BGH Beschluss v. - 4 StR 422/23

Instanzenzug: LG Bielefeld Az: 1 Ks 13/23

Gründe

1Das Landgericht hat im Sicherungsverfahren die Unterbringung des Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus angeordnet. Die auf die Rüge der Verletzung sachlichen Rechts gestützte Revision des Beschuldigten hat den aus der Beschlussformel ersichtlichen Erfolg (§ 349 Abs. 4 StPO); im Übrigen ist sie unbegründet (§ 349 Abs. 2 StPO).

21. Nach den Feststellungen leidet der 24 Jahre alte Beschuldigte, der seit mehreren Jahren regelmäßig Alkohol und Drogen konsumiert, an einer „schizoaffektiven Störung, gegenwärtig depressiv (ICD‒10: F25.1)“. Am hielt er sich gemeinsam mit seiner Mutter in der Küche der gemeinsamen Wohnung auf, trank Kaffee und bat sie um Geld. Weil er auf ihre Frage, wozu er das Geld benötige, keinen „vernünftigen Grund“ nennen konnte, lehnte sie dies ab. Der Beschuldigte begab sich daraufhin in sein Zimmer. Dort hörte er eine Stimme, die er so „verstand, dass er nun seine Mutter töten solle“. Er kehrte ‒ die Kaffeetasse noch immer in der Hand haltend ‒ in die Küche zurück, trat auf seine Mutter zu und griff sie an, wobei er „im Folgenden“ ihren Tod „jedenfalls für möglich hielt und billigend in Kauf nahm.“ Er schlug ihr die Kaffeetasse auf den Kopf, die hierdurch zerbrach. Sodann ergriff er seine Mutter und würgte sie „mit dem Ellenbogen“ bis zur Bewusstlosigkeit. Danach verließ er die Küche und nahm die Tasche seiner Mutter mit dem darin befindlichen Bargeld an sich. Dabei hielt er es für möglich, dass seine Mutter nun tot war. Nachdem der Beschuldigte die Wohnung verlassen hatte, verständigte er von einer nahegelegenen Tankstelle aus die Polizei, die ihn sodann festnahm. Die Mutter des Beschuldigten, die mehrere Kopfplatzwunden erlitten hatte, kam wieder zu Bewusstsein und floh zu einer Nachbarin.

3Das Landgericht hat die Anlasstat als versuchten Totschlag gemäß § 212 Abs. 1, § 22, § 23 Abs. 1 StGB in Tateinheit mit gefährlicher Körperverletzung gemäß § 224 Abs. 1 Nr. 2 und 5 StGB gewertet. Sachverständig beraten ist es zu der Überzeugung gelangt, dass die Steuerungsfähigkeit des Beschuldigten zur Tatzeit infolge der schizoaffektiven Störung aufgehoben gewesen sei. Es hat weiterhin angenommen, dass infolge seines krankheitsbedingten Zustands von dem Beschuldigten künftig weitere erhebliche rechtswidrige Taten zu erwarten seien. Eine Rückbildung der „psychotischen Symptomatik“ sei bisher nicht gelungen und der Ausgang der weiteren Behandlung offen. Für den Fall des Behandlungsabbruchs sei mit einer Zunahme der Wahnsymptomatik und mit einem erneuten Erleben imperativer, handlungsleitender akustischer Halluzinationen und infolgedessen mit einem „gefährlichen Verhalten inklusive Gewaltdelikten“ zu rechnen.

42. Die Anordnung der Unterbringung des Beschuldigten in einem psychia-trischen Krankenhaus nach § 63 StGB hält sachlich-rechtlicher Nachprüfung nicht stand.

