BGH Urteil v. - VI ZR 660/20

Diesel-Abgasskandal: Differenzschadensersatz für einen Audi A4 2.0 TDI mit einem Dieselmotor Typ EA189

Leitsatz

Zur deliktischen Haftung des Kfz-Herstellers wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasrückführung gegenüber dem Käufer eines Fahrzeugs.

Gesetze: § 823 Abs 2 BGB, § 826 BGB, § 6 Abs 1 EG-FGV, § 27 Abs 1 EG-FGV, Art 5 EGV 715/2007

Instanzenzug: Az: 21 U 6238/19vorgehend LG Ingolstadt Az: 43 O 2283/18

Tatbestand

1Die Klägerin nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin wegen Verwendung unzulässiger Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung auf Schadensersatz in Anspruch.

2Sie erwarb am von einem Händler einen gebrauchten, von der Beklagten hergestellten AUDI A4 2.0 TDI für 16.700 €. Das Fahrzeug ist mit einem von der Volkswagen AG, der Muttergesellschaft der Beklagten, entwickelten und hergestellten Dieselmotor der Baureihe EA189 ausgestattet. Die ursprünglich eingesetzte Steuerungssoftware erkannte, wenn das Fahrzeug auf einem Prüfstand den Neuen Europäischen Fahrzyklus durchfuhr, und schaltete dann in einen Abgasrückführungsmodus mit niedrigerem Stickoxidausstoß. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltete der Motor dagegen in einen Abgasrückführungsmodus mit höherem Stickoxidausstoß (sog. Umschaltlogik).

3Vor Abschluss des Kaufvertrags, am , hatte die Volkswagen AG eine Ad-hoc-Mitteilung nach § 15 WpHG a.F. veröffentlicht, wonach bei weltweit rund elf Millionen Fahrzeugen mit Motoren vom Typ EA189 eine auffällige Abweichung zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb festgestellt worden sei, sie mit Hochdruck daran arbeite, diese Abweichungen mit technischen Maßnahmen zu beseitigen und dazu in Kontakt mit den zuständigen Behörden und dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) stehe. Weitere interne Prüfungen hätten ergeben, dass die betreffende Steuerungssoftware auch in anderen Diesel-Fahrzeugen des Volkswagen Konzerns vorhanden sei. Am hatte die Beklagte selbst eine Pressemitteilung herausgegeben, in der sie über die Dieselproblematik informierte, insbesondere "Unregelmäßigkeiten mit der verwendeten Software" bei nach der Europäischen Emissionsnorm EU5 zugelassenen Dieselmotoren mit der Bezeichnung EA189 einräumte und von der Erarbeitung einer den zuständigen Behörden vorzustellenden "technischen Lösung" sprach, und eine Internetseite freigeschaltet, auf der durch Eingabe der Fahrzeug-Identifizierungsnummer überprüft werden konnte, ob ein konkretes Fahrzeug mit der Software-Konfiguration versehen ist. Ferner hatte sie Händler und Vertriebspartner informiert. In der Folge hatten die nationalen Print- und Onlinemedien sowie das Fernsehen intensiv über den "Abgasskandal" und die Internetseite berichtet - regelmäßig auch über die Betroffenheit der im Konzern hergestellten Fahrzeuge. Mit veröffentlichtem Bescheid vom hatte das KBA gegenüber der Beklagten angeordnet, geeignete Maßnahmen zur Wiederherstellung der Vorschriftsmäßigkeit der Fahrzeuge zu ergreifen.

4Am ließ die Klägerin ein insoweit vom KBA freigegebenes Software-Update aufspielen, mit dem ein Thermofenster implementiert wurde. Die Klägerin hat behauptet, es seien konkrete negative Auswirkungen des Updates zu befürchten (erhöhter Kraftstoffverbrauch, verringerte Motorleistung, verringertes Drehmoment, höhere Geräuschemissionen, erhöhter Verschleiß). Die Stickoxidgrenzwerte würden weiterhin nicht eingehalten.

