Beitragserhöhungen in einer privaten Krankenversicherung: Auskunftsanspruch eines Versicherungsnehmers über den Inhalt bereits übersandter Mitteilungen zu Prämienerhöhungen
Gesetze: § 195 BGB, § 199 Abs 1 Nr 2 BGB, § 242 BGB
Instanzenzug: Oberlandesgericht des Landes Sachsen-Anhalt Az: 1 U 171/21 Urteilvorgehend LG Halle (Saale) Az: 5 O 417/20
Tatbestand
1Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Beitragserhöhungen in einer privaten Krankenversicherung.
2Der Kläger hält eine Kranken- und Pflegeversicherung bei der Beklagten, die ihm Beitragserhöhungen im Tarif A 2 zum und mitteilte. Dieser Tarif wurde zum beendet.
3Soweit für die Revision noch von Interesse, hat der Kläger mit seiner Klage die Auskunft über alle Beitragsanpassungen verlangt, die die Beklagte in dem Versicherungsvertrag in den Jahren 2011 bis 2016 vorgenommen hat; insoweit hat er beantragt, die Beklagte zu verurteilen, hierzu geeignete Unterlagen zur Verfügung zu stellen, in denen mindestens die Höhe der Beitragserhöhungen unter Benennung der jeweiligen Tarife, die dem Kläger übermittelten Informationen in Form von Anschreiben und Nachträgen zum Versicherungsschein und die ihm übermittelten Begründungen sowie Beiblätter enthalten sind. Darüber hinaus hat er die Feststellung verlangt, dass die noch genauer zu bezeichnenden Erhöhungen unwirksam seien und er nicht zur Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrags verpflichtet sowie der monatlich fällige Gesamtbetrag auf einen nach Erteilung der Auskunft zu beziffernden Betrag zu reduzieren sei, außerdem die Zahlung eines nach Erteilung der Auskunft noch zu beziffernden Betrags.
4Das Landgericht hat die Auskunftsklage hinsichtlich der in den Jahren 2011 bis 2016 vorgenommenen Beitragsanpassungen abgewiesen. Das Oberlandesgericht hat auf die Berufung des Klägers der Auskunftsklage insoweit stattgegeben.
5Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Abweisung der Auskunftsklage weiter.
Gründe
6Die Revision hat Erfolg.
7I. Das Berufungsgericht, dessen Entscheidung in VersR 2023, 436 veröffentlicht ist, ist der Ansicht, dass die Auskunftsklage als Geltendmachung selbständiger Auskunftsansprüche zulässig sei. Es sei nicht dargetan, dass Neufestsetzungen der Prämien aus den Jahren 2011 bis 2016 ausschließlich zu bereits verjährten Rückzahlungsansprüchen führten. Die begehrte Auskunft schulde die Beklagte nach Treu und Glauben. Dieses Recht beschränke sich nicht auf den Fall, dass dem Berechtigten das Vertragsexemplar ohne Verschulden abhandengekommen sei. Wenn sein Verhalten nicht aus besonderen Gründen mutwillig oder missbräuchlich erscheine, komme es nicht entscheidend darauf an, wie und warum der Versicherungsnehmer in die Lage geraten sei, erneut um Auskunft bitten zu müssen.
8II. Das hält rechtlicher Nachprüfung im Wesentlichen nicht stand.
91. Dem Kläger steht der geltend gemachte Auskunftsanspruch hinsichtlich der Beitragsanpassungen, welche die Beklagte in den Jahren 2011 bis 2016 vorgenommen hat, nicht zu.
10a) Zu Recht hat das Berufungsgericht allerdings entgegen der Ansicht der Revision die Auskunftsklage für zulässig gehalten. Die Umdeutung der zunächst erhobenen Stufenklage in eine von der Stufung unabhängige objektive Klagehäufung, die ein - zumindest für die Rechtsschutzgewährung ausreichendes - berechtigtes Interesse des Klägers voraussetzt (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 177/22, VersR 2023, 1514 Rn. 26 m.w.N.), begegnet keinen Bedenken. Zu Recht ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass dies hier der Fall ist. Nach seinem Vorbringen benötigt der Kläger die Auskunft, um zu prüfen, ob vergangene Beitragserhöhungen wirksam waren und ob ihm auf dieser Grundlage Rückzahlungsansprüche zustehen oder er seine laufende Beitragszahlung kürzen darf.