5a) Die grundsätzlich unbefristete Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus gemäß § 63 StGB ist eine außerordentlich belastende Maßnahme, die besonders gravierend in die Rechte des Betroffenen eingreift. Sie darf daher nur angeordnet werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass der Täter bei Begehung der Anlasstat aufgrund eines psychischen Defekts schuldunfähig oder vermindert schuldfähig war und die Tatbegehung auf diesem Zustand beruht. Weiterhin muss überwiegend wahrscheinlich sein, dass der Betroffene infolge seines fortdauernden Zustands in Zukunft erhebliche rechtswidrige Taten begehen wird. Die hierfür erforderliche Gefährlichkeitsprognose ist auf der Grundlage einer umfassenden Würdigung der Persönlichkeit des Täters, seines Vorlebens und der von ihm begangenen Anlasstat(en) zu entwickeln. Sie muss sich darauf erstrecken, welche rechtswidrigen Taten drohen und wie ausgeprägt das Maß der Gefährdung ist. Dabei ist das Tatgericht verpflichtet, die wesentlichen Umstände in den Urteilsgründen so umfassend darzustellen, dass das Revisionsgericht in die Lage versetzt wird, die Entscheidung nachzuvollziehen (st. Rspr.; vgl. nur ‒ 4 StR 90/23 Rn. 32; Beschluss vom ‒ 4 StR 24/19, NStZ-RR 2020, 9, 10). Beschränkt sich das Tatgericht dabei darauf, sich der Beurteilung durch den Sachverständigen anzuschließen, muss es dessen wesentliche Anknüpfungspunkte und Darlegungen in den Urteilsgründen so wiedergeben, wie dies zum Verständnis des Gutachtens und zur Beurteilung seiner Schlüssigkeit erforderlich ist (st. Rspr.; vgl. nur Rn. 5; Urteil vom – 5 StR 223/02 Rn. 20, jeweils mwN).

6b) Den sich hieraus ergebenden Darlegungsanforderungen werden die Urteilsgründe schon im Hinblick auf die Schuldfähigkeitsprüfung nicht gerecht.

7aa) Ob die Schuldfähigkeit des Beschuldigten zur Tatzeit aus einem der in § 20 StGB bezeichneten Gründe ausgeschlossen oder im Sinne von § 21 StGB erheblich vermindert war, ist prinzipiell mehrstufig zu prüfen. Zunächst ist die Feststellung erforderlich, dass bei dem Beschuldigten eine psychische Störung vorliegt, die ein solches Ausmaß erreicht hat, dass sie unter eines der psychopathologischen Eingangsmerkmale des § 20 StGB zu subsumieren ist. Sodann sind der Ausprägungsgrad der Störung und deren Einfluss auf die soziale Anpassungsfähigkeit des Täters zu untersuchen (st. Rspr.; vgl. nur ‒ 4 StR 491/22, NStZ-RR 2023, 271 mwN; Beschluss vom ‒ 5 StR 449/23 Rn. 7). Durch die festgestellten psychopathologischen Verhaltensmuster muss die psychische Funktionsfähigkeit des Täters bei der Tatbegehung beeinträchtigt worden sein. Diese Beurteilung erfordert – unter Heranziehung aller maßgeblichen Umstände – eine konkretisierende und widerspruchsfreie Darlegung dazu, in welcher Weise sich die festgestellte psychische Störung bei Begehung der Tat auf die Handlungsmöglichkeiten des Angeklagten in der konkreten Tatsituation und damit auf die Einsichts- oder Steuerungsfähigkeit ausgewirkt hat (vgl. BGH, Beschlüsse vom ‒ 3 StR 521/15, NStZ-RR 2016, 135 f. und vom ‒ 4 StR 417/12, NStZ-RR 2013, 145, 146).

8bb) Gemessen hieran fehlt es bereits an näheren Darlegungen zum Ausprägungsgrad der Störung und ihrem Einfluss auf die Anpassungsfähigkeit des Beschuldigten.

9Das Landgericht ist insoweit der Einschätzung des psychiatrischen Sachverständigen gefolgt, der „die Aktenlage ausgewertet und an der Beweisaufnahme teilgenommen“ habe. Dieser sei auf der Grundlage der dabei gewonnenen Erkenntnisse zu der medizinischen Beurteilung gelangt, dass der Beschuldigte neben einem „multiplen Substanzmissbrauch (ICD-10: F19.1)“ auch an einer – gegenwärtig depressiven – schizoaffektiven Störung (ICD-10: F25.1) leide. Dieses als krankhafte seelische Störung im Sinne des § 20 StGB einzuordnende Störungsbild habe dazu geführt, dass der Beschuldigte zum Tatzeitpunkt „nicht über die Möglichkeit“ verfügt habe, „imperativen akustischen Halluzinationen Widerstand zu leisten“, die deshalb handlungsleitenden Einfluss gewonnen hätten. Näheres zu den Anknüpfungs- und Befundtatsachen, auf deren Grundlage der Sachverständige zu der Diagnose einer schizoaffektiven Störung und zu ihren konkreten Auswirkungen auf das Verhalten des Beschuldigten in der konkreten Tatsituation gelangt ist, teilen die Urteilsgründe nicht mit. Der beigefügte pauschale Hinweis, der zur Tatzeit 24 Jahre alte Beschuldigte habe sich schon früher mehrfach wegen psychotischer Symptome in Form akustischer Halluzinationen in psychiatrischer Behandlung befunden, vermag die erforderlichen konkreten Darlegungen zum Störungsbild und seinem Ausprägungsgrad nicht zu ersetzen.

