Instanzenzug: LG Duisburg Az: 11 T 119/22vorgehend AG Duisburg Az: 11a XIV (B) 58/22
Gründe
1I. Der Betroffene, ein ivorischer Staatsangehöriger, reiste am ohne Aufenthaltstitel nach Deutschland ein. Am Abend des wurde er in Duisburg festgenommen. Er war von Italien zur Fahndung im Schengener Informationssystem ausgeschrieben und führte eine niederländische Anlaufbescheinigung mit. Eine Überprüfung seines Aufenthaltsstatus in den Niederlanden ergab, dass er die Anlaufbescheinigung für den Beginn eines Asylverfahrens erhalten hatte. Das Asylverfahren in den Niederlanden konnte nicht eröffnet werden, weil der Betroffene untergetaucht war.
2Bei der beteiligten Behörde brachte der Betroffene vor, er sei als Kind mit seinem Vater nach Italien gereist, habe dort 12 Jahre gelebt und sei auch zur Schule gegangen. Einen Aufenthaltstitel habe er dort nicht mehr. Nachdem er ein Gewaltverbrechen begangen habe, sei er etwa vier bis fünf Jahre im Gefängnis gewesen und habe Italien verlassen, um festzustellen, wo er in Europa leben und einen Asylantrag stellen wolle. Er sei in Frankreich und den Niederlanden gewesen. In den Niederlanden habe er ein Asylgesuch gestellt, aber nicht arbeiten dürfen, so dass er beschlossen habe, weiterzureisen. Er habe gehört, dass er in Deutschland bessere Möglichkeiten habe. Er wolle nicht freiwillig ausreisen. Er habe niemand in seinem Heimatland.
3Mit sofort vollziehbarer Ordnungsverfügung vom wies die beteiligte Behörde den Betroffenen aus, drohte ihm die Abschiebung nach Cote d'Ivoire an und stellte einen Haftantrag. Das Amtsgericht hat mit Beschluss vom gleichen Tag gegen den Betroffenen Abschiebungshaft bis zum angeordnet. Dagegen hat der Betroffene am Beschwerde eingelegt. Nachdem er am einen Asylantrag gestellt hatte, wurde er am aus der Haft entlassen. Das Landgericht hat die nunmehr noch auf Feststellung der Rechtswidrigkeit der Haft gerichtete Beschwerde zurückgewiesen. Mit der Rechtsbeschwerde verfolgt der Betroffene sein Feststellungsbegehren weiter.
4II. Die Rechtsbeschwerde hat keinen Erfolg.
51. Das Beschwerdegericht hat einen zulässigen Haftantrag bejaht. Der Betroffene sei aufgrund einer unerlaubten Einreise vollziehbar ausreisepflichtig, sofort vollziehbar ausgewiesen und ihm sei eine Ausreisefrist nicht gewährt worden. Die freiwillige Erfüllung der Ausreisepflicht sei nicht gesichert, nachdem der Betroffene erklärt habe, nicht freiwillig ausreisen zu wollen. Die Notwendigkeit der Überwachung der Ausreise ergebe sich daraus, dass der Betroffene angebe, mittellos zu sein und nicht ausreisen zu wollen.
6Ein Asylantrag sei zunächst nicht gestellt worden, so dass keine Aufenthaltsgestattung bestanden habe. Gemäß § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 AsylG sei der Asylantrag beim Bundesamt zu stellen, wenn sich der Ausländer - wie hier - im öffentlichen Gewahrsam befinde. Der Betroffene habe aber weder einen schriftlichen noch einen mündlichen Asylantrag gestellt. Für Ausländer, die die Voraussetzungen des § 14 Abs. 2 Nr. 1 bis 3 AsylG erfüllten, werde kein Ankunftsnachweis ausgestellt. In diesen Fällen entstehe gemäß § 55 Abs. 1 Satz 3 AsylG die Aufenthaltsgestattung erst mit der Stellung des Asylantrags.
7Auch Fluchtgefahr habe vorgelegen. Der Betroffene habe in seiner ausländerbehördlichen Anhörung ausdrücklich angegeben, nicht freiwillig ausreisen zu wollen. Dem Betroffenen sei nach eigenen Angaben bekannt gewesen, dass er sein Aufenthaltsrecht in Italien durch seine Haftstrafe verwirkt habe. Gleichwohl habe er sich ohne Aufenthaltstitel in Italien aufgehalten, bevor er über Frankreich und die Niederlande nach Deutschland gereist sei. Einen Asylantrag habe er aber weder in Italien noch in Frankreich oder den Niederlanden gestellt. Vor diesem Hintergrund sei auch aus Sicht der beteiligten Behörde und des Amtsgerichts die Angabe des Betroffenen, in Deutschland einen Asylantrag stellen zu wollen, als Lippenbekenntnis zu werten und die Annahme gerechtfertigt, dass er sich einer Rückführung entziehen wolle.
