Instanzenzug: LG Chemnitz Az: 2 KLs 213 Js 22619/22 jug
Gründe
1Das Landgericht hat die Angeklagte wegen Totschlags durch Unterlassen zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Mit ihrer auf die Sachrüge gestützten Revision erzielt die Angeklagte den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg; im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne von § 349 Abs. 2 StPO.
21. Nach den Feststellungen des Landgerichts brachte die Angeklagte rund einen Monat vor ihrem 21. Geburtstag nach verheimlichter Schwangerschaft auf der Toilette sitzend einen gesunden lebenden Säugling zur Welt, der während des Geburtsvorgangs kopfüber in das Toilettenbecken fiel. Die Angeklagte nahm ihn dort nicht heraus, obwohl ihr dies möglich gewesen wäre. Der Säugling verstarb wenige Minuten später, was bei sofortiger Hilfe mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nicht geschehen wäre. Die Möglichkeit eines solchen Ablaufs erkannte die Angeklagte und nahm ihn billigend in Kauf.
32. Die auf die Sachrüge veranlasste umfassende Nachprüfung des Urteils führt zur Aufhebung des Strafausspruchs.
4Die Jugendkammer hat bei der Angeklagten Reifeverzögerungen im Sinne des § 105 Abs. 1 Nr. 1 JGG bejaht und die Verhängung einer Jugendstrafe wegen Schwere der Schuld nach § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG für erforderlich erachtet. Sie hat zutreffend erkannt, dass sowohl bei der Beurteilung der Schuldschwere im Sinne des § 17 Abs. 2 Alt. 2 JGG wie bei der Zumessung der konkreten Jugendstrafe der äußere Unrechtsgehalt der Tat insofern von Belang ist, als aus ihm Schlüsse auf die Persönlichkeit des Täters und die Schwere der Schuld gezogen werden können. Dabei ist zur Bestimmung der zurechenbaren Schuld des jugendlichen oder heranwachsenden Täters das Tatunrecht am Maßstab der gesetzlichen Strafandrohungen des Erwachsenenstrafrechts heranzuziehen; denn die Strafrahmen des allgemeinen Strafrechts behalten insoweit ihre Bedeutung, als in ihnen die Bewertung des Tatunrechts zum Ausdruck kommt. Dies gilt namentlich dort, wo sich die Tat, nach Erwachsenenstrafrecht beurteilt, als minder schwerer Fall darstellen würde ( mwN, NStZ-RR 2015, 155).
5Im Rahmen der hierfür vorzunehmenden Gesamtwürdigung ist das Landgericht allerdings der Auffassung gewesen, dass keine vertypten Milderungsgründe vorlägen, die im vorliegenden Fall eine Milderung begründen könnten. Es seien somit keine Umstände erkennbar, die im Rahmen einer hypothetischen Parallelwertung zu einer Milderung führen würden. Damit hat die Jugendkammer übersehen, dass für das vorliegend abgeurteilte unechte Unterlassensdelikt durch § 13 Abs. 2 StGB die Möglichkeit einer Strafmilderung nach § 49 Abs. 1 StGB eröffnet wird. In der Folge hat sie versäumt, bei der hypothetischen Bestimmung des im allgemeinen Strafrecht maßgeblichen Strafrahmens diesen vertypten Milderungsgrund zu berücksichtigen (näher zur gebotenen Prüfungsreihenfolge vgl. BGH aaO).
6Der Strafausspruch kann daher keinen Bestand haben. Auch wenn die Höhe der verhängten Jugendstrafe für sich genommen nicht zu beanstanden ist, kann der Senat nicht ausschließen, dass das Gericht bei Beachtung der Milderungsmöglichkeit nach § 13 Abs. 2 StGB im Rahmen der Parallelwertung nach Erwachsenenstrafrecht zu einer niedrigeren Jugendstrafe gelangt wäre. Der Aufhebung von Feststellungen bedarf es nicht (vgl. § 353 Abs. 2 StPO).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:040624B5STR138.24.0
Fundstelle(n):
HAAAJ-70725