(Bestellung eines Betreuers; Erforderlichkeit einer Betreuung)
Gesetze: § 1814 Abs 3 S 1 BGB, § 1816 Abs 2 BGB, § 1825 Abs 1 S 1 BGB, § 74 Abs 6 S 2 FamFG
Instanzenzug: LG Oldenburg (Oldenburg) Az: 8 T 76/23vorgehend AG Delmenhorst Az: 3c XVII 75/92
Gründe
I.
1Der Betroffene wendet sich gegen die Verlängerung der für ihn eingerichteten Betreuung und des angeordneten Einwilligungsvorbehalts, die Erweiterung des Aufgabenkreises der Betreuung sowie gegen die Betreuerauswahl.
2Der im Jahr 1950 geborene Betroffene leidet nach den Feststellungen des Landgerichts an einem schizophrenen Residuum und der chronifizierten Form einer paranoiden Schizophrenie mit ausgeprägter Negativsymptomatik. Zudem liegt bei ihm ein schädlicher Alkoholkonsum vor und besteht der Verdacht einer beginnenden Demenz. Für den Betroffenen ist deshalb die Beteiligte zu 1 als Berufsbetreuerin mit dem Aufgabenkreis Gesundheitssorge, Aufenthaltsbestimmung, Entscheidung über die Unterbringung und unterbringungsähnliche Maßnahmen, Vermögenssorge sowie Rechts-, Antrags- und Behördenangelegenheiten bestellt und ein Einwilligungsvorbehalt für den Bereich der Vermögenssorge angeordnet.
3Das Amtsgericht hat die Betreuung und die Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts für den Bereich der Vermögenssorge verlängert, den Aufgabenkreis um den Aufgabenbereich Entgegennahme, Öffnen und Anhalten der Post erweitert und auch insoweit die Beteiligte zu 1 als Betreuerin bestellt. Die dagegen vom Betroffenen eingelegte Beschwerde hat das Landgericht zurückgewiesen. Hiergegen wendet sich der Betroffene mit seiner Rechtsbeschwerde.
II.
4Die Rechtsbeschwerde ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der angefochtenen Entscheidung und zur Zurückverweisung der Sache an das Beschwerdegericht.
51. Das Beschwerdegericht hat zur Begründung seiner Entscheidung ausgeführt, die Betreuung und der Einwilligungsvorbehalt seien nach den Feststellungen des Sachverständigen wegen der Erkrankung des Betroffenen und damit einhergehender deutlicher mnestischer Störungen, insbesondere des Kurzzeitgedächtnisses sowie der Kognition im Sinne der Aufnahme und Verarbeitung von Informationen, erforderlich. Der Aufgabenkreis sei zudem um den Bereich Entgegennahme, Anhalten und Öffnen der Post zu erweitern, weil der Betroffene dauerhaft nicht in der Lage sei, komplexere Inhalte von Schriftstücken kognitiv zu verarbeiten. Da der Betroffene ersichtlich sehr beeinflussbar durch seinen Bruder sei, scheine zur Sicherung des Vermögens des Betroffenen auch weiterhin ein Einwilligungsvorbehalt erforderlich.
62. Diese Ausführungen halten rechtlicher Nachprüfung nicht stand. Es fehlt bereits an ausreichenden Feststellungen des Beschwerdegerichts, dass die Anordnung des umfangreichen, praktisch sämtliche Lebensbereiche des Betroffenen umfassenden Aufgabenkreises im Sinne von § 1814 Abs. 3 Satz 1 BGB sowie eines Einwilligungsvorbehalts für den Bereich der Vermögenssorge erforderlich ist.
7a) Nach § 1814 Abs. 3 Satz 1 BGB darf ein Betreuer nur bestellt werden, wenn dies erforderlich ist. Dieser Grundsatz verlangt für die Bestellung eines Betreuers die konkrete tatrichterliche Feststellung, dass sie - auch unter Beachtung der Verhältnismäßigkeit - notwendig ist, weil der Betroffene auf entsprechende Hilfen angewiesen ist und weniger einschneidende Maßnahmen nicht in Betracht kommen. Die Erforderlichkeit einer Betreuung kann sich dabei nicht allein aus der subjektiven Unfähigkeit des Betroffenen ergeben, seine Angelegenheiten selbst zu regeln (Betreuungsbedürftigkeit). Hinzutreten muss vielmehr ein konkreter Bedarf für die Bestellung eines Betreuers. Ob und für welche Aufgabenbereiche ein objektiver Betreuungsbedarf besteht, ist aufgrund der konkreten, gegenwärtigen Lebenssituation des Betroffenen zu beurteilen. Dabei genügt es allerdings, wenn ein Handlungsbedarf in dem betreffenden Aufgabenkreis jederzeit auftreten kann (vgl. Senatsbeschlüsse vom - XII ZB 222/23 - juris Rn. 6 und vom - XII ZB 558/21 - FamRZ 2022, 891 Rn. 15 mwN).
8b) Diesen Anforderungen genügt die angefochtene Entscheidung nicht. Sie verhält sich lediglich kurz unter Bezugnahme auf das vom Amtsgericht eingeholte Sachverständigengutachten zu den krankheitsbedingten Einschränkungen des Betroffenen. Zum objektiven Betreuungsbedarf fehlt es indes an jeglichen Ausführungen. Dies gilt auch für den Bedarf hinsichtlich der Anordnung eines Einwilligungsvorbehalts für den Bereich der Vermögenssorge. Dass ohne Einwilligungsvorbehalt eine erhebliche Gefahr für das Vermögen des Betroffenen bestünde (§ 1825 Abs. 1 Satz 1 BGB), hat das Landgericht nicht festgestellt und ist auch sonst nicht ersichtlich. Allein der Hinweis darauf, dass der Betroffene unter dem Einfluss seines Bruders stehe, rechtfertigt diese Annahme nicht.
93. Die angefochtene Entscheidung ist daher aufzuheben und die Sache ist an das Landgericht zurückzuverweisen (§ 74 Abs. 6 Satz 2 FamFG). Für das weitere Verfahren weist der Senat darauf hin, dass sich das Landgericht auch mit dem nach § 1816 Abs. 2 BGB grundsätzlich beachtlichen Wunsch des Betroffenen, dass sein Bruder als Betreuer bestellt wird, zu befassen haben wird. Der Wille des Betroffenen darf nur dann unberücksichtigt bleiben, wenn die als Betreuer gewünschte Person zur Führung der Betreuung nicht geeignet ist. Dies hat das Tatgericht einzelfallbezogen unter umfassender Abwägung aller Umstände zu prüfen (vgl. Senatsbeschluss vom - XII ZB 442/22 - FamRZ 2023, 1310 Rn. 16 mwN). Darüber hinaus gibt die Zurückverweisung dem Landgericht Gelegenheit, sich auch mit den weiteren Rügen der Rechtsbeschwerde auseinander zu setzen.
10Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen, weil sie nicht geeignet wäre, zur Klärung von Rechtsfragen grundsätzlicher Bedeutung, zur Fortbildung des Rechts oder zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung beizutragen (§ 74 Abs. 7 FamFG).
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:130324BXIIZB439.23.0
Fundstelle(n):
NJW 2024 S. 8 Nr. 29
NJW-RR 2024 S. 937 Nr. 15
XAAAJ-67974