BGH Beschluss v. - 3 StR 1/24

Instanzenzug: Az: 3 StR 1/24 Beschlussvorgehend Az: 3 StR 1/24 Beschlussvorgehend Az: 3 StR 1/24 Beschlussvorgehend Az: 10 KLs 3/22nachgehend Az: 3 StR 1/24 Beschluss

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten wegen Geiselnahme, gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit versuchter Nötigung und Nötigung in Tateinheit mit Beihilfe zum unerlaubten Erbringen von Zahlungsdiensten zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und neun Monaten verurteilt. Die Revision des Angeklagten, die er auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts stützt, hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Teilerfolg. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

2A. Nach den vom Landgericht getroffenen Feststellungen war der Mitangeklagte A.     von Hintermännern, die mit dem Transfer großer Summen von zu Hawala-Banking-Zwecken eingezahlter Barmittel befasst waren, damit beauftragt, Gelder zurückzuerlangen, die von anderen in das Hawala-Banking-Netzwerk eingebundenen Personen unterschlagen worden waren. So hatten G.    und Alr.   500.000 € Bargeld an sich gebracht, das ihnen drei Groß-Hawaladare anvertraut hatten. Auf Aufforderung des Mitangeklagten A.     händigte Alr.   insgesamt 210.000 € an zwei der Groß-Hawaladare aus (Fall II. 1. b. der Urteilsgründe [ohne Mithilfe des Angeklagten]). Um das Geld für den dritten wiederzubeschaffen, wirkte der Mitangeklagte A.     unter variierender Beteiligung des Angeklagten und der zwei weiteren Mitangeklagten mittels Bedrohungs-, Gewalt- und Entführungstaten auf G.      und Alr.    ein. Das Vorgehen führte dazu, dass die beiden Tatopfer Zahlungen in einer Gesamthöhe von 211.500 € leisteten. Der Angeklagte war an drei der gegen G.     gerichteten Taten beteiligt (Fälle II. 1. c., d. und f. der Urteilsgründe zum Nachteil G.     [Taten 1 bis 3 des Angeklagten]).

3B. Die Revision führt zur Änderung des Schuldspruchs sowie zur Aufhebung zweier Einzelstrafen und der Gesamtstrafe. Im Übrigen erweist sich das Rechtsmittel als erfolglos.

4I. Der Schuldspruch ist zu ändern, weil die Konkurrenzen in den Fällen II. 1. c. bis f. der Urteilsgründe, auch soweit sie den Angeklagten betreffen, abweichend von der rechtlichen Würdigung durch die Strafkammer zu beurteilen sind. Hierzu hat der Generalbundesanwalt in seiner Antragsschrift ausgeführt:

„3. Hingegen erscheint die konkurrenzrechtliche Betrachtung der Kammer, die mehrere rechtlich selbständige Taten der Nötigung angenommen hat, nicht frei von rechtlichen Bedenken.

a) Denn mehrere natürliche Handlungen können als eine Tat im Rechtssinne anzusehen sein (sog. rechtliche Bewertungseinheit), wenn sie sich als Teilakte einer sukzessiven Tatausführung darstellen. Für den Straftatbestand der Erpressung ist insoweit anerkannt, dass mehrere Angriffe auf die Willensentschließung des Opfers als eine Tat im Rechtssinne zu werten sind, wenn dabei die anfängliche Drohung lediglich den Umständen angepasst und aktualisiert wird, im Übrigen aber nach wie vor dieselbe Leistung gefordert wird. Dabei stellen ein Wechsel des Angriffsmittels, räumliche Trennungen oder zeitliche Intervalle zwischen den jeweiligen Einzelakten die Annahme einer rechtlichen Bewertungseinheit nicht grundsätzlich in Frage. Diese endet erst dann, wenn der Täter sein Ziel vollständig erreicht hat oder wenn nach den insoweit entsprechend heranzuziehenden Wertungen des Rücktrittsrechts von einem fehlgeschlagenen Versuch auszugehen ist (, juris Rn. 4 mwN).

b) Ausgehend davon, dass maßgeblicher Anknüpfungspunkt für diese Bewertung der einheitliche Angriff auf die Willensentschließung des Opfers zur Erreichung eines Endziels ist, sind diese von der Rechtsprechung zur sog. rechtlichen Bewertungseinheit bei der Erpressung aufgestellten Maßstäbe auch auf den Tatbestand der Nötigung zu übertragen.

