Instanzenzug: Az: 9 U 95/21vorgehend Az: 24 O 403/20
Tatbestand
1Der Kläger nimmt den beklagten Versicherer aus einer Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung in Anspruch, nachdem über das Vermögen der mitversicherten T. GmbH (im Folgenden: Versicherte) das Insolvenzverfahren eröffnet worden ist.
2Dem Versicherungsvertrag lagen die Allgemeinen und Besonderen Versicherungsbedingungen sowie Risikobeschreibungen zur Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung für Wirtschaftsprüfer und vereidigte Buchprüfer, Steuerberater, Rechtsanwälte und Patentanwälte (AVB-WSR) zugrunde. Gemäß Teil 1 A. § 1 I. der AVB-WSR bietet der Versicherer dem Versicherungsnehmer Versicherungsschutz für den Fall, dass er wegen eines bei der Ausübung beruflicher Tätigkeit begangenen Verstoßes von einem anderen auf Grund gesetzlicher Haftpflichtbestimmungen privatrechtlichen Inhalts für einen Vermögensschaden verantwortlich gemacht wird.
3Teil 3 der AVB-WSR enthält die Besonderen Bedingungen und Risikobeschreibungen für Steuerberater (BBR-S). Er lautet auszugsweise:
"A. Besondere Bedingungen
…
5. Ausschlüsse
…
5.3 Haftpflichtansprüche aus unternehmerischem Risiko
Der Versicherungsschutz bezieht sich nicht auf Haftpflichtansprüche wegen Schäden, die dadurch entstanden sind, dass
a) der Versicherungsnehmer im Bereich eines unternehmerischen Risikos, das sich im Rahmen der Ausübung einer versicherten Tätigkeit ergibt, einen Verstoß begeht, z.B. als Insolvenzverwalter bei der Fortführung eines Unternehmens, als Testamentsvollstrecker, so weit ein gewerbliches Unternehmen zum Nachlass gehört,
…
B. Risikobeschreibung für die Vermögensschaden-Haftpflichtversicherung von Steuerberatern
…
II. Der Versicherungsschutz erstreckt sich auch auf die Tätigkeiten, die nach § 57 Abs. 3 Nr. 2, 3 und 6 StBerG mit dem Beruf vereinbar sind, und zwar
…
6. Tätigkeit als nicht geschäftsführender Treuhänder;
…"
4Mit Beitrittserklärung vom beteiligte sich der Kläger in Höhe von nominal 15.000 € zzgl. Agio über die Versicherte als Treuhandkommanditistin an der E. P. M. GmbH & Co. KG IV (im Folgenden: Fondsgesellschaft). Die Versicherte war am als Kommanditistin der Fondsgesellschaft in das Handelsregister eingetragen worden und fungierte zudem als deren Mittelverwendungskontrolleurin.
5Im Gesellschaftsvertrag der Fondsgesellschaft heißt es auszugsweise:
"§ 5 Kommanditkapital, Kapitalerhöhung
…
3. Die Treuhandkommanditistin kann im Hinblick auf ihren Kommanditanteil, jedoch nicht in Höhe des eigennützig gehaltenen Anteils, mit natürlichen und juristischen Personen Treuhandverträge … abschließen …
…
§ 6 Erbringung der Kapitaleinlagen
1. Die Kommanditeinlage der Gründungskommanditistin ist erbracht. Die eigennützige Kommanditeinlage der Treuhandkommanditistin ist sofort zur Einzahlung fällig.
…"
6Die Versicherte erhielt für jedes Geschäftsjahr eine Vergütung als Treuhänderin und als Mittelverwendungskontrolleurin, abhängig von der Summe der im betreffenden Geschäftsjahr eingezahlten Pflichteinlagen der Fondsgesellschaft.
7Mit Urteil vom verurteilte das Oberlandesgericht München die Versicherte zum Ersatz des Schadens, der dem Kläger aus der Beteiligung an der Fondsgesellschaft entstanden ist. Am wurde über das Vermögen der Versicherten das Insolvenzverfahren eröffnet.
8Mit seiner Klage erstrebt der Kläger den Ausgleich seiner Schadensersatzansprüche auf der Grundlage von § 157 VVG in der bis geltenden Fassung. Die Beklagte hat eingewandt, es handele sich nicht um eine versicherte Tätigkeit. Zudem sei die Versicherte unternehmerisch tätig geworden. In den Vorinstanzen ist die Klage erfolglos geblieben. Mit der Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.
