Instanzenzug: Az: I-28 U 115/21vorgehend LG Bochum Az: I-4 O 340/20
Tatbestand
1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
2Der Kläger erwarb am von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten gebrauchten Mercedes-Benz SLC 250d, der mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist. In dem Fahrzeug wird die Abgasrückführung temperaturabhängig gesteuert und unter Einsatz eines sogenannten "Thermofensters" bei kühleren und höheren Außentemperaturen reduziert. Das Fahrzeug verfügt über eine Kühlmittel-Solltemperatur-Regelung (KSR), aufgrund derer unter bestimmten Bedingungen die Kühlmitteltemperatur von 100° C auf 70° C gesenkt wird. Im Rahmen der Abgasnachbehandlung kommt ein SCR-System mit zwei unterschiedlichen Modi zur "AdBlue"-Einspritzung zum Einsatz.
3Der Kläger hat zuletzt den Ersatz des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Prozesszinsen Zug um Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsverfolgungskosten begehrt. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit seiner vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.
Gründe
4Die Revision des Klägers hat Erfolg.
I.
5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Interesse - im Wesentlichen wie folgt begründet:
6Ein Anspruch aus §§ 826, 31 BGB bestehe nicht. Ein sittenwidriges Verhalten der Beklagten lasse sich nicht feststellen. Auch wenn es sein möge, dass das Thermofenster als unzulässige Abschalteinrichtung einzuordnen sei, sei es auf der Grundlage des Vortrags des Klägers nicht auf die Prüfbedingungen zugeschnitten und vom Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) auch sonst nicht beanstandet worden. Selbst wenn man zugunsten des Klägers unterstelle, dass die "AdBlue"-Dosierungsstrategie eine unzulässige Abschalteinrichtung darstelle, sei sie nicht nur auf dem Prüfstand, sondern auch und gerade im realen Straßenbetrieb in Funktion und nicht ersichtlich, dass der Beklagten bei Beantragung der Typgenehmigung die Unzulässigkeit der gewählten Ausgestaltung bewusst gewesen sei. Ob der Kläger einen greifbaren Anhaltspunkt für die Prüfstandsbezogenheit der KSR vorgebracht habe, erscheine zweifelhaft. Jedenfalls stehe einem auf Erschleichung der Typgenehmigung angelegten Verhalten der Beklagten entgegen, dass der Einsatz der KSR zur Einhaltung des Stickoxidgrenzwerts auf dem Prüfstand nicht erforderlich sei und die Funktion deshalb aus Sicht des KBA keine unzulässige Abschalteinrichtung darstelle. Ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit §§ 6, 27 EG-FGV scheide aus, weil die Bestimmungen der EG-FGV nicht dazu dienten, den einzelnen vor einem Schaden in Form der Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit zu bewahren.
II.
7Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
81. Allerdings begegnet es keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Das Berufungsgericht hat auf der Grundlage des Vortrags des Klägers weder eine prüfstandsbezogene Funktionsweise des Thermofensters oder der "AdBlue"-Dosierungsstrategie festgestellt noch greifbare Anhaltspunkte dafür gesehen, dass den für die Beklagte handelnden Personen bei Inverkehrbringen des Fahrzeugs die Rechtswidrigkeit der Einrichtungen bewusst gewesen wäre. Hinsichtlich der KSR hat es die Grenzwertkausalität verneint und danach zu Recht keinen Anhaltspunkt für eine Täuschung des KBA zum Zweck des Erhalts der EG-Typgenehmigung gesehen (vgl. , juris Rn. 17; Urteil vom - VIa ZR 535/21, WM 2024, 40 Rn. 11; Urteil vom - VIa ZR 1062/22, WM 2024, 277 Rn. 9). Der Senat ist an die tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts gemäß § 559 Abs. 2 ZPO gebunden. Die von der Revision erhobenen Verfahrensrügen hat er geprüft und nicht für durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.
92. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV aus Rechtsgründen abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
10Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch nicht berücksichtigt, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , NJW 2024, 361 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
11Das angefochtene Urteil ist aufzuheben, § 562 Abs. 1 ZPO, weil es sich nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Der Senat kann nicht in der Sache selbst entscheiden, weil diese nicht zur Endentscheidung reif ist, § 563 Abs. 3 ZPO. Sie ist daher zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
12Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung sowie gegebenenfalls zu den weiteren Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.
In dem Rechtsstreit
...
lauten die Vorinstanzdaten im Urteil des VIa. Zivilsenats des richtig wie folgt:
Vorinstanzen: LG Bochum, Entscheidung vom - I-4 O 340/20 -
OLG Hamm, Entscheidung vom - I-28 U 115/21 -
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:140524UVIAZR1600.22.0
Fundstelle(n):
JAAAJ-69376