c) Demnach ist vorliegend von einem durchlaufenden Nötigungsgeschehen zum Nachteil des G.     auszugehen.

aa) Denn es entsprach von Anfang dem Tatplan des Angeklagten, auf den Geschädigten Druck auszuüben, sollte er den geforderten Betrag (vgl. UA S. 13 unten, S. 15 f.) nicht zurückzahlen. In Verfolgung dessen wandten sich der Angeklagte und die Mitangeklagten in unregelmäßigen Abständen unter Anwendung verschiedener Nötigungsmittel an den Geschädigten G.     und erzielten zumindest eine Teilrückzahlung des unterschlagenen Betrags (vgl. UA S. 15 ff., 20). Die stückweise erfolgte Rückforderung des ausstehenden Betrags beruhte auf einer Absprache zwischen dem Mitangeklagten A.     und   F.             (vgl. UA S. 14, 67) und war daher Grundlage des gemeinsamen Tatplans (vgl. UA S. 15 f.). Von den restlichen 15.000 Euro abgesehen drang die Taktik der sukzessiven Beitreibung schließlich weitgehend durch. Dabei stellt auch die Modifikation der Forderung im Zuge eines ‚Schariagerichtes‘ (UA S. 26 ff.) das Vorliegen eines einheitlichen Tatgeschehens nicht in Frage (vgl. , Rn. 4 zur mehrmaligen Erhöhung einer Forderung um ‚Strafzinsen‘; vgl. auch , juris Rn. 18 f.).

Der Annahme einer durchgehenden Nötigung steht nicht entgegen, dass die Tatorte zwischen D.       und W.        wechselten und sich die Einwirkungen auf etwa acht Monate erstreckten (vgl. , juris Rn. 4). Des Weiteren kam es bis zum ersichtlich nicht zu einem dem fehlgeschlagenen Versuch vergleichbaren Moment, in welchem der Angeklagte etwa keine Möglichkeit mehr gesehen hätte, die Forderung - gegebenenfalls mit anderen zur Verfügung stehenden Mitteln - durchzusetzen (vgl. dazu BGH, aaO). Zwar kam es seitens des Angeklagten in der Zeit vom bis zum gegenüber keinem der Geschädigten zu einer Nötigungshandlung (vgl. UA S. 26 ff.). Aber die Entstehungsgeschichte zur gefährlichen Körperverletzung zum Nachteil des G.      (Tat 3 [Alj.  ] der Urteilsgründe, UA S. 29 f.) zeigt, dass er sich mit den Mitangeklagten über den Stand der Geldeintreibung austauschte und am gemeinsamen Tatplan (vgl. UA S. 15 f.) festhielt (vgl. UA S. 29).

bb) Soweit G.      nicht allein Geldzahlungen abgenötigt wurden, sondern dieser auch für das erhobene Messer Abbitte leisten sollte (vgl. UA S. 16), verbleibt es gleichwohl bei einer Tat der Nötigung (vgl. , NStZ-RR 2017, 312).