5Mit ihrer Klage hat die Klägerin, die behauptet, sie hätte das Fahrzeug nicht erworben, wenn sie gewusst hätte, dass es vom sogenannten "Abgasskandal" betroffen ist, Schadensersatz in Höhe des für das Fahrzeug gezahlten Kaufpreises zuzüglich Verzugszinsen Zug um Zug gegen Rückgabe und Übereignung des Fahrzeugs (Klageantrag zu 1), ferner Ersatz vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten zuzüglich Verzugszinsen (Klageantrag zu 2) verlangt.

6Das Landgericht hat die Klage abgewiesen. Die Berufung der Klägerin hat das Oberlandesgericht zurückgewiesen. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter, in Bezug auf den Klageantrag zu 1 allerdings beschränkt auf eine um Wertersatz für gezogene Nutzungen in Höhe von 5.980 € verminderte Ersatzforderung. Darüber hinaus verlangt sie diesbezüglich erstmals Deliktszinsen ab Kaufpreiszahlung bis zum Verzugseintritt. Nachdem die Klägerin das Fahrzeug zwischenzeitlich für 6.500 € verkauft hat, haben die Parteien in der mündlichen Verhandlung vor dem Senat den Rechtsstreit insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt.

Gründe

I.

7Nach Auffassung des Berufungsgerichts steht der Klägerin kein Schadensersatzanspruch gegen die Beklagte zu. Für einen Anspruch aus § 826 BGB fehle es bei dem hier vorliegenden Erwerb nach Bekanntwerden des "Diesel-skandals" an dem erforderlichen Zurechnungszusammenhang zwischen dem haftungsbegründenden Verhalten der Beklagten (Inverkehrbringen des Fahrzeugs) und dem etwaigen Schaden der Klägerin. In Fällen mittelbarer Kausalität, in denen der Schaden erst durch ein Verhalten des Geschädigten - hier den Kaufvertragsabschluss - (mit-)verursacht werde, sei der Zurechnungszusammenhang nur gegeben, wenn das haftungsbegründende Verhalten des Schädigers das Verhalten des Geschädigten herausgefordert habe. Vor Abschluss des Kaufvertrags am habe die Beklagte aber hinreichende Maßnahmen getroffen, um die weiteren Auswirkungen ihres - unterstellt - sittenwidrigen haftungsbegründenden Verhaltens im Hinblick auf die sog. Umschaltlogik einzudämmen, so dass der Zurechnungszusammenhang unterbrochen worden sei. Ob die Klägerin bei Erwerb gewusst habe, dass das Fahrzeug vom "Abgasskandal" betroffen sei, sei unerheblich. Darüber hinaus fehle es am Schädigungsvorsatz der Beklagten. Im Zeitpunkt des Kaufvertragsschlusses habe die Beklagte die maßgeblichen Aspekte der Manipulation offengelegt gehabt. Dass sie eine Schädigung der Klägerin in ihren Willen aufgenommen, für möglich gehalten und billigend in Kauf genommen hat, könne danach nicht angenommen werden. Ein erst mit dem Software-Update am aufgespieltes Thermofenster könne schon nicht kausal für den Fahrzeugkauf und den behaupteten Schaden geworden sein. Sein Einsatz sei jedenfalls nicht sittenwidrig. Dass sich die Beklagte bewusst gewesen sei, mit dem Thermofenster möglicherweise gegen gesetzliche Vorschriften zu verstoßen und dies zumindest billigend in Kauf genommen habe, sei weder dargetan noch ersichtlich. Aus denselben Gründen stehe der Klägerin auch kein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 263 StGB zu. Auch ein Anspruch aus § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. § 6, § 27 EG-FGV bestehe nicht. § 27 EG-FGV sei bereits kein Schutzgesetz i.S.v. § 823 Abs. 2 BGB.

II.

8Soweit die Klägerin erstmals im Revisionsverfahren Deliktszinsen ab Kaufpreiszahlung bis zum Verzugseintritt verlangt, handelt es sich um eine in der Revisionsinstanz grundsätzlich unzulässige Klageerweiterung. Der Senat hat daher hinsichtlich der Nebenforderungen (Zinsen) auf der Grundlage des bisherigen Klageantrags zu 1 zu entscheiden (vgl. , ZIP 2023, 1903 Rn. 9 mwN).

