BGH Urteil v. - VI ZR 588/20

Haftung eines Fahrzeugherstellers auf Schadenersatz bei Einbau unzulässiger Abschalteinrichtungen

Leitsatz

Zur deliktischen Haftung des Motorenherstellers wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasrückführung gegenüber dem Käufer eines Fahrzeugs.

Gesetze: § 31 BGB, § 823 Abs 2 BGB, § 826 BGB, § 6 Abs 1 EG-FGV, § 27 Abs 1 EG-FGV, Art 5 Abs 1 EGV 715/2007, Art 5 Abs 2 S 1 EGV 715/2007, Art 5 Abs 2 S 2 Buchst a EGV 715/2007

Instanzenzug: Az: I-8 U 81/19 Urteilvorgehend Az: 7 O 364/18 Urteil

Tatbestand

1Der Kläger nimmt die beklagte Fahrzeugherstellerin wegen der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung für die Abgasreinigung auf Schadensersatz in Anspruch.

2Der Kläger erwarb im Oktober 2017 bei einem Händler einen Gebrauchtwagen des Typs VW Passat Variant Comfortline 2.0 TDI zum Preis von 19.800 €. Das Fahrzeug ist mit einem Dieselmotor des Typs EA189 ausgerüstet. Die Motorsteuerung war mit einer das Abgasrückführungsventil steuernden Software ausgestattet, die erkannte, ob das Fahrzeug auf einem Prüfstand dem Neuen Europäischen Fahrzyklus unterzogen wurde, und in diesem Falle in den Abgasrückführungsmodus 1, einen Stickoxid-optimierten Modus, schaltete. In diesem Modus fand eine Abgasrückführung mit niedrigem Stickoxidausstoß statt. Im normalen Fahrbetrieb außerhalb des Prüfstands schaltete der Motor dagegen in den Abgasrückführungsmodus 0, bei dem die Abgasrückführungsrate geringer und der Stickoxidausstoß höher ist. Für die Erteilung der Typgenehmigung maßgeblich war der Stickoxidausstoß auf dem Prüfstand. Die Stickoxidgrenzwerte wurden nur im Abgasrückführungsmodus 1 eingehalten.

3Vor Abschluss des Kaufvertrags, am , hatte die Beklagte eine Ad-hoc-Mitteilung nach § 15 WpHG a.F. veröffentlicht, wonach bei weltweit rund elf Millionen Fahrzeugen mit Motoren des Typs EA189 eine auffällige Abweichung zwischen Prüfstandswerten und realem Fahrbetrieb festgestellt worden sei, sie mit Hochdruck daran arbeite, die Abweichungen mit technischen Maßnahmen zu beseitigen und dazu in Kontakt mit den zuständigen Behörden und dem Kraftfahrt-Bundesamt (KBA) stehe. Das KBA sah die genannte Software als unzulässige Abschalteinrichtung im Sinne von Art. 5 Abs. 2 Satz 1 der Verordnung (EG) Nr. 715/2007 an und verpflichtete die Beklagte mit Bescheid vom , die Abschalteinrichtung zu entfernen. Die Beklagte entwickelte daraufhin ein Software-Update, das das KBA als geeignet zur Herstellung der Vorschriftsmäßigkeit auch des hier betroffenen Fahrzeugtyps ansah. Bei dem streitgegenständlichen Fahrzeug wurde ein derartiges Software-Update aufgespielt.

4Mit seiner Klage begehrt der Kläger die Erstattung des Kaufpreises nebst Zinsen Zug um Zug gegen Übereignung und Herausgabe des Fahrzeugs, die Feststellung des Annahmeverzugs sowie den Ersatz vorgerichtlicher Rechtsverfolgungskosten.

5Die Klage hatte in den Vorinstanzen keinen Erfolg. Mit der vom Berufungsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klagebegehren weiter.

