BVerwG Urteil v. - 8 C 6/23

Leitsatz

Ein Willkürakt im Einzelfall im Sinne des § 1 Abs. 2 VwRehaG setzt voraus, dass eine Maßnahme von der Tendenz und Absicht getragen ist, ihre Adressaten bewusst zu benachteiligen (Bestätigung der Rechtsprechung vgl. 3 C 39.00 - Buchholz 428.6 § 1 VwRehaG Nr. 3 S. 9 und vom - 8 C 1.19 - BVerwGE 166, 200 Rn. 18; Beschluss vom - 3 B 7.00 - Buchholz 115 Sonstiges Wiedervereinigungsrecht Nr. 32). Die Benachteiligung muss dabei gegenüber vergleichbaren Personen erfolgen.

Instanzenzug: Az: 11 K 2576/21 Urteil

Tatbestand

1Die ... in L. geborene Klägerin begehrt ihre verwaltungsrechtliche Rehabilitierung.

2Sie war in den Jahren ... bis ... - als 12- bis 17-Jährige - in den Vereinen S. B., M. B. und A. P. im Kanusport als Leistungssportlerin aktiv. Ihr wurden verschiedene Dopingsubstanzen verabreicht, ohne dass über Wirkstoffe und Dosierungen Näheres bekannt ist. Die Dopingmaßnahmen führten zu erheblichen, bis heute anhaltenden gesundheitlichen Beeinträchtigungen, unter anderem Nierenproblemen, einem Schlaganfall und einem unheilbaren Immundefekt. Die Klägerin ist seit ihrem 43. Lebensjahr erwerbsunfähig. Sie ist schwerbehindert mit einem Grad der Behinderung von 90. Sie erhielt eine Hilfeleistung nach dem (ersten) Gesetz über eine finanzielle Hilfe für Dopingopfer der DDR.

3Die Klägerin beantragte im Februar 2021 ihre verwaltungsrechtliche Rehabilitierung wegen der ihr ohne ihr Wissen verabreichten Dopingsubstanzen. Der Beklagte lehnte den Antrag ab. Die Verabreichung der Dopingmittel habe weder der politischen Verfolgung der Klägerin gedient, noch habe das systematische Staatsdoping einen Willkürakt im Einzelfall dargestellt. Soweit das Verwaltungsgericht Greifswald dies anders gesehen habe, könne dem nicht gefolgt werden.

4Hiergegen hat die Klägerin Klage erhoben und zur Begründung im Wesentlichen vorgetragen, der Beklagte überspanne die Anforderungen an das Tatbestandsmerkmal des Willküraktes im Einzelfall. Die Dopingmittel seien den (Nachwuchs-)Leistungssportlern nicht im Interesse ihrer individuellen Leistungssteigerung, sondern allein um der sportlichen Erfolge der DDR willen und ohne jede Rücksicht auf ihre Gesundheit verabreicht worden.

5Das Verwaltungsgericht hat die Klage abgewiesen. Die Klägerin habe keinen Anspruch auf Feststellung der Rechtsstaatswidrigkeit der Dopingmaßnahmen. Zwar stelle die im "Staatsplanthema 14.25" manifestierte und schon zuvor staatlich gewollte zentral gesteuerte Verabreichung von Dopingmitteln eine hoheitliche Maßnahme dar. Zudem bestehe kein Zweifel daran, dass diese in schwerwiegender Weise gegen die Prinzipien der Gerechtigkeit, der Rechtssicherheit oder der Verhältnismäßigkeit verstoßen habe. Ebenso habe sie bei der Klägerin zu erheblichen, bis heute andauernden gesundheitlichen Schädigungen geführt. Es fehle jedoch an der weiteren Tatbestandsvoraussetzung, dass die Maßnahme der politischen Verfolgung gedient oder einen Willkürakt im Einzelfall dargestellt habe. Letzteres sei nur zu bejahen, wenn die Maßnahme von der Tendenz und Absicht getragen sei, ihre Adressaten bewusst zu benachteiligen. Es bedürfe einer bewussten Diskriminierung. Eine diskriminierende Tendenz gegenüber den durch das Doping geschädigten Nachwuchssportlern habe nicht bestanden.

