BGH Urteil v. - VIa ZR 466/22

Instanzenzug: Az: 33 U 7865/21vorgehend LG München II Az: 2 O 3032/19

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Der Kläger erwarb im Februar 2015 von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten VW Touareg 3.0 V6 TDI SCR BMT 4 Motion als Neuwagen. Den in dem Fahrzeug eingebauten Dieselmotor (Schadstoffklasse Euro 6) hatte die Audi AG entwickelt und geliefert. Die Motorsteuerungssoftware des Fahrzeugs verfügt über einen SCR-Katalysator.

3Der Kläger verlangt von der Beklagten, ihn im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe er den das Fahrzeug betreffenden Kaufvertrag nicht abgeschlossen. Er hat zuletzt die Zahlung von 40.483,34 € nebst Zinsen Zug um Zug gegen Herausgabe und Übereignung des streitgegenständlichen Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs und die Zahlung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen beantragt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen; die Berufung des Klägers hatte keinen Erfolg. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.

Gründe

4Die Revision hat Erfolg.

I.

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

6Ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB bestehe nicht. Der Kläger habe nicht ausreichend dargelegt, dass einer der verfassungsmäßig berufenen Vertreter der Beklagten im Sinne des § 31 BGB die Voraussetzungen der objektiven Sittenwidrigkeit verwirklicht habe. Eine Haftung aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6, 27 EG-FGV bestehe nicht, weil die §§ 6, 27 EG-FGV keine Schutzgesetze im Sinne von § 823 Abs. 2 BGB darstellten.

II.

7Die Entscheidung des Berufungsgerichts hält der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

81. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.

92. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32). Dabei obliegen dem Fahrzeughersteller, der für die Konstruktion des von ihm hergestellten Fahrzeugs Motoren fremder Hersteller verwendet, auch insoweit die Sorgfaltspflichten eines Herstellers ( VIa ZR 26/21, NJW-RR 2024, 293 Rn. 14 mwN).

10Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

III.

11Die Berufungsentscheidung ist demnach aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Das Berufungsgericht wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:140524UVIAZR466.22.0

Fundstelle(n):
LAAAJ-69533