11b) Ebenfalls rechtsfehlerfrei geht das Berufungsgericht davon aus, dass dem Kläger der geltend gemachte Auskunftsanspruch aus § 242 BGB zustehen könnte. Nach § 242 BGB trifft den Schuldner im Rahmen einer Rechtsbeziehung ausnahmsweise eine Auskunftspflicht, wenn der Berechtigte in entschuldbarer Weise über Bestehen und Umfang seines Rechts im Ungewissen ist und der Verpflichtete die zur Beseitigung der Ungewissheit erforderliche Auskunft unschwer geben kann. Die Zubilligung des Auskunftsanspruchs hat unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalls und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit zu erfolgen (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 177/22, VersR 2023, 1514 Rn. 30). Wie der Senat in seinem Urteil vom (aaO Rn. 31) entschieden und im Einzelnen begründet hat, kommt ein solcher Anspruch grundsätzlich in Betracht, wenn der Versicherungsnehmer in der privaten Krankenversicherung Auskunft über vergangene Beitragserhöhungen verlangt.
12c) Zu Unrecht hat das Berufungsgericht aber angenommen, nach § 242 BGB sei ein Versicherer zur Auskunft über den Inhalt der bereits übersandten Mitteilungen bereits dann verpflichtet, wenn der Versicherungsnehmer behauptet, die betreffenden Unterlagen ständen ihm jedenfalls nicht mehr zur Verfügung. Wie der Senat in seinem Urteil vom (IV ZR 177/22, VersR 2023, 1514 Rn. 37) entschieden und im Einzelnen begründet hat, gilt dies nicht für das Auskunftsverlangen des Versicherungsnehmers bezüglich vergangener Prämienerhöhungen. Der Auskunftsanspruch setzt vielmehr Feststellungen dazu voraus, dass der Kläger nicht mehr über die im Auskunftsantrag bezeichneten Unterlagen verfügt - was die Beklagte hier bestritten hat - und warum es zum Verlust kam. Erst die Darlegung der Gründe des Verlusts durch den Versicherungsnehmer ermöglicht die Beurteilung, ob dem Versicherungsnehmer unter Berücksichtigung der jeweiligen Umstände des Einzelfalles und unter Wahrung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ausnahmsweise ein Auskunftsanspruch nach § 242 BGB zusteht (vgl. Senatsurteil vom aaO Rn. 40 m.w.N.).
13d) Darüber hinaus ist das Berufungsgericht aber auch unzutreffend davon ausgegangen, dass der Kläger für den geltend gemachten Zeitraum noch Auskunft verlangen kann, ohne sich die Einrede der Verjährung entgegenhalten lassen zu müssen. Ein Auskunftsverlangen kann im Allgemeinen als unbegründet angesehen werden, wenn der zugrundeliegende Hauptanspruch verjährt und die Verjährungseinrede erhoben ist (vgl. zu § 2314 BGB: IVa ZR 198/88, BGHZ 108, 393 [juris Rn. 16]; vom - IVa ZR 56/83, NJW 1985, 384 [juris Rn. 11]). So liegt der Fall hier.
14aa) Zu Unrecht hat das Berufungsgericht angenommen, dass ohne die Auskunft der Beklagten nicht ersichtlich sei, auf welchen Prämienanpassungen der gegenwärtig gezahlte Versicherungsbeitrag beruhe und auch deswegen nicht dargetan sei, dass Neufestsetzungen der Prämie einzelner Tarife aus den Jahren 2011 bis 2016 ausschließlich zu bereits verjährten Rückzahlungsansprüchen führten. Aus den Mitteilungen der Beitragserhöhungen nebst Nachträgen zum Versicherungsschein, auf die der Kläger seine in der Revision nicht mehr anhängigen Klageanträge gestützt hat, folgt vielmehr, dass er in den Jahren 2017 und 2018 allein im Tarif A 2 krankenversichert war; dieser Tarif endete am . Der derzeit gezahlte Versicherungsbeitrag für andere Tarife kann daher nicht auf Beitragserhöhungen aus den Jahren 2011 bis 2016 beruhen.