6Mit ihrer Revision macht die Klägerin geltend, es liege eine mittelbare politische Verfolgung darin, dass die Nachwuchssportler durch die gesundheitsschädigenden Dopingvergaben zur Erreichung der staatspolitischen Ziele der DDR missbraucht worden seien. Einen Willkürakt im Einzelfall habe das Verwaltungsgericht Greifswald zutreffend in dem staatlichen Zwangsdoping erkannt. Das DDR-Zwangsdoping stelle keinesfalls ein Allgemeinschicksal und keine systemimmanente Maßnahme der DDR dar. Dem Anspruch stehe nicht entgegen, dass die Klägerin schon Leistungen nach dem Dopingopfer-Hilfegesetz erhalten habe.

7Die Klägerin beantragt,

das Urteil des Verwaltungsgerichts Potsdam vom zu ändern und den Beklagten unter Aufhebung seines Bescheids vom zu verpflichten festzustellen, dass die Verabreichung von Dopingmitteln an die Klägerin in den Jahren ... bis ... als Hochleistungssportlerin im Kanusport in den Vereinen S. B., M. B. und A. P. rechtsstaatswidrig war.

8Der Beklagte beantragt,

die Revision zurückzuweisen.

9Er verteidigt das angegriffene Urteil und führt ergänzend aus, das Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz sei auf das staatlich veranlasste Doping in der DDR nicht anwendbar.

Gründe

10Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Die angegriffene Entscheidung ist in Einklang mit revisiblem Recht davon ausgegangen, dass das Gesetz über die Aufhebung rechtsstaatswidriger Verwaltungsentscheidungen im Beitrittsgebiet und die daran anknüpfenden Folgeansprüche (Verwaltungsrechtliches Rehabilitierungsgesetz - VwRehaG) in der Fassung der Bekanntmachung vom (BGBl. I S. 1620), zuletzt geändert durch Art. 13 des Gesetzes vom (BGBl. I S. 2652), vorliegend anwendbar ist (1.) und die Verabreichung von Dopingpräparaten an die Klägerin eine hoheitliche Maßnahme einer deutschen behördlichen Stelle darstellte (2.), die zu einer gesundheitlichen Schädigung geführt hat (3.). Ebenso ohne Bundesrechtsverstoß hat das Verwaltungsgericht die Rechtsstaatswidrigkeit des staatlichen Dopings verneint, weil dieses zwar in schwerwiegender Weise gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit verstieß, jedoch weder der politischen Verfolgung gedient noch einen Willkürakt im Einzelfall dargestellt hat (4.).

111. Zutreffend ist das Verwaltungsgericht von der Anwendbarkeit des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes auf Dopingmaßnahmen im Beitrittsgebiet ausgegangen. Das Gesetz ist gemäß § 1 Abs. 1 Satz 2 VwRehaG nur auf Verwaltungsentscheidungen in Steuersachen und Maßnahmen, die vom Vermögensgesetz oder vom Entschädigungsrentengesetz erfasst werden, nicht anwendbar. Aus der Annahme des (späteren) Gesetzgebers der Dopingopfer-Hilfegesetze, ein Rechtsanspruch der Opfer des staatlichen Dopings in der DDR auf Entschädigung bestehe nicht, folgt demgegenüber keine Beschränkung des Anwendungsbereichs. Ob diese Annahme zutrifft, ist eine Frage der Erfüllung der Tatbestandsvoraussetzungen der Norm und nicht der Anwendbarkeit des Gesetzes.

122. Zu Recht hat das Verwaltungsgericht das Vorliegen einer hoheitlichen Maßnahme einer deutschen behördlichen Stelle, die im Sinne des § 1 Abs. 5 VwRehaG nicht auf die Herbeiführung einer Rechtsfolge gerichtet ist, bejaht. Der Begriff der "deutschen behördlichen Stelle" erfasst nicht nur die "vollziehend-verfügenden Organe des Staatsapparats", sondern beispielsweise auch die staatlichen Einrichtungen wie Schulen, Universitäten, Krankenhäuser etc. (vgl. BT-Drs. 12/4994 S. 21 f.) Für Maßnahmen der Sozialistischen Einheitspartei Deutschlands oder der von ihr beherrschten Parteien und gesellschaftlichen Organisationen gelten die Vorschriften des Gesetzes gemäß § 1 Abs. 6 VwRehaG entsprechend. Danach ist vorliegend von einer Maßnahme einer deutschen behördlichen Stelle auszugehen, weil das Doping im Leistungssport nach den bindenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts staatlich gewollt war und die konkrete Verabreichung eines Dopingpräparats durch Trainer und/oder Ärzte am Ende einer Kette von staatlichen Beschlüssen stand. Dies war schon in der Zeit vor 1974, also vor dem Beschluss über das "Staatsplanthema 14.25", in dem das staatliche Doping institutionalisiert wurde, der Fall.

