BGH Urteil v. - VIa ZR 862/23

Instanzenzug: Az: 19 U 1/23vorgehend LG Aachen Az: 1 O 441/21

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Der Kläger erwarb im Jahr 2016 von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten VW Golf 2.0 TDI, der mit einem Dieselmotor der Baureihe EA 288 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist.

3Das Landgericht hat die auf Erstattung des Kaufpreises nebst Zinsen abzüglich einer Nutzungsentschädigung Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs sowie die Feststellung, dass die Beklagte zur Zahlung von Schadensersatz wegen der Ausstattung des Fahrzeugs mit einer unzulässigen Abschaltvorrichtung verpflichtet sei, abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Hiergegen richtet sich die vom Senat zugelassene Revision des Klägers, mit der er seine Berufungsanträge weiterverfolgt.

Gründe

4Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:

6Deliktische Ansprüche im Zusammenhang mit einer Fahrkurvenerkennung, einer Vorkonditionierung des NOx-Speicherkatalysators sowie einem Thermofenster schieden aus. Es sei von einem unvermeidbaren Verbotsirrtum auszugehen, weswegen es an einem Verschulden fehle. Gerichts- und allgemeinkundig sei, dass das Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) im Rahmen der VW-Untersuchungskommission eine Vielzahl von Fahrzeugen eingehenden Untersuchungen unterzogen habe, wobei ein Thermofenster der auch vorliegend in Rede stehenden Art, welches nicht mit einer Prüfstandserkennung verbunden sei, nicht als unzulässig beanstandet worden sei. Zudem sei die Rechtslage mit gravierenden Unsicherheiten behaftet gewesen. Zusammenfassend sei nichts dafür ersichtlich, dass für das Fahrzeug des Klägers zu irgendeinem Zeitpunkt die Gefahr einer Betriebsuntersagung durch die Zulassungsbehörde bestanden habe, weshalb ein Schaden nicht angenommen werden könne.

II.

7Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

81. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, soweit das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die von der Revision dazu erhobenen Rügen von Verfahrensmängeln erachtet der Senat für nicht durchgreifend; von einer Begründung wird insoweit gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

92. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angegriffenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

10Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20).

11Eine Haftung der Beklagten kann nicht mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung wegen eines unvermeidbaren Verbotsirrtums der Beklagten abgelehnt werden. Ein ein fahrlässiges Verhalten der Beklagten ausschließender unvermeidbarer Verbotsirrtum ist nur anzunehmen, wenn die Beklagte sowohl einen Verbotsirrtum ihrer zuständigen verfassungsmäßig berufenen Vertreter als auch die Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums mit Blick auf sämtliche für die Prüfung der Zulässigkeit einer Abschalteinrichtung maßgebliche Einzelheiten konkret darlegt und erforderlichenfalls beweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 63 und 66; Urteil vom - VIa ZR 1/23, NJW 2023, 3796 Rn. 13 f.).

12Dies gilt ebenso, soweit das Berufungsgericht mangels Gefahr einer Betriebsuntersagung einen Schaden des Klägers verneint hat (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 41; Urteil vom - VIa ZR 1425/22, WM 2024, 1140 Rn. 26).

III.

13Die Berufungsentscheidung ist demnach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:020724UVIAZR862.23.0

Fundstelle(n):
UAAAJ-70913