Wegfall des Rechtsschutzbedürfnisses für Klage auf Gewährung von Akteneinsicht
Leitsatz
NV: Das Rechtsschutzbedürfnis für eine Klage auf außergerichtliche Gewährung von Akteneinsicht oder für ein hierauf bezogenes Rechtsmittel entfällt, wenn der Steuerpflichtige ein finanzgerichtliches Verfahren in Gang gesetzt hat, in dem die streitgegenständlichen Akten dem Gericht vorgelegt wurden und aus diesem Grund ein umfassendes und nicht beschränkbares Recht auf Akteneinsicht gemäß § 78 der Finanzgerichtsordnung besteht.
Gesetze: FGO § 78 Abs. 1; DSGVO Art. 15 Abs. 1
Instanzenzug: ,
Tatbestand
I.
1 Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) beansprucht Einsichtnahme in die Handakte einer bei ihm durchgeführten Außenprüfung.
2 Der Beklagte und Revisionsbeklagte (Finanzamt —FA—) führte beim Kläger, einem Gewerbetreibenden, eine Außenprüfung durch. Die Prüferin stellte Buchführungsmängel fest und nahm aus diesem Grund Hinzuschätzungen zu den erklärten Erlösen und Umsätzen vor. Noch während der Prüfung beantragte der Kläger, ihm Einsicht in die Handakte („Fallheft“) der Prüferin zu gewähren. Dies lehnte das FA mit Bescheid vom ab. Der Einspruch hatte keinen Erfolg.
3 Das Finanzgericht (FG) wies die Klage mit in Entscheidungen der Finanzgerichte 2021, 1777 veröffentlichtem Urteil vom ab.
4 Mit seiner Revision brachte der Kläger im Kern zuletzt vor, er sei darauf angewiesen, in die Handakte der Prüferin Einsicht zu nehmen, um sich gegen die von der Außenprüfung vorgenommene Hinzuschätzung, die inzwischen durch entsprechend geänderte —von ihm angefochtene— Bescheide umgesetzt worden sei, sachgerecht zur Wehr zu setzen.
5 Der Kläger beantragt sinngemäß,
das angefochtene Urteil aufzuheben und das FA zu verpflichten, Einsicht in die Handakte der Außenprüfung zu gewähren.
6 Das FA hat keinen Sachantrag gestellt. Es tritt der Revisionsbegründung entgegen und hält die vorinstanzliche Entscheidung für zutreffend.
7 Gegen die nach der Außenprüfung ergangenen Änderungsbescheide führt der Kläger inzwischen Klageverfahren beim FG Baden-Württemberg (1 K 2028/22: Umsatzsteuer; 7 K 2076/22: gesonderte Gewinnfeststellung und Gewerbesteuermessbetrag). Das FG hat unter anderem die Handakte der Außenprüfung beigezogen. Auf Nachfrage des Vorsitzenden des erkennenden Senats hat das FG mit Schreiben vom mitgeteilt, der Kläger habe noch keine Einsicht in jene Akte genommen.
Gründe
II.
8 Die unzulässige Revision ist durch Beschluss zu verwerfen (§ 126 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung —FGO—).
9 Die Revision ist unzulässig, da es dem Kläger an dem hierfür erforderlichen Rechtsschutzbedürfnis fehlt.
10 1. Zu den ungeschriebenen Sachentscheidungsvoraussetzungen einer jeden Anrufung eines Gerichts gehört das Vorhandensein eines Rechtsschutzbedürfnisses (, Rz 16, m.w.N.). Dessen anfängliches Fehlen oder späterer Wegfall bewirken die Unzulässigkeit des gerichtlichen Rechtsbehelfs (Senatsurteil vom - IX R 141/89, BFHE 174, 446, BStBl II 1994, 756, unter I.1.).
11 Das Rechtsschutzbedürfnis fehlt unter anderem dann, wenn es für den Rechtsbehelfsführer einen verfahrensmäßig einfacheren und/oder schnelleren Weg gibt, das angestrebte Rechtsschutzziel zu erreichen (vgl. BFH-Entscheidungen vom - X S 23/18, Rz 13 sowie vom - III R 53/13, BFHE 246, 437, BStBl II 2015, 282, Rz 10; Braun in Hübschmann/Hepp/Spitaler, § 40 FGO Rz 165; Gräber/Herbert, Finanzgerichtsordnung, 9. Aufl., vor § 33 Rz 19). Ein Bedürfnis, abstrakte Rechtsfragen zu klären, genügt insoweit nicht (, BFH/NV 2002, 665).
12 2. Im Streitfall ist das Rechtsschutzbedürfnis des Klägers für die vorliegende Revision entfallen.
13 a) Prozessuales Ziel der Revision war es, das FA zu verpflichten, dem Kläger Einsicht in die anlässlich der bei ihm durchgeführten Außenprüfung angelegte Handakte zu gewähren. Die Akteneinsicht sollte den Kläger —wie in der Revisionsbegründung vom verdeutlicht— in den Stand versetzen, zu erwägen und zu analysieren, ob und wie er sich gegen die im Nachgang zur Außenprüfung vorgenommenen Hinzuschätzungen zu Umsatz und Gewinn weiter zur Wehr setzen könne.
14 b) Zur Erreichung dieses Ziels bedarf es keiner Entscheidung des Senats, ob und nach Maßgabe welcher Rechtsgrundlage dem Kläger ein Akteneinsichtsrecht zustehen könnte. Der Kläger hat gegen die Auswertungsbescheide nach der Außenprüfung mittlerweile Klage zum FG erhoben, über die noch nicht entschieden wurde. Nach den Erkundigungen des Vorsitzenden des erkennenden Senats wurde dem FG die streitgegenständliche Handakte inzwischen übermittelt, sodass dem Kläger auch insoweit ein Akteneinsichtsrecht gemäß § 78 Abs. 1 Satz 1 FGO zusteht. Unerheblich ist, dass der Kläger bislang von diesem —durch das FG nicht beschränkbarem— Recht keinen Gebrauch gemacht hat.
15 c) Auf die Frage des Vorsitzenden des erkennenden Senats, ob das vorliegende Revisionsverfahren im Hinblick auf das umfassende Akteneinsichtsrecht gemäß § 78 FGO fortgeführt werden soll, hat der Kläger trotz Erinnerung nicht reagiert.
16 3. Dass der Kläger neben seinem Akteneinsichtsrecht weiterhin einen Anspruch auf Auskunft über die Verarbeitung seiner personenbezogenen Daten gemäß Art. 15 Abs. 1 der Datenschutz-Grundverordnung verfolgt, kann seiner letzten Revisionsbegründung (Schriftsatz vom ) nicht mehr entnommen werden.
17 4. Über die Verfahrensrügen des Klägers war nicht mehr zu befinden.
18 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.
Diese Entscheidung steht in Bezug zu
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BFH:2024:B.210524.IXR28.22.0
Fundstelle(n):
AO-StB 2024 S. 209 Nr. 7
BFH/NV 2024 S. 916 Nr. 8
DStR-Aktuell 2024 S. 10 Nr. 23
StuB-Bilanzreport Nr. 12/2024 S. 487
StuB-Bilanzreport Nr. 12/2024 S. 487
FAAAJ-67899