133. Nach den bindenden Feststellungen des Verwaltungsgerichts hat die Verabreichung der Dopingpräparate zu einer unmittelbar und schwer fortwirkenden gesundheitlichen Schädigung der Klägerin geführt.

144. Ohne Bundesrechtsverstoß hat das Verwaltungsgericht die Rechtsstaatswidrigkeit des staatlichen Dopings im Sinne des § 1 Abs. 1, 2 VwRehaG verneint. Mit tragenden Grundsätzen eines Rechtsstaates schlechthin unvereinbar sind gemäß § 1 Abs. 2 VwRehaG Maßnahmen, die in schwerwiegender Weise gegen die Prinzipien der Gerechtigkeit, der Rechtssicherheit oder der Verhältnismäßigkeit verstoßen haben (a.) und die der politischen Verfolgung gedient (b.) oder Willkürakte im Einzelfall dargestellt haben (c.).

15a. Die Verabreichung von Dopingmitteln an die Klägerin verstieß in schwerwiegender Weise gegen das Prinzip der Verhältnismäßigkeit. Die Verabreichung von Dopingsubstanzen an Minderjährige unter Inkaufnahme gesundheitlicher Schädigungen stand zu dem damit angestrebten Zweck der sportpolitischen Profilierung der DDR erkennbar außerhalb jeden vernünftigen Verhältnisses. Darüber hinaus verletzte die heimliche Verabreichung von Dopingsubstanzen auch die Menschenwürde der Sportler, da sie hierdurch zum Objekt staatlicher Willkür degradiert wurden (vgl. zu diesem Maßstab BT-Drs. 12/4994 S. 24 f.).

16b. Die Maßnahme diente nicht der politischen Verfolgung. Eine Verfolgungshandlung ist dann politisch im Sinne des § 1 Abs. 2 VwRehaG, wenn sie dem Einzelnen in Anknüpfung an bestimmte, regelmäßig unverfügbare Merkmale gezielt Rechtsverletzungen zufügt, die ihn ihrer Intensität nach aus der übergreifenden Friedensordnung der staatlichen Gemeinschaft ausgrenzen (vgl. 8 C 1.19 - BVerwGE 166, 200, Rn. 18). Dabei kommt es nicht allein auf die Intensität der Handlung an; vielmehr ist eine Einzelfallprüfung durchzuführen ( 3 B 72.03 - juris, Rn. 3). Gemessen daran diente das staatlich veranlasste Doping nicht der politischen Verfolgung. Die DDR verfolgte nicht das Ziel, die Leistungssportler aus ihrer staatlichen Friedensordnung auszugrenzen. Vielmehr galten diese als besonders wichtige Repräsentanten des Staates. Dass sie hierbei zu politischen Zwecken instrumentalisiert wurden, rechtfertigt nicht die Annahme politischer Verfolgung. Etwas anderes folgt nicht aus der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs zur Strafverfolgungsverjährung bezüglich der heimlichen Vergabe von Doping-Mitteln an DDR-Sportler. Danach ruht die Verjährung, wenn in der Staatspraxis der DDR bestimmte Straftaten aus politischen oder sonst mit wesentlichen Grundsätzen einer freiheitlichen rechtsstaatlichen Ordnung unvereinbaren Gründen generell nicht verfolgt wurden (vgl. - NJW 2000, 1506 <1507>). Die Nichtverfolgung von Straftaten aus politischen Gründen bedeutet jedoch für sich genommen nicht, dass diese Straftaten als politische Verfolgung im Sinne des Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetzes eingeordnet werden müssten.

17c. Schließlich ist das Verwaltungsgericht im Einklang mit Bundesrecht von einem zutreffenden Verständnis des "Willkürakts im Einzelfall" ausgegangen (aa.) und hat einen solchen zu Recht verneint (bb.).

