BGH Beschluss v. - 3 StR 300/23

Instanzenzug: OLG Frankfurt Az: 5/17 KLs 24/21nachgehend Az: 3 StR 300/23 Beschluss

Gründe

1Das Landgericht hat den Angeklagten unter Freispruch im Übrigen wegen vielfacher Volksverhetzungen, Störungen des öffentlichen Friedens durch Androhung von Straftaten, Verunglimpfungen des Andenkens Verstorbener, Verbreitungen von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen, Beleidigungen, Bedrohungen, versuchter Nötigungen, öffentlicher Aufforderung zu Straftaten, Besitzes eines verbotenen Gegenstands und jugendpornografischer Schriften sowie - in Fall II. 68 der Urteilsgründe - tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von fünf Jahren und zehn Monaten verurteilt sowie Einziehungsentscheidungen getroffen.

2Die auf die Rügen der Verletzung formellen und materiellen Rechts gestützte Revision des Angeklagten führt zu der aus der Beschlussformel ersichtlichen geringfügigen Änderung des Schuldspruchs. Im Übrigen ist das Rechtsmittel unbegründet im Sinne des § 349 Abs. 2 StPO.

I.

3Nach den von der Strafkammer getroffenen Feststellungen war der 1968 geborene, umfangreich vorbestrafte Angeklagte seit 1990 arbeitslos und lebte von Sozialleistungen. Außer zu seiner Mutter pflegte er keine sozialen Kontakte. Seine Einzimmerwohnung war vermüllt.

4Im Zeitraum von August 2018 bis März 2021 verschickte er in 67 Fällen über das Internet E-Mails, Faxe und SMS unter dem Absender „NSU 2.0“. Die zunächst an Nebenklagevertreter im Münchener NSU-Prozess und später an zahlreiche weitere Empfänger adressierten Schreiben hatten teils nötigende, bedrohende und beleidigende Inhalte, teils volksverhetzende, den öffentlichen Frieden störende oder das Andenken des ermordeten Kasseler Regierungspräsidenten Dr. Walter Lübcke verunglimpfende. In einem Fall veröffentlichte der Angeklagte im Internet einen Tötungsaufruf.

5Der Angeklagte gab sich in den Schreiben als Anführer einer größeren Gruppierung aus und verwendete viele nationalsozialistische Parolen, insbesondere die Formulierung „Heil Hitler“. Zum Teil schrieb er große Verteiler an, darunter Zeitungsredaktionen, politische Parteien und Behörden. In anderen Fällen adressierte er Drohbriefe an individuelle Geschädigte und versah sie mit deren gesperrten Adressen, unveröffentlichten Telefonnummern und weiteren geheim gehaltenen höchstpersönlichen Daten von ihnen und ihren Angehörigen. Das Landgericht hat keine konkreten Feststellungen dazu getroffen, wie der Angeklagte an diese Daten gelangte. Zu vier Geschädigten gab es im Tatzeitraum örtlich und zeitlich lokalisierbare, unberechtigte Datenabfragen von Polizeicomputern aus, so im August 2018 von einem Rechner des 1. Polizeireviers in Frankfurt am Main. Verbindungen des Angeklagten zu Polizeikreisen oder anderen möglichen Unterstützern sind indes nicht festgestellt. Das Landgericht hat sich allerdings die Überzeugung verschafft, dass er manipulative Fähigkeiten, eine hohe Sprachkompetenz sowie bemerkenswerte juristische Kenntnisse besitzt und es beherrscht, Mitarbeitern der Polizei und anderer Ämter sowie Nachbarn von Geschädigten unter der Vorspiegelung, er sei Staatsanwalt/Verwandter o.ä., am Telefon sensible Daten zu entlocken. Auf seinem Rechner hatte der Angeklagte Telefonnummern von Polizeistationen mit zugehörigen Notizen gespeichert, etwa: „Da auf keinen Fall mehr als StA anrufen!“ Einer seiner Anrufe auf einer Polizeiwache, bei dem er sich als Ehemann einer Geschädigten ausgab, wurde aufgezeichnet.

6Die Tatserie endete, nachdem der Angeklagte am festgenommen worden war. An diesem Tag brachen uniformierte Polizeibeamte die Tür zu seiner Einzimmerwohnung auf. Sie riefen dabei laut: „Polizei! Keine Bewegung!“ Der Angeklagte hatte mit seiner Verhaftung gerechnet und erkannte die Polizeibeamten als solche. Um die gegen ihn gerichtete Maßnahme zu verhindern, trat er den Einsatzkräften mit einem Kampfschrei entgegen und richtete im beengten Flur einen geladenen Schreckschussrevolver auf sie. Die Beamten hielten diesen für eine scharfe Schusswaffe. Sie verharrten und forderten den Angeklagten auf, die Waffe wegzuwerfen. Nach mehrfacher Wiederholung folgte er der Anweisung und legte den Revolver beiseite. Daraufhin brachten die Beamten den Angeklagten zu Boden und nahmen ihn fest (Fall II. 68 der Urteilsgründe). Bei der Wohnungsdurchsuchung fanden sie verbotene Gegenstände und jugendpornographische Dateien.

