BAG Beschluss v. - 4 ABR 13/23

Zulässigkeit einer Sprungrechtsbeschwerde

Leitsatz

1. Nach § 96a Abs. 1 Satz 1 ArbGG kann gegen den das Verfahren beendenden Beschluss des Arbeitsgerichts Sprungrechtsbeschwerde eingelegt werden, wenn die Sprungrechtsbeschwerde vom Arbeitsgericht auf Antrag in dem verfahrensbeendenden Beschluss zugelassen wird und die übrigen Beteiligten schriftlich zustimmen. Das Arbeitsgericht hat zwar die Sprungrechtsbeschwerde auf Antrag der Beteiligten im Beschluss vom 21.2.2023 ausdrücklich zugelassen. Der Betriebsrat hat auch innerhalb der bis zum 17.4.2023 laufenden Frist die Sprungrechtsbeschwerde eingelegt. Er hat aber weder innerhalb dieser Frist eine dem Schriftformerfordernis des § 96a Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 ArbGG genügende Zustimmungserklärung der Arbeitgeberin vorgelegt noch hat diese selbst dem Bundesarbeitsgericht gegenüber ihre Zustimmung mitgeteilt. Dieser Formmangel führt zur Unzulässigkeit der Sprungrechtsbeschwerde.

2. Die Übersendung der Zustimmungserklärung durch die Arbeitgeberin an das Arbeitsgericht erfüllt nicht die gesetzlichen Voraussetzungen. Die Zustimmungserklärung kann zwar auch durch die Arbeitgeberin direkt an das Gericht und nicht nur an den beschwerdeführenden Betriebsrat erfolgen. Zuständiges Gericht ist aber nur im Falle der nachträglichen Zulassung das Arbeitsgericht. Ist die Sprungrechtsbeschwerde bereits im Beschluss des Arbeitsgerichts zugelassen worden, ist die Zustimmung dem BAG zu übermitteln.

3. Der Umstand, dass die Arbeitgeberin nicht die Verwerfung der Sprungrechtsbeschwerde als unzulässig, sondern ohne weitere Begründung deren Zurückweisung beantragt hat, lässt keinen hinreichend sicheren Schluss darauf zu, die Arbeitgeberin erteile ihre Zustimmung zur Einlegung der Sprungrechtsbeschwerde.

Gesetze: § 96a Abs 1 S 1 ArbGG, § 96a Abs 1 S 3 ArbGG, § 46c Abs 3 S 1 ArbGG

Instanzenzug: Az: 1 BV 29 c/22 Beschluss

Gründe

1A. Die Beteiligten streiten über die Ersetzung der Zustimmung des bei der Arbeitgeberin auf Grundlage eines Tarifvertrags nach § 3 BetrVG gebildeten Betriebsrats zur beabsichtigten Eingruppierung einer Arbeitnehmerin.

2Die Arbeitgeberin ist ua. Trägerin der Krankenhäuser in E und P. Sie beschäftigt über 2.000 Arbeitnehmer. Der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst in der für den Bereich der Vereinigung der kommunalen Arbeitgeberverbände geltenden Fassung (TVöD/VKA) für den Dienstleistungsbereich Krankenhäuser ist die im Betrieb geltende Vergütungsordnung iSd. § 99 BetrVG.

3In den Operationssälen sind sowohl Medizinische Fachangestellte (MFA) als auch Operationstechnische Assistenten (OTA) mit - nach den Feststellungen des Arbeitsgerichts - „im Wesentlichen gleichen Tätigkeiten“ zur Unterstützung der Operationsteams beschäftigt. Die Arbeitnehmerin A K, die eine Ausbildung zur MFA absolviert hat, ist seit dem entsprechend tätig.

4Mit Schreiben vom beantragte die Arbeitgeberin beim Betriebsrat die Zustimmung zur Eingruppierung der Arbeitnehmerin A K in Entgeltgruppe 6 Stufe 4 TVöD/VKA. Der Betriebsrat verweigerte seine Zustimmung mit Schreiben vom . Zur Begründung führte er aus, zutreffend sei eine Eingruppierung in Entgeltgruppe P8 TVöD/VKA. Die Arbeitnehmerin sei in der Pflege tätig.

5Die Arbeitgeberin hat die Auffassung vertreten, die Eingruppierung der Arbeitnehmerin richte sich aufgrund der Regelung in Teil B Abschnitt XI Ziffer 12 der Anlage 1 - Entgeltordnung (VKA) zum TVöD/VKA nicht nach den besonderen Tätigkeitsmerkmalen für Beschäftigte in der Pflege (Teil B Abschnitt XI Ziffer 1 der Anlage 1 - Entgeltordnung (VKA) zum TVöD/VKA), sondern nach den allgemeinen Tätigkeitsmerkmalen (Teil A Abschnitt I Ziffer 3 der Anlage 1 - Entgeltordnung (VKA) zum TVöD/VKA).

6Die Arbeitgeberin hat beantragt,

7Der Betriebsrat hat Antragsabweisung beantragt und die Auffassung vertreten, im Operationssaal eingesetzte MFA seien wie OTA nach den besonderen Tätigkeitsmerkmalen für Beschäftigte in der Pflege eingruppiert.