III.

9Die Erwägungen des Berufungsgerichts halten der revisionsrechtlichen Prüfung nicht in allen Punkten stand. Eine Haftung der Beklagten wegen sittenwidriger vorsätzlicher Schädigung (§ 826 BGB) hat das Berufungsgericht im Ergebnis zu Recht verneint. Rechtsfehlerhaft hat es hingegen eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV abgelehnt.

101. Ohne Erfolg macht die Revision geltend, der mit der Klage verfolgte Anspruch ergebe sich aus § 826 BGB.

11a) Das Verhalten der Beklagten im Zusammenhang mit dem massenweisen Einbau unzulässiger Abschalteinrichtungen für die Abgasreinigung im Verhältnis zu Personen, die eines der betroffenen Fahrzeuge vor den von der Konzernmutter der Beklagten im September 2015 und der Beklagten im Oktober 2015 ergriffenen Maßnahmen erwarben und keine Kenntnis von der illegalen Abschalteinrichtung hatten, könnte - wenn man unterstellt, dass der Beklagten beim Inverkehrbringen des Fahrzeugs die auf arglistige Täuschung des KBA abzielende Prüfstandserkennungssoftware bekannt war - zwar sittenwidrig und geeignet gewesen sein, die Haftung der Beklagten zu begründen (vgl. , juris Rn. 18; vom - III ZR 205/20, VersR 2022, 1173 Rn. 18; Senatsbeschluss vom - VI ZR 566/20, juris Rn. 6). Ein Anspruch der Klägerin aus § 826 BGB besteht aber nicht, weil sich auf der Grundlage der vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen und des revisionsrechtlich erheblichen Parteivorbringens das gesamte Verhalten der Beklagten im Zeitraum bis zum Eintritt des etwaigen Schadens bei der Klägerin in der gebotenen Gesamtschau aufgrund einer zwischenzeitlichen Verhaltensänderung der Beklagten (ständige Rechtsprechung des BGH; vgl. zur AUDI AG , juris Rn. 19; vom - III ZR 205/20, VersR 2022, 1173 Rn. 19; Senatsbeschluss vom - VI ZR 566/20, juris Rn. 6; Senatsurteil vom - VI ZR 818/20, VersR 2022, 451 Rn. 8; im Übrigen vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 34 ff.; Senatsbeschluss vom - VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 15 ff.; , NJW-RR 2022, 243 Rn. 17; vom - III ZR 200/20, NJW 2021, 3725 Rn. 18 f.) nicht als sittenwidrig darstellt (ständige Rechtsprechung des BGH; vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 493/20, WM 2024, 36 Rn. 8; Senatsbeschluss vom - VI ZR 491/20, juris Rn. 7; auch VIa ZR 533/21, NJW 2023, 2270 Rn. 14). Dieser Zeitraum ist insofern maßgeblich (ständige Rechtsprechung des BGH; vgl. nur , NJW 2020, 2798 Rn. 30 f.; vom - VI ZR 493/20, WM 2024, 36 Rn. 8; Senatsbeschluss vom - VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 13).