II.

71. Die Verfahrensangriffe der Revision sind jedenfalls deshalb unzulässig, weil der Verteidiger die handschriftlich vom Angeklagten gefertigten Schreiben vom 17. und mit einfacher Briefpost an das Gericht weitergeleitet hat. Nach dem seit dem geltenden § 32d Satz 2 StPO sind Rechtsanwälte verpflichtet, Revisionsbegründungen als elektronische Dokumente zu übermitteln. Insoweit handelt es sich um eine Form- und Wirksamkeitsvoraussetzung der Prozesshandlung. Ihre Nichteinhaltung bewirkt die Unwirksamkeit der Erklärung (st. Rspr.; s. etwa BGH, Beschlüsse vom - 3 StR 251/22, NStZ 2023, 54 Rn. 4; vom - 5 StR 308/23, juris Rn. 3, jeweils mwN). Es kann somit dahinstehen, ob die Formerfordernisse des § 345 Abs. 2 StPO eingehalten gewesen sind.

82. Der auf die Sachrüge veranlassten umfassenden materiellrechtlichen Überprüfung des Urteils hält das Urteil nahezu vollständig stand.

9Die Begehung aller abgeurteilten Delikte ist rechtsfehlerfrei festgestellt und beweiswürdigend belegt. Das gilt namentlich für die (Allein-)Täterschaft des Angeklagten, der bis zuletzt bestritten hat, Absender der Schreiben gewesen zu sein. Mit Ausnahme von Fall II. 68 der Urteilsgründe ist auch die rechtliche Würdigung des Landgerichts nicht zu beanstanden. Dort ist der Angeklagte nicht des tätlichen Angriffs auf Vollstreckungsbeamte gemäß § 114 StGB, sondern des Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte gemäß § 113 StGB schuldig.

10a) Die in diesem Fall getroffenen Feststellungen belegen keinen tätlichen Angriff auf Vollstreckungsbeamte gemäß § 114 Abs. 1 StGB.

11Unter einem tätlichen Angriff im Sinne des § 114 Abs. 1 StGB ist jede mit feindseliger Willensrichtung auf den Körper zielende Einwirkung zu verstehen, unabhängig von ihrem Erfolg; es genügt der Versuch (st. Rspr.; s. etwa BGH, Beschlüsse vom - 5 StR 157/20, BGHSt 65, 36 Rn. 12 mwN; vom - 6 StR 182/23, NStZ 2024, 36 Rn. 3 f.). An diesem Begriffsverständnis hat sich durch die Einfügung der Vorschrift des § 114 StGB durch das Zweiundfünfzigste Gesetz zur Änderung des Strafgesetzbuches vom (BGBl. I 2017, 1226) nichts geändert. Der Gesetzgeber hat den tätlichen Angriff lediglich aus § 113 Abs. 1 Alternative 2 StGB aF herausgelöst und in § 114 Abs. 1 StGB neu gefasst, ohne hierbei eine inhaltliche Änderung des Begriffsverständnisses zu beabsichtigen (BT-Drucks. 18/11161, S. 12; BGH, Beschlüsse vom - 4 StR 607/19, BGHR StGB § 114 Abs. 1 Tätlicher Angriff 1; vom - 5 StR 157/20, BGHSt 65, 36 Rn. 14).

12Bereits im Rahmen des § 113 StGB war wegen des systematischen Vergleichs mit dem dortigen Merkmal der Drohung mit Gewalt anerkannt, dass der tätliche Angriff zumindest subjektiv erfolgsgeeignet gewesen sein muss (vgl. MüKoStGB/Bosch, 4. Aufl., § 114 Rn. 6, 9; MüKoStGB/Bosch, 3. Aufl., § 113 Rn. 24), das Tatbestandsmerkmal also ein auf eine körperliche Interaktion ausgerichtetes Verhalten des Täters verlangt, während eine bloß psychisch vermittelte Willensbeeinflussung nicht erfasst ist.

