BGH Beschluss v. - IV ZR 189/23

Gesetze: Art 103 Abs 1 GG

Instanzenzug: Brandenburgisches Az: 11 U 278/22vorgehend LG Neuruppin Az: 6 O 370/21

Gründe

1I. Der Kläger macht Leistungsansprüche aus einer Berufsunfähigkeitsversicherung geltend, die er als Versicherungsnehmer seit 2016 zugunsten seiner Ehefrau als Versicherte unterhält.

2Die Versicherte war als Kommunikationsdesignerin ohne Angestellte selbständig tätig. Im Juli 2019 stellte sie einen Leistungsantrag wegen einer seit August 2017 bestehenden Berufsunfähigkeit aufgrund psychischer Erkrankungen. Nach Einholung von Gutachten verweigerte der Beklagte Leistungen mit Schreiben vom , da die Versicherte den Nachweis bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit nicht erbracht habe.

3Der Kläger hat die Verurteilung des Beklagten zur Zahlung rückständiger Renten und zur Erstattung überzahlter Beiträge nebst Zinsen, ferner zur Zahlung einer künftigen Berufsunfähigkeitsrente nebst Zinsen und zur Befreiung von der Prämienzahlungspflicht begehrt. Er hat behauptet, die Versicherte habe an fünf bis sechs Tagen der Woche je acht bis zehn Stunden gearbeitet, wobei sich die anfallenden Tätigkeiten der Versicherten in einer typischen Arbeitswoche nach Art, Umfang und Anforderungen an die gesundheitliche Leistungsfähigkeit im Einzelnen so wie in einer der Klageschrift als Anlage beigefügten tabellarischen Übersicht beschrieben gestaltet hätten.

4Das Landgericht hat die Klage nach Vernehmung der Versicherten zu ihrer beruflichen Tätigkeit abgewiesen. Die dagegen gerichtete Berufung hat das Oberlandesgericht mit Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurückgewiesen. Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich der Kläger mit seiner Beschwerde.

5II. Die Beschwerde hat Erfolg. Sie führt gemäß § 544 Abs. 9 ZPO zur Aufhebung des angefochtenen Beschlusses und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.

61. Dieses hat Leistungsansprüche mit der Begründung verneint, das Landgericht sei fehlerfrei zu der Überzeugung gelangt, dass der Kläger das Tätigkeitsbild seiner Ehefrau nicht bewiesen habe. An diese Feststellung sei der Senat gebunden. Das Landgericht habe die Aussage der Zeugin nachvollziehbar und überzeugend gewürdigt. Es sei folgerichtig zu dem Ergebnis gelangt, dass mit dem Ergebnis dieser Beweisaufnahme nicht geklärt werden könne, ob die Ehefrau des Klägers bedingungsgemäß berufsunfähig gewesen sei, weil daraus keine hinreichenden Anknüpfungstatsachen gewonnen werden könnten. Die Zeugin habe Gelegenheit gehabt, dem Landgericht durch ihre geschlossene Darstellung einen plastischen Eindruck von ihrem Berufsbild und den von ihr ausgeübten Tätigkeiten zu vermitteln. Sie sei auch auf die verschiedenen Facetten ihres Berufes, d.h. die von ihr im Einzelnen ausgeübten Tätigkeiten, eingegangen. Dabei sei sie auch auf die von ihr aufgezeichnete Beispielswoche eingegangen, für die sie einen Kalender zur Hand genommen und eine Woche rausgesucht habe. Sie habe allerdings in unmittelbarem Zusammenhang damit sofort betont, dass im Grunde jede Woche anders gewesen sei. Bereits daraus, also unmittelbar aus der Aussage der Zeugin selbst, ergebe sich, dass die vom Kläger unter Beweis gestellte "Beispielswoche" eben keine in dem Sinne gewesen sei, dass sie selbst im Falle ihres Beweises den Durchschnitt ihrer Tätigkeit dargestellt habe. Im Übrigen sei die Zeugin auch zu Einzelheiten der von ihr dargestellten "Beispielswoche" ausführlich befragt worden. Das Landgericht habe nicht angenommen, der Kläger habe die Richtigkeit der der Klageschrift beigefügten Anlage nicht bewiesen. Es habe sich vielmehr in rechtlich nicht zu beanstandender Weise davon überzeugen können, dass der Beruf der Zeugin nicht so ausgestaltet gewesen sei, wie dies in der Anlage wiedergegeben worden sei bzw., dass die Darstellungen gemäß der Anlage einer typischen Arbeitswoche der Zeugin entsprochen hätten.