18aa. Nach gefestigter Rechtsprechung stellt eine hoheitliche Maßnahme einen Willkürakt im Einzelfall im Sinne von § 1 Abs. 2 VwRehaG dar, wenn die Maßnahme von der Tendenz und Absicht getragen ist, ihre Adressaten bewusst zu benachteiligen (vgl. 3 C 39.00 - Buchholz 428.6 § 1 VwRehaG Nr. 3 S. 9 und vom - 8 C 1.19 - BVerwGE 166, 200 Rn. 18; Beschluss vom - 3 B 7.00 - Buchholz 115 Sonstiges Wiedervereinigungsrecht Nr. 32). Die Benachteiligung muss dabei gegenüber vergleichbaren Personen erfolgen (vgl. BT-Drs. 12/4994 S. 25).

19Für dieses Verständnis spricht der Wortlaut des § 1 Abs. 2 VwRehaG. Danach soll nicht jeder Willkürakt der DDR-Behörden rehabilitierungsfähig sein, sondern lediglich Willkürakte "im Einzelfall". Diese Beschränkung bringt zum Ausdruck, dass systematisch in der ehemaligen DDR erfolgende Unrechtsakte, die nicht der politischen Verfolgung dienten (vgl. oben Rn. 16), nicht einbezogen werden sollten. Nicht ausreichend ist es demnach, dass sich die Willkürakte - wie regelmäßig der Fall - auf einzelne Individuen ausgewirkt haben.

20Nach der Gesetzesbegründung sollte das Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz keine Gesamtrevision von 40 Jahren Verwaltung in der DDR bewirken (BT-Drs. 12/4994 S. 23). Dem entspricht es, dass der Gesetzgeber zusätzlich zu dem objektiven Kriterium des schwerwiegenden Verstoßes gegen die Prinzipien der Gerechtigkeit, der Rechtssicherheit oder der Verhältnismäßigkeit die subjektive Zielrichtung forderte, dass die Maßnahme entweder der politischen Verfolgung diente oder einen Willkürakt im Einzelfall darstellte, das heißt, "daß der Betroffene bewußt gegenüber vergleichbaren Personen diskriminiert wurde" (BT-Drs. 12/4994 S. 25). Der Gesetzgeber forderte damit die Diskriminierung gegenüber einer vergleichbaren Personengruppe und ließ eine Benachteiligung gegenüber der allgemeinen Bevölkerung der DDR nicht ausreichen. Gravierende Willkürakte wurden einbezogen, weil sie manifester Ausdruck eines Systems waren, das seine Bürger schutzlos der Willkür von Amtsträgern auslieferte (BT Drs. 12/4994 S. 25).

21An diesem Verständnis hat der Gesetzgeber auch später festgehalten. Sowohl das Erste (BGBl. I 2002 S. 3410) als auch das Zweite Dopingopfer-Hilfegesetz (BGBl. I 2016 S. 1546) gewährten Leistungen gemäß § 1 Abs. 1 aus humanitären und sozialen Gründen. Dem lag jeweils die Annahme zugrunde, ein Rechtsanspruch der Dopingopfer auf Entschädigung durch die Bundesrepublik bestehe nicht (vgl. BT-Drs. 14/9022 S. 5 und 14/9028 S. 4 sowie 18/8040 S. 8). Damit brachte der Gesetzgeber die damals einhellige Auffassung zum Ausdruck, dass Dopingopfern im Regelfall keine Ansprüche nach dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz zustanden (so etwa auch der Antrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen, BT-Drs. 17/12393). Im Gesetzentwurf der Oppositionsfraktionen zum Ersten Dopingopfer-Hilfegesetz, der mit dem Entwurf der die Bundesregierung tragenden Fraktionen hinsichtlich Voraussetzungen und Verfahren weitgehend identisch war, wurde die Zuständigkeit des Bundesverwaltungsamts gerade damit begründet, eine Gleichsetzung der Dopingopfer mit politisch Verfolgten zu vermeiden (vgl. BT-Drs. 14/9022 S. 6).