Gründe
9Die Revision hat Erfolg. Sie führt zur Aufhebung des angefochtenen Urteils und zur Zurückverweisung der Sache an das Berufungsgericht.
10I. Dieses hat ausgeführt, es fehle an einem versicherungsvertraglichen Anspruch der Versicherten gegen die Beklagte. Zwar sei die Aufklärungspflichtverletzung im Rahmen einer versicherten Tätigkeit erfolgt, denn ein Entscheidungsspielraum der Versicherten, der ihre Treuhandtätigkeit zu einer geschäftsführenden gemacht hätte, könne anhand des Treuhandvertrags nicht festgestellt werden. Die Tätigkeit als Treuhandkommanditistin könne auch nicht generell als nicht versicherte unternehmerische Tätigkeit eingeordnet werden. Es greife aber der Risikoausschluss in Teil 3 A. 5.3 a) BBR-S. Die Pflichtverletzung berühre jedenfalls dann die unternehmerischen Interessen der Versicherten, wenn diese am Erfolg und Misserfolg der Fondsgesellschaft partizipiere. Ein Treuhänder handele mit Blick auf ein künftiges unternehmerisches Risiko, wenn er im Zeitpunkt des Verstoßes (noch) keine eigenen Anteile halte, der Erwerb solcher Anteile aber - wie hier nach § 6 Ziff. 1 und § 5 Ziff. 3 des Gesellschaftsvertrags - verbindlich vertraglich vorgesehen sei. Es ändere nichts, dass die Höhe des Kommanditanteils dort nicht geregelt sei. Auch auf die Umsetzung des Gesellschaftsvertrags komme es nicht an. Diese Auslegung sei durch die Ausschlussklausel gedeckt. Der Wortlaut sei weit gefasst. Es reiche aus, dass der Treuhänder mit einem konkreten Bezug zu einem unternehmerischen Risiko handele, wenn dies in naher Zukunft aufgrund konkret getroffener Regelungen sicher zu erwarten sei. Schließlich zeige sich ein Handeln im Bereich eines unternehmerischen Risikos auch daran, dass die Höhe der Vergütung der Versicherten vom eingeworbenen Kapital abhängig gewesen sei.
11II. Das hält rechtlicher Nachprüfung nicht stand.
121. Mit der gegebenen Begründung hat das Berufungsgericht nicht annehmen dürfen, der Versicherungsschutz sei nach Teil 3 A. 5.3 a) BBR-S ausgeschlossen.
13Wie der Senat nach Erlass des Berufungsurteils in einem Verfahren zweier weiterer Anleger der Fondsgesellschaft gegen die Beklagte entschieden und im Einzelnen begründet hat, ergibt die Auslegung von Teil 3 A. 5.3 a) BBR-S, dass ein Verstoß im Bereich eines unternehmerischen Risikos begangen ist, wenn der Steuerberater entweder in einem fremden Unternehmen unternehmerisch tätig geworden ist oder eine unternehmerische Investitionsentscheidung des Steuerberaters sein dem Verstoß zugrundeliegendes Verhalten beeinflusst hat (Senatsurteil vom - IV ZR 277/22, VersR 2024, 240 Rn. 15 ff. m.w.N.). Ein als Treuhandkommanditist tätiger Steuerberater, dem ein gesellschaftsvertraglich begründetes Anrecht auf Erwerb eines eigennützigen Kommanditanteils zusteht, begeht danach mit einer fehlerhaften Beratung von Anlegern im Zusammenhang mit dem Fondsbeitritt erst dann einen Verstoß im Bereich eines unternehmerischen Risikos im Sinne von Teil 3 A. 5.3 a) BBR-S, wenn im Zeitpunkt der fehlerhaften Beratung jedenfalls hinreichend sichere Umstände für den späteren Erwerb des eigennützigen Anteils feststehen (Senatsurteil vom aaO Rn. 22 ff.).