15bb) Nicht verjährte Rückzahlungsansprüche hinsichtlich der vor dem gezahlten Prämien kommen nicht mehr in Betracht. Da für solche Zahlungen bisher keine Leistungsklage und auch keine zulässige Stufenklage erhoben ist, konnte die Verjährung nicht gehemmt werden. Etwaige Ansprüche wären mit der jeweiligen Zahlung entstanden und der Kläger hätte mit dem Zugang der Änderungsmitteilungen die für den Beginn der dreijährigen Regelverjährung erforderliche Kenntnis von den anspruchsbegründenden Umständen und der Person des Schuldners gehabt, §§ 195, 199 Abs. 1 Nr. 2 BGB (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 113/20, BGHZ 232, 31, 43 Rn. 42 f.). Die erforderliche Kenntnis setzt grundsätzlich keine zutreffende rechtliche Würdigung voraus, sondern es genügt die Kenntnis der den Anspruch begründenden tatsächlichen Umstände (vgl. , NJW-RR 2008, 1237 Rn. 7). Die Erhebung einer Klage, mit der die formelle Unwirksamkeit der Beitragserhöhungen aufgrund einer unzureichenden Begründung geltend gemacht wird, war auch nicht wegen einer unsicheren und zweifelhaften Rechtslage bis zur Klärung durch den Senat im Urteil vom (IV ZR 294/19, BGHZ 228, 56) unzumutbar. Eine Rechtslage ist nicht schon dann im Sinne der genannten Rechtsprechung unsicher und zweifelhaft, wenn eine Rechtsfrage umstritten und noch nicht höchstrichterlich entschieden ist (Senatsurteil vom aaO Rn. 45 m.w.N.). Bei einer solchen Konstellation ist dem Gläubiger die Erhebung einer Klage jedenfalls dann nicht unzumutbar, wenn er gleichwohl bereits vor einer höchstrichterlichen Entscheidung seinen Anspruch gegenüber dem Schuldner geltend macht und dadurch selbst zu erkennen gibt, vom Bestehen des Anspruchs auszugehen (Senatsurteil vom aaO m.w.N.). So liegt es hier. Der Kläger hat mit der am anhängig gemachten Klage seine Ansprüche wegen der 2017 und 2018 erfolgten Prämienerhöhungen wie auch das Auskunftsverlangen hinsichtlich der älteren Beitragsanpassungen gegen die Beklagte geltend gemacht. Ungeachtet des damals ungeklärten Meinungsstreits ging er von der Unwirksamkeit der Prämienerhöhungen aus. Umstrittener als zu diesem Zeitpunkt war der Inhalt des § 203 Abs. 5 VVG jedoch in den Jahren bis einschließlich 2014 nicht, so dass dem Kläger eine Klageerhebung - wegen der ältesten hier in Rede stehenden Ansprüche aus dem Jahr 2011 - auch damals nicht unzumutbar war. Auch wegen früherer Beitragsanpassungen hätte er seine Klage bereits auf den Einwand der formellen Unwirksamkeit stützen können.
16cc) Die als Grundlage des Auskunftsverlangens ebenfalls geltend gemachten Ansprüche auf Feststellung, dass die Beitragserhöhungen unwirksam sind und der Kläger die Erhöhungsbeträge nicht zu zahlen hat, können ebenfalls kein Auskunftsinteresse begründen. Zwar verjähren sie selbst nicht (vgl. , BGHZ 187, 337 Rn. 12), aber es besteht kein Feststellungsinteresse mehr, da sich etwaige Beitragserhöhungen nur auf den bereits zum beendeten Tarif A 2 oder andere Tarife, die ab dem nicht mehr Bestandteil des Versicherungsvertrages des Klägers waren, beziehen könnten.
172. Die Entscheidung über den Auskunftsantrag erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO).
18Wie der Senat mit Urteil vom (IV ZR 177/22, VersR 2023, 1514 Rn. 45 ff.) entschieden und im Einzelnen begründet hat, folgt ein Anspruch auf eine Abschrift der gesamten Begründungsschreiben samt Anlagen - worauf der Klageantrag auch hier abzielt - nicht aus Art. 15 Abs. 1 DSGVO. Soweit sich die Klage auf Übermittlung der inzwischen überholten Nachträge zum Versicherungsschein aus den Jahren 2011 bis 2016 richtet, kann ein solcher Anspruch nicht auf § 3 Abs. 3 VVG gestützt werden (vgl. Senatsurteil vom aaO Rn. 42). Der Senat hat außerdem mit Urteil vom (IV ZR 311/22, r+s 2024, 314 Rn. 18) entschieden und im Einzelnen begründet, dass sich ein Auskunftsanspruch dieses Inhalts auch nicht aus § 7 Abs. 4 VVG ergibt.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:240424UIVZR399.22.0
Fundstelle(n):
NJW-RR 2024 S. 840 Nr. 13
EAAAJ-67428