BGH Urteil v. - VIa ZR 1668/22

Instanzenzug: Az: 24 U 498/22vorgehend Az: 29 O 273/21

Tatbestand

1Die Klägerin nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Sie erwarb am ein von der Beklagten hergestelltes, gebrauchtes Kraftfahrzeug Mercedes-Benz MB Viano 3.0 CDI, das mit einem ebenfalls von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe OM 642 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist.

3Das Landgericht hat die Beklagte unter Anrechnung des Werts der gezogenen Nutzungen zur Zahlung von Schadensersatz nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Übergabe des Kraftfahrzeugs und zur Erstattung von Rechtsverfolgungskosten nebst Zinsen verurteilt, den Annahmeverzug der Beklagten sowie eine Teilerledigung festgestellt. Auf die Berufung der Beklagten hat das Berufungsgericht die Klage unter entsprechender Abänderung des landgerichtlichen Urteils durch ein Versäumnisurteil abgewiesen. Nach Einspruch der Klägerin hat das Berufungsgericht sein Versäumnisurteil mit der angefochtenen Entscheidung aufrechterhalten und die Revision zugelassen. Vor dem Hintergrund der Stellungnahme des Generalanwalts im Verfahren vor dem Gerichtshof der Europäischen Union C-100/21 seien die rechtlichen Anforderungen an Schutzgesetze im vorliegenden Zusammenhang trotz zahlreicher Entscheidungen des Bundesgerichtshofs hierüber nicht hinreichend geklärt. Mit dem Rechtsmittel verfolgt die Klägerin ihren auf Zurückweisung der Berufung gerichteten Antrag aus dem zweiten Rechtszug weiter, wobei sie den Zahlbetrag wegen weiterer Nutzungen reduziert und insoweit Erledigung erklärt hat.

Gründe

4Die Revision der Klägerin hat Erfolg.

I.

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

6Die Beklagte hafte nicht gemäß §§ 826, 31 BGB wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung auf Schadensersatz. Denn die Klägerin habe die Voraussetzungen einer vorsätzlich sittenwidrigen Täuschung durch die Beklagte insofern nicht hinreichend dargetan, als sie ein vorsätzliches Handeln Verantwortlicher im Sinne des § 31 BGB ohne greifbare tatsächliche Anhaltspunkte, also ins Blaue hinein behauptet habe. Es fehle jeweils schon am Prüfstandsbezug.

7Ein Schadensersatzanspruch gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV komme nicht in Betracht, weil in den genannten Bestimmungen der EG-FGV keine Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB lägen.

II.

8Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

91. Es begegnet allerdings keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

102. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Urteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

11Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch der Klägerin auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass der Klägerin nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder der Klägerin Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

12Die angefochtene Entscheidung ist demnach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist deshalb zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

13Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird die Klägerin Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 35/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:110624UVIAZR1668.22.0

Fundstelle(n):
JAAAJ-70305