BGH Urteil v. - VIa ZR 1666/22

Instanzenzug: Brandenburgisches Az: 10 U 110/21vorgehend LG Neuruppin Az: 5 O 314/20

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Der Kläger kaufte am von einem Dritten einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz GLK 200 CDI BlueEfficiency, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 5) ausgerüstet ist. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung unter Einsatz eines sogenannten "Thermofensters" temperaturabhängig gesteuert. Das Fahrzeug verfügt über eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR).

3Der Kläger hat zuletzt den Ersatz des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs nebst Schlüsseln, Kfz-Schein und Kfz-Brief (Berufungsantrag zu 1), hilfsweise die Feststellung der Pflicht der Beklagten zum Ersatz aus dem Einbau einer unzulässigen Abschalteinrichtung resultierender Schäden (Berufungsantrag zu 2), die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten (Berufungsantrag zu 3) und des Herrührens des Zahlungsanspruchs aus einer vorsätzlichen unerlaubten Handlung der Beklagten (Berufungsantrag zu 4) sowie die Freistellung von außergerichtlichen Rechtsverfolgungskosten (Berufungsantrag zu 5) begehrt. In Höhe eines vom Kläger zunächst zusätzlich verlangten Teilbetrags haben die Parteien den Rechtsstreit übereinstimmend für erledigt erklärt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Senat insoweit zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge zu 1, zu 3, zu 4 und zu 5 weiter.

Gründe

4Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:

6Ein Anspruch gemäß §§ 826, 31 BGB bestehe nicht. Selbst wenn man zugunsten des Klägers unterstelle, in seinem Fahrzeug seien unzulässige Abschalteinrichtungen in Form des Thermofensters oder der KSR verbaut, reiche dies nicht aus, um dem Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen ein sittenwidriges Gepräge zu geben. Der Kläger habe weder konkrete Anhaltspunkte für die Prüfstandsbezogenheit der vermeintlich unzulässigen Abschalteinrichtungen aufgezeigt noch sonstige Umstände dargelegt, die auf ein besonders verwerfliches Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen hindeuteten. Die Beklagte hafte auch nicht gemäß § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV. Das Interesse des Fahrzeugkäufers, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, liege nicht im Schutzbereich der Bestimmungen der EG-FGV.

II.

7Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

81. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat, weil es dem Vortrag des Klägers keine zureichenden Anknüpfungstatsachen für ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten entnommen hat. Die von der Revision erhobene Verfahrensrüge, das Berufungsgericht habe verkannt, dass der Kläger greifbare Anhaltspunkte für die prüfstandsbezogene Funktionsweise der KSR und eine arglistige Täuschung des Kraftfahrt-Bundesamts aufgezeigt habe, hat der Senat geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

92. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

10Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

11Der angefochtene Beschluss ist in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil er sich insoweit nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann im Umfang der Aufhebung nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher insoweit zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

12Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der - bislang lediglich unterstellten - Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:140524UVIAZR1666.22.0

Fundstelle(n):
ZAAAJ-70304