82. Das hält rechtlicher Nachprüfung stand.
9a) Gegen die Zulässigkeit des Haftantrags der beteiligten Behörde bestehen nach den dafür bestehenden Maßgaben (vgl. nur BGH, Beschlüsse vom - V ZB 123/11, InfAuslR 2012, 25 Rn. 8; vom - XIII ZB 5/19, InfAuslR 2020, 165 Rn. 8; vom - XIII ZB 74/19, juris Rn. 7; vom - XIII ZB 116/19, NVwZ 2023, 1523 Rn. 7; vom - XIII ZB 40/20, juris Rn. 7) keine Bedenken; solche macht auch die Rechtbeschwerde nicht geltend.
10b) Die Rechtsbeschwerde rügt allein, dass das Amtsgericht die Dauer der Haft nicht ausreichend begründet habe. Der Richtervorbehalt gemäß Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG sei nicht gewahrt, weil das Amtsgericht die Ausführungen zur erforderlichen Dauer der Haft aus dem Haftantrag vollständig in die Haftanordnung übernommen habe. Das greift indes nicht durch. Der Inhalt des Beschlusses rechtfertigt nicht die Annahme, eine richterliche Prüfung bei Anordnung der Haft habe (gar) nicht stattgefunden.
11aa) Die Haftgerichte sind nach Art. 20 Abs. 3, Art. 104 Abs. 1 und Abs. 2 Satz 1 GG verfassungsrechtlich und nach § 26 FamFG einfachrechtlich verpflichtet, das Vorliegen der gesetzlichen Voraussetzungen für die Anordnung von Sicherungshaft in rechtlicher und tatsächlicher Hinsicht umfassend zu prüfen. Die Freiheitsgewährleistung des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG setzt auch insoweit Maßstäbe für die Aufklärung des Sachverhalts und damit für die Anforderungen in Bezug auf die tatsächliche Grundlage der richterlichen Entscheidungen. Es ist unverzichtbare Voraussetzung eines rechtsstaatlichen Verfahrens, dass Entscheidungen, die den Entzug der persönlichen Freiheit betreffen, auf zureichender richterlicher Sachaufklärung beruhen und eine in tatsächlicher Hinsicht genügende Grundlage haben, die der Bedeutung der Freiheitsgarantie entspricht. Der Richter hat nach Art. 104 Abs. 2 Satz 1 GG die Verantwortung für das Vorliegen der Voraussetzungen der von ihm angeordneten oder bestätigten Haft zu übernehmen. Dazu muss er die Tatsachen feststellen, die die Freiheitsentziehung rechtfertigen (, NVwZ-RR 2020, 801 Rn. 48 ff.; BGH, Beschlüsse vom - XIII ZB 14/19, juris Rn. 14; vom - XIII ZB 5/20, juris Rn. 12 mwN). Die wörtliche Übernahme von Teilen eines Haftantrags durch den Haftrichter rechtfertigt (allein) nicht die Annahme, eine eigenverantwortliche Prüfung durch den Richter habe nicht stattgefunden. Durch seine Unterschrift bezeugt der Haftrichter vielmehr, dass er den von der Unterschrift gedeckten Text geprüft und in seinen Willen aufgenommen hat und damit als Richter verantwortet. Die gegenteilige Annahme kann nur bei Vorliegen hinreichender und konkreter Anhaltspunkte - etwa der nicht korrigierten Übernahme sinnentstellender sprachlicher Fehler oder sonst offenkundiger Mängel - begründet sein (, NJW 2015, 851 Rn. 18 f. zu einer Durchsuchungsanordnung; vgl. auch LG Paderborn, NZWiSt 2021, 366 Rn. 11). Nicht hinnehmbar ist es, wenn sich im Einzelfall aufgrund besonderer Umstände die Notwendigkeit der Erörterung eines offensichtlichen Problems aufdrängen musste und gleichwohl eine Prüfung vollständig fehlt (, NJW 2009, 2516 Rn. 29 zu einer Durchsuchungsanordnung).
12bb) Solche Anhaltspunkte zeigt die Rechtsbeschwerde nicht auf und sind auch nicht ersichtlich. Allein die wörtliche Übernahme der Ausführungen im Haftantrag reicht dafür nach den obigen Ausführungen nicht aus. Entgegen der Ansicht der Rechtsbeschwerde ist es nach den obigen Maßgaben nicht erforderlich, dass der Haftrichter - wenn dies aus inhaltlichen Gründen nicht geboten ist - in die Begründung seines Beschlusses zusätzliche Erkenntnisse aus den Ausländerakten oder aus der persönlichen Anhörung des Betroffenen aufnimmt, wenn die aus dem Haftantrag übernommenen Ausführungen bereits ausreichen, um seine Entscheidung zu begründen (vgl. , z.Veröff.best. Rn. 16 f.).
