Notwendiger Inhalt einer Berufungsbegründung im Schadensersatzprozess nach Verkehrsunfall: Umfang des Berufungsangriffs bei einheitlichem Streitgegenstand; Anspruch auf Freistellung von Reparaturkosten und Erstattung weiterer Mietwagenkosten
Leitsatz
Zu den Anforderungen an den Inhalt einer Berufungsbegründung.
Gesetze: § 520 Abs 3 S 2 ZPO, § 249 BGB, §§ 249ff BGB
Instanzenzug: Az: VI ZR 199/22vorgehend OLG Zweibrücken Az: 1 U 111/21vorgehend LG Frankenthal Az: 9 O 50/20
Gründe
I.
1Der Kläger nimmt den beklagten Haftpflichtversicherer auf restlichen Schadensersatz nach einem Verkehrsunfall in Anspruch.
2Am wurde das vom Kläger bei der M. GmbH geleaste Fahrzeug durch ein bei der Beklagten haftpflichtversichertes Fahrzeug beschädigt. Die volle Einstandspflicht der Beklagten dem Grunde nach steht außer Streit. Der Kläger beauftragte einen Sachverständigen mit der Begutachtung des Schadens. Diese ermittelten Reparaturkosten in Höhe von 31.195,36 € netto und eine Wertminderung von 3.500 €. Er gab den Wiederbeschaffungswert des Fahrzeugs mit 31.932,77 € netto und den Restwert mit 18.060 € an. Der Kläger ließ mit Zustimmung der Leasingfirma das Fahrzeug für insgesamt 47.739,68 € brutto reparieren. Die Leasinggeberin ermächtigte den Kläger zur Geltendmachung der fahrzeugbezogenen Ansprüche im eigenen Namen.
3Mit der Klage hat der Kläger unter anderem verlangt, ihn von Reparaturkosten der Kfz-Werkstatt, Mietwagenkosten für den Zeitraum 7. bis sowie Rechtsanwaltskosten freizustellen, den Minderwert gegenüber der Leasinggesellschaft auszugleichen und ihm weitere Mietwagenkosten für den Zeitraum 21. März bis in Höhe von 1.318,46 € nebst Prozesszinsen zu erstatten. Das Landgericht hat die Klage bis auf die geforderte Freistellung von Mietwagenkosten für den Zeitraum 7. bis und von anteiligen Rechtsanwaltskosten abgewiesen. Zur Begründung hat es ausgeführt, die Schadensersatzpflicht der Beklagten habe auf Totalschadensbasis zu erfolgen und sei auf den Wiederbeschaffungsaufwand beschränkt. Deshalb bestehe kein Anspruch auf Freistellung von Reparaturkosten und Ausgleich des Minderwerts. Dem Kläger stehe nur ein Anspruch auf Erstattung von Mietwagenkosten für die Dauer der Wiederbeschaffung des Fahrzeugs von 14 Tagen zu.
4Das Oberlandesgericht hat die Berufung des Klägers nach vorherigem Hinweis durch Beschluss als unzulässig verworfen, soweit der Kläger Erstattung weiterer Mietwagenkosten in Höhe von 1.318,46 € und Freistellung von weiteren Rechtsanwaltskosten begehrt. Im Übrigen hat das Berufungsgericht die Berufung durch Beschluss als offensichtlich unbegründet zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde wendet sich der Kläger gegen die Verwerfung der Berufung als unzulässig im Hinblick auf die geforderte Erstattung weiterer Mietwagenkosten in Höhe von 1.318,46 €. Soweit sich der Kläger mit einer Nichtzulassungsbeschwerde gegen die Zurückweisung der Berufung als unbegründet gewandt hat, hat der Senat diese mit Beschluss vom - VI ZR 199/22 zurückgewiesen.
II.
5Die Rechtsbeschwerde hat Erfolg.