10cc) Weiterhin fehlt es an tragfähigen Erwägungen zu den Auswirkungen der Störung auf das Verhalten des Beschuldigten in der konkreten Tatsituation. Der isolierte Hinweis darauf, dass die imperative Stimme handlungsleitend geworden sei, greift unter den hier gegebenen Umständen zu kurz. Es fehlt an der erforderlichen Auseinandersetzung mit den Besonderheiten der konkreten Tatsituation. Insoweit hätte in den Blick genommen werden müssen, dass der Beschuldigte seine Mutter spontan angriff, nachdem sie sich geweigert hatte, ihm Geld zu geben; dies und der Umstand, dass der Beschuldigte wenig später die Handtasche mit dem Bargeld seiner Mutter an sich nahm, hätte zu einer ins Einzelne gehenden und nachvollziehbaren Erörterung der Frage drängen müssen, ob die Tat nicht auch normalpsychologisch erklärbar sein könnte. Schließlich hätte die ersichtlich hochspezifische Täter-Opfer-Beziehung sowie das Nachtatverhalten des Beschuldigten, der nach den Feststellungen zeitnah die Polizei alarmierte und sich festnehmen ließ, in die Betrachtung mit eingestellt werden müssen.

11c) Schließlich ist auch die negative Gefährlichkeitsprognose nicht tragfähig begründet. Die knappen Ausführungen hierzu beschränken sich auf den Hinweis, dass trotz Krankheitseinsicht und Behandlungsbereitschaft des Beschuldigten eine Rückbildung der psychotischen Symptomatik bislang nicht gelungen und der Ausgang der weiteren Behandlung offen sei. Bei einem Behandlungsabbruch müsse mit einer Zunahme der Wahnsymptomatik, einem erneuten Erleben imperativer akustischer Halluzinationen und ‒ in einem solchen Fall ‒ „mit hoher Wahrscheinlichkeit“ erneut mit „einem gefährlichen Verhalten inklusive Gewaltdelikten“ gerechnet werden. Dabei hat es das Landgericht versäumt, das Vorleben des Beschuldigten in den Blick zu nehmen, der ‒ soweit dies den Urteilsgründen zu entnehmen ist ‒ ungeachtet der bereits seit Jahren bestehenden Erkrankung erstmals mit einem Gewaltdelikt auffällig geworden ist. Darüber hinaus hätte sich das Landgericht mit der Frage der Wahrscheinlichkeit einer erneuten Exazerbation der Erkrankung auseinandersetzen müssen.

123. Die Sache bedarf daher neuer Verhandlung und Entscheidung. Die rechtsfehlerfrei getroffenen Feststellungen zum objektiven Tatgeschehen können bestehen bleiben (§ 353 Abs. 2 StPO) und um solche ergänzt werden, die den bisherigen nicht widersprechen.

134. Der Senat sieht Anlass zu folgendem Hinweis:

14Das neu zur Entscheidung berufene Schwurgericht wird auch die Frage der vorsatzgleichen Vorstellung des Beschuldigten, seine Mutter zu töten, sorgfältiger als bisher geschehen zu prüfen haben. Die tatgerichtliche Annahme, der Beschuldigte habe seine Mutter mit bedingtem Tötungsvorsatz angegriffen, versteht sich ohne nähere Feststellungen zur Wucht des Schlages mit der Kaffeetasse und der Intensität des Würgegriffs nicht von selbst und hätte daher einer näheren Begründung bedurft, an der es bislang fehlt.

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:170124B4STR422.23.0

Fundstelle(n):
ZAAAJ-68163