetzlichen Richters (Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG) entfernt hat, dass sie schlechthin nicht mehr zu rechtfertigen ist (BVerfG, NJW 1992, 359, 361; , NJW 2002, 2474, 2475).
28Ein derart extremer Verstoß ist im Streitfall - noch - nicht gegeben.
29Dass die Beurteilung der Zuständigkeit inhaltlichen Zweifeln unterliegt, steht der Bindungswirkung nicht entgegen.
30Die Parteien des Rechtsstreits haben es in der Hand, durch Einlegung einer sofortigen Beschwerde eine inhaltliche Überprüfung des Verweisungsbeschlusses herbeizuführen. Wenn sie hiervon keinen Gebrauch machen, ist es grundsätzlich ausgeschlossen, den Beschluss dennoch einer inhaltlichen Überprüfung zu unterziehen (, NJOZ 2019, 487 Rn. 12).
31Das Bundesarbeitsgericht hat die Bindungswirkung eines Verweisungsbeschlusses in einem Fall verneint, in dem der Rechtsstreit zum Zeitpunkt der Beschlussfassung aufgrund einer vorangegangenen Verweisung bei einem dritten Gericht anhängig war, das die Akten mit der Bitte um Überprüfung der Entscheidung an das verweisende Gericht zurückgesandt hatte (, NZA 2016, 446 Rn. 24).
32Eine damit vergleichbare Konstellation liegt im Streitfall nicht vor.
33Anders als in dem vom Bundesarbeitsgericht entschiedenen Fall hat das Arbeitsgericht die Akten nicht nur zur Überprüfung des Verweisungsbeschlusses an das Amtsgericht zurückgesandt, sondern deshalb, weil es die Übernahme des Verfahrens abgelehnt hat. Zudem hat das Amtsgericht den Rechtsstreit im weiteren Verlauf nicht an ein drittes Gericht verwiesen, sondern erneut an das Arbeitsgericht.
34Die Verfahrensweise des Amtsgerichts nach dem auf § 17a GVG gestützten und durch "Abhilfe" aufgehobenen Verweisungsbeschluss vom ist zwar, wie das Arbeitsgericht zu Recht darlegt, in sich widersprüchlich. Dies genügt in der Konstellation des Streitfalls jedoch nicht, um eine Bindungswirkung des Verweisungsbeschlusses vom zu verneinen.
35Das erstinstanzliche Gericht hat seine Zuständigkeit grundsätzlich in jeder Lage des Verfahrens zu überprüfen. Dies gilt auch dann, wenn bereits ein Versäumnisurteil gegen den Beklagten ergangen ist oder wenn ein bereits ergangener Verweisungsbeschluss auf Beschwerde aufgehoben worden ist.
36Vor diesem Hintergrund kann in der Verfahrensweise des Amtsgerichts - so fragwürdig sie auch erscheint - kein krasser Verstoß gegen Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG oder sonstige elementare Normen gesehen werden.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:160424BXARZ101.24.0
Fundstelle(n):
NJW 2024 S. 9 Nr. 31
NJW-RR 2024 S. 994 Nr. 15
KAAAJ-70977