Online-Nachricht - Freitag, 12.07.2024

Wohnraummietrecht | Verwandtschaftsverhältnis bei der Eigenbedarfskündigung (BGH)

Als Familienangehörige i.S. des § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB (Ausnahme von der Kündigungsbeschränkung bei einem Wohnungserwerb) sind - ebenso wie im Falle der Eigenbedarfskündigung gemäß § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB - ausschließlich diejenigen Personen anzusehen, denen ein Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen gemäß § 383 ZPO, § 52 StPO zusteht. Cousins zählen nicht hierzu (BGH, Urteil v. 10.7.2024 - VIII ZR 276/23).

Hintergrund: Nach § 573 Abs. 1 Satz 1 BGB kann der Vermieter ein Mitverhältnis über Wohnraum kündigen, wenn er ein berechtigtes Interesse an der Beendigung des Mietverhältnisses hat. Ein berechtigtes Interesse des Vermieters an der Beendigung des Mietverhältnisses liegt insbesondere vor, wenn der Vermieter die Räume als Wohnung für sich, seine Familienangehörigen oder Angehörige seines Haushalts benötigt, § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB.

Sachverhalt: Die Klägerin, eine GbR, begehrt nach Ausspruch einer Kündigung wegen Eigenbedarfs eines ihrer Gesellschafter von den Beklagten die Räumung und Herausgabe einer an diese vermieteten Wohnung. Die Klägerin hatte das Gebäude, in dem sich die Wohnung befindet, nach deren Überlassung an die Beklagten erworben und ist dadurch als Vermieterin in das bestehende Mietverhältnis eingetreten. Zum damaligen Zeitpunkt hatte die Klägerin zwei Gesellschafter, die Cousins waren.

Die Beklagten haben die Kündigung für unwirksam gehalten und sich hierbei auf die Kündigungsbeschränkung des § 577a Abs. 1a Satz 1 Nr. 1, Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 2 der Kündigungsschutzklausel-Verordnung des Landes Berlin vom berufen. Hiernach kann sich eine Personengesellschaft, an die vermieteter Wohnraum nach der Überlassung an den Mieter veräußert worden ist, erst nach Ablauf von zehn Jahren seit der Veräußerung für eine Kündigung der Wohnung gegenüber dem Mieter auf berechtigte Interessen im Sinne von § 573 Abs. 2 Nr. 2 oder 3 BGB berufen. Diese Kündigungsbeschränkung gilt indes dann nicht, wenn die im Zeitpunkt des Eigentumserwerbs vorhandenen Gesellschafter derselben Familie angehörten. Die Klägerin hat die Auffassung vertreten, dass dies (auch) bei Cousins der Fall sei und deshalb die Kündigungsbeschränkung im Streitfall nicht eingreife.

Nach Auffassung der Vorinstanz kann sich die Klägerin auf die Ausnahmeregelung des § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB berufen, so dass die zehnjährige Kündigungsbeschränkung nicht gelte. Die beiden Gesellschafter der Klägerin im Zeitpunkt des Eigentumserwerbs gehörten als Cousins, zwischen denen hier eine enge soziale Bindung bestanden habe, einer Familie im Sinne von § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB an.

Die Richter des BGH folgten dem nicht und wiesen die Kündigungsklage ab:

  • Den Begriffen "Familie" in § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB und "Familienangehörige" in § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB kommt dieselbe Bedeutung zu. Hiervon sind ausschließlich diejenigen Personen umfasst, denen ein Zeugnisverweigerungsrecht aus persönlichen Gründen gemäß § 383 ZPO, § 52 StPO zusteht.

  • Ein entfernterer Verwandter, der - wie ein Cousin - nicht nach § 383 ZPO, § 52 StPO zur Zeugnisverweigerung berechtigt ist, gehört somit auch dann nicht zu dem von § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB privilegierten Personenkreis, wenn zwischen ihm und dem Vermieter eine enge persönliche Bindung besteht.

  • Ebenso gilt die Privilegierung des § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB selbst im Fall einer engen persönlichen Verbundenheit zwischen den Mitgesellschaftern nicht, wenn das Verwandtschaftsverhältnis zwischen ihnen so entfernt ist, dass es sie nicht zur Zeugnisverweigerung nach § 383 ZPO, § 52 StPO berechtigt.

  • Mit der Privilegierung von Familienangehörigen in § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB hat der Gesetzgeber dem Umstand Rechnung tragen wollen, dass innerhalb einer Familie aufgrund enger Verwandtschaft typischerweise ein Verhältnis persönlicher Verbundenheit und gegenseitiger Solidarität besteht, das die Ermöglichung einer Kündigung zu Gunsten Familienangehöriger rechtfertigt. Auch die Privilegierung von Familienangehörigen in § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB beruht auf der Überlegung, dass aufgrund der engen persönlichen Bindung ein legitimes Interesse an der (zeitnahen) Geltendmachung des Eigenbedarfs besteht.

  • Der vom Gesetzgeber bezweckten Privilegierung von Familienangehörigen in den vorgenannten Bestimmungen liegt mithin eine typisierende Betrachtungsweise dahingehend zugrunde, dass zwischen den hiervon umfassten Personen auf Grund einer familiären Beziehung eine besondere persönliche Nähebeziehung anzunehmen ist. Vor diesem Hintergrund bedarf es für den vom Gesetzgeber privilegierten Personenkreis des (zusätzlichen) Vorliegens eines konkreten, tatsächlichen Näheverhältnisses nicht. Auch scheidet eine Erweiterung dieses geschützten Personenkreises auf Grund einer einzelfallbezogenen Prüfung des Vorliegens einer besonderen sozialen Nähe angesichts der dem Gesetz zu Grunde liegenden typisierenden Betrachtungsweise aus.

  • Entscheidend ist damit letztlich, für welchen Personenkreis der Gesetzgeber durch die Verwendung des Begriffs der Familie eine typischerweise vorliegende besondere soziale Bindung angenommen hat.

  • Im Rahmen von § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB und § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB hat der Gesetzgeber dies nicht näher konkretisiert. Er hat eine solche Bewertung jedoch im Rahmen der ebenfalls auf der persönlichen Nähebeziehung und Verbundenheit gründenden Gewährung eines Zeugnisverweigerungsrechts aus persönlichen Gründen vorgenommen. Dort hat er objektive Kriterien nach dem Grad der familiären Beziehung aufgestellt und hierdurch den Personenkreis definiert, innerhalb dessen nach seiner Auffassung typischerweise eine persönliche Nähebeziehung besteht. Es ist sachgerecht, diese gesetzgeberischen Wertungen auch für die ebenfalls in der persönlichen Verbundenheit begründeten Privilegierungen von Familienangehörigen nach § 573 Abs. 2 Nr. 2 BGB und § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB heranzuziehen.

  • Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze kam eine Anwendung des § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB im Streitfall nicht in Betracht. Denn den im Zeitpunkt des Eigentumserwerbs an dem streitgegenständlichen Grundstück vorhandenen beiden Gesellschaftern der Klägerin steht als Cousins und damit als Verwandte in der Seitenlinie im vierten Grad ein Zeugnisverweigerungsrecht nach § 383 ZPO, § 52 StPO nicht zu. Sie gehören somit nicht zu derselben Familie im Sinne des § 577a Abs. 1a Satz 2 BGB.

Quelle: BGH, Pressemitteilung v. (il)

Fundstelle(n):
TAAAJ-70948