BSG Beschluss v. - B 9 SB 29/23 B

Gründe

1I. Der Kläger begehrt in der Hauptsache die Ausstellung eines unbefristeten Schwerbehindertenausweises, weil der bei ihm festgestellte Grad der Behinderung (GdB) seit 40 Jahren unverändert sei.

2Das LSG hat den Anspruch wie vor ihm das SG und der Beklagte verneint. Der Kläger könne sein Begehren nicht mit einer Anfechtungs- und Verpflichtungsklage geltend machen. Der Schwerbehindertenausweis stelle mangels Regelung keinen Verwaltungsakt dar, sondern weise lediglich als öffentliche Urkunde die im Ausgangsbescheid getroffene Feststellung der Schwerbehinderung gegenüber Dritten nach. Der Ausweis habe in aller Regel keine konstitutive Bedeutung für die die darin enthaltenen Feststellungen. Seine Erteilung sei ein Realakt ohne weitergehenden Regelungsgehalt, weshalb es sich bei der Befristung der Gültigkeit auch nicht um eine Nebenbestimmung zu einem Verwaltungsakt handele.

3Die vom Kläger zulässigerweise erhobene allgemeine Leistungsklage sei unbegründet. Er habe weder einen Anspruch auf Ausstellung eines unbefristeten Schwerbehindertenausweises noch auf ermessensfehlerfreie Entscheidung des Beklagten darüber. Die Voraussetzungen eines vom Gesetz vorausgesetzten atypischen Falles, der eine unbefristete Ausstellung nach behördlichem Ermessen ermögliche, lägen bei ihm nicht vor (Urteil vom ).

4Gegen die Nichtzulassung der Revision in dieser Entscheidung hat der Kläger Beschwerde beim BSG eingelegt. Die Rechtssache habe grundsätzliche Bedeutung.

5II. Die Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers ist unzulässig. Die Beschwerdebegründung genügt nicht der nach § 160a Abs 2 Satz 3 SGG gebotenen Form. Der Kläger hat den von ihm allein geltend gemachten Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung nicht in der danach vorgeschriebenen Weise dargelegt.

61. Eine Rechtssache hat nur grundsätzliche Bedeutung iS von § 160 Abs 2 Nr 1 SGG, wenn sie eine Rechtsfrage aufwirft, die über den Einzelfall hinaus aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts einer Klärung durch das Revisionsgericht bedürftig und fähig ist. Der Beschwerdeführer muss daher anhand des anwendbaren Rechts und unter Berücksichtigung der höchstrichterlichen Rechtsprechung sowie ggf des Schrifttums angeben, welche Fragen sich stellen, dass diese noch nicht geklärt sind, weshalb eine Klärung dieser Rechtsfragen aus Gründen der Rechtseinheit oder der Fortbildung des Rechts erforderlich ist und dass das angestrebte Revisionsverfahren eine Klärung erwarten lässt. Um dieser Darlegungspflicht zu genügen, muss er eine Rechtsfrage, ihre (abstrakte) Klärungsbedürftigkeit, ihre (konkrete) Klärungsfähigkeit (Entscheidungserheblichkeit) sowie die über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung der von ihm angestrebten Entscheidung (sog Breitenwirkung) darlegen (stRspr; zB - juris RdNr 6; - juris RdNr 4). Diese Darlegungsanforderungen verfehlt die Beschwerde.

8Der Kläger zeigt indes die Klärungsbedürftigkeit dieser Frage nicht in der für eine Grundsatzrüge gebotenen Weise auf. Eine Rechtsfrage ist nämlich dann nicht (mehr) klärungsbedürftig, wenn die Antwort praktisch außer Zweifel steht, sich zB unmittelbar aus dem Gesetz ergibt oder bereits höchstrichterlich geklärt ist. Letzteres ist auch dann der Fall, wenn das Revisionsgericht darüber zwar noch nicht ausdrücklich entschieden hat, jedoch schon eine oder mehrere höchstrichterliche Entscheidungen ergangen sind, die ausreichende Anhaltspunkte zur Beurteilung der von der Beschwerde als grundsätzlich herausgestellten Rechtsfrage geben (stRspr; zB - juris RdNr 9; - juris RdNr 9). Im Hinblick hierauf muss in der Beschwerdebegründung unter Auswertung der Rechtsprechung des BSG substantiiert vorgetragen werden, dass zu dem angesprochenen Fragenbereich noch keine Entscheidung vorliegt oder durch die schon ergangenen Urteile die hier maßgebende Frage von grundsätzlicher Bedeutung noch nicht beantwortet ist (vgl - juris RdNr 7 mwN).

