BGH Urteil v. - VIa ZR 1732/22

Instanzenzug: Az: I-18 U 129/22vorgehend Az: 8 O 66/21

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.

2Der Kläger erwarb im September 2018 von einem Händler einen von der Beklagten hergestellten Neuwagen VW Tiguan 2.0 TDI, der mit einem von der Beklagten hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA 288 (Schadstoffklasse Euro 6) ausgerüstet ist.

3Das Landgericht hat die auf Erstattung des Kaufpreises abzüglich einer Nutzungsentschädigung nebst Zinsen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs der Beklagten und die Zahlung von außergerichtlichen Rechtsanwaltskosten nebst Zinsen gerichtete Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist erfolglos geblieben. Mit der vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine Berufungsanträge weiter.

Gründe

4Die Revision des Klägers hat Erfolg.

I.

5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung im Wesentlichen wie folgt begründet:

6Die Voraussetzungen eines Anspruchs aus §§ 826, 31 BGB lägen nicht vor. Es lasse sich nicht feststellen, dass eine der behaupteten Funktionen im Fahrzeug des Klägers sittenwidrig und mit Schädigungsvorsatz durch für die Beklagte handelnde Personen in das Fahrzeug implementiert worden sei. Ein Schadensersatzanspruch des Klägers folge auch nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV oder Artt. 3 Nr. 10, 5 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007, weil das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht in deren Schutzbereich liege. Selbst wenn man dies anders sehen wollte, fehle es an einem fahrlässigen Verhalten der Beklagten, die einem unvermeidbaren Verbotsirrtum unterlegen sei, weil auch eine Erkundigung beim Kraftfahrt-Bundesamt ihre Fehlvorstellungen über den zulässigen Stand der Technik hinsichtlich des Thermofensters bestätigt hätte.

II.

7Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.

81. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat, weil es dem Klägervorbringen greifbare Anhaltspunkte weder für die behauptete Verwendung einer prüfstandsbezogenen Abschalteinrichtung noch für einen bewussten Gesetzesverstoß hinsichtlich des Thermofensters - dessen Unzulässigkeit es offen gelassen hat - zu entnehmen vermocht hat. Die darauf bezogenen Verfahrensrügen der Revision hat der Senat geprüft und für nicht durchgreifend erachtet. Von einer Begründung wird gemäß § 564 Satz 1 ZPO abgesehen.

92. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV wegen der Verwendung des Thermofensters aus Rechtsgründen abgelehnt hat.

10Wie der Senat nach Erlass des angefochtenen Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).

11Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Erlass eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , ZIP 2023, 1903 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20, Urteil vom - VI ZR 475/20, juris Rn. 17). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.

12Mit der vom Berufungsgericht gegebenen Begründung kann die Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB auch nicht durch den Verweis auf einen unvermeidlichen Verbotsirrtum der Beklagten abgelehnt werden. Hierzu müsste die Beklagte sowohl den Verbotsirrtum als solchen als auch die Unvermeidbarkeit des Verbotsirrtums darlegen und erforderlichenfalls beweisen (vgl. im Einzelnen VIa ZR 1/23, NJW 2023, 3796, Rn. 13 f.).

133. Die Einwendungen der Revision zur Berechnung des Differenzschadens führen zu keiner abweichenden Beurteilung. Sie geben dem Senat keinen Anlass, von der gefestigten höchstrichterlichen Rechtsprechung (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 40 ff.) zu einem Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens abzugehen.

III.

14Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben, § 562 ZPO, weil sie sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt, § 561 ZPO. Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, § 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO. Im wiedereröffneten Berufungsverfahren wird der Kläger Gelegenheit haben, einen Differenzschaden darzulegen. Das Berufungsgericht wird sodann nach den näheren Maßgaben des Urteils des Senats vom (VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245) die erforderlichen Feststellungen zu den Voraussetzungen und zum Umfang einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:140524UVIAZR1732.22.0

Fundstelle(n):
FAAAJ-69253