61. Das Berufungsgericht hat zur Begründung seiner Entscheidung, soweit hier relevant, ausgeführt, die Berufungsbegründung hinsichtlich der geforderten Zahlung weiterer Mietwagenkosten in Höhe von 1.318,46 € genüge bereits nicht den gesetzlichen Anforderungen. Sie setze sich zwar mit der vom Landgericht verneinten Frage der Ersatzfähigkeit der den Wiederbeschaffungswert übersteigenden Reparaturkosten auseinander, es fehle aber jegliche Begründung hinsichtlich der im angekündigten Berufungsantrag enthaltenen Mietwagenkosten. Eine Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Landgerichts in der angefochtenen Entscheidung finde nicht statt.
72. Die nach § 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 522 Abs. 1 Satz 4 ZPO statthafte Rechtsbeschwerde ist zulässig. Eine Entscheidung des Rechtsbeschwerdegerichts ist gemäß § 574 Abs. 2 Nr. 2 Alt. 2 ZPO zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung erforderlich.
8Die Rechtsbeschwerde ist auch begründet. Die teilweise Verwerfung der Berufung als unzulässig verletzt den Kläger in seinem Verfahrensgrundrecht auf Gewährung wirkungsvollen Rechtsschutzes (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip). Dieses Verfahrensgrundrecht verbietet es, einer Partei den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren (vgl. BVerfG, NJW 1991, 3140; Senatsbeschlüsse vom - VI ZB 74/22, NJW 2023, 2280 Rn. 6; vom - VI ZB 50/17, NJW-RR 2019, 640 Rn. 7 mwN). Das ist vorliegend erfolgt.
9a) Nach § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ZPO muss die Berufungsbegründung die Umstände bezeichnen, aus denen sich nach Ansicht des Berufungsklägers die Rechtsverletzung und deren Erheblichkeit für die angefochtene Entscheidung ergeben. Dazu gehört eine aus sich heraus verständliche Angabe, welche bestimmten Punkte des angefochtenen Urteils der Berufungskläger bekämpft und welche tatsächlichen und rechtlichen Gründe er ihnen im Einzelnen entgegensetzt. Erforderlich und ausreichend ist die Mitteilung der Umstände, die aus der Sicht des Berufungsklägers den Bestand des angefochtenen Urteils gefährden (vgl. Senatsbeschlüsse vom - VI ZB 50/19, NJW-RR 2021, 789 Rn. 5; vom - VI ZB 40/14, NJW-RR 2015, 511 Rn. 7 mwN). Bei mehreren Streitgegenständen oder einem teilbaren Streitgegenstand muss sich die Berufungsbegründung grundsätzlich auf alle Teile des Urteils erstrecken, hinsichtlich derer eine Abänderung beantragt ist; andernfalls ist das Rechtsmittel für den nicht begründeten Teil unzulässig. Liegt dem Rechtsstreit dagegen ein einheitlicher Streitgegenstand zugrunde, muss der Berufungskläger nicht zu allen für ihn nachteilig beurteilten Streitpunkten in der Berufungsbegründung Stellung nehmen, wenn schon der allein vorgebrachte - unterstellt erfolgreiche - Berufungsangriff gegen einen Punkt geeignet ist, der Begründung des angefochtenen Urteils insgesamt die Tragfähigkeit zu nehmen. Anders liegt es dann, wenn das Gericht seine Entscheidung auf mehrere voneinander unabhängige, selbständig tragende rechtliche Erwägungen stützt. In diesem Fall muss der Berufungskläger in der Berufungsbegründung für jede dieser Erwägungen darlegen, warum sie nach seiner Auffassung die angegriffene Entscheidung nicht tragen (vgl. Senatsbeschluss vom - VI ZB 50/22, juris Rn. 9; Senatsurteil vom - VI ZR 605/15, VersR 2017, 822 Rn. 14 f.; jeweils mwN).