Gründe

6Eine Haftung der Beklagten aus § 826 BGB scheide aus, da es infolge des Bekanntwerdens der Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung bei dem Motor EA189 und der von der Beklagten ergriffenen Maßnahmen jedenfalls ab Anfang 2016 an einer sittenwidrigen Veranlassung des Erwerbs seitens der Beklagten gefehlt habe. Die Beklagte habe die Öffentlichkeit über das Vorhandensein einer unzulässigen Abschalteinrichtung bei Fahrzeugen mit dem Dieselmotor EA189 informiert und die Möglichkeit geschaffen, über eine Website zu überprüfen, ob ein Fahrzeug davon betroffen sei. Der sogenannte Dieselskandal sei überdies Gegenstand einer umfassenden Presseberichterstattung gewesen. Der Anspruch aus § 826 BGB sei auch nicht mit Rücksicht auf das weitere Vorbringen des Klägers zu einer auch nach einem Update vorhandenen unzulässigen Abschalteinrichtung begründet. Dabei sei nicht maßgebend, ob es sich bei dem behaupteten Thermofenster um eine unzulässige Abschalteinrichtung handele, da dieses jedenfalls nicht von vornherein offenkundig unzulässig sei. Anders als die sogenannte Akustikfunktion im Motor des Typs EA189 der VW AG werde das Thermofenster gerade nicht allein auf dem Prüfstand aktiv, sondern in Abhängigkeit von der entsprechenden Außentemperatur gleichermaßen auch im realen Straßenbetrieb. Dessen Einsatz sei daher nicht geeignet, die Annahme eines Sittenverstoßes zu begründen.

7Die Beklagte hafte schließlich nicht aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 Satz 1 EG-FGV. Es fehle bereits an einem Verstoß, da die Gültigkeit der Übereinstimmungsbescheinigung durch die Verwendung einer unzulässigen Abschalteinrichtung nicht in Frage gestellt werde.

8der revisionsrechtlichen Prüfung nicht in jeder Hinsicht stand.

91. Ein Anspruch des Klägers gegen die Beklagte aus §das Verhalten der Beklagten im Verhältnis zum Kläger nicht als sittenwidrig zu qualifizieren

10as Verhalten für die Beklagte handelnden Personen im Verhältnis zu Personen, die eines der betroffenen Fahrzeuge vor den von der Beklagten im September 2015 ergriffenen Maßnahmen zur Information der Öffentlichkeit erwarben und keine Kenntnis von der illegalen Abschalteinrichtung hatten, objektiv sittenwidrig und geeignet gewesen, die Haftung der Beklagten zu begründen (st. Rspr.; vgl. nur Senatsbeschluss vom - VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 16 mwN; ferner , NJW 2021, 3725 Rn. 17; vom - III ZR 261/20, NJW-RR 2022, 243 Rn. 16).

11b) Im Verhältnis zum Kläger und im Hinblick auf den Schaden, der ihm durch den Abschluss eines ungewollten Kaufvertrags im Oktober 2017 entstanden sein könnte, ist der Vorwurf der Sittenwidrigkeit aber angesichts der von der Beklagten ab dem ergriffenen Maßnahmen, insbesondere der Veröffentlichung der Ad-hoc-Mitteilung vom , bei der gebotenen Gesamtbetrachtung nicht gerechtfertigt. Aufgrund dieser Verlautbarung und ihrer als sicher vorherzusehenden medialen Verbreitung war typischerweise nicht mehr damit zu rechnen, dass Käufer von gebrauchten VW-Fahrzeugen mit Dieselmotoren der Baureihe EA189 die Erfüllung der hier maßgeblichen gesetzlichen Vorgaben noch als selbstverständlich voraussetzen würden. Für das bewusste Ausnutzen einer diesbezüglichen Arglosigkeit dieser Käufer war damit kein Raum mehr; hierauf konnte das geänderte Verhalten der Beklagten nicht mehr gerichtet sein (

12mangels abweichender Feststellungen revisionsrechtlich zu unterstellenden Behauptung des Klägers mit dem Software-Update eine weitere unzulässige Abschalteinrichtung in Form eines Thermofensters implementiert hat, das zu Schäden an Motor und Partikelfilter führt sowie negative Auswirkungen auf den Wartungsaufwand und den Verschleiß der betroffenen Fahrzeuge hat. Diese Umstände reichen nach der gefestigten Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs nicht aus, um das Gesamtverhalten der Beklagten als sittenwidrig zu qualifizieren (vgl. Senatsurteil Senatsbeschluss vom - VI ZR 889/20, NJW 2021, 1814 Rn. 23 ff.; , juris Rn. 33).