9Diese Darlegungsanforderungen erfüllt die Beschwerde nicht. Insbesondere hat der Kläger keinen fortbestehenden oder neu entstandenen Klärungsbedarf dargelegt. Er benennt in diesem Kontext zwar das auch vom LSG angeführte -SozR 4-1300 § 48 Nr 31), setzt sich aber mit dieser Entscheidung inhaltlich nicht in der gebotenen Weise auseinander. Der Kläger meint, die Entscheidung befasse sich lediglich mit der Frage, ob dem Gültigkeitszeitraum des ausgestellten Schwerbehindertenausweises eine konstitutive Bedeutung zukomme und schützenswertes Vertrauen begründen könne. Dabei geht er aber nicht ausreichend auf die weiteren Ausführungen des BSG in diesem Urteil zur Wirkung und Rechtsnatur des Schwerbehindertenausweises ein, auf die sich das LSG berufen hat. Danach hat ein Schwerbehindertenausweis keine konstitutive Bedeutung für die darin verlautbarten Feststellungen, sondern weist lediglich als öffentliche Urkunde die gesondert im Ausgangsbescheid getroffene Feststellung der Schwerbehinderung gegenüber Dritten nach. Insoweit stellt der Schwerbehindertenausweis auch keine geeignete Vertrauensgrundlage für den Fortbestand einer Schwerbehinderung dar (BSG aaO RdNr 26; - juris RdNr 8). Wie das BSG zudem in einem weiteren Urteil vom (B 13 R 15/15 R - SozR 4-2600 § 236a Nr 4) ausgeführt hat, gewinnt der Ausweis erst durch die Bindungswirkung der zuvor bereits getroffenen Feststellungen die ihm vom Gesetz verliehene Funktion, gegenüber jedermann den ausgewiesenen Inhalt als Voraussetzung für die Inanspruchnahme von Rechten und Vergünstigungen nachzuweisen. Insoweit ist es folgerichtig, wenn § 69 Abs 5 Satz 4 SGB IX (heute § 152 Abs 5 Satz 4 SGB IX) zur Aufhebung nicht auf die - für Verwaltungsakte geltenden - Vorschriften der §§ 44 ff SGB X verweist, sondern bestimmt, dass der Ausweis einzuziehen ist, wenn der gesetzliche Schutz schwerbehinderter Menschen erloschen ist, was durch Aufhebung oder Auslaufen des Feststellungsbescheids über den GdB geregelt wird (BSG aaO RdNr 35 mwN).

10Mit diesen Aussagen der zitierten Entscheidungen des BSG und ihrer Bedeutung für die aufgeworfene Fragestellung setzt sich der Kläger in seiner Beschwerdebegründung nicht hinreichend auseinander. Deshalb versäumt er es auch zu erörtern, weshalb es sich bei der Befristung der Gültigkeitsdauer eines Schwerbehindertenausweises dennoch um eine Nebenbestimmung zu einem Verwaltungsakt iS des § 32 SGB X handeln soll.

11Die bloßen Behauptungen, mit ihrer Entscheidung über die Geltungsdauer des Ausweises treffe die ausstellende Behörde eine Regelung iS des § 31 Satz 1 SGB X und nur bei Annahme einer Verwaltungsaktqualität sei effektiver Rechtsschutz geboten, reichen nicht. Unter anderem hätte der Kläger in diesem Kontext auch darlegen müssen, warum die durch § 152 Abs 5 Satz 3 SGB IX iVm § 6 Abs 2 Satz 2 Schwerbehindertenausweisverordnung (SchwbAwV) eröffnete Möglichkeit der Behörde, in bestimmten Fällen einen unbefristeten Schwerbehindertenausweis auszustellen, nur durch Erlass eines Verwaltungsakts erfolgen darf. Rechtsschutz gegen behördliches Handeln setzt nicht zwingend einen Verwaltungsakt voraus. Auch ein mögliches Verwaltungshandeln durch Realakt unterliegt gerichtlicher Kontrolle. Eine solche Kontrolle hat das LSG im Fall des Klägers auch ausgeübt.

12Unabhängig davon legt der Kläger nicht dar, warum die von ihm gestellte Frage in seinem Fall überhaupt entscheidungserheblich sein sollte und damit in einem Revisionsverfahren geklärt werden könnte. Das LSG hat die vom Kläger für erforderlich gehaltene Ermessensausübung über die Entfristung des Schwerbehindertenausweises bei seiner Entscheidung über die als zulässig angesehene allgemeine Leistungsklage auf Ausstellung eines unbefristeten Ausweises durch Realakt geprüft und verneint. Auf die behauptete inhaltliche Unrichtigkeit dieser Entscheidung des LSG bei der Subsumtion in seinem Einzelfall kann der Kläger seine Grundsatzrüge nicht stützen (stRspr; vgl zB - juris RdNr 12 mwN).

14Auch hier legt der Kläger die Klärungsbedürftigkeit der aufgeworfenen Fragestellung nicht hinreichend substantiiert dar. Seine Darlegungen beschränken sich auf die Wiedergabe der Ausführungen des LSG und einen schlichten Hinweis auf § 6 Abs 2 Satz 2 SchwbAwV. Der Beschwerdevortrag setzt sich jedoch weder mit dem Wortlaut des § 152 Abs 5 Satz 3 SGB IX ("soll") noch des § 6 Abs 2 Satz 2 SchwbAwV ("kann") auseinander, auf den sich das LSG ua gestützt hat. Ebenso wenig geht er auf die Entstehungsgeschichte und Systematik der Vorschriften sowie auf die sich daraus ergebenden Vorgaben für die Auslegung ein.

15Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (vgl § 160a Abs 4 Satz 2 Halbsatz 2 SGG).

162. Die Verwerfung der danach nicht formgerecht begründeten und somit unzulässigen Beschwerde erfolgt gemäß § 160a Abs 4 Satz 1 Halbsatz 2 iVm § 169 Satz 2 und 3 SGG durch Beschluss ohne Zuziehung der ehrenamtlichen Richter.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BSG:2024:290424BB9SB2923B0

Fundstelle(n):
BAAAJ-70860