Keine rückwirkende Kindergeldaufhebung und -rückforderung bei Verstoß der Behörde gegen Sachaufklärungspflicht
Leitsatz
1. Für Kindergeldbescheide gelten zusätzlich zu den Vorschriften der §§ 129 und 172 bis 177 AO die speziellen auf den Charakter
des Dauerverwaltungsakts ausgerichteten Änderungsvorschriften des § 70 Abs. 2 und Abs. 3 EStG.
2. Tatsache i.S. von § 173 AO ist alles, was Merkmal oder Teilstück eines gesetzlichen Steuertatbestandes sein kann und umfasst
somit Zustände, Vorgänge, Beziehungen und Eigenschaften materieller oder immaterieller Art. Dagegen sind Schlussfolgerungen,
steuerrechtliche Würdigungen von Tatsachen oder Subsumtionen keine Tatsachen.
3. Nachträglich bekannt geworden sind Tatsachen oder Beweismittel, wenn sie zu dem für eine Aufhebung oder Änderung nach §
173 AO maßgebenden Zeitpunkt bereits vorhanden, aber noch unbekannt waren.
4. Für eine Aufhebung oder Änderung zu Ungunsten des Steuerpflichtigen bzw. Kindergeldberechtigten gilt der allgemeine Rechtsgrundsatz
von Treu und Glauben, wonach eine Änderung ausgeschlossen ist, wenn die fraglichen Tatsachen der Finanzbehörde bei gehöriger
Erfüllung ihrer Sachaufklärungspflicht nicht verborgen geblieben wären.
5. Wenn in dem von der Kindergeldberechtigten ausgefüllten Antragsvordruck weder nach eigenen Unterhaltszahlungen oder nach
solchen des Kindesvaters gefragt worden ist, kann der Kindergeldberechtigten mangels Einschätzung der rechtlichen Relevanz
nicht zugemutet werden, hierzu unaufgefordert Angaben zu machen.
6. Die Änderungsvorschrift des § 70 Abs. 3 EStG erlaubt lediglich eine Änderung ab dem auf die Bekanntgabe der Kindergeldaufhebung
folgenden Monat.
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FG Münster, Urteil v. 24.05.2024 - 1 K 2995/22 Kg,AO
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