10b) Diesen Anforderungen genügt die Berufungsbegründung hinsichtlich der vom Landgericht versagten Erstattung weiterer Mietwagenkosten. Entgegen der Auffassung des Berufungsgerichts fehlt es insoweit nicht an einer Auseinandersetzung mit den Erwägungen des Landgerichts.
11Der Kläger hat in der Berufungsbegründungsschrift einen Berufungsantrag angekündigt, mit dem er unter anderem die Zahlung weiterer Mietwagenkosten in Höhe von 1.318,46 € nebst Prozesszinsen begehrt. Er hat ausgeführt, dass er während der Reparatur mehrere Mietwagen habe anmieten müssen. Die Rechtsansicht des Landgerichts, dass im Streitfall nur der Wiederbeschaffungsaufwand, nicht aber die Reparaturkosten ersatzfähig seien, hat der Kläger in seiner Berufungsbegründung ausdrücklich angegriffen. Davon ist auch das Berufungsgericht ausgegangen. Das Landgericht hat die Erstattung weiterer Mietwagenkosten aus demselben Grund versagt wie die geforderte Freistellung von Reparaturkosten, nämlich mit der Erwägung, dass der Anspruch des Klägers auf den Wiederbeschaffungsaufwand beschränkt sei. Der Berufungsangriff gegen die Begründung des Landgerichts, mit der es die Ersatzfähigkeit der Reparaturkosten verneint hat, erfasst daher auch die Abweisung der Klage auf Erstattung weiterer Mietwagenkosten.
12c) Die angefochtene Entscheidung erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 577 Abs. 3 ZPO). Denn aus den bindenden Feststellungen des Berufungsgerichts ergibt sich nicht bereits, dass kein Anspruch auf Ersatz weiterer Mietwagenkosten besteht.
13Das Berufungsgericht hat, soweit es die Berufung teilweise als unbegründet zurückgewiesen hat, bindend entschieden, dass die Ersatzpflicht der Beklagten aus dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall auf den Wiederbeschaffungsaufwand (Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert) beschränkt ist. Die Bindungswirkung ergibt sich für das Berufungsgericht aus § 318 ZPO. Nach Zurückweisung der Nichtzulassungsbeschwerde gegen den Teilzurückweisungsbeschluss nach § 522 Abs. 2 ZPO ist zudem Rechtskraft eingetreten. Bei einer klageabweisenden Entscheidung, wie sie unter anderem zu den geltend gemachten Reparaturkosten und zum Minderwert ergangen ist, ist der aus der Begründung zu ermittelnde, die Rechtsfolge bestimmende, ausschlaggebende Abweisungsgrund Teil des in Rechtskraft erwachsenden Entscheidungssatzes und nicht allein ein Element der Entscheidungsbegründung (vgl. Senatsbeschluss vom - VI ZB 50/22, juris Rn. 17; , WM 1989, 1897, juris Rn. 17; jeweils mwN).
14Das Berufungsgericht hat in seinem Hinweisbeschluss ausgeführt, dass das Landgericht bei der Frage der ersatzfähigen Mietwagenkosten nur die im Sachverständigengutachten angegebene Wiederbeschaffungsdauer von 14 Tagen zugrunde gelegt habe, ohne den Zeitraum bis zur Gutachtenerstellung und eine angemessene Überlegungszeit zugunsten des Klägers zu berücksichtigen. Deshalb kann nicht ausgeschlossen werden, dass das Berufungsgericht dem Kläger auf der Grundlage etwaiger noch zu treffender Feststellungen einen Anspruch auf Erstattung weiterer Mietwagenkosten zusprechen wird.
153. Der angefochtene Beschluss ist aufzuheben und die Sache zur erneuten Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 577 Abs. 4 Satz 1 ZPO).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:030724BVIZB44.22.0
Fundstelle(n):
NJW 2024 S. 10 Nr. 30
NJW-RR 2024 S. 995 Nr. 15
RAAAJ-69719