BGH Urteil v. - IV ZR 193/22

Instanzenzug: Az: I-20 U 198/21 Urteilvorgehend Az: 20 O 64/21 Urteil

Tatbestand

1Die Parteien streiten über die Wirksamkeit von Beitragserhöhungen in einer privaten Krankenversicherung.

2Die Klägerin hält eine Krankenversicherung bei der Beklagten. Die dem Versicherungsvertrag zugrundeliegenden Allgemeinen Versicherungsbedingungen umfassen in Teil I die "Musterbedingungen 2009 - MB/KK 2009 - des Verbandes der privaten Krankenversicherung" (im Folgenden: MB/KK 2009) sowie in Teil II die "Tarifbedingungen" der Beklagten. In den Muster- und Tarifbedingungen heißt es:

"§ 8b Beitragsanpassung

Teil I

1. Im Rahmen der vertraglichen Leistungszusage können sich die Leistungen des Versicherers z.B. wegen steigender Heilbehandlungskosten, einer häufigeren Inanspruchnahme medizinischer Leistungen oder aufgrund steigender Lebenserwartung ändern. Dementsprechend vergleicht der Versicherer zumindest jährlich für jeden Tarif die erforderlichen mit den in den technischen Berechnungsgrundlagen kalkulierten Versicherungsleistungen und Sterbewahrscheinlichkeiten. Ergibt diese Gegenüberstellung für eine Beobachtungseinheit eines Tarifs eine Abweichung von mehr als dem gesetzlich oder tariflich festgelegten Vomhundertsatz, werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst.

2. Von einer Beitragsanpassung kann abgesehen werden, wenn nach übereinstimmender Beurteilung durch den Versicherer und den Treuhänder die Veränderung der Versicherungsleistungen als vorübergehend anzusehen ist.

3. […]

[…]

Ergibt die Gegenüberstellung nach Absatz 1 Satz 2 bei den Versicherungsleistungen eine Abweichung von mehr als 10 %, werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst. Bei einer Abweichung von mehr als 5 % können alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und, soweit erforderlich, mit Zustimmung des Treuhänders angepasst werden. Ergibt die Gegenüberstellung nach Absatz 1 Satz 2 bei der Sterbewahrscheinlichkeit eine Abweichung von mehr als 5 %, werden alle Beiträge dieser Beobachtungseinheit vom Versicherer überprüft und mit Zustimmung des Treuhänders angepasst. […]"

3Die Beklagte teilte der Klägerin unter anderem eine Beitragserhöhung im Tarif V.      4 - B.   zum um 39,90 € mit.

4Soweit für die Revision noch von Interesse, hat die Klägerin mit ihrer Klage die Feststellung beantragt, dass die Beitragserhöhung unwirksam und sie nicht zur Zahlung des Erhöhungsbetrags verpflichtet ist. Des Weiteren hat sie Auskunft über alle Beitragsanpassungen verlangt, die die Beklagte in dem Versicherungsvertrag in den Jahren 2011 bis 2016 vorgenommen hat; insoweit hat sie beantragt, die Beklagte zu verurteilen, hierzu geeignete Unterlagen zur Verfügung zu stellen, in denen mindestens die Höhe der Beitragserhöhungen unter Benennung der jeweiligen Tarife, die der Klägerin übermittelten Informationen in Form von Anschreiben und Nachträgen zum Versicherungsschein und die ihr übermittelten Begründungen sowie Beiblätter enthalten sind.

5Das Landgericht hat der Auskunftsklage stattgegeben sowie festgestellt, dass die Erhöhung des Monatsbeitrags zum unwirksam und die Klägerin nicht zur Zahlung des Erhöhungsbetrages verpflichtet ist. Das Oberlandesgericht hat die Berufung der Beklagten zurückgewiesen.

6Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren Antrag auf Klageabweisung weiter, soweit sie zur Erteilung von Auskünften verurteilt worden und die Unwirksamkeit der Neufestsetzung des Beitrags im Tarif V.      4 - B.   zum und das Fehlen einer Verpflichtung zur Zahlung des Erhöhungsbetrags über den hinaus festgestellt worden ist.

Gründe

7Die Revision hat Erfolg.

8I. Das Berufungsgericht ist der Ansicht, dass die Prämienerhöhung formell unwirksam sei. Eine Heilung sei durch die mit der Klageerwiderung erfolgte Nachbegründung nicht eingetreten, weil sich die Beitragserhöhung auch als materiell unwirksam darstelle. Da die Veränderung bei den Versicherungsleistungen über 5 %, aber unter dem gesetzlichen Schwellenwert von 10 % liege, wäre eine Beitragsanpassung nur dann wirksam, wenn diese auf der Grundlage von § 8b MB/KK 2009 wirksam hätte erfolgen können. Die Klausel sei aber unwirksam, da abweichend von den gesetzlichen Vorschriften dem Versicherer die Möglichkeit eingeräumt werde, auch im Falle einer nur vorübergehenden Veränderung der Rechnungsgrundlage "Versicherungsleistungen" eine Beitragsanpassung vorzunehmen. Unabhängig davon räume die Klausel dem Versicherer ein Ermessen in Bezug auf die Überprüfung und Anpassung der Beiträge bei einer Abweichung im Bereich zwischen "mehr als 5 %" und bis zu 10 % ein, was der geltenden gesetzlichen Regelung widerspreche und die Vertragspartner der Beklagten im Sinne des § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen benachteilige.