12Die Beklagte hat im Anschluss an die Ad-hoc-Mitteilung ihrer Konzernmutter vom ihrerseits durch die Mitteilung vom die Öffentlichkeit über die Dieselproblematik informiert und eine Internetseite freigeschaltet, über die sich die Fahrzeughalter informieren konnten, ob ihr Fahrzeug mit der Software ausgestattet ist. Ferner hat sie die Händler und Vertriebspartner informiert (vgl. nur Senatsurteil vom - VI ZR 818/20, VersR 2022, 451 Rn. 7; Senatsbeschluss vom - VI ZR 566/20, juris Rn. 6). Hierdurch wurden wesentliche Elemente, die ihr bisheriges Verhalten gegenüber bisherigen Käufern von Fahrzeugen mit Dieselmotoren der Baureihe EA189 als besonders verwerflich erscheinen ließen, derart relativiert, dass der Vorwurf der Sittenwidrigkeit bezogen auf ihr Gesamtverhalten gegenüber der Klägerin und im Hinblick auf den Schaden, der bei ihr durch den Abschluss eines ungewollten Kaufvertrags im Mai 2016 entstanden sein könnte, nicht gerechtfertigt ist (vgl. , WM 2024, 36 Rn. 9; vom - VI ZR 818/20, VersR 2022, 451 Rn. 8; vom - VI ZR 244/20, VersR 2021, 263 Rn. 14 f.; vom - VI ZR 5/20, NJW 2020, 2798 Rn. 34 ff.; Senatsbeschlüsse vom - VI ZR 491/20, juris Rn. 8; vom - VI ZR 566/20, juris Rn. 6; vom - VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 17; , juris Rn. 19 ff.; vom - III ZR 205/20, VersR 2022, 1173 Rn. 19 ff.). Dass die Beklagte möglicherweise weitere Schritte zur umfassenden Aufklärung hätte unternehmen können, reicht für die Begründung des gravierenden Vorwurfs der sittenwidrigen Schädigung gegenüber späteren Käufern nicht aus.

13b) Entgegen der Revision sind die dargestellten (Aufklärungs-)Maßnahmen für das Ergebnis der Sittenwidrigkeitsprüfung nicht deshalb irrelevant, weil nicht sichergestellt worden sei, dass die Informationen tatsächlich jeden potentiellen Käufer erreichten und einen Fahrzeugerwerb in Unkenntnis der Abschalteinrichtung in jedem Einzelfall verhinderten. Die Beklagte traf zur Vermeidung des Sittenwidrigkeitsvorwurfs nicht die Verpflichtung, jeden potentiellen Käufer über die für seine Kaufentscheidung wesentlichen Gesichtspunkte und die Mängel des Kaufgegenstands vollständig aufzuklären (vgl. Senatsurteil vom - VI ZR 5/20, ZIP 2020, 1715 Rn. 38; Senatsbeschlüsse vom - VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 22; vom - VI ZR 566/20, juris Rn. 6; , NJW-RR 2022, 243 Rn. 19; Beschluss vom - VII ZR 222/21, juris Rn. 24). Unerheblich ist danach das Vorbringen der Revision, die Klägerin habe bei Erwerb des Fahrzeugs weder Kenntnis vom "Dieselskandal" im Allgemeinen noch von der Betroffenheit des Fahrzeugs im Besonderen gehabt (Senatsurteil vom - VI ZR 493/20, WM 2024, 36 Rn. 15 mwN).

14c) Die Bedeutung der dargestellten (Aufklärungs-)Maßnahmen wird nicht dadurch relativiert, dass mit dem am aufgespielten Software-Update ein Thermofenster implementiert wurde. Dabei kann zugunsten der Klägerin unterstellt werden, dass diese temperaturbeeinflusste Steuerung der Abgasrückführung als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 zu qualifizieren ist. Der darin liegende - unterstellte - Gesetzesverstoß reicht aber nicht aus, um das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren. Die Verwerflichkeit des Verhaltens der Beklagten hätte sich nur dann fortgesetzt, wenn weitere Umstände hinzuträten, die das Verhalten der für die Beklagte handelnden Personen als besonders verwerflich erscheinen ließen. Dies setzt jedenfalls voraus, dass diese Personen bei der Entwicklung und/oder Applikation der temperaturabhängigen Steuerung des Emissionskontrollsystems in dem Bewusstsein handelten, eine (weitere) unzulässige Abschalteinrichtung zu verwenden, und den darin liegenden Gesetzesverstoß billigend in Kauf nahmen (vgl. Senatsbeschluss vom - VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 25 f., 28; , ZIP 2022, 330 Rn. 21 f.; Beschluss vom - VII ZR 222/21, juris Rn. 31). Nach den getroffenen und nicht angegriffenen Feststellungen hat die insoweit darlegungsbelastete Klägerin keine Anhaltspunkte für ein solches Vorstellungsbild der für die Beklagte handelnden Personen vorgetragen.