8Das dem Antrag der Arbeitgeberin stattgegeben und auf übereinstimmenden Antrag der Beteiligten die Sprungrechtsbeschwerde zugelassen. Der vollständig abgefasste Beschluss ist den Beteiligten am zugestellt worden. Mit an das Arbeitsgericht gerichtetem Schreiben vom hat die Arbeitgeberin erklärt, der Sprungrechtsbeschwerde ausdrücklich zuzustimmen. Der Betriebsrat hat mit am beim Bundesarbeitsgericht eingegangenem Schreiben Sprungrechtsbeschwerde eingelegt. Dem Schriftsatz ist eine einfache Abschrift der durch das Arbeitsgericht an ihn übermittelten Zustimmung der Arbeitgeberin beigefügt. Mit Schreiben vom hat die Arbeitgeberin die Zurückweisung der Sprungrechtsbeschwerde beantragt. Die vom Arbeitsgericht auf Anforderung übermittelte erstinstanzliche Akte ist am beim Bundesarbeitsgericht eingegangen.

9B. Die Sprungrechtsbeschwerde ist unzulässig. Innerhalb der Einlegungsfrist ist keine formgerechte Zustimmung der Arbeitgeberin beim Bundesarbeitsgericht eingereicht worden.

10I. Nach § 96a Abs. 1 Satz 1 ArbGG kann gegen den das Verfahren beendenden Beschluss des Arbeitsgerichts Sprungrechtsbeschwerde eingelegt werden, wenn die Sprungrechtsbeschwerde vom Arbeitsgericht auf Antrag in dem verfahrensbeendenden Beschluss zugelassen wird und die übrigen Beteiligten schriftlich zustimmen.

11II. Das Arbeitsgericht hat zwar die Sprungrechtsbeschwerde auf Antrag der Beteiligten im Beschluss vom ausdrücklich zugelassen. Der Betriebsrat hat auch innerhalb der bis zum laufenden Frist die Sprungrechtsbeschwerde eingelegt. Er hat aber weder innerhalb dieser Frist eine dem Schriftformerfordernis des § 96a Abs. 1 Satz 1 und Satz 3 ArbGG genügende Zustimmungserklärung der Arbeitgeberin vorgelegt noch hat diese selbst dem Bundesarbeitsgericht gegenüber ihre Zustimmung mitgeteilt. Dieser Formmangel führt zur Unzulässigkeit der Sprungrechtsbeschwerde (vgl.  - zu I 2 der Gründe).

121. Die Zustimmungserklärung der Arbeitgeberin zur Einlegung der Sprungrechtsbeschwerde liegt nicht bereits in ihrem Antrag in der Anhörung vor dem Arbeitsgericht, die Sprungrechtsbeschwerde zuzulassen. Es bedarf eines ausdrücklichen Einverständnisses mit der Einlegung, nicht nur mit der Zulassung der Sprungrechtsbeschwerde. Durch das Zustimmungserfordernis auch zur Rechtsmitteleinlegung sollen die weiteren Beteiligten davor geschützt werden, ohne ihr ausdrückliches Einverständnis eine Tatsacheninstanz zu verlieren. Dazu wird sich ein Beteiligter regelmäßig erst nach Prüfung der Gründe des anzufechtenden Beschlusses bereitfinden. Die Zustimmung zur Einlegung der Sprungrechtsbeschwerde kann zwar schon vor Erlass des anzufechtenden Beschlusses erteilt werden. Die Erklärung muss aber zweifelsfrei ergeben, dass nicht nur die Zulassung beantragt oder einem solchen Antrag zugestimmt wird, sondern der Rechtsmitteleinlegung ( - zu B I 2 der Gründe, BAGE 106, 57; - 3 AZR 218/86 - zu I 1 a der Gründe).

132. Die Übersendung der Zustimmungserklärung durch die Arbeitgeberin an das Arbeitsgericht erfüllt nicht die gesetzlichen Voraussetzungen. Die Zustimmungserklärung kann zwar auch durch die Arbeitgeberin direkt an das Gericht und nicht nur an den beschwerdeführenden Betriebsrat erfolgen (vgl.  - zu A I der Gründe, BAGE 89, 95). Zuständiges Gericht ist aber nur im Falle der nachträglichen Zulassung das Arbeitsgericht. Ist - wie vorliegend - die Sprungrechtsbeschwerde bereits im Beschluss des Arbeitsgerichts zugelassen worden, ist die Zustimmung dem Bundesarbeitsgericht zu übermitteln.

143. Die Übersendung der durch das Arbeitsgericht an den Betriebsrat übermittelten Zustimmungserklärung mit der Rechtsbeschwerdeschrift des Betriebsrats genügte nicht dem Schriftformerfordernis.