13vom - VI ZR 526/20, zVb unter II 2 b) bb)

142. Soweit das Berufungsgericht hingegen eine Haftung der Beklagten aus § 823 Abs. 2 BGB in Verbindung mit § 6 Abs. 1, § 27 Abs. 1 EG-FGV, Art. 5 Abs. 1 und 2 VO (EG) Nr. 715/2007 verneint hat, hält sein Urteil revisionsrechtlicher Prüfung im Ergebnis nicht stand.

15a) Bei diesen Normen handelt es sich - unter Zugrundelegung der Ausführungen des Gerichtshofs der Europäischen Union in seinem Urteil vom (C-100/21, NJW 2023, 1111) - um Schutzgesetze im Sinne des § 823 Abs. 2 BGB, in deren persönlichen Schutzbereich der Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Kraftfahrzeugs einbezogen ist.

16b) Die oben angeführten Abgasnormen - auch in Verbindung mit der Übereinstimmungsbescheinigung - schützen allerdings nicht die allgemeine Handlungsfreiheit und als deren Ausfluss das wirtschaftliche Selbstbestimmungsrecht des Käufers, das heißt das Interesse, nicht zur Eingehung einer ungewollten Verbindlichkeit veranlasst zu werden, mit der Folge, dass die - gegebenenfalls auch fahrlässige - Erteilung einer unrichtigen Übereinstimmungsbescheinigung zu einem deliktischen Anspruch des Käufers gegen den Hersteller auf Rückerstattung des an den Verkäufer gezahlten Kaufpreises führte. Die allgemeine Handlungsfreiheit fällt nicht in den sachlichen Schutzbereich dieser Normen (so bereits Senatsurteil vom - VI ZR 252/19, BGHZ 225, 316 Rn. 76; nachfolgend ständige Rechtsprechung des BGH). Dem Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union vom (C-100/21, NJW 2023, 1111) lässt sich nichts entnehmen, was zu einer Abkehr von dieser Rechtsprechung nötigen würde ( VIa ZR 335/21, BGHZ 237, 245 Rn. 24-26; Senatsurteil vom - VI ZR 493/20, WM 2024, 36 Rn. 23).

17c) Jedoch kann dem Käufer eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Kraftfahrzeugs ein Anspruch auf Schadensersatz wegen Schutzgesetzverletzung zustehen, weil ihm aufgrund des Erwerbs eines mit einer unzulässigen Abschalteinrichtung versehenen Fahrzeugs ein Vermögensschaden in Form des Differenzschadens entstanden ist. Ein solcher Schaden, der darauf zurückzuführen ist, dass der Hersteller die ihm auch zugunsten des Käufers auferlegten Pflichten nach dem europäischen Abgasrecht nicht eingehalten hat, fällt nach Maßgabe des Urteils des Gerichtshofs der Europäischen Union vom (C-100/21, NJW 2023, 1111) in den sachlichen Schutzbereich der europäischen Abgasnormen und ist insoweit im Rahmen des § 823 Abs. 2 BGB zu entschädigen.

18d) Ob dem Kläger im Ergebnis ein solcher Anspruch zusteht, lässt sich auf der Grundlage der bisher vom Berufungsgericht getroffenen Feststellungen nicht abschließend beurteilen. Das Berufungsgericht wird dem Kläger im erneuten Berufungsverfahren Gelegenheit zu geben haben, zu den Voraussetzungen einer Haftung nach diesen Normen vorzutragenund den von ihm geltend gemachten Schaden im Sinne des Differenzschadens zu berechnen.

III.

19Das Berufungsurteil ist daher im tenorierten Umfang aufzuheben (§ 562 Abs. 1 ZPO). Die Einschränkung der Aufhebung betrifft zum einen den auf Feststellung des Verzugs der Beklagten mit der Annahme des Fahrzeugs gerichteten Klageantrag zu 2. Dieser hat keinen Erfolg, weil dem Kläger der diesbezügliche Anspruch aus § 826 BGB nicht zusteht. Die Einschränkung der Aufhebung betrifft zum anderen die mit dem Klageantrag zu 1 geltend gemachten Zinsen vor Rechtshängigkeit, hinsichtlich derer der Kläger die Revision zurückgenommen hat. Im Umfang der Aufhebung war die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückzuverweisen (§ 563 Abs. 1 Satz 1 ZPO).

ECLI Nummer:
ECLI:DE:BGH:2024:050324UVIZR588.20.0

Fundstelle(n):
WM 2024 S. 1136 Nr. 24
XAAAJ-66548