13c) Zu Recht hat das Landgericht auch angenommen, dass der Anordnung der Haft kein Aufenthaltsrecht gemäß § 55 Abs. 1 Satz 1 AsylG entgegenstand.
14aa) Nach § 13 Abs. 1 AsylG liegt ein Asylantrag vor, wenn sich dem schriftlich, mündlich oder auf andere Weise geäußerten Willen des Ausländers entnehmen lässt, dass er im Bundesgebiet Schutz vor politischer Verfolgung sucht oder dass er Schutz vor Abschiebung oder Rückführung in einen Staat begehrt, in dem ihm eine Verfolgung im Sinn des § 3 Abs. 1 oder ein ernsthafter Schaden im Sinn des § 4 Abs. 1 AsylG droht. Dabei ist auf den objektiven Inhalt des Vorbringens des Ausländers abzustellen (, juris Rn. 91). Im Zweifel ist immer von einem Asylgesuch auszugehen, wenn das Vorbringen des Ausländers zumindest auch auf die Gefahr politischer Verfolgung oder drohendem Schaden hindeutet ( M 25 K 18.3432, juris Rn. 22; Houben in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, 40. Ed [], § 13 AsylG Rn. 11 mwN). Erforderlich aber auch ausreichend ist die Behauptung, bei einer Rückkehr in den Heimatstaat von politischen Verfolgungsmaßnahmen oder ernsthaftem Schaden bedroht zu sein (vgl. § 30 Abs. 5 AsylG; Bergmann in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 14. Aufl., § 13 AsylG Rn. 10; Bruns in Hofmann, Ausländerrecht, 3. Aufl., § 13 AsylG Rn. 6). Nicht ausreichend ist dagegen der bloße Wunsch, in Deutschland zu leben und zu arbeiten (, juris Rn. 13).
15bb) Nach diesen Maßgaben hat der Betroffene kein Asylgesuch geäußert. Weder aus den Angaben bei der Ausländerbehörde noch aus den Angaben in der Anhörung ergab sich, dass der in Italien aufgewachsene Betroffene, der sein Aufenthaltsrecht wegen eines von ihm verübten Gewaltverbrechens verloren hatte, Schutz vor Verfolgung oder ernsthaftem Schaden in seinem Heimatstaat begehrte. Das Vorbringen des Betroffenen ließ vielmehr nur den Wunsch erkennen, in Deutschland zu leben und zu arbeiten und nicht in sein Heimatland zurückzukehren. Hinzu trat, dass der Betroffene bereits in den Niederlanden einen Asylantrag hat stellen wollen, sodann aber untergetaucht ist. Zu Recht hat das Landgericht auf dieser Grundlage angenommen, dass der Betroffene seine Absicht, einen Asylantrag zu stellen, lediglich bekundet hat, um sich der Rückführung zu entziehen.
16cc) In einem solchen Fall, nämlich wenn der Betroffene - wie auch hier - über die Möglichkeit eines Schutzersuchens informiert ist und bereits Zugang zu einem solchen hatte sowie berechtigte Gründe für die Annahme bestehen, dass der Betroffene internationalen Schutz nur beantragt, um die Vollstreckung der bereits getroffenen Rückkehrentscheidung zu verzögern oder die Fortsetzung seines Abschiebungsverfahrens zu vereiteln, stehen auch Art. 8 RL2013/33 und Art. 26 RL 2013/32 der Anordnung von Haft gemäß Art. 8 Abs. 3 Buchst. d RL 2013/33 nicht entgegen (, juris Rn. 71 ff. Rn. 109 bis 111 - VL ./. Ministerio Fiscal). Daran hat der Senat auf der Grundlage der Ausführungen in der genannten Entscheidung keinen Zweifel. Ein Vorabentscheidungsersuchen gemäß Art. 267 Art. 3 AEUV ist daher nach den dafür geltenden Grundsätzen (, ECLI:EU:C:1982:335, Rn. 21 - Cilfit u. a; vom - C-495/03, ECLI:EU:C:2005:552, Rn. 33 - Intermodal Transports; vom - C-416/17, ECLI:EU:C:2018:811, Rn. 110 - Kommission/Frankreich) nicht erforderlich.
173. Die Kostenentscheidung beruht auf § 84 FamFG. Die Festsetzung des Gegenstandswerts folgt aus § 36 Abs. 2 und 3 GNotKG.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:260324BXIIIZB1.23.0
Fundstelle(n):
ZAAAJ-67178