13Es besteht kein Anlass, hiervon abzuweichen. Die gemessen an § 113 Abs. 1 StGB und § 223 Abs. 1 StGB erhöhte Strafandrohung und der Umstand, dass § 114 Abs. 1 StGB vor allem dem individuellen Schutz von Vollstreckungsbeamten bei der Dienstausübung dient (, BGHSt 65, 36 Rn. 24), sprechen dafür, das Kriterium der subjektiven Erfolgseignung zur körperlichen Einwirkung beizubehalten und rein psychisch vermittelten Zwang weiterhin nicht genügen zu lassen. Denn die stärkere Sanktionierung sollte (nur) gewährleisten, dass der spezifische Unrechtsgehalt des Angriffs auf einen Repräsentanten der Staatsgewalt mit dem ihm innewohnenden erhöhten Gefährdungspotential für das Opfer im Strafausspruch deutlich wird (BT-Drucks. 18/11161, S. 1 f., 9 f.; , NStZ 2022, 749 Rn. 27). Handlungen, die nicht auf die körperliche Integrität der Hoheitsträger gerichtet sind und damit keine Gefahr für ihr Leib und Leben darstellen, sollten nicht höher als bisher bestraft werden.

14Vorliegend waren die Polizeibeamten durch den Vorhalt der Schreckschusswaffe objektiv zu keinem Zeitpunkt in ihrer körperlichen Integrität gefährdet. Ausweislich der Feststellungen wollte der Angeklagte die Beamten an ihrer Maßnahme vielmehr dadurch hindern, dass er auf ihre Psyche einwirkt: Er wollte nicht ihre körperliche Unversehrtheit „angreifen“, sondern sie lediglich abschrecken. Es mangelt mithin an einer auf den Körper zielenden Einwirkung (vgl. , juris; , NStZ-RR 2022, 119, 120; , BSGE 118, 63 Rn. 17 ff. zum tätlichen Angriff nach § 1 Abs. 1 Satz 1 OEG). Ob der Fall anders liegt, wenn der Täter mit einer Schreckschusswaffe schießt oder dies beabsichtigt, um die Beamten durch einen lauten Knall oder austretenden Explosionsdruck zu verletzen oder zu erschrecken (vgl. Schönke/Schröder/Eser, StGB, 30. Aufl., § 114 Rn. 4), bedarf hier keiner Entscheidung. Denn entsprechende Feststellungen sind nicht getroffen.

15b) Der Angeklagte hat sich in diesem Fall jedoch wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte gemäß § 113 Abs. 1 StGB in der Variante des Drohens mit Gewalt strafbar gemacht. Anhaltspunkte dafür, dass die polizeiliche Maßnahme rechtswidrig war oder der Angeklagte sie irrig für rechtswidrig hielt (vgl. § 113 Abs. 3 und 4 StGB), liegen entgegen seinen Ausführungen in der Revisionsbegründungsschrift nicht vor.

16Der Schuldspruch ist deshalb in entsprechender Anwendung von § 354 Abs. 1 StPO zu ändern. § 265 Abs. 1 StPO steht nicht entgegen, weil das Tatgeschehen (auch) als Widerstand gegen Vollstreckungsbeamte angeklagt gewesen ist und der Angeklagte sich ohnehin nicht wirksamer als geschehen hätte verteidigen können.

17c) Die vom Landgericht für die Tat verhängte Einzelfreiheitsstrafe von einem Jahr und zwei Monaten bleibt von der Schuldspruchänderung unberührt.

18Das Landgericht hat bei der Strafzumessung die Voraussetzungen des Regelbeispiels nach § 113 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB (Beisichführen einer Waffe oder eines anderen gefährlichen Werkzeugs) als erfüllt angesehen und einen besonders schweren Fall bejaht.

19Das Regelbeispiel aus § 113 Abs. 2 Satz 2 Nr. 1 StGB findet für Taten nach § 113 Abs. 1 und § 114 Abs. 1 StGB gleichermaßen Anwendung (§ 114 Abs. 2 StGB). Angesichts des somit identischen Strafrahmens und der vom Landgericht erwogenen konkreten Strafzumessungskriterien ist auszuschließen, dass es bei zutreffender rechtlicher Würdigung für die Tat eine geringere Einzelstrafe festgesetzt hätte.

20d) Die übrigen sachlichrechtlichen Angriffe der Revision, insbesondere die handschriftlich vom Angeklagten in den Schreiben vom 13. April und ausgeführten, vermögen nicht durchzudringen. Der Senat hat die Beanstandungen im Einzelnen zur Kenntnis genommen und umfassend gewürdigt, sie im Ergebnis aber nicht für durchgreifend erachtet. Somit kann auch für diese beiden Revisionsbegründungsschriften dahinstehen, ob sie den Formerfordernissen des § 345 Abs. 2 StPO entsprochen haben.

213. Der nur geringfügige Teilerfolg der Revision lässt es nicht unbillig erscheinen, den Angeklagten gemäß § 473 Abs. 4 StPO mit den gesamten Kosten seines Rechtsmittels zu belasten.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:210324B3STR300.23.0

Fundstelle(n):
RAAAJ-67710