Instanzenzug: Az: 9 U 101/21vorgehend Az: 23 O 165/20
Tatbestand
1Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Beitragserhöhungen in einer privaten Krankenversicherung.
2Die Klägerin hält eine Krankenversicherung bei der Beklagten. Dem Versicherungsvertrag liegen unter anderem die Tarifbestimmungen "Tarif T " (im Folgenden: TB) der Beklagten zugrunde, in denen es heißt:
"4. Beitragsanpassung
4.1. Im Rahmen der vertraglichen Leistungszusage können sich die Leistungen des Versicherers z.B. wegen häufigerer Arbeitsunfähigkeit der Versicherten, wegen längerer Arbeitsunfähigkeitszeiten oder aufgrund steigender Lebenserwartung ändern. Dementsprechend vergleicht der Versicherer zumindest jährlich für jeden Tarif die erforderlichen mit den in den technischen Berechnungsgrundlagen kalkulierten Versicherungsleistungen und Sterbewahrscheinlichkeiten. Ergibt diese Gegenüberstellung bei den Versicherungsleistungen für eine Beobachtungseinheit eines Tarifs eine Abweichung von mehr als 10 %, werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst; bei einer Abweichung von mehr als 5 % können alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst werden. Ergibt die Gegenüberstellung bei der Sterbewahrscheinlichkeit eine Abweichung von mehr als 5 %, werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und mit Zustimmung des Treuhänders angepasst. […]
4.2. Von einer Beitragsanpassung kann abgesehen werden, wenn nach übereinstimmender Beurteilung durch den Versicherer und den Treuhänder die Veränderung der Versicherungsleistungen als vorübergehend anzusehen ist.
4.3. […]"
3Für den Tarif Z gelten Tarifbestimmungen, die jedenfalls eine Ziff. 4.1. TB entsprechende Regelung enthalten. Die Beklagte teilte der Klägerin unter anderem Prämienerhöhungen zum im Tarif T um 4,19 € und zum im Tarif Z um 6,20 € sowie des gesetzlichen Beitragszuschlags mit. Der Tarif Z endete zum . Mit Anwaltsschreiben vom machte die Klägerin die Unwirksamkeit der Prämienerhöhungen geltend und forderte die Beklagte auf, die überzahlten Beiträge nebst Nutzungen zu erstatten.
4Soweit für die Revision noch von Interesse, hat die Klägerin mit ihrer Klage die Rückzahlung der auf die genannten sowie weitere Erhöhungen entfallenden Prämienanteile in Höhe von 8.499,52 € nebst Zinsen sowie die Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten begehrt. Außerdem hat sie die Feststellung beantragt, dass die Beitragserhöhungen unwirksam sind und sie nicht zur Zahlung des jeweiligen Erhöhungsbetrages verpflichtet ist sowie die Beklagte zur Herausgabe der Nutzungen, die sie aus den auf die Beitragserhöhungen gezahlten Prämienanteilen gezogen hat, verpflichtet ist. Das Landgericht hat die Beklagte unter Abweisung der weitergehenden Klage zur Zahlung von 2.333,48 € nebst Zinsen und zur Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 780,22 € verurteilt sowie festgestellt, dass unter anderem die Prämienerhöhungen zum im Tarif T und zum im Tarif Z nebst gesetzlichem Beitragszuschlag unwirksam sind und die Klägerin ab dem bis zum nicht zur Tragung des Erhöhungsbetrages aus der Erhöhung im Tarif T zum verpflichtet ist. Außerdem hat es festgestellt, dass die Beklagte der Klägerin zur Herausgabe der Nutzungen verpflichtet ist, die sie vom bis zum aus dem Prämienanteil gezogen hat, den die Klägerin auf die genannten Prämienerhöhungen gezahlt hat. Auf die Berufung der Beklagten hat das Oberlandesgericht diese Verurteilung dahingehend abgeändert, dass die Beklagte zur Zahlung von 2.033,69 € und zur Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten in Höhe von 326,30 € verurteilt worden ist, und die weitergehende Berufung zurückgewiesen.
5Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter, soweit sie über einen Betrag von 1.972,31 € hinaus zur Zahlung und über einen Betrag von 249,40 € hinaus zur Freistellung von vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten verurteilt und festgestellt worden ist, dass die Neufestsetzung des Beitrags zum im Tarif Z samt gesetzlichem Beitragszuschlag unwirksam war und die Neufestsetzung des Beitrags zum im Tarif T über den hinaus unwirksam war sowie die Beklagte zur Herausgabe gezogener Nutzungen aus den aufgrund der genannten Neufestsetzung des Beitrags zum gezahlten Prämienanteilen verpflichtet ist.
Gründe
6Die Revision hat Erfolg.
7I. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, dass die Beitragserhöhungen endgültig materiell unwirksam seien. Die Veränderung bei den Versicherungsleistungen liege jeweils unter dem gesetzlichen Schwellenwert von 10 %, aber über 5 %. Die Beitragsanpassungsklauseln, die bei einer Abweichung von mehr als 5 % eine Überprüfung gestatteten, seien unwirksam. Abweichend von den gesetzlichen Vorschriften werde dem Versicherer die Möglichkeit eingeräumt, auch im Falle einer nur vorübergehenden Veränderung der Rechnungsgrundlage "Versicherungsleistungen" eine Beitragsanpassung vorzunehmen. Für den Anspruch auf Freistellung von den vorgerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren sei zum Streitwert der berechtigte Feststellungsanspruch hinsichtlich der Tariferhöhung im Tarif T für 42 Monate hinzuzurechnen.
8II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
91. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht die Prämienerhöhungen mit der Begründung materiell für unwirksam gehalten, dass es für diese an einer wirksamen Prämienanpassungsklausel fehle.
10Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils mit Urteil vom (IV ZR 253/20, VersR 2022, 1078) entschieden und im Einzelnen begründet hat, stehen die - insoweit den hier zugrundeliegenden Versicherungsbedingungen vergleichbaren - Regelungen in § 8b MB/KK 2009 zu den Voraussetzungen einer Prämienanpassung einer Anwendung des niedrigeren Schwellenwertes für eine Prämienanpassung aus den Tarifbedingungen des Versicherers nicht entgegen. Zwar ist § 8b Abs. 2 MB/KK 2009, der inhaltlich Ziff. 4.2. TB entspricht, unwirksam, aber dies lässt die Wirksamkeit von § 8b Abs. 1 MB/KK 2009 unberührt (vgl. Senatsurteil vom aaO Rn. 31 ff.). Es kann daher offenbleiben, ob die für den Tarif Z geltende Prämienanpassungsklausel ebenfalls eine § 8b Abs. 2 MB/KK 2009 entsprechende Regelung enthält, wie das Berufungsgericht angenommen hat. Der Senat hat ferner mit Urteil vom (IV ZR 347/22, VersR 2023, 1222) entschieden, dass eine Prämienanpassungsklausel in der privaten Krankenversicherung, nach welcher der Versicherer die Beiträge bei einer Abweichung der erforderlichen von den kalkulierten Versicherungsleistungen um mehr als fünf Prozent überprüfen und anpassen kann, aber nicht muss, nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers von § 203 Abs. 2 Satz 4 VVG in Verbindung mit § 155 Abs. 3 Satz 2 VAG abweicht und den Versicherungsnehmer auch nicht unangemessen gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB benachteiligt (vgl. Senatsurteil vom aaO Rn. 16 ff.).
112. Die Feststellung der Unwirksamkeit der Beitragserhöhung im Tarif Z und des gesetzlichen Beitragszuschlags zum ist insgesamt unzutreffend, da nach den vom Berufungsgericht bestätigten Feststellungen des Landgerichts das Mitteilungsschreiben zum die nach § 203 Abs. 5 VVG zu stellenden Mindestanforderungen an die Mitteilung der maßgeblichen Gründe erfüllte. Der Rückzahlungsbetrag von 2.033,69 € verringert sich damit um den auf diese Erhöhung für die Zeit vom bis zum entfallenden Betrag von 61,38 € (9 Monate x (6,20 € + 0,62 €)) auf 1.972,31 €. Der Anspruch auf Herausgabe gezogener Nutzungen entfällt hinsichtlich der auf diese Erhöhung gezahlten Prämienanteile.
123. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht die Unwirksamkeit der Beitragserhöhung im Tarif T zum ohne zeitliche Begrenzung festgestellt und nur die Feststellung der fehlenden Zahlungspflicht auf die Zeit bis zum beschränkt. Ob die Prämienanpassung formell unwirksam war, kann dabei offenbleiben, da dies nicht entscheidungserheblich ist, soweit das Berufungsurteil mit der Revision angefochten wurde. Falls die Prämienanpassung formell unwirksam war, ist der Fehler nach den Feststellungen des Berufungsgerichts jedenfalls durch die nachgeholte Mitteilung der Gründe in der am zugestellten Klageerwiderung geheilt worden und die Beitragserhöhung damit gemäß § 203 Abs. 5 VVG zum wirksam geworden.
134. Der Anspruch auf Freistellung von den vorgerichtlichen Anwaltskosten aus §§ 280, 257 BGB (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 291/20, VersR 2022, 505 Rn. 25 ff.) ist nur in Höhe von 249,40 € begründet.
14a) Der zugrunde zu legende Geschäftswert entspricht dem zur Zeit der anwaltlichen Tätigkeit in Form des Schreibens vom begründeten Anspruch auf Beitragsrückzahlung. Der vom Berufungsgericht in der Hauptsache ausgeurteilte Betrag von 2.033,69 € ist dabei um die Prämienanteile für die wirksame Erhöhung im Tarif Z und des gesetzlichen Beitragszuschlags vom bis zum in Höhe von 61,38 € (9 Monate x (6,20 € + 0,62 €)) und den Erhöhungsbetrag im Tarif T von 4,19 € für den Monat Juli 2020 auf 1.968,12 € zu reduzieren. Der Geschäftswert erhöht sich nicht um den Anspruch auf zukünftige Feststellung der Unwirksamkeit der Beitragserhöhung im weiterhin versicherten Tarif T , da dem Klägervortrag zum Gegenstand der vorgerichtlichen Tätigkeit, die in das - nicht vorgelegte - Schreiben vom mündete, die Geltendmachung eines solchen Anspruchs nicht zu entnehmen ist.
15b) Bei Ansatz einer 1,3 Geschäftsgebühr errechnet sich nach dem Rechtsanwaltsvergütungsgesetz in der bis zum geltenden Fassung ein Betrag von 249,40 € (150 € Gebühr x 1,3 + 20 € Pauschale + 34,40 € Umsatzsteuer 16 %). Auf die anwaltliche Tätigkeit der außergerichtlichen Geltendmachung einer Forderung war hier der Umsatzsteuersatz von 16 % gemäß § 28 Abs. 1 UStG anzuwenden, da die dafür maßgebliche Ausführung des Umsatzes (§ 27 Abs. 1 Satz 1 UStG) durch die Vollendung der Leistung (vgl. Ziff. 13.1 Abs. 3 Satz 1 Umsatzsteuer-Anwendungserlass) frühestens mit dem Versand des Schreibens vom erfolgte.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:240424UIVZR226.22.0
Fundstelle(n):
UAAAJ-67427