9Ein Auskunftsanspruch ergebe sich nicht aus § 242 BGB, weil die Klägerin nicht substantiiert vorgetragen habe, dass ihr die Unterlagen nicht mehr zur Verfügung ständen. Der Auskunftsanspruch ergebe sich jedoch aus Art. 15 Abs. 1, 3 DSGVO.

10II. Das hält rechtlicher Nachprüfung überwiegend nicht stand.

111. Das Berufungsgericht hat zu Unrecht die Prämienerhöhung mit der Begründung für unwirksam gehalten, dass es für diese an einer wirksamen Prämienanpassungsklausel fehle.

12a) Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils mit Urteil vom (IV ZR 253/20, VersR 2022, 1078) entschieden und im Einzelnen begründet hat, stehen die Regelungen in § 8b MB/KK 2009 zu den Voraussetzungen einer Prämienanpassung einer Anwendung des niedrigeren Schwellenwertes für eine Prämienanpassung aus den Tarifbedingungen des Versicherers nicht entgegen. Zwar ist § 8b Abs. 2 MB/KK 2009 unwirksam, aber dies lässt die Wirksamkeit von § 8b Abs. 1 MB/KK 2009 unberührt (vgl. Senatsurteil vom aaO Rn. 31 ff.).

13b) Der Senat hat außerdem mit Urteil vom (IV ZR 347/22, VersR 2023, 1222) entschieden und im Einzelnen begründet, dass eine Prämienanpassungsklausel - wie hier § 8b Teil II Satz 3 der Tarifbedingungen -, nach welcher der Versicherer die Beiträge bei einer Abweichung der erforderlichen von den kalkulierten Versicherungsleistungen um mehr als fünf Prozent überprüfen und anpassen kann, aber nicht muss, nicht zum Nachteil des Versicherungsnehmers von § 203 Abs. 2 Satz 4 VVG in Verbindung mit § 155 Abs. 3 Satz 2 VAG abweicht und diesen auch nicht gemäß § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB unangemessen benachteiligt (vgl. Senatsurteil vom aaO Rn. 16, 20).

142. Die Entscheidung des Berufungsgerichts, dass die Mitteilung der Prämienanpassung den Anforderungen aus § 203 Abs. 5 VVG nicht genügt, wird von der Revision zu Recht nicht angegriffen. Da nach der tatrichterlichen Beurteilung des Berufungsgerichts jedoch eine Nachbegründung in der am zugestellten Klageerwiderung erfolgt ist, wurde damit die für die Wirksamkeit der Neufestsetzung der Prämie angeordnete Frist in Lauf gesetzt (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 294/19, BGHZ 228, 56 Rn. 42). Die Wirksamkeit trat zum Beginn des zweiten auf diese Mitteilung folgenden Monats ein, d.h. zum . Die Unwirksamkeit der Prämienanpassung und das Fehlen einer Pflicht zur Zahlung des Erhöhungsbetrages ist dem Revisionsantrag entsprechend nur bis zum festzustellen.

153. Zu Unrecht hat das Berufungsgericht die Beklagte zur Auskunftserteilung verurteilt. Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils entschieden und im Einzelnen begründet hat, folgt ein Anspruch auf eine Abschrift der gesamten Begründungsschreiben samt Anlagen - worauf der Klageantrag auch hier abzielt - nicht aus Art. 15 Abs. 1 DSGVO (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 177/22, VersR 2023, 1514 Rn. 45 ff.).

16Das Berufungsurteil erweist sich insoweit auch nicht aus anderen Gründen als richtig, da es für einen - grundsätzlich möglichen - Auskunftsanspruch aus § 242 BGB (vgl. Senatsurteil vom - IV ZR 177/22, VersR 2023, 1514 Rn. 31) nach den Feststellungen des Berufungsgerichts an den tatsächlichen Voraussetzungen fehlt. Soweit sich die Klage auf Übermittlung der inzwischen überholten Nachträge zum Versicherungsschein aus den Jahren 2011 bis 2016 richtet, kann ein solcher Anspruch nicht auf § 3 Abs. 3 VVG gestützt werden (vgl. Senatsurteil vom aaO Rn. 42). Der Senat hat außerdem mit Urteil vom (IV ZR 311/22, juris Rn. 18) entschieden und im Einzelnen begründet, dass sich ein Auskunftsanspruch dieses Inhalts auch nicht aus § 7 Abs. 4 VVG ergibt.

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:240424UIVZR193.22.0

Fundstelle(n):
KAAAJ-67426