d) Tateinheitlich zur Nötigung tritt zum einen die Beihilfe zum unerlaubten Erbringen von Zahlungsdiensten durch den ‚[Groß-]Hawaladar‘ Alka.  hinzu. Dabei deckt sich die insoweit erbrachte Hilfeleistung mit dem Nötigungsgeschehen, soweit es der Durchsetzung der vorrangig geltend gemachten 180.000 Euro gedient hat (Tat 1 [Alj.  ] der Urteilsgründe, s. UA S. 28). Zum anderen konkurriert die gefährliche Körperverletzung mit der Nötigung ideal (§ 52 StGB). Soweit dies für die zum Nachteil des G.    begangene Geiselnahme nicht gilt, weil § 239b StGB den § 240 StGB verdrängt (vgl. LK-StGB/Schluckebier, 13. Aufl. 2023, § 239b Rn. 24), hat dies allerdings keine Unterbrechung des im Übrigen durchgehenden Nötigungsgeschehens iSd § 240 StGB zur Folge. Die Geiselnahme und die gefährliche Körperverletzung stehen zueinander im Verhältnis der Tatmehrheit (§ 53 StGB). Insofern das Landgericht nicht ausgeurteilt hat, dass die Beihilfe zum unerlaubten Erbringen von Zahlungsdiensten auch mit der Geiselnahme rechtlich zusammentrifft, ist der Angeklagte nicht beschwert und eine Schuldspruchberichtigung nicht veranlasst (Gercke/Temming/Zöller/Temming, 7. Aufl. 2023, StPO, § 354 Rn. 14). Ohnehin hätte das Beihilfehandeln nicht die Kraft besessen, die schwereren Delikte (gefährliche Körperverletzung gemäß § 224 StGB und Geiselnahme [nach] § 239b StGB) zu Tateinheit zu verklammern (vgl. , juris Rn. 5 ff.), zumal die Beihilfetat zum Zeitpunkt der Körperverletzung schon beendet war. Tateinheit kraft Verklammerung stellt indes das andauernde Nötigungshandeln in Bezug auf das Körperverletzungsdelikt einerseits und das (zur Zeit der Körperverletzung abgeschlossene) Beihilfeleisten andererseits her. Zwar bleibt der Strafrahmen der Nötigung (§ 240 Abs. 1 StGB: Freiheitsstrafe bis drei Jahre oder Geldstrafe) geringfügig hinter dem für die Beihilfe maßgeblichen (§ 63 Abs. 1 ZAG iVm § 27 Abs. 2 Satz 2, § 49 Abs. 1 StGB: Freiheitsstrafe bis drei Jahre und neun Monate oder Geldstrafe) zurück. Im Hinblick auf das besonders intensive und zudem täterschaftlich begangene Nötigungshandeln besteht jedoch zumindest annähernde Wertgleichheit, was insoweit genügt (vgl. , BGHSt 54, 189, 201; Urteil vom - 2 StR 322/84, BGHSt 33, 4, 6 ff.; LK-StGB/Rissing-van Saan, 13. Aufl. 2020, § 52 Rn. 32 f.).

4. Folglich hat sich der Angeklagte wegen Geiselnahme sowie wegen gefährlicher Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung und mit Beihilfe zum Erbringen von Zahlungsdiensten strafbar gemacht. Demnach kann der Schuldspruch entsprechend § 354 Abs. 1 StPO berichtigt werden. Die Regelung des § 265 StPO steht nicht entgegen, weil sich der Angeklagte nicht anders als geschehen hätte verteidigen können (vgl. BeckOK StPO/Wiedner, 49. Ed. , StPO § 354 Rn. 42 f.).“

5Dem tritt der Senat bei und ändert den Schuldspruch antragsgemäß.

6II. Die Schuldspruchänderung führt zur Aufhebung der Einzelstrafen für die zwei Taten, die zu einem Fall der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung und mit Beihilfe zum unerlaubten Erbringen von Zahlungsdiensten zusammengezogen werden (Fälle II. 1. c. und f. der Urteilsgründe zum Nachteil G.     [Taten 1 und 3]). Dies entzieht der Gesamtstrafe die Grundlage, so dass sie ebenfalls der Aufhebung unterliegt. Die jeweils zugehörigen Feststellungen sind von dem Rechtsfehler nicht betroffen. Sie bleiben deshalb aufrechterhalten (s. § 353 Abs. 2 StPO).

7Die nunmehr zur Entscheidung berufene Strafkammer wird somit für den einheitlichen Fall der gefährlichen Körperverletzung in Tateinheit mit Nötigung und mit Beihilfe zum unerlaubten Erbringen von Zahlungsdiensten eine neue Einzelstrafe festzusetzen haben, die sie mit der aufrechterhaltenen Einzelfreiheitsstrafe von zwei Jahren und neun Monaten wiederum auf eine Gesamtfreiheitsstrafe zurückzuführen haben wird. Das Verschlechterungsverbot (§ 358 Abs. 2 Satz 1 StPO) untersagt dabei nicht die Festsetzung einer höheren Einzelstrafe als die bisher verhängte schwerste der beiden aufgehobenen Einzelstrafen; es verlangt insoweit nur, dass deren Summe nicht überschritten wird (vgl. BGH, Beschlüsse vom - 1 StR 313/02, BGHR StPO § 358 Abs. 2 Nachteil 12; vom - 2 StR 319/21, juris Rn. 15; vom - 6 StR 415/23, juris Rn. 8).

8III. Einen weiteren dem Angeklagten nachteiligen Rechtsfehler hat die sachlichrechtliche Nachprüfung des Urteils nicht ergeben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:160424B3STR1.24.3

Fundstelle(n):
EAAAJ-69382