72. Das verletzt den Kläger in entscheidungserheblicher Weise in seinem Anspruch auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG). Die Beschwerde rügt mit Erfolg, dass das Berufungsgericht verfahrensfehlerhaft überspannte Anforderungen an den Nachweis der Ausgestaltung der beruflichen Tätigkeit der Versicherten gestellt und sich über den Antrag des Klägers auf Einholung eines Sachverständigengutachtens hinweggesetzt hat.

8a) Das Gebot des rechtlichen Gehörs verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen (Senatsbeschluss vom - IV ZR 125/23, NJW-RR 2024, 309 Rn. 11 m.w.N.). Es soll als Prozessgrundrecht sicherstellen, dass die Entscheidung frei von Verfahrensfehlern ergeht, welche ihren Grund in unterlassener Kenntnisnahme und Nichtberücksichtigung des Sachvortrags der Parteien haben (Senatsbeschluss vom - IV ZR 131/23, juris Rn. 7 m.w.N.). In diesem Sinne gebietet Art. 103 Abs. 1 GG in Verbindung mit den Grundsätzen der Zivilprozessordnung die Berücksichtigung erheblicher Beweisanträge. Die Nichtberücksichtigung eines erheblichen Beweisangebots verstößt gegen Art. 103 Abs. 1 GG, wenn sie im Prozessrecht keine Stütze findet (, VersR 2024, 437 Rn. 11 m.w.N.).

9Dies gilt auch dann, wenn die Nichtberücksichtigung des Beweisangebots darauf beruht, dass das Gericht verfahrensfehlerhaft überspannte Anforderungen an den Vortrag einer Partei gestellt hat (BGH, Beschlüsse vom - XIII ZR 3/20, ZNER 2024, 15 [juris Rn. 5]; vom - VI ZR 244/21, VersR 2024, 437 Rn. 12; jeweils m.w.N.). Eine solche nur scheinbar das Parteivorbringen würdigende Verfahrensweise stellt sich als Weigerung des Tatrichters dar, in der nach Art. 103 Abs. 1 GG gebotenen Weise den Parteivortrag zur Kenntnis zu nehmen und sich mit ihm inhaltlich auseinanderzusetzen ( aaO m.w.N.).

10b) Gemessen hieran ist dem Berufungsgericht eine Verletzung des Anspruchs des Klägers auf Gewährung rechtlichen Gehörs aus Art. 103 Abs. 1 GG anzulasten. Das Berufungsgericht hätte - wie die Nichtzulassungsbeschwerde mit Recht beanstandet - die Berufung des Klägers nicht unter alleinigem Verweis darauf zurückweisen dürfen, dieser habe nicht bewiesen, dass die Darstellungen in der der Klageschrift beigefügten Anlage einer typischen Arbeitswoche der Versicherten entsprochen hätten, ohne zu erwägen, ob durch die Angaben der Zeugin ein Tätigkeitsbild bewiesen ist, das einem medizinischen Sachverständigen als Grundlage seiner Gutachtenerstattung vorgegeben werden kann.

11aa) Nach der ständigen Rechtsprechung des Senats ist es Sache desjenigen, der den Eintritt des Versicherungsfalles Berufsunfähigkeit geltend machen will, substantiiert vorzutragen und im Falle des Bestreitens Beweis für sein Vorbringen anzutreten. Als Sachvortrag genügt dabei nicht die Angabe eines bloßen Berufstyps und der Arbeitszeit. Es muss von dem Versicherten, der hierzu unschwer imstande ist, verlangt werden, dass er eine ganz konkrete Arbeitsbeschreibung gibt, mit der die für ihn anfallenden Leistungen ihrer Art, ihres Umfanges wie ihrer Häufigkeit nach für einen Außenstehenden nachvollziehbar werden (vgl. , r+s 2004, 513 [juris Rn. 10]; vom - IV ZR 233/94, r+s 1996, 116 [juris Rn. 14]; vom - IV ZR 227/91, BGHZ 119, 263, 266 [juris Rn. 17]). Sache des Gerichts ist es dann zu entscheiden, ob zunächst eine Beweisaufnahme zu dem vorgetragenen Beruf in seiner konkreten Ausgestaltung geboten ist, deren Ergebnis einem anschließend einzuschaltenden medizinischen Sachverständigen vorzugeben ist - sei es in alternativer Form, sei es aufgrund von Feststellungen, die das Gericht bereits zu treffen vermag. Jedenfalls muss der medizinische Sachverständige wissen, welchen - für ihn unverrückbaren - außermedizinischen Sachverhalt er zugrunde zu legen hat ( aaO [juris Rn. 11]; vom aaO [juris Rn. 15]; vom aaO S. 266 f. [juris Rn. 18]).