14Damit ist die Entscheidung des Berufungsgerichts nicht zu vereinbaren. Der Zweck der Risikoausschlussklausel, von einem unternehmerischen Risiko beeinflusste Entscheidungen des Versicherten vom Versicherungsschutz auszunehmen, erfordert, dass bereits hinreichend sichere Umstände für einen späteren Erwerb eines eigennützigen Anteils feststehen. Dafür darf nicht allein die rechtliche Ausgestaltung des Gesellschaftsvertrags in den Blick genommen werden. Enthält der Vertrag ein Anrecht der Treuhandkommanditistin auf Erwerb eines eigennützigen Anteils, ist auch zu berücksichtigen, wie die Parteien dieses Anrecht tatsächlich gehandhabt haben (Senatsurteil vom aaO Rn. 24). Die Treuhandkommanditistin muss im Zeitpunkt des Verstoßes jedenfalls entschlossen gewesen sein, ihren Anspruch auf einen eigennützigen Anteil tatsächlich geltend zu machen. Das hat das Berufungsgericht nicht festgestellt. Die von ihm herangezogenen Regelungen des Gesellschaftsvertrags lassen einen entsprechenden Rückschluss schon deshalb nicht zu, weil danach weder die Höhe des Anteils noch der Erwerbszeitpunkt festgestanden haben.
15Daraus, dass nach der Vergütungsregelung die Höhe der Gesamtvergütung der Versicherten von der Höhe der insgesamt eingezahlten Pflichteinlagen abhing und damit davon, wieviel Kapital bei Anlegern eingeworben werden konnte, folgt kein Handeln im Bereich eines unternehmerischen Risikos beim Abschluss von Treuhandverträgen mit den Anlegern. Eine entgeltliche Tätigkeit ist nicht gleichzusetzen mit einer unternehmerischen Tätigkeit im Sinne der Risikoausschlussklausel (Senatsurteil vom aaO Rn. 25).
162. Die Entscheidung des Berufungsgerichts erweist sich auch nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO). Entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung ist die Aufklärungspflichtverletzung im Rahmen einer gemäß Teil 3 B. II. 6. BBR-S versicherten Tätigkeit als nicht geschäftsführender Treuhänder erfolgt.
17Der Begriff der geschäftsführenden Treuhandtätigkeit bezieht sich auf die Art und Weise, wie eine Treuhandtätigkeit ausgeübt wird. Zutreffend ist das Berufungsgericht davon ausgegangen, dass es für die Abgrenzung einer versicherten Aufsichtstreuhand von einer nichtversicherten geschäftsführenden Treuhand im Rahmen der Tätigkeit eines Steuerberaters als Treuhandkommanditist einer Fondsgesellschaft entscheidend darauf ankommt, inwieweit dem Steuerberater aufgrund des Treuhandvertrags ein Entscheidungs- und Handlungsspielraum, Mitwirkungsrechte und/oder Ermessen zustehen und sich diese auf das unternehmerische Risiko der Fondsgesellschaft auswirken. Diese Abgrenzung muss im jeweiligen Einzelfall erfolgen; eine abstrakte, allgemein gültige Abgrenzungsregel lässt sich nicht aufstellen (Senatsurteil vom - IV ZR 277/22, VersR 2024, 240 Rn. 29 f.). Revisionsrechtlich unbedenklich ist das Berufungsgericht auf dieser Grundlage zu dem Ergebnis gekommen, ein Entscheidungsspielraum der Versicherten, der ihre Treuhandtätigkeit zu einer geschäftsführenden gemacht hätte, könne anhand des Treuhandvertrags nicht festgestellt werden.
18Die Tätigkeit eines Steuerberaters als Treuhandkommanditist im Rahmen eines geschlossenen Fonds ist entgegen der Auffassung der Revisionserwiderung auch nicht generell als geschäftsführende Treuhandtätigkeit oder unternehmerische Tätigkeit vom Versicherungsschutz der Berufshaftpflichtversicherung für Steuerberater ausgeschlossen (Senatsurteil vom aaO Rn. 32 ff.). Ebenso ist sie unabhängig davon vom Versicherungsschutz umfasst, dass sie auch von einer Person ausgeübt werden könnte, die keine berufsspezifische Haftpflichtversicherung unterhält (Senatsurteil vom aaO Rn. 36).
19III. Die Sache ist zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen, um die Voraussetzungen des Risikoausschlusses in Teil 3 A. 5.3 a) BBR-S unter Berücksichtigung der vorstehend dargestellten Maßstäbe erneut zu prüfen.
ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:170424UIVZR275.22.0
Fundstelle(n):
FAAAJ-66729