22Etwas anderes folgt auch nicht aus der Regelung des § 8 Abs. 1 der Dopingopfer-Hilfegesetze. Danach bleiben Ansprüche wegen desselben Lebenssachverhalts aus anderen Rechtsgründen unberührt. Dies besagt allein, dass möglicherweise parallel - auch nach dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz (vgl. BT-Drs. 14/9022 S. 9) - bestehende Ansprüche unangetastet bleiben, ohne aber generell deren Bestehen vorauszusetzen. Dagegen spricht auch, dass die Annahme, Dopingopfern stehe zusätzlich zu der in den Dopingopfer-Hilfegesetzen geregelten einmaligen Geldzahlung stets auch ein Anspruch nach dem Verwaltungsrechtlichen Rehabilitierungsgesetz zu, ihrerseits unter gleichheitsrechtlichen Gesichtspunkten begründungsbedürftig gewesen wäre. Ohne Weiteres ist jedenfalls nicht ersichtlich, warum im Gegensatz dazu politisch in der DDR Verfolgten eine solche einmalige Geldzahlung nicht auch neben den sonstigen Ansprüchen zugestanden hätte. Angesichts dieser Friktionen und des eindeutig entgegenstehenden Willens des Gesetzgebers würde eine Einbeziehung der Dopingopfer in das Verwaltungsrechtliche Rehabilitierungsgesetz die Grenzen richterlicher Rechtsfortbildung überschreiten.

23Diese Auslegung steht auch in Einklang mit Verfassungsrecht. In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist geklärt, dass sich eine Pflicht der Bundesrepublik Deutschland zur Wiedergutmachung von Unrecht einer nicht an das Grundgesetz gebundenen Staatsgewalt nicht aus einzelnen Grundrechten herleiten lässt, der Gesetzgeber jedoch bei der Ausgestaltung solcher Wiedergutmachungsleistungen an den allgemeinen Gleichheitssatz in der Ausprägung des Willkürverbots gebunden ist. Verboten ist dem Gesetzgeber danach die willkürlich ungleiche Behandlung von Sachverhalten, die in wesentlichen Punkten gleich sind. Welche Sachverhaltselemente so wichtig sind, dass ihre Verschiedenheit eine Ungleichbehandlung rechtfertigt, unterliegt regelmäßig seiner Entscheidung. Der Spielraum des Gesetzgebers endet erst dort, wo die ungleiche Behandlung nicht mehr mit einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise vereinbar ist, wo mit anderen Worten ein sich aus der Natur der Sache ergebender oder sonst sachlich einleuchtender Grund für die gesetzliche Differenzierung fehlt (vgl. hierzu u. a. - BVerfGE 102, 254 <299>).

24Es begegnet danach keinen verfassungsrechtlichen Bedenken, dass die verwaltungsrechtliche Rehabilitierung und die damit verbundenen Folgeansprüche politische Verfolgung oder Willkürakte im Einzelfall nach dem soeben dargelegten Verständnis voraussetzen. Angesichts der zahlreichen, äußerst herausfordernden Aufgaben im Rahmen der Wiedervereinigung konnte die Wiedergutmachung von DDR-Verwaltungsunrecht primär an politische Verfolgungsmaßnahmen anknüpfen, der die Betroffenen in der DDR in ganz besonderer Ausweglosigkeit ausgeliefert waren. Der Gesetzgeber war nicht verpflichtet, sonstigen in der DDR systematisch geschädigten Personengruppen die gleichen Entschädigungsansprüche zuzuerkennen. Hierbei ist auch zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber die Betroffenen durch die beiden Dopingopfer-Hilfegesetze und die Erstreckung des räumlichen Anwendungsbereichs des Opferentschädigungsgesetzes auf Taten im Beitrittsgebiet (vgl. § 10a Abs. 1 Satz 2 OEG, heute § 138 Abs. 5 SGB XIV; - juris, Rn. 61 ff.; zweifelnd - juris, Rn. 32) nicht schutzlos gestellt, sondern ihnen Ansprüche des sozialen Entschädigungsrechts zugesprochen hat.

25bb. Gemessen an diesem Maßstab hat das Verwaltungsgericht einen Willkürakt im Einzelfall zutreffend verneint. Die Klägerin wurde gegenüber der vergleichbaren Personengruppe, den anderen Jugendlichen, die in die Leistungskader der DDR aufgenommen wurden, nicht benachteiligt. Dass die Betroffenen einer schädigenden Handlung ausgesetzt waren, die die Bevölkerung der DDR nicht allgemein erdulden musste, reicht für die Annahme eines Willkürakts nicht aus.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BVerwG:2024:270324U8C6.23.0

Fundstelle(n):
BAAAJ-69451