Instanzenzug: Az: 63 KLs 16/23
Gründe
1Das Landgericht hat den Angeklagten R. B. wegen Handeltreibens mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in 18 Fällen unter Einbeziehung von Strafen aus einem früheren Urteil zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von sieben Jahren und elf Monaten verurteilt und seine Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Den Angeklagten B. B. hat es wegen Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in Tateinheit mit Beihilfe zum Handeltreiben mit Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge in sieben Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von vier Jahren verurteilt und ebenfalls dessen Unterbringung in einer Entziehungsanstalt angeordnet. Die zugunsten der Angeklagten eingelegten und wirksam auf die Aufhebung der Maßregelaussprüche beschränkten Revisionen der Staatsanwaltschaft haben mit der Sachrüge Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO).
21. Die Anordnung der Unterbringung in einer Entziehungsanstalt nach § 64 StGB hält hinsichtlich beider Angeklagten revisionsgerichtlicher Überprüfung nicht stand. Die Urteilsgründe belegen insbesondere nicht, dass der nach § 64 Satz 1 StGB erforderliche symptomatische Zusammenhang zwischen dem Substanzkonsum und der Begehung von Straftaten besteht.
3a) Die begangene rechtswidrige Tat muss nach der Neufassung von § 64 Satz 1 StGB „überwiegend“ auf den Hang zurückgehen. Durch diese Schärfung des Kausalitätserfordernisses zwischen „Hang“ und „Anlasstat“ erstrebt der Gesetzgeber, dass Personen, bei denen die Straffälligkeit auf andere Ursachen zurückzuführen ist, künftig nicht mehr die Voraussetzungen für eine Unterbringung nach § 64 StGB erfüllen (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 26). Bloße Mitursächlichkeit des Hangs für die Tat reicht deshalb nur noch dann aus, wenn sie andere Ursachen quantitativ überwiegt (vgl. ; Beschlüsse vom – 5 StR 246/23; vom – 6 StR 316/23; BT-Drucks. 20/5913, S. 69). Dies ist in Fällen abzulehnen, in denen Straftaten begangen werden, um – neben dem Drogenkonsum – den eigenen, womöglich aufwendigen Lebensbedarf zu finanzieren, oder bei einem „Großdealer“, der selbst auch die gehandelte Droge oder ein anderes Suchtmittel konsumiert, und solchen, bei denen suchtunabhängiges dissoziales Verhalten für die Tatbegehung wesentlich war (vgl. BT-Drucks. aaO, S. 47). Hingegen wird ein überwiegender Zusammenhang regelmäßig anzunehmen sein, wenn das delinquente Verhalten seine Motivation etwa im „Craving“, also im Drogenhunger, oder in der Notwendigkeit zum Erwerb der Substanz hat, um Entzugssymptome zu vermeiden, oder wenn aggressive Handlungen infolge der Abhängigkeit bzw. einer Intoxikation begangen wurden (vgl. BT-Drucks. aaO).
4b) Ausgehend von diesem Maßstab steht nicht fest, dass die Taten der Angeklagten überwiegend auf den Hang zurückzuführen sind. Aus den Urteilsgründen ergibt sich zwar, dass beide Angeklagten angegeben haben, mit den Taten ihren Konsum finanziert zu haben. Zugleich ist aber festgestellt, dass der Angeklagte R. B. handelte, um sich aus den „in einer festen und gut organisierten professionellen Struktur“ stattfindenden Geschäften, die Handelsmengen bis zu zehn Kilogramm betrafen, eine nicht nur unerhebliche Einnahmequelle von gewissem Umfang und einiger Dauer zu verschaffen, und dass der ihn bei sieben Taten unterstützende Angeklagte B. B. mit dem Erlös aus den Taten auch „seinen sonstigen Lebensbedarf finanzierte und Rücklagen bilden konnte“.
5c) Der vom Landgericht unter Hinweis auf ein „erfolgsorientiertes Verständnis des Begriffes überwiegend“ entwickelte eigene Maßstab, wonach „die rechtswidrige Tat dann überwiegend auf den Hang im Sinne von § 64 Satz 1 StGB zurückgeht, wenn die Substanzkonsumstörung so gewichtig ist, dass bei einer erfolgreichen Entwöhnungsbehandlung in der Entziehungsanstalt auch von einer nachhaltigen Vermeidung weiterer Straftaten ausgegangen werden kann“, trägt dem im Wortsinn zum Ausdruck gekommenen gesetzgeberischen Willen (vgl. BT-Drucks. 20/5913, S. 46, 69 f., BR-Drucks. 687/22, S. 50 ff., 79) nicht ausreichend Rechnung. Zudem werden die eigenständigen Anordnungsvoraussetzungen des symptomatischen Zusammenhangs, der Gefahrprognose und der Erfolgsaussicht in unzulässiger Weise miteinander vermengt.
62. Der Senat kann nicht ausschließen, dass die Strafkammer bei Anwendung des zutreffenden Maßstabs jeweils von einer Anordnung der Unterbringung abgesehen hätte. Die Sache bedarf daher im Umfang der Aufhebung und – wiederum unter Hinzuziehung eines Sachverständigen (§ 246a Abs. 1 Satz 2 StPO) – neuer Verhandlung und Entscheidung. Der Senat hebt die zugehörigen Feststellungen auf, um dem neuen Tatgericht eigene, widerspruchsfreie zu ermöglichen (§ 353 Abs. 2 StPO). Sollte es erneut die Anordnung der Unterbringung erwägen, wird es sich vor allem bezüglich des Angeklagten R. B. bei der im Rahmen der Prüfung der Erfolgsaussicht gebotenen Gesamtwürdigung aller für und gegen die Therapierbarkeit sprechenden Aspekte (vgl. ) eingehender als bisher geschehen mit den prognoseungünstigen Umständen, namentlich dem Misserfolg der Therapie, der langjährigen Suchterkrankung und den dissozialen Verhaltensweisen, auseinanderzusetzen haben. Allein die „mit Vehemenz vorgetragene Bitte um die Gewährung einer nochmaligen Therapiechance im Maßregelvollzug“ vermag eine Erfolgsaussicht im Sinne von § 64 Satz 2 StGB nicht zu begründen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:280524B6STR144.24.0
Fundstelle(n):
RAAAJ-69732