15a) Schreibt das Gesetz - wie in § 96a Abs. 1 Satz 1 ArbGG - die Schriftform vor, bedeutet dies, dass die Erklärung schriftlich niedergelegt und vom Erklärenden eigenhändig unterschrieben sein muss (vgl. § 126 Abs. 1 BGB). Das gilt auch für die Zustimmungserklärung der übrigen Beteiligten zur Einlegung der Sprungrechtsbeschwerde. Die - in dieser Form abgegebene - Zustimmungserklärung ist nach § 96a Abs. 1 Satz 3 ArbGG der Rechtsbeschwerdeschrift beizufügen (vgl. zur Einlegung der Sprungrevision  - zu I 2 a der Gründe).

16b) Die Schriftform kann auch durch elektronische Übermittlung gewahrt werden. Das setzt jedoch, soweit dem Rechtsmittelführer eine dem Schriftformerfordernis genügende Zustimmungserklärung vorliegt, voraus, dass eine unterschriebene Zustimmungserklärung eingescannt, in eine pdf-Datei umgewandelt und als Anhang zu einer den Anforderungen an den elektronischen Rechtsverkehr genügenden Rechtsbeschwerdeschrift übersandt wird (vgl.  - Rn. 8; - B 14 AS 153/10 R - Rn. 13, BSGE 108, 289). Wenn dem Rechtsmittelführer die Zustimmung bereits elektronisch übermittelt wird, muss diese den gesetzlichen Anforderungen entsprechen (§ 46c Abs. 3 Satz 1 ArbGG) und der Rechtsmittelführer hat der Rechtsbeschwerde Dokumente (zB Prüfprotokolle) beizufügen, die dem Rechtsbeschwerdegericht die Prüfung ermöglichen, ob die Zustimmung den gesetzlichen Anforderungen genügt (vgl.  - Rn. 8). Die Zulässigkeit der Übermittlungsform hinsichtlich der Vorlage der erteilten Zustimmung beim Bundesarbeitsgericht richtet sich nach den gleichen Grundsätzen, nach denen ein Rechtsmittel eingelegt werden kann ( - zu I 2 der Gründe, BAGE 111, 30).

17c) Diesen Anforderungen genügt die übersandte Abschrift der Zustimmungserklärung nicht.

18aa) Dem Betriebsrat lag weder das - eigenhändig unterschriebene - Original der Zustimmungserklärung der Arbeitgeberin vor noch ist ihm diese in einer den gesetzlichen Anforderungen genügenden Art und Weise elektronisch übermittelt worden. Die Arbeitgeberin hat ihre Zustimmungserklärung - den gesetzlichen Anforderungen entsprechend - elektronisch an das Arbeitsgericht, nicht dem Betriebsrat übermittelt. Das Arbeitsgericht hat dem Betriebsrat lediglich eine einfache Kopie dieser Erklärung weitergeleitet. Die Übermittlung dieser Kopie an das Bundesarbeitsgericht genügte - unabhängig davon, in welcher Form der Betriebsrat diese vorgenommen hat - nicht der Schriftform (vgl. zur Übermittlung einer einfachen Abschrift des Sitzungsprotokolls  - Rn. 13; - 1 RK 8/96 -).

19bb) Der Mangel ist nicht dadurch beseitigt worden, dass die Akten des Arbeitsgerichts dem Bundesarbeitsgericht einschließlich der Zustimmungserklärung übersandt wurden. Dies wäre nur dann ausreichend, wenn die Akten innerhalb der Rechtsbeschwerdefrist übermittelt worden wären (vgl. hierzu  - Rn. 13 mwN). Vorliegend sind die Akten aber erst nach Ablauf dieser Frist am beim Bundesarbeitsgericht eingegangen.

204. Die noch während der laufenden Rechtsbeschwerdefrist am beim Bundesarbeitsgericht eingegangene Vertretungsanzeige der Arbeitgeberin, die mit der Ankündigung des Antrags auf Zurückweisung der Sprungrechtsbeschwerde verbunden ist, enthält keine ausreichende Zustimmungserklärung.

21a) Die Zustimmungserklärung muss ihrem Inhalt nach mit hinreichender Deutlichkeit ergeben, dass der Einlegung der Sprungrechtsbeschwerde zugestimmt wird. In der Zustimmung nach § 96a Abs. 2 iVm. § 76 Abs. 4, Abs. 5 ArbGG liegt ein Verzicht auf die Beschwerde und die Geltendmachung von Verfahrensmängeln (vgl. zur Abgrenzung zwischen der Zustimmung zur Zulassung der Sprungrevision und deren Einlegung  - Rn. 17 mwN).

22b) Eine ausdrückliche Zustimmungserklärung enthält der Schriftsatz nicht. Der Umstand, dass die Arbeitgeberin nicht die Verwerfung der Sprungrechtsbeschwerde als unzulässig, sondern ohne weitere Begründung deren Zurückweisung beantragt hat, lässt keinen hinreichend sicheren Schluss darauf zu, die Arbeitgeberin erteile ihre Zustimmung zur Einlegung der Sprungrechtsbeschwerde (offengelassen in  - zu I 2 der Gründe).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BAG:2024:200324.B.4ABR13.23.0

Fundstelle(n):
BB 2024 S. 1534 Nr. 26
NJW 2024 S. 10 Nr. 27
NJW 2024 S. 2274 Nr. 31
YAAAJ-68214