12Die Anforderungen an die Beweispflicht dürfen hierbei nicht überspannt werden. Es darf nicht aus dem Blick geraten, dass die Klärung des Berufsbildes vornehmlich den Zweck verfolgt, dem Sachverständigen die notwendigen tatsächlichen Vorgaben zur medizinischen Beurteilung bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit an die Hand zu geben. Steht fest, dass der Versicherte überhaupt einer Berufstätigkeit nachgegangen ist, darf ihm der Zugang zu den versicherten Leistungen nicht durch übersteigerte Anforderungen an die Pflicht zur substantiierten Darlegung seiner Berufstätigkeit unzumutbar erschwert werden (vgl. OLG Dresden VersR 2023, 1220 [juris Rn. 27]; , juris Rn. 3; jeweils m.w.N.).

13bb) Das hat das Berufungsgericht nicht beachtet, indem es den Kläger - in Übereinstimmung mit dem Landgericht - im Hinblick auf das Vorliegen bedingungsgemäßer Berufsunfähigkeit der Versicherten allein mit der Erwägung als beweisfällig angesehen hat, dieser habe nicht den Nachweis erbracht, dass die unter Beweis gestellte, in der der Klageschrift beigefügten Anlage näher dargestellte "Beispielswoche" einer typischen Arbeitswoche der Versicherten entsprochen habe. Insoweit haben die Vorinstanzen aus dem Blick verloren, dass die Versicherte - unabhängig vom Klagevortrag zu dieser "Beispielswoche" - in ihrer Vernehmung umfangreiche Ausführungen zu den einzelnen Tätigkeiten und deren Gewichtung wie auch zu ihrer gewöhnlichen wöchentlichen Arbeitszeit gemacht und insbesondere darauf verwiesen hat, dass die Schwerpunkte ihrer Tätigkeit in der Wahrnehmung von Telefonaten und Terminen sowie in der Recherche und der gedanklichen Vorbereitung für von ihr zu fertigende Entwürfe oder Gestaltungen gelegen und wie sich ihre Beeinträchtigungen in Bezug auf diese Verrichtungen ausgewirkt hätten. Insoweit hat das Berufungsgericht bei der Prüfung der Frage, ob die Feststellungen zur Grundlage einer weiteren Beweiserhebung ausreichen, verkannt, dass sich nach allgemeinem Grundsatz eine Partei die bei einer Beweisaufnahme zutage tretenden ihr günstigen Umstände regelmäßig zumindest hilfsweise zu eigen macht (Senatsurteil vom - IV ZR 91/23, juris Rn. 17; Senatsbeschluss vom - IV ZR 508/14, r+s 2017, 490 Rn. 23 m.w.N.).

14cc) Die Nichtberücksichtigung des - für den Kläger günstigen - Beweisergebnisses bedeutet, dass das Berufungsgericht bei seiner Prüfung, inwieweit die Angaben der Zeugin zum Nachweis eines Tätigkeitsbildes genügen, das einem medizinischen Sachverständigen als Grundlage seiner Gutachtenerstattung vorgegeben werden kann, erhebliches Vorbringen übergangen und damit das Recht des Klägers auf rechtliches Gehör verletzt hat.

15b) Der angefochtene Beschluss beruht auf dem dargestellten Gehörsverstoß, weil nicht ausgeschlossen werden kann, dass das Gericht bei verfahrensfehlerfreiem Vorgehen anders entschieden hätte (Senatsbeschluss vom - IV ZR 12/23, r+s 2024, 125 Rn. 20 m.w.N.). Es besteht die Möglichkeit, dass das Berufungsgericht, wenn es den Inhalt des Parteivorbringens vollständig ausgeschöpft hätte, zu einem für den Kläger günstigeren Ergebnis gelangt wäre.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:290524BIVZR189.23.0

Fundstelle(n):
FAAAJ-69373