15d) Eine abweichende Beurteilung ist schließlich auch nicht deshalb geboten, weil das Software-Update nach der mangels abweichender Feststellungen revisionsrechtlich zu unterstellenden Behauptung der Klägerin negative Auswirkungen auf Kraftstoffverbrauch, Motorleistung, Drehmoment, Geräuschemissionen und Verschleiß haben kann. Dies rechtfertigt den Vorwurf besonderer Verwerflichkeit in der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht. Der Umstand, dass mit dem Update nicht nur die unzulässige Manipulationssoftware entfernt wird, sondern auch eine - unterstellt nachteilige - Veränderung des Kraftstoffverbrauchs oder sonstiger Parameter verbunden ist, reicht nicht aus, um das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren (Senatsbeschlüsse vom - VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 30; vom - VI ZR 491/20, juris Rn. 13; , juris Rn. 33).

162. Allerdings kommt - anders als das Berufungsgericht meint - eine Haftung der Beklagten nach § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, Art. 5 Abs. 1 und 2 VO (EG) Nr. 715/2007 in Betracht. Dies führt zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht, um diesem Gelegenheit zu geben, die insoweit erforderlichen Feststellungen zu treffen (vgl. § 563 Abs. 3 ZPO).

17a) Bei diesen Normen handelt es sich - unter Zugrundelegung der Ausführungen des Gerichtshofs der Europäischen Union in seinem Urteil vom (C-100/21, NJW 2023, 1111) - um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, in deren persönlichen Schutzbereich der Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Kraftfahrzeugs einbezogen ist.

18b) Die oben angeführten Abgasnormen - auch in Verbindung mit der Übereinstimmungsbescheinigung - schützen allerdings nicht die allgemeine Handlungsfreiheit und als deren Ausfluss das wirtschaftliche Selbstbestimmungsrecht des Käufers, das heißt das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, mit der Folge, dass die - gegebenenfalls auch fahrlässige - Erteilung einer unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung zu einem deliktischen Anspruch des Käufers gegen den Hersteller auf Rückerstattung des an den Verkäufer gezahlten Kaufpreises führte. Die allgemeine Handlungsfreiheit fällt nicht in den sachlichen Schutzbereich dieser Normen (so bereits Senatsurteil vom - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 76; nachfolgend ständige Rechtsprechung des BGH). Dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom (C-100/21, NJW 2023, 1111) lässt sich nichts entnehmen, was zu einer Abkehr von dieser Rechtsprechung nötigen würde ( VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 24-26; Senatsurteil vom - VI ZR 493/20, WM 2024, 36 Rn. 23).

19c) Jedoch kann dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Kraftfahrzeugs ein Anspruch auf Schadensersatz wegen Schutzgesetzverletzung zustehen, weil ihm aufgrund des Erwerbs eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs ein Vermögensschaden in Form des Differenzschadens entstanden ist. Ein solcher Schaden, der darauf zurückzuführen ist, dass der Hersteller die ihm auch zugunsten des Käufers auferlegten Pflichten nach dem europäischen Abgasrecht nicht eingehalten hat, fällt nach Maßgabe des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom (C-100/21, NJW 2023, 1111) in den sachlichen Schutzbereich der europäischen Abgasnormen und ist insoweit im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB zu entschädigen.

20d) Ob der Klägerin im Ergebnis ein solcher Anspruch zusteht, lässt sich auf der Grundlage der bisher vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen nicht abschließend beurteilen. Das Berufungsgericht wird der Klägerin im erneuten Berufungsverfahren Gelegenheit zu geben haben, zu den Voraussetzungen einer Haftung nach diesen Normen vorzutragen und den von ihr geltend gemachten Schaden im Sinne des Differenzschadens zu berechnen.

IV.

21Das Berufungsurteil ist aufzuheben, soweit die Klage nicht bereits rechtskräftig abgewiesen ist (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 ZPO).

Diese Entscheidung steht in Bezug zu

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:090424UVIZR660.20.0

Fundstelle(n):
WM 2024 S. 1137 Nr. 24
BAAAJ-67776