Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 6 U 33/20vorgehend LG Gießen Az: 2 O 254/19
Tatbestand
1Der Kläger nimmt die Beklagte wegen der Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen in einem Kraftfahrzeug auf Schadensersatz in Anspruch.
2Er erwarb im Oktober 2016 von der Beklagten einen Mercedes-Benz Vito mit einem Dieselmotor der Baureihe OM 651. Den Kaufpreis finanzierte er zum Teil. Der Kläger verlangt von der Beklagten im Wesentlichen, ihn im Wege des Schadensersatzes so zu stellen, als habe er den Kaufvertrag nicht abgeschlossen. Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung des Klägers ist ohne Erfolg geblieben. Mit seiner insoweit vom Senat zugelassenen Revision verfolgt der Kläger seine zuletzt gestellten Berufungsanträge im tenorierten Umfang weiter.
Gründe
3Die Revision des Klägers hat Erfolg.
A.
4Die Berufung des Klägers war zulässig, was als Prozessfortsetzungsbedingung im Revisionsverfahren von Amts wegen zu prüfen ist (vgl. , IHR 2023, 85 Rn. 12; Urteil vom - VIa ZR 510/22, juris Rn. 4; Beschluss vom - VIII ZR 184/21, juris Rn. 11). Insbesondere hat der Kläger entgegen der Ansicht der Revisionserwiderung sein Rechtsmittel rechtzeitig eingelegt. Insoweit war nicht auf die Zustellung des erstinstanzlichen Urteils am abzustellen, sondern auf seine erneute Zustellung am und damit noch vor Ablauf der ausgehend von der ersten Zustellung berechneten Rechtsmittelfrist. Die erneute Zustellung erfolgte mit einem Vermerk, ausweislich dessen das Landgericht durch Zufall festgestellt habe, dass sein verkündetes Urteil und die an die Parteien übersandte Abschrift nicht übereinstimmten, weil es im Rahmen eines Hard- und Software-Rollouts offenbar zu einem Fehler gekommen und eine nicht aktuelle Version zur Herausgabe abgespeichert worden sei, was nunmehr durch die Übersendung der richtigen Urteilsversion zu korrigieren sei. Unter den Umständen des Streitfalls durfte der Kläger darauf vertrauen, dass die Berufungsfrist erst mit der Zustellung des nach Auskunft des Landgerichts in vollständiger Form abgefassten Urteils zu laufen begann.
B.
I.
5Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung - soweit für das Revisionsverfahren von Bedeutung - im Wesentlichen wie folgt begründet:
6Die Beklagte hafte nicht nach §§ 826, 31 BGB. Für sich genommen sei es nicht als sittenwidrig zu qualifizieren, dass sie das Fahrzeug mit einem Thermofenster ausgestattet habe. Es fehle an einem arglistigen Vorgehen. Ansprüche aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV scheiterten daran, dass das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, nicht im Aufgabenbereich dieser Vorschriften liege.
II.
7Diese Erwägungen halten der Überprüfung im Revisionsverfahren nicht in allen Punkten stand.
81. Es begegnet keinen revisionsrechtlichen Bedenken, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten aus §§ 826, 31 BGB verneint hat. Die Revision erhebt insoweit auch keine Einwände.
92. Die Revision wendet sich jedoch mit Erfolg dagegen, dass das Berufungsgericht eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt hat. Wie der Senat nach Erlass des die Berufung zurückweisenden Beschlusses entschieden hat, sind die Bestimmungen der § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, die das Interesse des Fahrzeugkäufers gegenüber dem Fahrzeughersteller wahren, nicht durch den Kaufvertragsabschluss eine Vermögenseinbuße im Sinne der Differenzhypothese zu erleiden, weil das Fahrzeug entgegen der Übereinstimmungsbescheinigung eine unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne des Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 aufweist (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 29 bis 32).
10Das Berufungsgericht hat daher zwar zu Recht einen Anspruch des Klägers auf die Gewährung sogenannten "großen" Schadensersatzes verneint (vgl. VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 22 bis 27). Es hat jedoch unberücksichtigt gelassen, dass dem Kläger nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV ein Anspruch auf Ersatz eines erlittenen Differenzschadens zustehen kann (vgl. aaO, Rn. 28 bis 32; ebenso , WM 2023, 1839 Rn. 21 ff.; - III ZR 303/20, juris Rn. 16 f.; Urteil vom - VII ZR 412/21, juris Rn. 20). Demzufolge hat das Berufungsgericht - von seinem Rechtsstandpunkt aus folgerichtig - weder dem Kläger Gelegenheit zur Darlegung eines solchen Schadens gegeben, noch hat es Feststellungen zu einer deliktischen Haftung der Beklagten wegen des zumindest fahrlässigen Einbaus einer unzulässigen Abschalteinrichtung getroffen.
III.
11Die Berufungsentscheidung ist demnach im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO), weil sie sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig darstellt (§ 561 ZPO). Im Umfang der Aufhebung ist die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dieses wird auf der Grundlage der mit Urteil des Senats vom in der Sache VIa ZR 335/21 aufgestellten Grundsätze die erforderlichen Feststellungen zu einer Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV zu treffen haben, nachdem es dem Kläger Gelegenheit gegeben hat, den Differenzschaden zu berechnen und dazu vorzutragen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:160424UVIAZR249.22.0
Fundstelle(n):
MAAAJ-68497